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Robert Mosell: Systemische Pädagogik

Rezensiert von Michael Götze-Ohlrich, 20.09.2017

Cover Robert Mosell: Systemische Pädagogik ISBN 978-3-407-25723-9

Robert Mosell: Systemische Pädagogik. Ein Leitfaden für Praktiker. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2016. 207 Seiten. ISBN 978-3-407-25723-9. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,10 sFr.

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Thema

Das Buch versucht, die Vorteile systemischen Denkens und Handelns im pädagogischen, insbesondere schulischen Alltag darzustellen. Wie können wir lernen, uns nicht durch Probleme lähmen zu lassen, sondern neue Lösungen zu entwickeln und Handlungsoptionen zu erweitern? Wie können wir die Sichtweisen der Lehrkräfte, Eltern und Kinder in gleicher Weise würdigen? Wie können wir Ressourcen erkennen und nutzen sowie die Eigenverantwortlichkeit aller Beteiligten stärken? Diesen Fragen widmet sich dieses Buch.

Autor

Dr. Robert Mosell ist seit fünfzehn Jahren Lehrer. Er arbeitet nach seiner systemischen Ausbildung (Heidelberger Schule) vorwiegend als Systemischer Therapeut, Berater und Trainer. Bekannt ist sein Buch „45 populäre Mythen des Schulalltags“ (2014 Beltz Verlag, Weinheim Basel), in dem er amüsant und gehaltvoll sowohl Kritik am traditionellen Bildungssystem übt als auch Angebote macht, den Unterricht als Prozess zu verstehen, an dem alle Beteiligten wachsen und reifen können.

Entstehungshintergrund

Seit mehr als fünfzig Jahren hat sich in der Psychotherapie der Gedanke durchgesetzt, nicht nur einzelne Symptome oder Personen zu behandeln, sondern sie immer im sozialen Kontext zu betrachten. Diese systemischen Konzepte in Beratung und Therapie sind ausgesprochen erfolgreich. Mittlerweile hat dieser Ansatz auch das pädagogische Handeln erreicht, interessanterweise eher die außerschulischen Bereiche. Dass der Lehrer nicht nur Wissensvermittler ist bzw. sein sollte, sondern Lerncoach, der die sozialen Beziehungen, speziell in den Familien, beobachtet und deutet und auf diese Weise allen Beteiligten Tools in die Hand gibt, Themen selbstständig und zielorientiert anzugehen, ist bei der aktuellen Diskussion um stressigen Schulalltag, gelangweilte Schüler und überforderte Lehrer ein nicht mehr zu übergehender Gedanke.

Aufbau

Das Buch gliedert sich in zwei Teile,

  1. einen theoretischen Leitfaden, in dem Grundbegriffe der systemischen Pädagogik, Generallinien in der Entwicklung der Methodik und deren Bedeutung in der Umsetzung aktueller gesellschaftlicher Bildungserwartungen an die Schule dargestellt werden, und
  2. einen praktischen Leitfaden, der Haltungen und Methoden in Unterricht und Beratung in den Blick nimmt.

Inhalt

Zunächst werden – immer in Kopplung an zwei Beispiele aus dem schulischen Alltag – die wesentlichen Herangehensweisen dargestellt, nämlich (auffällige) Verhaltensweisen, Strukturen und Muster in größeren Zusammenhängen zu betrachten und diese nicht primär als schlecht oder pathologisch zu bewerten, sondern hilfreiche lösungsorientierte Annahmen zu entwickeln. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass es nie nur eine einzelne Ursache und auch nie nur einen „Schuldigen“ für Störungen gibt, wir vielmehr immer in Wechselwirkung mit anderen agieren. Daraus ergibt sich, andere Sichtweisen zu respektieren, kooperativ mit allen Beteiligten Lösungen zu entwickeln und eine Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Änderung zu unterstellen.

Das zweite Kapitel legt den Fokus auf die förderlichen Haltungen beim Umgang mit sogenannten Problemfällen.

Daran schließen sich Ausführungen über die Entwicklung der systemischen Pädagogik, ihre Bedeutung in der Postmoderne mit deren Verständnis über die Vorläufigkeit unserer Erkenntnis und der Bedeutung von Kooperation sowie die Übertragung dieser Erkenntnisse auf die Schule an.

Das Kapitel 6 widmet sich wieder den Grundhaltungen, diesmal bezogen auf die Gestaltung der Beziehungen zu sich selbst und zu den jungen Menschen.

Im praktischen Teil, etwas knapper als der „theoretische“, der allerdings bereits sehr praxisnah gestaltet ist, wird zunächst diskutiert, Widerstände nicht nur als Abwehr, sondern auch als Kompetenz zu sehen und zum anderen Aufträge differenziert zu klären statt sich zum „Helfen“ verführen zu lassen (Kapitel 4 und 5). Darauf folgt ein Kapitel, das sich der systemischen Beratung im engeren Sinne widmet. Und schließlich geht es um die Selbstfürsorge der Pädagogen, von der Vorbereitung der Gespräche bis zur kollegialen Beratung.

Diskussion

Das Buch führt in die systemische Pädagogik ein und berücksichtigt dabei besonders den Lese- und Verständnishorizont der in der Praxis stehenden Pädagogen und Sozialpädagogen. Die Struktur des Buches ist gut nachvollziehbar. Der kurze Abriss, wie die heutige Gesellschaft neue Anforderungen an die Menschen stellt und sich daraus auch neue Aufgaben für die Schule hinsichtlich der zu vermittelnden Inhalte und der Förderung von Lernhaltungen bei den Schülern ergeben, weitet den Horizont und nimmt diejenigen Systeme in den Blick, die bei der Förderung von Schülern, Unterstützung von Familien oder Begleitung anderer Gruppen mit bedacht werden müssen. Viele systemische Grundhaltungen sind es wert, ausführlich (vielleicht auch ausführlicher) und in Konkurrenz zu etablierten pädagogischen Gewissheiten diskutiert zu werden. Sehr instruktiv ist das Kapitel über die „Ersten Schritte für die systemische Arbeit mit Herausforderungen“. Für den Praktiker sind wahrscheinlich die sehr knapp dargestellten Entwicklungslinien der systemischen Pädagogik sowie der sicher richtig dargestellten aber auch allgemein bekannten und anerkannten Anachronismen im System Schule weniger zielführend.

Die regelmäßigen Einleitungen in die Kapitel entsprechen zwar einer relativ weit verbreiteten (Un)-Sitte, dem Leser zunächst zu erklären, was er gleich lesen wird, sie bleiben aber redundant und können übersprungen werden.

Der zweite Teil des Buches beinhaltet konkrete Anregungen, Methoden und Instrumente zur Umsetzung der zuvor dargestellten Grundhaltungen. Auch wenn im theoretischen Teil das System Schule kritisch hinterfragt wird, konzentriert sich der praktische Teil auf durch den einzelnen Lehrer anzuwendende Instrumente. Hier liegt der besondere Mehrwert des Buches.

Die Diskussion um die pädagogische Verantwortung bei der Begleitung postmoderner Formen des Lernens hätte, ohne dies direkt als einen Mangel bezeichnen zu wollen, durchaus etwas breiter geführt werden können. Sehr wichtig und gelungen sind die Ausführungen zur Bedeutung der Auftragsklärung und zur positiven Sicht auf Widerstände. Das Kapitel zur Beratung von Schülern und Eltern wirkt zunächst sehr knapp, allerdings ist alles im Buch Dargestellte auch für Beratungen nutzbringend. Daher konzentriert sich dieser Abschnitt auf die ganz spezifischen Werkzeuge für Beratungen, vor allem die typischen systemischen Frageformen. Der Ablauf einer kollegialen Beratung wird skizziert. Wünschenswert wäre es an dieser Stelle, auf weiterführende Literatur zu verweisen. Auf eine kommentierte Bücherliste im Internet wird zum Ende des Literaturverzeichnisses aufmerksam gemacht.

Fazit

Das Buch gibt einen lesenswerten und leicht lesbaren Einblick in die Grundlagen der systemischen Pädagogik, deren Grundbegriffe, Sichtweisen, Haltungen und Instrumente, und ist insbesondere für diejenigen interessant, die sich nicht nur für systemische Ideen, sondern auch für eine gelingende Implementierung in den schulischen Alltag interessieren.

Rezension von
Michael Götze-Ohlrich
Therapeut in einer Einrichtung für Jugendliche und junge Erwachsene mit Entwicklungsbesonderheiten

Es gibt 4 Rezensionen von Michael Götze-Ohlrich.

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ISSN 2190-9245