Jens Spahn, Jörg F. Debatin et al.: App vom Arzt
Rezensiert von Dr. phil. Andreas Meusch, 06.01.2017

Jens Spahn, Jörg F. Debatin, Markus Müschenich: App vom Arzt. Bessere Gesundheit durch digitale Medizin. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2016. 160 Seiten. ISBN 978-3-451-37508-8. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 26,90 sFr.
Thema
Die Digitalisierung in der Medizin bringt überwiegend Vorteile für die Patienten. Das ist die Kernbotschaft dieser „kleinen Zeitreise in die Zukunft der Medizin“ (S. 131). Außerdem geht es um die „These, dass Datenschutz nur etwas für Gesunde ist“ (ibid.).
Autoren
- Jens Spahn ist seit 2002 Bundestagsabgeordneter und war bis 2015 überwiegend gesundheitspolitisch aktiv, zuletzt als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion Seit Juli 2015 ist er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.
- Dr. med. Markus Müschenich ist Kinderarzt und Gesundheitswissenschaftler. Nach Tätigkeiten in Krankenhauskonzernen ist er jetzt Vorstand des Bundesverbandes Internetmedizin und aktiv in der Startup-Szene für Gesundheits-Apps.
- Prof. Dr. med Jörg F. Debatin, MBA ist Radiologe und war über acht Jahre Ärztlicher Direktor und Vorstandvorsitzender am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg. Aktuell ist er Vice President von GE Healthcare, einer Tochter von General Electric.
Entstehungshintergrund
Digitalisierung ist der dominierende Trend im Gesundheitswesen. Deutschland droht in dieser Entwicklung den Anschluss zu verlieren. Daten werden als Rohstoff der Zukunft angesehen, ihre Nutzung bzw. der Verzicht auf ihre Nutzung ist eine der zentralen Gestaltungsfragen auch in diesem Politikfeld.
Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 kann die Autorenschaft von Jens Spahn auch als „Bewerbung“ als Bundesminister für Gesundheit nach der Wahl gelesen werden, der hier seine politische Agenda vorstellt.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in vier Kapitel unterteilt, in denen der Leser direkt als Patient angesprochen wird.
Im ersten Kapitel „Wir leben im digitalen Zeitalter“ geht es darum, ihm zu erläutern, dass er als Patient von der Digitalisierung mehr profitieren wird als Krankenkassen, Ärzte oder Apotheker (S. 39). Für Ärzte dagegen sei dies eher unbequem, denn sie seien in Zukunft mehr Partner des Patienten als 'Halbgott in Weiß' (s. 42):
„Die digitale Welt des Gesundheitswesens“ ist das zweite Kapitel überschrieben, in dem durch konkrete Beispiele erläutert wird, welches Potenzial für das Gesundheitswesen in der Digitalisierung steckt. Die Internetmedizin wird als „neuer Versorgungssektor“ beschrieben, der „endlich ein vernetztes Gesundheitssystem entstehen“ lasse (S. 62f).
Im umfangreichsten, dritten Kapitel geht es um die Chancen der Datennutzung in Diagnostik und Therapie. Big Data und personalisierte Medizin werden nach Überzeugung der Autoren „umwälzende Folgen für das Gesundheitswesen insgesamt“ haben, ergebnisorientierte Vergütungen ermöglichen und den „Reparaturbetrieb Medizin“ durch wirksame Prävention verändern (S. 81).
„Digital macht gesund!“ Mit dem Schlusssatz im vierten Kapitel (S. 129), in dem es um die medizinischen Versorgung von morgen geht, machen die Autoren auch klar, wie wenig Zweifel sie an ihren Einschätzungen haben. Health-Bots werden für uns „regelmäßig und ungefragt“ unsere Gesundheitsakte mit den neuesten Erkenntnissen der Medizin abgleichen (S. 128) und „Therapie-Avatare“ werden z.B. in der Psychotherapie „den Mangel an Psychotherapeuten ausgleichen“.
Diskussion
„65% der Deutschen würden sich für eine Lockerung des Datenschutzes für Gesundheitsdaten aussprechen, wenn dies die Krankenversorgung verbessern würde. Das geht aus einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage hervor, die das Institut YouGov im Auftrag des FLYING HEALTH Incubators vom 7. September bis 9.September 2016. durchgeführt hat.“ So ist es auf der Homepage von Jens Spahn zu lesen [1], Markus Müschenich ist Mitbegründer der Flying Health Incubators. Diese Mehrheit will der Ratgeber sprachfähig machen, mit Beispielen in dieser Überzeugung stärken. Die Begeisterung, mit der für die Digitalisierung im Gesundheitswesen geworben wird, erinnert etwas an die Euphorie der Internetpioniere, die inzwischen verflogen ist. Genau so wie die Internetpioniere von der Realität eingeholt wurden, werden auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen und der Einsatz von Big Data Probleme mit sich bringen, die im vorliegenden Band ausgeklammert werden.
Das Buch hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, von daher ist es legitim, dass die Klarheit der Botschaft Priorität vor differenzierenden Betrachtungen hat. Das Bohren dicker Bretter für ein besseres Gesundheitswesen Dank Digitalisierung fängt aber da an, wo das Buch aufhört.
Fazit
In einer von Ängsten und Besitzstandswahrung geprägten Diskussion über die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens bringt das Buch einen erfrischend anderen Ton in die Debatte ein. Es richtet sich an Laien, die mit der Lektüre reiches Anschauungsmaterial erhalten, wie stark schon heute die Digitalisierung auch das Gesundheitswesen verändert – und dass wir erst am Anfang einer Revolution stehen.
Rezension von
Dr. phil. Andreas Meusch
Lehrbeauftragter an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenshaften (HAW), Hamburg,
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