Hektor Haarkötter (Hrsg.): Shitstorms und andere Nettigkeiten
Rezensiert von Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix, 30.11.2016
Hektor Haarkötter (Hrsg.): Shitstorms und andere Nettigkeiten. Über die Grenzen der Kommunikation in Social Media. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2016. 182 Seiten. ISBN 978-3-8487-3064-3. D: 34,00 EUR, A: 35,00 EUR.
Thema
Im Fokus des Sammelbands stehen empirische Erkenntnisse zum Phänomen Shitstorm. Die Autorinnen und Autoren, die überwiegend einen medienwissenschaftlichen, journalistischen oder kommunikationspychologischen Hintergrund haben, widmen sich dem Thema Shitstorm mit eigenen Forschungsarbeiten oder in dem sie den aktuellen Forschungsstand und die Rechtslage aufarbeiten.
Aufbau und Inhalt
Vorwort: Unsoziale soziale Medien und die Grenzen der Kommunikation: Hektor Haarkötter (S. 7-9). Der Autor leitet knapp in das Phänomen ein in dem er feststellt, dass die soziale Funktion von Medien gestört ist. Er stellt sich die kontroverse Frage, ob „die Empörung über die Empörungskaskaden im Internet nicht ihrerseits kaskadiert und ob es sich bei den häufig durchaus deftig vorgetragenen Onlinekommentaren nicht nur um eine aktualisierte Ausdrucksform des einst von Peter Rühmkorf apostrophierten ‚lyrischen Volksvermögens‘ handelt“ (S. 7).
Geleitwort: Journalismus und Shitstorms: Frank Überall (S. 11-16). Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbands hält in seinem Geleitwort zunächst fest, dass besonders JournalistInnen die Folgen eines kommunikativen Strukturwandels zu spüren bekommen. JournalistInnen seien diejenigen, die an der Strukturierung der Öffentlichkeit bislang professionell mitgewirkt hätten und die nun eine neue Rolle der redaktionellen Arbeit zu definieren hätten. Ziel sei ein „gesellschaftlich erträgliches Zusammenspiel zwischen privat und professionell generierten Inhalten“ (S. 11). In seinem Beitrag stellt sich Überall vor allem zwei Themen: Er fragt nach der Grenze zwischen berechtigten Einwänden und „ehrabschneidenen (Vor-)Verurteilungen im digitalen Diskurs“ (S. 12) und diskutiert, ob die in Shitstorms zu Tage tretende gesellschaftliche Gewalt als fünfte Gewalt bezeichnet werden kann und welche Implikationen dies zur Folge hat.
Empörungskaskaden und rhetorische Strategien in Shitstorms: Hektor Haarkötter (S.17-50). Im ersten Kapitel formuliert der Autor aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven bislang offene Forschungsfragen. In einer rhetorischen Analyse verfolgt Haarkötter den Ansatz Shitstorms als kontrollierte und bewusst eingesetzte Meinungsäußerungen zu sehen. Relevant ist dabei vor allem die Unterscheidung von „ad rem“, Argumenten zur Sache und „ad personam“, Argumenten zur Person. Des Weiteren zeigt Haarkötter die Entstehungsgeschichte von Shitstorms beginnend beim Arpanet und Mailinglisten auf. Es folgt eine Beschreibung von Merkmalen die zur Entstehung von Shitstorms beitragen können (fehlende nonverbale Marker, Egozentrismus, Enthemmungseffekte), eine Erklärung entlang des Konzepts der Schweigespirale sowie Methoden zur Analyse von Shitstorm-Verläufen. Mittels quantitativer Inhaltsanalyse von ausgewählten Shitstorms und deren Beiträgen auf Facebook und bild.de kommt Haarkötter unter anderem zu der Erkenntnis, dass „die prägenden Kommentare eines Shitstorms nicht so sehr emotional-eruptiv und unbewusst, sondern im Gegenteil eher rational-bewusst im Sinne einer rhetorischen Kommunikationsstrategie vorgebracht werden“ (S. 45).
Shitstorm gleich Shitstorm? – Eine empirische Analyse des Netzphänomens exemplarisch dargestellt am Amazon-Shitstorm 2013: Sandra Kuhlhüser (S. 51-84). Nach einer Begriffsdefinition und einer theoretischen Analyse der Zusammenhänge zwischen Online- und Offline-Regelverletzungen stellt die Autorin die Ergebnisse einer eigenen Untersuchung vor. Sie untersucht den so genannten Leiharbeiterskandal aus dem Jahr 2013 rund um das Unternehmen Amazon. Zunächst beschreibt sie die Entstehungs- und Verlaufsgeschichte, des durch eine Dokumentation des HR entfachten Shitstorms. Anschließend fasst Kuhlhäuser die Reaktion von Amazon und die Auswirkungen des Shitstorms für das Unternehmen zusammen. Anhand von Sprachhandlungsmustern analysiert sie schließlich den Diskurs sowie die Diskursstränge und -positionen. Sie kommt zu der Erkenntnis, dass „neben beleidigenden ‚Angriffen‘ auf Amazon […] auch eine argumentativ-sachliche Auseinandersetzung mit dem Leiharbeits-Diskurs auf Facebook und Twitter stattfindet“ (S. 81). Sie appelliert daher auch dafür den – wie sie anprangert unreflektierten – Begriff des Shitstorms als Kommunikations- und Diskursraum über gesellschaftliche Werte zu begreifen.
Analyse der Wahrnehmung von Shit- und Candystorms mittels Eyetracking: Eva-Maria Skottke, Kay Bendel und Nick Menger (S. 85-107). Auch die AutorInnen dieses Beitrags stellen die Ergebnisse eigener Untersuchungen vor. Mittels Eye-Tracking wurde das das Leseverhalten analysiert sowie in Nachbefragungen zusätzlich Gedächtniseffekte und Einstellungsaspekte erfasst. Als Stimulusmaterial diente ein Beitrag Til Schweigers auf seiner Facebook-Seite, der sich wiederum auf seine ehrenamtliche Arbeit in der so genannten Flüchtlingskrise. Erkenntnisse sind u.a., dass eine persönliche Sympathie die Bereitschaft, sich an einem Shit- bzw. Candystorm zu beteiligen, beeinflusst. Auch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Bereitschaft sich zu beteiligen konnten aufgezeigt werden.
Empörungswellen im Internet: Genese, Gegenstrategien und Auswirkungen: Ralf Spiller und Thomas Hintzen (S. 109-122). In diesem Beitrag stellen die Autoren den aktuellen Forschungsstand vor. Auf Grund der von ihnen bemängelten schlechten Forschungslage greifen Sie dazu auch auf Abschlussarbeiten zurück. Nach einer Begriffsdefinition stellen die Autoren Arbeiten zu Ausprägungen und Merkmalen von Shitstorms vor. Dem folgen die erforschten Auslöser und Gründe sowie Gegenwirkungsstrategien und Arbeiten über Auswirkungen von Shitstorms. Abschließend konstatieren die Autoren, dass es auch zukünftig noch Raum geben wird für weitere Forschungsarbeiten zum Thema.
Rechtliche Aspekte des Shitstorms: Christian Solmecke (S. 123-134). Der Autor verfolgt die Frage, ob jegliche im Rahmen eins Shitstorms veröffentlichten Kommentare, Posts oder Beiträge rechtlich verfolgt werden können? Zu ihrer Beantwortung erörtert er zunächst die Meinungsfreiheit und deren Abgrenzung zur Tatsachenbehauptungen oder so genannter Schmähkritik. Dem schließt Solmecke Ratschläge zum Umgang mit Shitstorms an. Dies umfasst u.a. das Einschalten eines Anwalts, außergerichtliche Möglichkeiten und die strafrechtliche Verfolgung. Da Shitstorms vor allem ein Phänomen Sozialer Onlinenetzwerke sind, schildert der Autor zudem, welche Möglichkeiten man gegen einen Plattformbetreiber hat. Abschließend gibt Solmecke noch Hinweis zur Nachsorge.
The Social Newswork? Eine empirische Studie zur Nutzung von Nachrichten-Fanpages auf Facebook: Katharina Emde und Juliana Saß (S. 135-155) Die Autorinnen stellen in ihrem Beitrag eigene Forschungsergebnisse zum Nutzungsverhalten der RezipientInnen von Nachrichten-Seiten vor. Dazu zeigen sie zunächst allgemein die Relevanz dieser Seiten auf und erörtern den Forschungsstand der Motive zur Nutzung von Nachrichtenseiten auf Facebook. Letztere erforschen sie selbst aber zusätzlich auch noch einmal, ebenso wie die Frage nach partizipativem und interaktivem Verhalten auf Nachrichtenseiten. Ihre Ergebnisse stellen sie anhand einer Nutzertypologie vor. Diese reicht vom „Inaktiven“, über den „interessierten Leser“ und den „Verbreiter“ zum „interaktiven Nutzer“.
Die Facebook-Kommunikation der Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2013: Andreas Elter und Andreas Köhler (S. 157-177). Im letzten Beitrag des Sammelbandes widmen sich die beiden Autoren der Facebook-Kommunikation im allgemeinen. Nach der Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstandes zur Wahlkampfkommunikation in Sozialen Onlinenetzwerken analysieren sie empirisch die Kommunikation der DirektkandidatInnen zur Bundestagswahl 2013. Der Fokus der Autoren lag neben der Kommunikations- und Interaktionsintensität auch auf dem Einfluss soziostruktureller Merkmale und der Motivation von PolitikerInnen Soziale Onlinenetzwerke zu nutzen. Im Fazit stellen die Autoren zusammenfassend fest, dass die Mobilisierungsthese eindeutig bestätigt werden kann und dass eine „mangelnde Dialogintensität im Durchschnitt aller Direktkandiaten“ (S. 175) festgestellt werden muss.
Diskussion
Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über das Thema. Es wird ein großes Spektrum an Perspektiven i.S.v. verschiedensten Fragestellungen, mittels derer das Phänomen untersucht wird, abgedeckt. Wie bei einem Buch mit wissenschaftlichem Hintergrund zu erwarten, enthalten die Artikel jeweils einen mehr oder weniger umfassenden Methodenteil. Dementsprechend ist der der Sammelband vor allem für Studierende oder Lehrende von Kommunikations-, Medien- oder aus sozialen Fächern zu empfehlen. Man sollte keinen Ratgeber oder Leitfaden erwarten, der Leser/die Leserin, der/die danach sucht, ist mit dem Buch schlecht beraten. Aus sozialarbeiterischer und pädagogischer Perspektive wäre es noch interessant gewesen, hätte man vielleicht ein Beispiel aus dem Sozialen Sektor vorgefunden.
Fazit
Der Sammelband „Shitstorms und andere Nettigkeiten“ herausgegeben von Hektor Haarkötter eignet sich, um die Funktionsweise von Shitstorms besser verstehen und ihre gesellschaftlichen Implikationen und Auswirkungen zu erkennen. Die Beiträge sind in der Mehrzahl wissenschaftlich durch eigene Empirie fundiert und beziehen sich meist auf medial bekannt gewordene Beispiele.
Rezension von
Prof.in Dr.in Daniela Cornelia Stix
ist Dipl.-Sozialpädagogin/-arbeiterin (FH) und Medienwissenschaftlerin (M.A.) und als Professorin für Soziale Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen die Themen Digitalität und Digitalisierung der Sozialen Arbeit, Natur- und Erlebnispädagogik sowie die Kinder- und Jugendarbeit.
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ORCID: https://orcid.org/0000-0001-9211-7748
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Zitiervorschlag
Daniela Cornelia Stix. Rezension vom 30.11.2016 zu:
Hektor Haarkötter (Hrsg.): Shitstorms und andere Nettigkeiten. Über die Grenzen der Kommunikation in Social Media. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2016.
ISBN 978-3-8487-3064-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21672.php, Datum des Zugriffs 09.12.2024.
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