Dirk Rohr, Hendrik den Ouden et al.: Hochschuldidaktik im Fokus von Peer Learning und Beratung
Rezensiert von Prof. Dr. Elisabeth Müller Fritschi, 17.05.2017

Dirk Rohr, Hendrik den Ouden, Eva-Maria Rottlaender: Hochschuldidaktik im Fokus von Peer Learning und Beratung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2016. 160 Seiten. ISBN 978-3-7799-3421-9. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 51,90 sFr.
Thema
Im Zentrum dieses Buches steht eine aktuelle Hochschuldidaktik, die mit einem Fokus auf gemeinsame Lernprozesse (Peer-Learning) und Beratung präsentiert wird. Folie dafür ist der angestrebte Wandel vom Lehren hin zum Lernen (‚Shift from Teaching to Learning‘), bei dem es darum geht, in der Lehre stärker als bisher die Studierenden mit ihrer individuellen Konstruktion von Wissen in Kooperation mit andern ins Zentrum zu stellen. Wie konkret sieht gute Lehre unter diesen (neuen) Vorzeichen aus? Welche Rolle spielen Kooperation und Reflexion für das Lernen in einem solchen Kontext?
Autoren und Autorin
Autorin und Autoren sind am Zentrum für Hochschuldidaktik der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln engagiert, in leitender, forschender, beratender sowie trainierender Funktion. Beratungsforschung, innovative und kooperative Lehr-/Lernformate und kollegiale Hospitationen gehören u.a. zu ihren Arbeitsschwerpunkten.
Aufbau und Inhalt
Das erste Kapitel (S. 11 bis 104) gibt einen (theoretischen) Überblick über das gesamte Themenspektrum einer Hochschuldidaktik, die verstanden wird als „eine eigene Disziplin der wissenschaftlichen Forschung“ (S. 11).
- Im Rahmen der Erläuterung des Kompetenzbegriffs wird ein „Modell der Handlungskompetenz von Lehrpersonen an der Hochschule“ (S. 21) vorgestellt, das sieben Dimensionen enthält. Daran anschließend werden Lernziele bzw. Learning Outcomes und deren Taxonomiestufen erörtert, wobei die Implikationen des Wandels der Lehr-/Lernkultur von der Inhaltsorientierung hin zur Kompetenzorientierung thematisiert werden. Im Abschnitt Constructive Alignment wird aufgezeigt, wie in der Lehre Ziele, Prüfungsformate und Lehr-/Lernaktivitäten stimmig aufeinander abgestimmt werden sollten.
- Danach stehen die Lehrpersönlichkeit und deren Rolle im Zentrum. Es wird aufgezeigt, welch zentrale Funktion die „Reflexion“ (S. 44) für die Entwicklung eines professionellen Selbstverständnisses hat. Im Abschnitt Lernen wird erläutert, wie Lernen als aktiver, vorwissens- und situationsabhängiger Konstruktionsprozess funktioniert, und welche Grundsätze und Handlungsleitlinien sich daraus ergeben für eine von den Studierenden als sinnvoll und als motivierend empfundene Lehre.
- Es folgen Aussagen darüber, wie das Thema Diversität in die Hochschuldidaktik Einzug gehalten hat, und Diversitätskompetenz wird definiert „als Facette eines professionellen hochschuldidaktischen Handelns“ (S. 78). Am Beispiel von Genderkompetenz wird gezeigt, inwiefern es für diversitätssensibles Lehrhandeln Wissen über Einschluss- und Ausschlussprozesse und Wissen über Auswirkungen von gesellschaftlichen Ungleichheiten (bspw. auf Lernstrategien, Interaktionsmuster und Lebenssituationen) und Wissen über entsprechende Methoden braucht.
- Im Teil Feedback geben und nehmen (S. 82) werden vier verschiedene Ebenen von Feedbackprozessen unterschieden: das Leistungsfeedback von Lehrenden an die Studierenden, das Feedback von Studierenden an Lehrende, das Feedback von Lehrenden an Lehrende, und das Feedback von Studierenden an Studierende. Der Blick wird auf Peer-Feedback und Peer-Support zur Klärung eigener blinder Flecken gelenkt.
- Das Ende des ersten Kapitels widmet sich dem Thema Prüfen und Bewerten vor dem Hintergrund der Feststellung, dass Leistungs-Feedback seit der Einführung der Bologna-Studiengänge massiv zugenommen habe. Es werden Hinweise auf Funktionen und Formen und auf die Konstruktion und Durchführung von Prüfungen jeder Art präsentiert.
Im zweiten Kapitel (S. 105 bis 122) wird der Begriff Peer-Learning geklärt und es wird begründet, warum es Sinn macht, „Peer-Learning vor allem als kollegiales Lernen zu verstehen“ (S. 106). Mit Blick auf den Hochschulkontext werden Peer-Tutoring (Peers schulen Peers), Peer-Counseling (Peers beraten Peers) und Peer-Support (Peers werden durch die Gruppe von Peers unterstützt) unterschieden. Ergänzt wird das Kapitel durch Hintergrundtheorien.
Im dritten Kapitel (S. 123 bis 139) stehen Beratung und Beratungshaltung im Zentrum. Ausgehend von einer systemischen Variante der Beratungswissenschaft wird für die Skizzierung einer angemessenen Beratungshaltung auf den humanistischen Gesprächsansatz von Rogers (1972) zurückgegriffen. Bei der Beratung von Studierenden wird unterschieden zwischen einer Beratung in Bezug auf Studienleistungen und Studienplanung, bei der vermehrt Peers eine zentrale Funktion übernehmen könnten. Davon abgegrenzt wird die Beratung in Bezug auf inhaltliche Studienangelegenheiten durch Lehrende, bei der das Spannungsfeld der Lehrenden zwischen Bewertung und Beratung wichtig wird.
Als Zwischenfazit wird im vierten Kapitel (S. 140 bis 142) festgehalten, dass ein konsequenter ‚Shift from Teaching to Learning‘ eine grundlegende Veränderung von Lernen und Lehren impliziert. So sollten bspw. Dozierende, die sich den Studierenden als Lernbegleitung zur Seite stellen, nicht nur über hohe Fachkompetenzen, sondern auch über grundlegendes Wissen und Können zum Thema Lernen verfügen. Sie sollten motiviert sein, die Studierenden in ihren individuellen Lernprozessen zu unterstützen und Diversität als Chance wahrnehmen. Darüber hinaus sollten sie bereit sein, selbst immer weiter zu lernen und ihre eigene Rolle immer wieder zu reflektieren.
Im Kapitel fünf (S. 143 bis 157) werden als Konsequenz dieser Veränderungen zwei projektorientierte Lehrformate umschrieben, das Planspiel und das Service Learning (Echt-Projekte), und dies mit einem besonderen Blick auf die Rolle der Lehrenden. Service Learning biete nebst der Möglichkeit, in realen Projekten Praxiserfahrungen zu sammeln, auch die Chance, dass sich Bildungsinstitutionen gegenüber der Gesellschaft öffnen.
Im Kapitel sechs (S. 158 bis 194) sind verschiedene Arten von Peer-Learning unter Lehrenden beschrieben.
- Bei der kollegialen Hospitation beobachten sich Kolleg/innen (Peers) gegenseitig in ihrer Lehre und geben sich Feedbacks, die als (Rollen-)Reflexionshilfen und Weiterentwicklungsimpulse für beide Seiten dienen. In geschütztem Rahmen durchgeführte Vorbereitungen, Durchführungen und Nachbereitungen bzw. Nachbesprechungen im Rahmen kollegialer Hospitationen sorgen dafür, dass die Lehrerfahrungen zum Stimulus für Reflexion und Lernen werden.
- Das gleiche geschieht auch im Team Teaching, wobei die Autorin und die Autoren aufzeigen, dass im Team sehr variantenreich zusammengearbeitet werden kann (während verschiedener Lehr-Phasen, oder in hierarchischer oder gleichberechtigter Art). Das Team Teaching wird als voraussetzungsreich dargestellt, mit vielfältigen Chancen, aber auch Stolpersteinen. Speziell verwiesen wird auf die Rolle einer funktionierenden Kommunikation zwischen den zusammenarbeitenden Lehrenden.
- Eine weitere Option gemäss Autorin und Autoren ist das Lehrcoaching. Es wird aufgezeigt, wie ein Lehrcoaching zwischen einer/einem geschulten Coach und einer lehrenden Person methodisch abgestützt durch den lösungsorientierten Ansatz ungefähr ablaufen könnte.
- Weiter sind Fallsupervisionen in Lehrenden-Gruppen eine vielversprechende Möglichkeit, von Peers zu lernen. Dabei stehen konkrete Fälle aus der Lehrpraxis einer/eines Teilnehmenden im Mittelpunkt, und die (professionellen) Supervisor/innen stellen sicher, dass die Anwesenden das System erkunden, und dass Ressourcen und Handlungsspielräume erkannt werden.
- Niederschwelliger noch als die Supervision ist die Kollegiale Fallberatung. Hierzu braucht es keine Fachperson von aussen, und wie sie ablaufen kann, zeigt ein Ablaufschema, das die konkreten Teilschritte des Vorgehens umfasst (S. 194).
Zum Abschluss wird im Kapitel sieben (S. 195 bis 197) nochmals darauf hingewiesen, wie sich die Rolle der lehrenden Person verändert bzw. zu verändern hat im Rahmen eines konstruktivistisch inspirierten ‚Shift from Teaching to Learning‘: Lehrende beraten und begleiten die Lernenden bei ihrer individuellen Konstruktion von Wissen, sie regen Perspektivenwechsel und Reflexion an, und dienen als Rollenmodelle, indem sie dies selbst auch tun.
Diskussion
Das erste Kapitel informiert zu sämtlichen Aspekten einer Didaktik der Hochschullehre, angenehm konkret für Personen, die sich auf den aktuellen Diskussionsstand bringen möchten. Erst in der zweiten Hälfte des Buches jedoch wird das Versprechen des Buchtitels eingelöst und Peer Learning und Beratung konsequent ins Zentrum gestellt. Es werden Begriffe, ausgewählte Hintergrundtheorien, konkrete Lehrformate für Studierende und Möglichkeiten von Peer Learning und Beratung auf der Ebene der Lehrenden beschrieben.
Insgesamt enthält das Buch breitgefächertes und grundlegendes Wissen: Einschätzungen, Empfehlungen und Hintergrundkonzepte. Zuweilen irritiert die Fülle der Informationen oder der (zu) häufige Wechsel der Ebenen. Es wird viel unter einen Hut gebracht, eine klarere Fokussierung und Orientierung an einem Hauptziel wäre hilfreich gewesen. Nichtsdestotrotz enthält das Werk wesentliche Ideen und Impulse als Beitrag zu einer Lehre, die sich in Zukunft noch konsequenter am Lernen orientieren sollte.
Zielgruppen
Das Buch dürfte speziell Lehrende interessieren, die sich auf einen aktuellen Stand der didaktischen Diskussion an Hochschulen bringen wollen, und zudem Personen, welche hochschuldidaktische (Weiter-)Bildungsformate konzipieren und durchführen.
Fazit
Der erste Teil des Buches enthält eine umfassende Einführung in die Hochschuldidaktik. Dabei werden die zentralen Aspekte und Ansätze einer aktuellen, an einem konstruktivistischen Lehr-/Lernverständnis orientierten Hochschuldidaktik präsentiert. Von grundlegenden Überlegungen (Was ist gute Lehre? Welche Kompetenzen brauchen Lehrende? etc.) bis hin zu konkreten didaktischen Hilfen (Learning Outcomes definieren und Leistungsnachweise konzipieren) findet sich eine breite Palette von Hinweisen darauf, an welchen Fragen und Leitsätzen sich eine aktuelle Lehre an Hochschulen zu orientieren hat. Es geht dabei hauptsächlich um eine konsequente Ausrichtung des Lehrens am Lernen der Studierenden, was auch bedeutet, dass der Lernbegleitung eine höhere Bedeutung zukommt als in einer eher auf das Lehren fokussierten Hochschuldidaktik.
In der zweiten Hälfte des Buches geht es demnach um die Rolle der Lernbegleitung: Peer Learning und Beratung stehen im Mittelpunkt. Der Begriff Peer Learning wird sowohl auf Studierende, die voneinander lernen, als auch auf Lehrende, die dies tun, bezogen. Auf der einen Seite werden zwei projektorientierte Lehr/Lernformate vorgestellt (Planspiel und Service Learning), bei welchen das Peer Learning im Zentrum steht, und auf der Ebene der Lehrenden werden Formate wie Kollegiale Hospitation, Team Teaching und Kollegiale Fallberatung beschrieben.
Rezension von
Prof. Dr. Elisabeth Müller Fritschi
Referentin in der Fachstelle Didaktik und angewandte Linguistik
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