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Brian J. Robertson: Holacracy. Ein revolutionäres Management-System (...)

Rezensiert von Dipl.-Pädagogin Bettina Wichers, 17.05.2017

Cover Brian J. Robertson: Holacracy. Ein revolutionäres Management-System (...) ISBN 978-3-8006-5087-3

Brian J. Robertson: Holacracy. Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. Verlag Franz Vahlen GmbH (München) 2016. 205 Seiten. ISBN 978-3-8006-5087-3. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 37,90 sFr.

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Thema

Holacracy ist ein auch als „Betriebssystem“ bezeichnetes Modell der Unternehmensführung, das auf dem Ansatz der Soziokratie basiert. Holacracy bzw. die Holakratie zeichnet sich dadurch aus, mit sehr klaren, strikten Regeln ein von der traditionellen unternehmerischen Vorgehensweise radikal abweichendes System zur Prozesssteuerung und neue Strukturen zur Entscheidungsfindung einzuführen und zu etablieren. Das weltweit größte Unternehmen, das sich derzeit nach holakratischen Prinzipien organisiert, ist der us-amerikanische Onlineshop Zappos mit mer als 1.500 Mitarbeitern.

Autor

Brian J. Robertson entwickelte Holacracy in seiner Zeit als Geschäftsführer seiner eigenen Software-Firma, als er nach Wegen suchte, als unbefriedigend erlebte Prozess- und Entscheidungsfindungsstrukturen zu verändern. Er arbeitet heute für HolacracyOne (holacracy.org), eine Organisation, die er selbst gegründet hat und die sich der Verbreitung und Integration der Methodik weltweit verschrieben hat.

Aufbau

Das Buch umfasst drei Teile.

Zu Teil 1: Evolution in Organisationen: Eine Einführung in die Holakratie

Eine sich entwickelnde Organisation muss, so Robertson, die Fähigkeit des Menschen, Unstimmigkeiten und Veränderungspotentiale zu erspüren respektieren und zur Geltung kommen lassen. So wurde auch der Entwicklungsweg des Autors u.a. von der Unfähigkeit traditioneller Organisationen, mit eben diesen Fähigkeiten der Mitarbeiter umzugehen, geprägt und führte schließlich zur Entwicklung von Holacracy.

Herkömmliche Unternehmen und Organisationen haben ein Problem mit derVerteilung der Autorität, insbesondere auch mit der Entscheidungsfindung. Es scheint, dass auch das heutzutage vielgepriesene Konsens-System selten zu befriedigenden Lösungen führt. Erste Einblicke in Holakratie, in die Prozessteuerung und in die Frage nach dem Sinn eines Unternehmens schließen sich an dieser Stelle des Buches an.

DieOrganisationsstrukturvergleicht die klassischen Hierarchien mit dem Prinzip der Holarchie, die auf dem von A. Koestler definierten Holon als „ein Ganzes, das Teil eines größeren Ganzen ist“ basiert. Relevante Elemente der Struktur einer holakratischen Organisation sind die Unterscheidung von Rolle und Person, die Funktion der Kreise als Grundlage der Organisationsstruktur, und die Rollen des Lead-Links und des Rep-Links als zentrale Verbindungen zwischen den Rollen innerhalb der verschiedenen Kreise eines Unternehmens.

Zu Teil 2: Evolution im Werden: Die Praxis der Holakratie

„Governance“ nennt man in der holakratischen Terminologie die Prozesssteuerung eines Unternehmens, wozu gezählt wird: die einzelnen Bestandteile des Governance-Meetings und die Rolle des Facilitators, hier vertieft am Beispiel eines fiktiven Unternehmens, die Dokumentation der Ergebnisse und der Regeln in diesem Teil von Holakratie.

Das operative Geschäft beschreibt nun den anderen Teil eines holakratischen Unternehmens, die tagtägliche Arbeit, wobei sich Robertson erst einmal an den Prinzipien von David Allens „Getting Things Done“ orientiert. Er beschreibt die individuelle Organisation und die Verpflichtungen eines jeden Mitglied eines Kreises (Verpflichtung zur Transparenz, zum Bearbeiten und zum Priorisieren). Ausführlich wird der Ablauf eines Operative (Tactical) Meetings gezeigt, wieder am Beispiel.

Das Kapitel endet mit dem – aus herkömmlicher Unternehmenssicht sicher etwas verstörenden – Aufruf zu „Keine Terminabsprachen“. „Governance ermöglichen“ veranschaulicht wieder am fiktiven Unternehmen und hier insbesondere an der Rolle des Facilitators, welche Ansprüche an die klare Steuerung des Prozesses, an das Ermöglichen (=Facilitating) hilfreicher wie Unterbinden unangemessener Kommunikationsstrategien gestellt werden. Ein direktives Facilitating soll alle Mitglieder und Rollenträger dabei unterstützen, „sich um die Organisation zu kümmern, nicht anders herum“ (107). Insbesondere der Prüfung von Einwänden wird in diesem Kapitel besondere Beachtung geschenkt. Strategie und Prozesskontrolle zeigt das strategische Vorgehen der Holakratie, das vom klassischen „Vorhersagen-und-Kontrollieren“ herkömmlicher Unternehmen stark abweicht. In der Holakratie besteht der Fokus „immer darin, schnell eine umsetzungsfähige Entscheidung zu treffen und dann der Wirklichkeit zu erlauben, die nächsten Schritte zu beeinflussen“ (124). Die Strategien können entweder vom Lead-Link eines Kreises gesetzt oder über Strategie-Meetings erzielt werden, welche folgend wieder detailliert erläutert werden.

Zu Teil 3: Evolution in der Anwendung: Gelebte Holakratie

„Die Einführung der Holakratie“ erörtert, für welche Gruppen (eher nein) und Organisationen (eher ja) Holakratie geeignet ist, zudem werden Fragen zur vorbereitenden Ausbildung und zur Begleitung diskutiert. Die Einführung selbst erfolgt in fünf Schritten:

  1. Einführen der Holakratie-Verfassung,
  2. System für Governance-Protokolle einrichten,
  3. die anfängliche Struktur definieren,
  4. das erste Governance-Meeting durchführen und zuletzt
  5. regelmäßige operative und Governance-Meetings planen.

Ergänzende Aspekte sind das Einführen von Applikationen, z.B. für Finanzkontrolle und Leistungsvergütung, die nicht durch das grundlegende Betriebssystem Holakratie festgelegt werden, und die Wahl eines holakratischen Vorstands. Abschließend werden einige Gründe aufgezeigt, warum Holakratie nicht funktionieren könnte.

Wenn Sie noch nicht bereit sind: Auf dem Weg zur Holakratie finden sich schließlich, entgegen der bisherigen Hauptaussage des Buches, Holakratie könne man nur als Ganzes einführen, einige Hinweise, wie man lediglich durch einige der im Buch bereits vorgestellten Elemente der Holakratie auch relevante Veränderungen in der Unternehmenskultur erzielen kann.

Die Erfahrung der Holakratie – das abschließende und für das Gesamtverständnis vielleicht wichtigste Kapitel – zeigt all die Herausforderungen auf, die nach Ansicht von Robertson die Einführung der Holakratie für ein Unternehmen bzw. eine Organisation mit sich bringt: die Aufgabe der Machtpositionen der Führungskräfte, aber auch die Freisetzung für ihre „eigentlichen“ Aufgaben, die Veränderung der Beziehungen unter den Mitgliedern der Organisation durch die Fokussierung auf die Rollen statt die Personen, der Zwang, aus der Opferhaltung herauszugehen, der Verzicht auf Konsens, und zuletzt die Aussage: „In der Holakratie geht es nicht um die Menschen.“ (187).

Diskussion

Wer dieses Buch in die Hand nimmt, erwartet sicher keine leichtgängige „Bedienungsanleitung“, wie man mal eben ein neues Betriebssystem in einer Firma installiert – denn genau als das wird Holakratie von seinem Entwickler Robertson und den vielen Vertretern des Ansatzes angesehen: Als grundlegendes Betriebssystem in und für Organisationen. Und es ist schon eine radikale Abwendung von vielen, den meisten Prinzipien einer traditionellen Organisation, die die Einführung der Holakratie impliziert. An vielen Stellen verlangt das Modell selbst denen, die nicht mit einer leichtverdaulichen Lektüre gerechnet haben, so einiges ab, und wer sich die Knackpunkte des Ansatzes wirklich bewusstmachen möchte, lese zuerst das letzte Kapitel des Buches, „Die Erfahrung der Holakratie“, und schlucke und verdaue die Sätze, wie oben zitiert, oder auch: „Die Holakratie fokussiert sich auf die Organisation und ihren Sinn – nicht auf die Menschen und ihre Wünsche und Bedürfnisse, so positiv diese auch sein mögen.“ (188).

Und es ist relevant, sich mit diesen Aspekten des Betriebssystems zu beschäftigen, wenn man ernsthaft über die Einführung in das eigene Unternehmen nachdenkt, denn es verändert Rituale und Eigenarten von Unternehmenskultur wie Mitarbeitern radikal, das zeigt das Buch auch deutlich auf. Holakratie verändert den grundlegenden Prozess, die Governance eines Unternehmens, aber vor allem trennt sie Prozess und Alltagsgeschäft (den operative/tactical Teil des Unternehmens) klar, und dies ist auch einer der Grundpfeiler des Systems. Sämtliche weiteren Implikationen, die Kreise und Rollen sowie die Struktur der Meetings, das Facilitating etc. sind darauf angelegt, klar die Anliegen des Unternehmens, seines Sinns zu erfüllen, und nicht die Anliegen der Personen, der Mitglieder. Das schafft Widerstände und auf diese bereitet das Buch auch ausdrücklich vor.

Wer sich als Gruppenmitglieder auf die Umsetzung von Holakratie in der eigenen Organisation vorbereiten möchten, findet recht detailliert die einzelnen Schritte der relevanten Meetings, die Besonderheiten einiger Rollen wie des Lead-Links und des Rep-Links und die Aufgaben des Facilitators, ohne die – so Robertsons klar formulierte Meinung – eine Umsetzung von Holakratie nicht gelingen kann.

Aber auch diejenigen, die in strukturellen Rahmenbedingungen arbeiten, in denen eine Einführung eines derartigen Modells vollkommen utopisch erscheint, werden nicht völlig alleingelassen. Fast entgegen dem eigenen Willen – denn seine Haltung, das Holakratie nur als Ganzes eingeführt werden könne, macht Robertson immer wieder sehr deutlich – gibt der Autor am Ende doch ein paar Anregungen, wie man auch kleine Ansätze eines holakratischen Vorgehens dann verwirklichen kann, wenn die Organisationsstrukturen das Komplettpaket noch nicht zulassen.

Erste eigene Erfahrungen mit Holakratie der Rezensentin als Mitglied einer holakratischen Organisation zeigen aber auch deutlich, dass es kein einfacher Prozess ist, dem man sich als Organisation wie als Einzelperson in einer entsprechenden Organisation „unterwerfen“ muss. Das Buch hat auf jeden Fall dazu beigetragen, die Knackpunkte selbst deutlicher fassen zu können und die eigene Skepsis auf einer fundierten Basis reflektieren zu können.

Kritisch anzumerken ist, dass die offensichtliche und bekannte Wurzel des Ansatzes, die Soziokratie, an keiner Stelle explizit genannt wird. Ein weiterer Kritikpunkt ist die wiederholte Betonung, dass Holakratie nur im Ganzen einzuführen sei, dass es erfahrene (zertifizierte) Holacracy-Trainer und Coaches zur Begleitung benötige, und dass man zuletzt mehrfach empfohlen bekommt, das von Gründer Robertson selbst entwickelte, kommerzielle Software-Programm zur Verwaltung all der Meetings und Protokolle zu verwenden. Dies ist insbesondere aufgrund der Nicht-Erwähnung der soziokratischen Wurzeln, die im Gegensatz zur Holacracy keinen kommerziellen Interessen einer einzelnen Person dienen, doch bedauerlich.

Fazit

Wer ernsthaft nach einem neuen Weg der Unternehmensführung sucht, und insbesondere an den „Sinn“ des eigenen Unternehmens glaubt, und diesen – und nicht Kompetenzstreitigkeiten und Befindlichkeitsstörungen – in den Mittelpunkt des Handelns stellen möchte, der sollte dieses Buch unbedingt lesen. Ob es wirklich das für die jeweilige Organisation geeignete Modell ist, wird man vermutlich nur durch die Teilnahme an Einführungsworkshops zur Holakratie herausfinden. Einen ersten Geschmack des Betriebssystems erhält man durch die Lektüre des Buches aber in jedem Fall, und auch wenn man „nur“ Beteiligter an der Umsetzung des Modells in einer Organisation ist, so erhält man ausreichend Rüstzeug, um daran gut informiert teilhaben zu können.

Rezension von
Dipl.-Pädagogin Bettina Wichers
Gerontologin (M.Sc.), Dipl.-Pädagogin & Coach
CommuniCare. Kommunikation im Gesundheitswesen, Göttingen
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Es gibt 34 Rezensionen von Bettina Wichers.

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Zitiervorschlag
Bettina Wichers. Rezension vom 17.05.2017 zu: Brian J. Robertson: Holacracy. Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. Verlag Franz Vahlen GmbH (München) 2016. ISBN 978-3-8006-5087-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21787.php, Datum des Zugriffs 31.05.2023.


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