Kurt Gerwig: Das Leben als Lehrplan – Partizipation, Inklusion, Qualifikation
Rezensiert von Ortrud Aden, 26.06.2017
Kurt Gerwig: Das Leben als Lehrplan – Partizipation, Inklusion, Qualifikation.
AV1 Pädagogik-Filme
(Kaufungen) 2016.
19,00 EUR.
DVD. Eine Reportage über die Freie Integrative Gemeinschaftsschule „Friedrich W. A. Fröbel", in Keilhau. Laufzeit: 57 Min. Zu bestellen über www.av1-shop.de.
Thema
Im Rahmen eines InfoProgramms/Lehrprogramms (Jugendschutzgesetz Abschnit 3 §§ 11/12) stellt die CD die „Freie Integrative Gemeinschaftsschule ‚W. A. Fröbel‘ Keilhau“ im Thüringer Wald vor. 260 Schülerinnen und Schüler besuchen diese Schule von der ersten bis zur zehnten Klasse. Einige von ihnen leben dort in Wohngruppen. Das Konzept der Schule baut auf der Fröbel-Pädagogik auf (Epochenunterricht, Werkstattunterricht, altersgemischte Projektarbeit u.a.). Fröbel selber hatte an diesem Ort einige Jahre gewirkt.
Das Filmteam hat die Leiterin des Regionalbereichs einen Tag lang durch die Schule begleitet. Die Reportage soll „anderen Einrichtungen sehr viele Anregungen und Hinweise für eine Pädagogik (geben), die sich konsequent an den Interessen der Kinder und Jugendlichen orientiert“.
Aufbau
In den einzelnen Kapiteln geht es um
- Das Leben als Lehrplan
- Lesecafè „Read & Coffee“
- Praxistag am Baropturm
- Grundschulbereich
- Projektarbeit Pizzabacken
- Programm Streitschlichter
- Schulhalbjahresplan
- Kreativangebote
- Lehrerteams, Förderung in der Grundschule
- Bild vom Kind
- Projekt Wohnheim Hännoldei
- Polytechnische Projekte
- Epochenunterricht
- Musikunterricht
- Holzwerkstatt
- Schluss „Schulfrei für alle“
Die Leiterin des Regionalbereichs erklärt, antwortet auf die Fragen des Reporters und führt das Kamerateam durch die Schule. An den einzelnen Stationen stellen die PädagogInnen ihre Aktivität vor, außerdem werden jeweils SchülerInnen befragt. Die pädagogische Zielsetzung wird während des Gesprächs oft zusätzlich schriftlich eingeblendet.
Ausgewählte Inhalte
Ich stelle im Folgenden vier Kapitel exemplarisch dar.
Zum 2. Kapitel: Lesecafè „Read & Coffee“. Das Cafè wird als Schülerfirma organisiert, die SchülerInnen arbeiten selbstständig und entscheiden mit, was eingekauft und angeboten wird. Einmal pro Woche gibt es ein besonderes Angebot („Wiener, Pommes, Nudeln mit Tomatensoße“…). Die SchülerInnen rechnen dann mit der Lehrkraft ab. Die Lehrkraft erklärt dem Reporter anschließend die Vorteile für die SchülerInnen sowie die pädagogische Intention. In Bezug auf die Motivation der SchülerInnen für diese Arbeit erwähnt die Lehrkraft Kontakte zu anderen Schülerfirmen, einen Ausflug in eine Porzellanwerkstatt und das gute Ansehen der beteiligten SchülerInnen bei den Mitschülern. Anschließend informiert die Leiterin des Regionalbereichs noch weiter: Das Schülercafè stellt auch eine Verbindung zu den Anwohnern dar.
Zum 9. Kapitel: Lehrerteams, Förderung in der Grundschule. Dieses Kapitel beginnt mit dem Blick auf ein Plakat an der Tür des Lehrerzimmers: „Lehrer und trotzdem gut drauf“. Die Leiterin des Regionalbereichs erklärt, dass es Jahrgangsteams gibt, die den schulinternen Lehrplan und die Epochen gemeinsam gestalten und ausrichten. Anschließend erklärt der Schulleiter das Konzept der „Gemeinschaftsschule“: Die Kinder lernen gemeinsam in einem Raum, werden aber individuell nach ihren jeweiligen Bedürfnissen gefördert und beurteilt. Die Lehrer haben verschiedene Ausbildungen für Grund- und Sekundarbereich sowie für Sonderpädagogik. Schließlich erklärt die Leiterin des Regionalbereichs die zusätzlichen Anforderungen der Schule: „Herzblut“, fachliche Qualifikation und „Leidenschaft“ für die Arbeit. Auch „bedingungslose Liebe zum Kind“ sei eine Voraussetzung, auch wenn es immer Phasen gebe, die „schwierig“ sind, es gebe immer einen „neuen Anfang“. Diese Haltung sei sehr wichtig.
Zum 14. Kapitel: Musikunterricht. Die Musiklehrerin erklärt das Projekt: Die SchülerInnen recherchieren zur Wiedergabe der Musik in verschiedenen Zeiten, angefangen vom Grammophon „zu Fröbels Zeit“ bis hin zu modernen, computergestützten Wiedergabetechniken. (Anmerkung der Rezensentin: Fröbel starb 1852; das Grammophon wurde erst 1887 von Emil Berliner erfunden, vgl. Link 1). Dann soll ein „Bogen geschlagen“ werden zu der Musik, die die Jugendlichen selber gerne hören. Anschließend wird einer der Jugendlichen interviewt: Er kann sich nicht vorstellen, aus einem alten Grammophon Musik zu hören, er nimmt lieber „modernere Sachen“ und hört am liebsten Techno, über das Handy. Die Leiterin des Regionalbereichs erklärt anschließend, dass die Schule einerseits die Tradition Fröbels bewahren will, andererseits aber die SchülerInnen auch auf ein Leben mit der Technik vorbereiten will. Auf Nachfrage des Reporters erklärt sie dann die Finanzierung der hochwertigen technischen Ausrüstung.
Zum 15. Kapitel: Holzwerkstatt. Drei Jugendliche sind in einer Holzwerkstatt beschäftigt und erklären ihre Aktivität: Sie bauen ein Teil für einen Wasserspielplatz. Sie berichten, dass sie bereits seit vier Wochen daran arbeiten, heute sei ihr letzter Tag, den Rest bauen andere Klassen. Der Pädagoge erklärt anschließend das Konzept: Im Gegensatz zu herkömmlichem Werkunterricht sollen die SchülerInnen nicht einfach ein beliebiges Teil herstellen, welches anschließend weggeworfen wird; sondern sie sollen das, was sie in anderen Fächern in der Theorie gelernt haben, bei der Herstellung eines für sie oder andere nützlichen Teils praktisch anwenden. In der Regel orientiert man sich an den Wünschen der Kinder, bei der Prüfung in der neunten Klasse sollen die SchülerInnen aber auch alle gelernten Techniken zeigen. Er erklärt an einem weiteren Beispiel die Fröbelpädagogik: Bei der Einteilung von Schulbeeten im Freien wird unter anderem auch der Satz des Pythagoras erklärt. Auch Kreativität, beispielsweise beim Schnitzen einer Holzfigur, sei „Fröbel“. Der Reporter stellt fest, dass die SchülerInnen nichts beschädigen, was der Pädagoge darauf zurückführt, dass sie alles selber herstellen und pflegen, auch in ihrer Freizeit.
Diskussion und Fazit
Eine Schule wird vorgestellt, die den Anspruch hat, nach den reformpädagogischen Grundsätzen Fröbels zu arbeiten. Man merkt den befragten Pädagoginnen und Pädagogen an, dass sie hinter dem Konzept stehen. Das Konzept wird anhand der gezeigten Beispielen in groben Umrissen dargestellt. Wer sich für eine Schule interessiert, die nach reformpädagogischen Grundsätzen arbeitet, findet hier Basisinformationen, die den Internetauftritt der Schule (Link 2) sinnvoll ergänzen.
Die Dokumentation möchte „anderen Einrichtungen sehr viele Anregungen und Hinweise für eine Pädagogik (geben), die sich konsequent an den Interessen der Kinder und Jugendlichen orientiert“.
Ob der Film diesem Anspruch gerecht wird, sei dahingestellt. Die Voraussetzungen dieser Schule lassen sich nur bedingt auf andere Schulen übertragen: Die Lage der Schule ist speziell und es wird ein Schulgeld erhoben (wie nicht aus dem Film, sondern aus dem Internet hervorgeht).
Die einzelnen Elemente der Fröbelpädagogik, die der Film vorstellt, sind nicht neu für Menschen, die sich mit Reformpädagogik bereits auseinandergesetzt haben. Der Bezug zu Fröbel wird teilweise überstrapaziert (Beispiel Musikunterricht).
Auch Problemlösungen für Schwierigkeiten des gemeinsamen Lernens werden nicht angeboten: Es werden keinerlei Schwierigkeiten erwähnt.
Fazit: Die DVD stellt eine schlüssige Ergänzung des Internetauftritts der Schule dar. Weiterführenden Ansprüchen wird der Film meiner Ansicht nach nicht gerecht.
Links
- https://de.wikipedia.org/wiki/Grammophon [20.06.2017]
- http://www.froebelschule-keilhau.de/ [17.06.2017]
Rezension von
Ortrud Aden
M. A. Sonderpädagogik und Rehabilitationswissenschaften, zur Zeit tätig in einer Autismusambulanz
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Es gibt 20 Rezensionen von Ortrud Aden.
Zitiervorschlag
Ortrud Aden. Rezension vom 26.06.2017 zu:
Kurt Gerwig: Das Leben als Lehrplan – Partizipation, Inklusion, Qualifikation. AV1 Pädagogik-Filme
(Kaufungen) 2016.
DVD. Eine Reportage über die Freie Integrative Gemeinschaftsschule „Friedrich W. A. Fröbel", in Keilhau. Laufzeit: 57 Min. Zu bestellen über www.av1-shop.de.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21796.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.
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