Stephan Hocks, Jonathan Leuschner: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Rezensiert von Prof. Dr. Antje Krueger, 14.11.2017

Stephan Hocks, Jonathan Leuschner: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Vertretung, Asylverfahren, Aufenthalt; Ein praktischer Leitfaden für Vormünder. Walhalla Fachverlag (Berlin) 2016. 240 Seiten. ISBN 978-3-8029-7651-3. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Thema
Der vorliegende Praxisleitfaden fokussiert auf die rechtliche Situation unbegleiteter geflüchteter Kinder und Jugendliche und erläutert die rechtliche Vertretung, das Asylverfahren sowie aufenthaltsrechtliche Aspekte. Die Darstellung beschreibt im Schwerpunkt Wege der Aufenthaltssicherung und möchte „damit Anregung, Rat und Hilfe für diejenigen geben, die beruflich oder ehrenamtlich mit der Begleitung von unbegleiteten Minderjährigen und jungen Erwachsenen befasst sind“ (S. 20). Die Autoren betonen, dass die Chancen in den Verfahren letztlich immer auch vom Einzelfall und den beteiligten Behörden abhängen – das hier präsentierte Wissen muss entsprechend vor allem als grundsätzliche Hilfestellung angesehen werden.
Autoren
Dr. Stephan Hocks und Dr. Jonathan Leuschner sind beide Rechtsanwälte im Gebiet Asyl- und Ausländerrecht in Frankfurt am Main und darüber hinaus zu diesem Themenfeld als Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten und Hochschulen tätig.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in insgesamt 14 klar strukturierten und übersichtlich angelegten Oberkapitel. Erläuternde Beispiele aus der Praxis, Schaubilder und Zusammenfassungen ergänzen die jeweiligen Themenfelder und unterstützen so die Adaption der Inhalte. Auch die Kapitelschnellübersicht sowie Abkürzungs- und Stichwortverzeichnis dienen der Übersichtlichkeit und tragen dazu bei, auch bei Einzelfragen schnell und unkompliziert auf Erklärungen zugreifen zu können.
Inhalt
I: Was ist ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (UMF)/ unbegleiteter minderjähriger Ausländer (UMA)? In diesem Kapitel werden die wichtigsten Kennzeichen erläutert, die der rechtlichen Definition unbegleiteter geflüchteter Kinder und Jugendliche zu Grunde liegen sowie die hauptsächlichen Folgen skizziert, die eine UMF-Eigenschaft begründen.
II: Erster Kontakt mit deutschen Behörden. Hier werden in einem knapp gehaltenen Überblick Aspekte der (polizeilichen) Registrierung sowie das „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ (§§ 42a-42f SGB VIII) erläutert, das auch als bundesweite Verteilungsregelung bekannt ist.
III: Vorläufige Inobhutnahme. In diesem Kapitel werden sämtliche Aspekte der vorläufigen Inobhutnahme angeführt und erklärt. Dazu gehören neben der Definition des betroffenen Personenkreises, die Inhalte der Prüfaufträge. Es wird detailliert auf die Gefährdung des Kinderwohls durch bundesweite Umverteilung, auf die Suche nach verwandten Personen im In- und Ausland, die mögliche Berücksichtigung von Geschwistern, die Prüfung des Gesundheitsstands sowie die Alterfeststellungsverfahren eingegangen und bei letzterem auch auf Rechtsschutzmöglichkeiten verwiesen. Abschließend werden mögliche Probleme bei der Notvertretung (Negative Entscheidung während der vorläufigen Inobhutnahme; Asylverfahren) benannt sowie der Ablauf der bundesweiten Verteilung in einem übersichtlichen Schaubild dargestellt.
IV: Vertretung des UMF. Das vierte Kapitel widmet sich zunächst der Funktion und den Aufgaben eines Vormunds und geht genauer auf die Vertretung im Asylverfahren und im ausländerrechtlichen Verfahren ein. Dabei wird die Tandemlösung (Amtsvormund und Rechtsanwalt als Mitvormund oder Ergänzungspfleger) vorgestellt, aber auch auf Kritik in der Rechtssprechung, auf die aktuelle Rechtslage (Stand Anfang 2017) und mögliche Ausblicke eingegangen. Kurze Praxistipps für BetreuerInnen und Jugendamtsmitarbeiter ergänzen die Darstellung.
V: Die zwei Wege der Aufenthaltssicherung. Neben einem Überblick zu den beiden möglichen Wegen zur Aufenthaltssicherung (asylrechtliche oder aufenthaltsrechtliche Lösung) werden die verschiedenen Papiere und Titel sowie ihre jeweiligen Besonderheiten erläutert: Duldung, BÜMA (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) und Aufenthaltsnachweis, Aufenthaltsgestattung, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis und Einbürgerung. Unter dem Stichwort „sonstige Papiere“ wird auch auf die „Fiktionsbescheinigung“, die bei Verlängerungsanträgen ausgestellt wird und auf die sogenannte „GÜB“ (Grenzübertrittsbescheinigung) eingegangen, die bei (un)freiwilliger Ausreise das tatsächliche Verlassen des Landes dokumentieren soll. Auch dieses Kapitel enthält wichtige Praxistipps, wie, je nach Status, Verfahren beschleunigt, aber auch eine Verlassenserlaubnis bei Klassenfahrten und Ausflügen beantragt oder Wohnsitzauflagen bei UMF aufgehoben werden können.
VI: Die verschiedenen Schutzstatus (Verfolgungs- und Abschiebeschutzgründe). Detailliert werden hier neben dem Inhalt des Schutzantrags und dem „Grundrecht auf Asyl“ (Art. 16a Abs. 1 GG), vor allem die „Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Konvention“ (§ 3 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), der „subsidäre Schutz“ (§ 4 AsylG) und „nationale Abschiebeverbote“ (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) erklärt. Kurze Beispiele, Praxistipps und Checklisten dienen dem Verständnis und der Einordnung.
VII: Anerkennungsgründe bei Kindern und jungen Erwachsenen. Während im vorherigen Kapitel mögliche Schutzgründe erläutert wurden, werden in diesem Abschnitt mögliche Anerkennungsgründe für unbegleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche angeführt. Dazu gehört neben der Kinderspezifischen Verfolgung, religiöse Verfolgung im Fall von Konversion (incl. Praxistipp bei Glaubenswechsel), die Rekrutierung zum Wehrdienst und bewaffneten Einheiten, die Bedrohung wegen politischer Tätigkeit von Familienangehörigen, drohende Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen, Verfolgung aufgrund von Homosexualität sowie Gründe für die Gewährung subsidären Schutzes bei Jugendlichen und Abschiebeverbote bei unbegleiteten Minderjähren.
VIII: Das Asylverfahren. Zunächst wird hier das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als zentrale Behörde in der Ausführung des Asylverfahrens vorgestellt und nachfolgend die Punkte erläutert:
- Inhalte und Stellung des Asylantrags im Falle von UMF
- Zuständigkeitsprüfung („Dublin-Verfahren“ und Unzulässigkeit anderweitiger Schutzgewährung)
- Anhörung zu den Verfolgungsgründen (Erläuterung des Verfahrens und der Rollen der beteiligten Personen, aber auch Hinweise zur Vorbereitung der Anhörung und zur Anhörungsbegleitung)
- Entscheidungsverfahren über den Asylantrag seitens des Bundesamtes (inkl. Skizze möglicher Klagewege und -fristen)
Auch dieses Kapitel enthält prägnante Hinweise und Tipps zu den Verfahrensweisen, Formulierungsvorschläge für Anträge, Checklisten, leicht verständliche Beispiele und darüber hinaus mögliche Übungsfragen für die Anhörung.
IX: Das gerichtliche Verfahren gegen die Ablehnung durch das Bundesamt. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Rechtsmittelbelehrung, Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen der Verwaltungsgerichte, Beschwerdeverfahren) und das gerichtliche Verfahren (Fristen, Klageerhebung, Klagebegründung, mündliche Verhandlung, Urteil, Eilantrag, Umgang mit positivem Ausgang des Gerichtsverfahrens) sind die Inhalte des neunten Kapitels.
X: Die aufenthaltsrechtlichen Folgen aus der Schutzgewährung. Welche aufenthaltsbezogenen Rechte sich aus den vier Status (Asyl, Flüchtling, Subsidärer Schutz, Nationales Abschiebeverbot) ergeben, wird hier in einer Übersicht dargestellt. Informationen zum Recht auf einen Reiseausweis für Ausländer und zur Wohnsitzregelung nach dem Integrationsgesetz von 2016 ergänzen die Ausführungen.
XI: Aufenthaltssicherung ohne oder nach negativ verlaufenem Asylverfahren. Das elfte Kapitel beginnt zunächst mit der Skizze verschiedener Fallkonstellationen und geht dann genauer auf einzelne Aufenthaltssicherungen ein, die im Falle eines negativ verlaufenen Asylverfahrens zum Tragen kommen können bzw. auch dann, wenn kein Asylantrag gestellt wurde. Hier beziehen sich die Autoren auf die „Ausbildungsduldung“ (§ 60a Abs. 2 Sätze 3 ff. AufenthG), die „Aufenhaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG“ sowie auf die „Aufenhaltserlaubnis nach § 25a AufenthG“. Die Voraussetzungen für letztgenannte Möglichkeit werden in einem separaten Schaubild (S. 208) vereinfacht und übersichtlich dargestellt. Zum Abschluss wird auf Petitionen und Härtefallanträge als letzte Option bei erfolgloser Aufenthaltssicherung verwiesen. Das die Ausgestaltung der Mittel im Wesentlichen dem Landesrecht überlassen wird, bleibt es an dieser Stelle bei grundsätzlichen Informationen und Hinweisen, die bei der Wahl dieser Wege beachtet werden sollten.
XII: Exkurs: Familienzusammenführung. Hier wird zwischen der „Familienzusammenführung“ innerhalb Deutschlands, die rechtlich unter dem Begriff der Umverteilung gefasst wird, und der Familienzusammenführung via Dublin sowie nach der Anerkennung als Schutzberechtigter unterschieden. Bei letzterem Punkt wird der Eltern- und Geschwisternachzug gesondert betrachtet und Hinweise zum Verfahren gegeben.
Das Buch wird durch Literaturhinweise (XIII) und ein Stichwortverzeichnis (XIV) ergänzt.
Diskussion und Fazit
Den beiden Autoren ist es hervorragend gelungen, das relevante Fachwissen zur rechtlichen Vertretung, zum Asylverfahren und zum Aufenthalt unbegleiteter geflüchteter Kinder und Jugendlicher zusammenzustellen und in einer klar strukturierten, übersichtlichen und leicht verständlichen Form zu präsentieren. Die konsequente Einbindung von erläuternden Fallbeispielen, Schaubildern, Checklisten und Zusammenfassungen bietet insbesondere juristischen Laien einen sehr guten Zugang. Die Schnellübersicht und das Stichwortverzeichnis ermöglichen eine gezielte Recherche bei Einzelfragen. Viele Berufsgruppen, die in der Versorgung und Vertretung der Zielgruppe tätig sind, aber auch freiwillige UnterstützerInnen werden insbesondere die integrierten Praxistipps zu schätzen wissen und die wertvollen Informationen zur Vorbereitung von Anhörungen sowie zur Aufenthaltssicherung ohne oder bei negativ verlaufenem Asylverfahren gerne nutzen.
Neben dem hohen Gebrauchswert für die konkrete Praxis bietet der vorliegende Leitfaden darüber hinaus eine gute Grundlage für Studierende, die sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen unbegleiteter geflüchteter Kinder und Jugendlicher vertraut machen wollen. Das Buch ersetzt im Zweifel keine (sozial-)rechtliche Beratung und weist ausdrücklich darauf hin, immer die tatsächliche Rechtspraxis im Einzelfall zu berücksichtigen auch gilt es immer aktuelle Veränderungen zu beachten- fern ab davon haben die beiden Autoren ein überaus gelungenes Informations- und Nachschlagewerk vorgelegt, dessen Anschaffung sich in jedem Fall lohnt.
Rezension von
Prof. Dr. Antje Krueger
Professorin für „Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft“ und „Internationale Soziale Arbeit“ an der Hochschule Bremen.
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Zitiervorschlag
Antje Krueger. Rezension vom 14.11.2017 zu:
Stephan Hocks, Jonathan Leuschner: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Vertretung, Asylverfahren, Aufenthalt; Ein praktischer Leitfaden für Vormünder. Walhalla Fachverlag
(Berlin) 2016.
ISBN 978-3-8029-7651-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21806.php, Datum des Zugriffs 11.12.2023.
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