Christine von Reibnitz, Katja Sonntag et al. (Hrsg.): Patientenorientierte Beratung in der Pflege
Rezensiert von Prof. Dr. Margret Flieder, 27.03.2017

Christine von Reibnitz, Katja Sonntag, Dirk Strackbein (Hrsg.): Patientenorientierte Beratung in der Pflege. Leitfäden und Fallbeispiele. Springer (Berlin) 2016. 154 Seiten. ISBN 978-3-662-53027-6. D: 24,99 EUR, A: 25,69 EUR, CH: 26,50 sFr.
Thema
Ohne fachliche Beratung geht es nicht mehr! Heutzutage sind Pflegefachkräfte in der Praxis zunehmend mit anspruchsvollen Begleitungs- und Versorgungsaufgaben konfrontiert. Zusätzlich zu fachlicher Expertise sind Kompetenzen zur Information, Beratung und Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen besonders gefragt. Auch die Anleitung von Auszubildenden und Praktikant_innen spielt eine wichtige Rolle, denn die Fachkräfte in Ausbildung sollen möglichst auf Dauer den erlernten Beruf ausüben. Dazu erforderlich ist sowohl grundlegendes Wissen über Kommunikation und Beratung, als auch exemplarische reflektierte Fallarbeit anhand von ausgewählten Fallsequenzen. Hier setzt der vorliegende Band an mit Grundlagenwissen und Fallbeispielen von Beratung.
Herausgeber_innen und Autor_innen
- Dr. Christine von Reibnitz ist promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin, Gesundheitswissenschaftlerin und Master of Public Health. Sie ist tätig u.a. an der Universität Witten-Herdecke als Lehrbeauftragte. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind u.a. internationale Gesundheitssysteme und Entwicklungsstrategien des Gesundheitswesens, sowie Homecare.
- Katja Sonntag ist Diplom-Heilpädagogin und leitet eine Einrichtung.
- Dirk Strackbein ist Wirtschaftswissenschaftler und Berater bei Coach Diskurs GmbH.
- Annette Skowronsky ist Apothekerin, Qualitätsauditorin für Medizinprodukte und Expertin für chronische Wunden. Sie hat als Autorin an Kap. 12 mitgewirkt.
Aufbau
Der Band umfasst 155 Textseiten und ist in fünfzehn Kapitel aufgeteilt. Es folgt ein Serviceteil mit einem Stichwortverzeichnis.
Zu I: Grundlagen der Kommunikation und Beratung
Mit Kapitel 1stellen die Autor_innen Dirk Strackbein, Christine von Reibnitz und Katja Sonntag in kurzer Form (3,5 Seiten) Grundlagen der Kommunikation und Beratung vor, erläutern zentrale Begriffe wie verbale, nonverbale und paraverbale Kommunikation.
In Kapitel 2 stehen Grundlagen der Beratung im Mittelpunkt. Christine von Reibnitz, Katja Sonntag und Dirk Strackbein erläutern bedarfsbezogene Beratungsangebote, Grundhaltungen und Einflussfaktoren auf Beratung sowie den Begriff der Patientenorientierung.
Kapitel 3 geht ein auf Beratungsansätze, Christine von Reibnitz, Katja Sonntag und Dirk Strackbein stellen den lösungsorientierten Ansatz nach Bamberger und die klientenzentrierte Beratung nach Rogers in Grundzügen kurz vor. Es folgt ein Exkurs zu Compliance und Adherence als bedeutsame Wirkfaktoren von Beratung.
Beratung als Form der Kommunikation steht im Mittelpunkt von Kapitel 4. Hier erläutern Dirk Strackbein, Christine von Reibnitz und Katja Sonntag neurophysiologische Grundlagen zum Verständnis von Aufmerksamkeits- und Merkprozessen.
Mit Kapitel 5 erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Rolle der Beratung in der Pflege. Zunächst stellen Katja Sonntag, Christine von Reibnitz und Dirk Strackbein in diesem Kapitel die Bedeutung pflegebezogener Beratung anhand der Nationalen Expertenstandards vor. Es folgen Exkurse über gelungene Praxisanleitung als Voraussetzung für eine gute Beratung sowie zu rechtliche(n) Grundlagen zur Beratung.
Zu II: Beratung – ein interaktiver Prozess
Der Beratungsprozess lautet der Titel von Kapitel 6. Hier wird von Christine von Reibnitz, Katja Sonntag und Dirk Strackbein ein Phasenmodell für ein Erstgespräch als Schema vorgestellt, der Beratungsprozess in Anlehnung an das Regelkreismodell des Pflegeprozesses sowie „Funktionsschwerpunkte“ bei patientenorientierten Gesprächen.
In Kapitel 7 werden von Christine von Reibnitz, Katja Sonntag und Dirk Strackbein Gesprächstechniken in der Beratung erläutert. Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei das aktive bzw. passive Gesprächsverhalten von Patienten in der Beratung, das NURSE-Modell, WWSZ-Techniken, das EWE-Prinzip, sowie das Vorgehen nach dem Konzept des „Ideenkellners“ nach Schmidt.
Beratungssettings stehen im Mittelpunkt von Kapitel 8. Hier legen Christine von Reibnitz, Dirk Strackbein und Katja Sonntag in sehr kurzer Form (3 Seiten) Beispiele von Einflussfaktoren im Beratungsprozess dar.
Anhand von Haltung und Rollen in der Beratung erläutern Katja Sonntag, Christine von Reibnitz und Dirk Strackbein in Kapitel 9 Aspekte einer professionellen Beratungsbeziehung unter besonderer Berücksichtigung von Elementen wie Symmetrie/Asymmetrie und Selbstbestimmung/Autonomie.
Kapitel 10 thematisiert einen unverzichtbaren Bestandteil einer theoriebasierten Auseinandersetzung mit Beratung: Der „schwierige“ Patient in der Beratung – welche Motive oder Handlungsmuster stecken dahinter? Anhand von exemplarischen Problemen, u.a. am Beispiel von verbalen Interventionen in der Kommunikation mit aggressiven Patienten werden von Katja Sonntag, Christine von Reibnitz und Dirk Strackbein zentrale, hilfreiche Aspekte des Umgangs erklärt und Hindernisse in der Beratung aus Sicht des Patienten benannt.
Zu III: Erfolgreiche, patientenorientierte Beratung in verschiedenen Fallbeispielen
Um die Beratung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen geht es exemplarisch in Kapitel 11 von Katja Sonntag.
In Kapitel 12 wird die Beratung von Menschen mit chronischen Wunden von Anette Skowronsky und Christine von Reibnitz aufgegriffen.
Die Beratung von Menschen mit Diabetes mellitus wird von Katja Sonntag an einem Beispiel ausgeführt in Kapitel 13.
Mit Kapitel 14 gehen die Autorinnen Christine von Reibnitz und Katja Sonntag ein auf die Beratung von Patienten mit chronischen Schmerzen.
Das Beratungsgespräch in der Praxisanleitung – Vermittlung von Fähigkeiten an die Auszubildenden steht im Mittelpunkt von Kapitel 15.
Zielgruppen
Dieser Band ist primär für Lernende/Studierende geeignet, die einen ersten Überblick über theoretische Grundlagen patientenorientierter Beratung gewinnen wollen oder die auf der Basis von Vorkenntnissen nach Anregungen zur exemplarischen Vertiefung und anwendungsbezogenen Transfer suchen. Für praktisch tätige Pflegende ohne den Kontext einer beratungsbezogenen Weiterbildung bzw. eines einschlägigen Studiums ist dieser Band eher nicht zielführend.
Diskussion
Christine von Reibnitz, Katja Sonntag, Dirk Strackbein und Anette Skowronsky ist es mit einem kompakten Band gelungen, grundlegende Einblicke in verschiedene Facetten von patientenorientierter Beratung zu geben.
Die zentrale Bedeutung der verschiedenen Formen von Kommunikation ist pflegewissenschaftlich fundiert und plausibel dargelegt. Angesichts der Komplexität der Begriffe ist die Abgrenzung zwischen Patientenorientierung und Patientenzentrierung (Kap. 2) zu kurz und zu wenig auf pflegebezogenes Handeln hin ausgeführt.
Die Darstellung der ausgewählten Beratungsansätze (S. 20-24) ist sachlich korrekt, lässt jedoch z.B. das in der Pflege strukturell gut verortbare Modell nach Sander (1999) vermissen.
Mit dem Exkurs zu extrinsischer und intrinsischer Motivation (S. 30-31) ist zum Verständnis von Beratungsprozessen ein sinnvoller Beitrag geleistet, der jedoch eher im Kontext von Adherence erläutert werden sollte.
Die Bedeutung von Pflegeberatung im Rahmen der nationalen Expertenstandards (Kap. 5.1, S. 34-40) sowie der Berufsgesetze (S. 42) ist plausibel dargelegt. Die Art der Darstellung in den Übersichten ist allerdings wenig leseanregend. Die Hinweise auf Patientenrechte bei Beratung (S. 48) sind plausibel und gut, hier wären konkrete Hinweise auf die von den Krankenversicherungen unterstütze Möglichkeit zum Einholen einer Zweitmeinung (second opinion) oder auf unabhängige Beratungsstellen (u.a. Unabhängige Patientenberatung Deutschland/UPD, Verbraucherzentrale, Pflegestützpunkte) ergänzend hilfreich gewesen.
Die Angaben zum Ablauf einer Beratung (Kap. 6, S. 55-57) geben gute Einblicke in Aspekte der Phasen. Mit Beispielen zu a) einer kurzen Beratung i.S. eines Tür- und Angel-Gespräches, sowie zu b) einem umfassenden Beratungsgespräch zur Abwägung komplexer Entscheidungen hätte dieses Kapitel eine sinnvolle Ergänzung erfahren. Es fehlen konkrete Hinweise zum Zeitbedarf einer Beratung.
Die in Kap. 7 vorgestellten Gesprächstechniken sind fachlich aktuell und insgesamt gut aufgearbeitet. Der Exkurs zu kooperativ-vernetzender Beratung (S. 67) hingegen bedarf eines spezifischen Settings und entsprechender Voraussetzungen seitens der Berater_innen, wäre somit in einem anderen Kontext (z.B. Fach- und Fallberatung oder kollegiale Beratung) weniger missverständlich verortet. Die Kriterien für einen Beratungsleitfaden (S. 70) sind passend und hätten als Grundgerüst für ein Beratungskonzept exemplarisch ausgeführt werden und im Anhang hinterlegt werden können, z.B. anhand eines konkretisierten Beispiels aus den Expertenstandards.
Die Hinweise zu den Beratungssettings sind recht allgemein gehalten und an einigen Stellen diskussionswürdig. So fehlen z.B. realistische Hinweise zu Setting und Zeitangaben für Pflegeberatung im Krankenhaus. Weiterhin ist das Vorhandensein von Tischen in zahlreichen Beratungssettings durchaus als positiv zu bewerten, vor allem wenn es um die Beratung auf der Basis von aktuellem Informationsmaterial geht.
Eine professionelle Haltung in der Beratung ist eines der Kernelemente und bedarf, um in hilfreicher Weise wirksam zu sein, eines reflektierten und theoriebasierten Entwicklungsprozesses. Die genannten Grundhaltungen (S. 82) und die Hinweise zum Rollenverständnis sind zu kurz und wenig reflektierend beschrieben.
Ein professioneller Umgang mit anspruchsvollen Patienten bzw. mit herausforderndem Verhalten gehört zu den „Königsdisziplinen“ in der Pflegeberatung. Eine kategorisierende Benennung als „aggressiv“ (S. 86-87) ist ungünstig, ebenso „wir-Formulierungen“ (S. 87). Die Übersicht über mögliche Hindernisse in der Beratung aus Sicht der Patienten ist sehr umfassend und spiegelt die einschlägige Feldkompetenz der Autor_innen. Einzuräumen ist allerdings, dass unter kritischer Würdigung der genannten Aspekte im klinischen Alltag kaum Situationen verbleiben, die wenig Hindernisse aufweisen.
Die Fallbeispiele zur Veranschaulichung von Beratung in der Pflege spiegeln ein breites Spektrum an exemplarisch gut passenden Fällen. In Kapitel 11 (Beratung bei Demenz) dominiert jedoch eine krankheitsbezogene Darstellung, pflegebezogene Aspekte kommen zu kurz. Die Checkliste zur Beratung bei Demenz (S. 101) ist für eine fallbezogene Beratung recht allgemein angelegt. Die Übersicht über Beratungs- und Behandlungsabsprachen (S. 105) ist sinnvoll und plausibel. Das Kapitel zur Beratung von Menschen mit chronischen Wunden ist gut aufgearbeitet und praxisnah beschrieben. Die Kapitel zur Beratung von Menschen mit Diabetes Mellitus und mit chronischen Schmerzen sind sachlich korrekt aufgearbeitet, lassen allerdings fallbezogen eine konkretisiert angewandte Pflegeberatung vermissen. Ähnliches gilt für das Beratungsgespräch in der Praxisanleitung.
Fazit
Es ist ein Buch mit guten Anregungen und mit verbesserungsfähigen Bereichen. Insgesamt betrachtet liefert der Band für Lernende/Studierende sinnvolle Ansätze zum ersten Kennenlernen von Pflegeberatung. Hilfreich gewesen wären konkrete Beispiele angewandter Pflegeberatung in der Praxis. Hier hätten Anregungen zum zeitlichen Rahmen bzw. Ablauf oder auch zum Umgang mit typischen institutionellen Hürden oder Widerständen gut platziert werden können. Zu professioneller Pflegeberatung gehört m.E. eine kontinuierliche eigene Kompetenzentwicklung z.B. inform von Kollegialer Beratung /Supervision sowie durch eine entsprechende Zusatzqualifikation in Beratung, hierzu fehlen Hinweise.
Der Band enthält zahlreiche Abbildungen und hilfreiche Übersichten, die jedoch aufgrund des Druckformates zum Teil schlecht lesbar sind.
Rezension von
Prof. Dr. Margret Flieder
Evangelische Hochschule Darmstadt
Fachbereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften
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