Thomas Ley, Frank Meyhöfer: Soziologie des Konflikts
Rezensiert von Matthias Völcker, 20.11.2017

Thomas Ley, Frank Meyhöfer: Soziologie des Konflikts. Eine Einführung. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2016. 148 Seiten. ISBN 978-3-8300-8938-4. D: 78,80 EUR, A: 81,10 EUR.
Thema
Mit dem Begriff des Konflikts wird ein theorieübergreifender und multidisziplinärer Grundtatbestand des Sozialen beschrieben. Konflikte, auch wenn damit jeweils unterschiedliche Sachverhalte gefasst werden, sind ein elementarer Bestandteil allgemeiner Theorien der Soziologie. In Gegenwartsgesellschaften sind die Erscheinungsformen des Konflikts so mannigfaltig wie komplex.
Der ‚Entschlüsselung dieser Komplexität‘ und damit verbundener Fragen widmet sich der vorliegende Band von Thomas Ley und Frank Meyhöfer, in dessen Zentrum eine einführende Darlegung in die Soziologie des Konflikts steht. Als eine Einführung in ein spannendes wie ebenso komplexes Arbeits- und Forschungsfeld konzipiert, verbindet der Band differente soziologische wie extrasoziologische Positionen. Das Buch richtet sich explizit an StudienanfängerInnen der Soziologie wie auch an all jene, die „einen ersten Zugang zu zentralen Texten über den sozialen Konflikt bekommen möchten“ (S. 7) und ist eine Komplettüberarbeitung eines bereits 2014 im selben Verlag erschienen Buches, welches durch zusätzliche konfliktsoziologische Beiträge erweitert, aber auch zur Verständniserleichterung durch visuelle Abbildungen ergänzt wurde.
Aufbau und Inhalt
Im Mittelpunkt des Buches steht eine Beschäftigung mit konfliktsoziologischen Fragen und entsprechend differenten (theoretischen) Positionen, wobei neben klassischen auch neuere Ansätze diskutiert werden. Besonders prominent wird der Konfliktbegriff hierbei in system- und kommunikationstheoretischer Perspektivierung bei Niklas Luhmann diskutiert, dessen Konfliktbegriff in der Soziologie aus Perspektive der Verfasser nicht umfassend rezipiert wurde, jedoch durchaus Erkenntnispotentiale für das Verstehen von Konflikten bereithält.
Der Konfliktbegriff wird den Leserinnen und Lesern als ein hochgradig komplexer Begriff vorgestellt, der vielfältig ist und unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet. Hervorgehoben werden etwa differente Konflikt- und Bezugsebenen, etwa Konflikte zwischen Nationen und Regionen, zwischen Personengruppen, Konflikten in Zweierbeziehungen aber auch Konflikten, die mit Blick auf das Individuum, etwa in Rollenkonflikten, beschrieben werden können. Zentral ist dabei für den gesamten Band die Frage, was Konflikte auszeichnet und welche theoretischen Erklärungsmodelle die Soziologie hierfür bereithält, wobei nicht von einheitlichen Konfliktkonzepten ausgegangen werden kann. Das Buch sucht auf diese Komplexität Antworten und unternimmt den Versuch einer Entschlüsselung differenter (theoretischer) Positionen, die in insgesamt sechs Abschnitten verhandelt werden.
Im Mittelpunkt der ersten beiden Abschnitte stehen klassische wie auch neuere Ansätze in der soziologischen Theorie. Neben den Arbeiten soziologischer Klassiker wie etwa Karl Marx, Max Weber oder Georg Simmel bei denen die Semantik von Kampf und Streit dominieren, wird auch die Unterscheidung von Konflikt und Wettbewerb bei Robert Ezra Park und Ernest Burgess diskutiert. Ebenso vorgestellt werden konflikttheoretische Arbeiten von Alfred Vierkandt und Leopold von Wiese.
Zu den neueren Ansätzen der Konfliktsoziologie werden beispielsweise Ralf Dahrendorf und seine Unterscheidung zwischen manifesten und latenten Konflikten gezählt. Ebenso diskutiert wird der Ansatz von Lewis Cosers, der Verbindungslinien zwischen Konfliktsoziologie und strukturfunktionalistischen Ansätzen erforscht hat und „das Wechselverhältnis von sozialer Struktur einer Gesellschaft und sozialen Konflikten in den Blick nimmt“ (S. 39). Darüber hinaus werden die praxeologischen Konzeptionierungen von Konflikten in der Theorie von Pierre Bourdieu skizziert, der Wechselwirkungen zwischen Makro- und Mikrobenen als Spannungsverhältnisse zwischen sozial handelnden Akteuren, eingebettet in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse, beschreibt, die sich inhärent in den Strukturen des sozialen Raumes widerspiegeln und Konflikte konstituieren, „was sich schon rein auf semantischer Ebene der Deskription in Begriffen wie Kampf, Konkurrenz, Streit und Konflikt niederschlägt“ (S. 44). Darüber hinaus werden in diesem Abschnitt Axel Honneths anerkennungstheoretische Arbeiten diskutiert, in der differente Anerkennungsformen und deren (potentielle) Missachtung als Ausgangspunkt für einen permanent wirkmächtigen Kampf um Anerkennung verhandelt werden.
Hieran schließt sich ein vierter Abschnitt an. In diesem werden extrasoziologische Beiträge vorgestellt, die aber durchaus für das genuin soziologische Verständnis des Konflikts Relevanz besitzen. Neben einer Darlegung und Unterscheidung zwischen antagonistischen und agonistischen Konflikten bei Chantal Mouffe, werden eine sozialpsychologisch fundierte Typologie bei Morton Deutsch wie auch systemtheoretische Taxonomie unterschiedlicher Konfliktformen und -typen nach Anatol Rapaport vorgestellt und diskutiert.
Neben klassischen und neueren Theorien fokussiert der fünfte Abschnitt des Buches eine ausführlichere Beschäftigung mit einem in der soziologischen Theorie bisher wenig rezipierten aber erkenntnisreichen Konfliktbegriff bei Niklas Luhmann. Luhmann beschreibt einen Konfliktbegriff der Unterschiede zu allen anderen soziologischen Konzeptionen aufweist, „in denen der soziale Konflikt nicht kommunikationsbasiert definiert ist“ (S. 11). Der Konflikt wird von Luhmann als Facette sozialer Systeme beschrieben, für das zwei sich widersprechende Kommunikationen vorliegen müssen. Im Zentrum dieses Konfliktverständnisses steht die grundlegende Annahme, dass Konflikte immer als spezifische Formen von Kommunikation aufzufassen sind und ein Konflikt dann vorliegt, wenn Erwartungen kommuniziert und das Nichtakzeptieren der Kommunikation rückkommuniziert wird. Mit einer solchen Perspektivierung eröffnen sich erkenntnisreiche Einsichten, in die Konfliktgenese und die Prozessualität des Konfliktverlaufs, die für einen soziologischen Konfliktbegriff und mit Blick auf Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse von Bedeutung sind. Für die Verfasser des vorliegenden Bandes eröffnet Luhmanns Konfliktbegriff vielfältige Anschlüsse, die v.a. für die empirische Analyse sozialer Systeme geeignet erscheint und Differenzierungen zwischen (Konflikt-)Phänomenen ermöglicht.
Aufbauend auf diesem Konfliktbegriff wird im anschließenden sechsten Abschnitt des Buches daher auch das Verhältnis von Kommunikation und Konflikt weiterführend diskutiert, wobei Facetten der Konfliktkonditionierung, also wie Konflikte entstehen und durch Einschränkung von Mitteln evoziert werden, beschrieben werden. Ebenso wird aufgezeigt, wie Unsicherheiten der Konfliktsituation durch den Einbezug Dritter erhöht werden und das Kommunikationsverhalten beeinflussen. Im siebten Abschnitt des Buches wird abschließend skizziert, wie in dem von Luhmann gefassten Sinne, soziale Konflikte empirisch untersucht und entsprechend empirisches Material analysiert werden kann. Eine objektiv-hermeneutisch operierende sequenzanalytische Vorgehensweise verstehen die Autoren dabei als eine geeignete Methode, die für eine empirische Untersuchung der Konfliktgenese, wie auch des prozessualen Verlaufs von Konflikten geeignet erscheint.
Fazit
Mit dem vorliegenden Buch ist den Autoren eine sehr gelungene und v.a. lesenswerte Einführung in die Soziologie des Konflikts gelungen. Gerade für die Zielgruppe der Studierenden und auch all jene, die sich einführend mit Fragen der Soziologie des Konflikts beschäftigen, bietet der Band eine Einführung in zentrale theoretische Arbeiten und differente Zugänge zu einem ebenso umfänglichen Arbeits- und Forschungsfeld innerhalb der Soziologie.
Dessen ungeachtet muss hier kritisch angefügt werden, dass Aufbau und Struktur des vorliegenden Bandes zwar nachvollziehbar sind und entsprechend auch die in den letzten Abschnitten sich vollziehenden Fokussierungen durchaus spannende Einblicke eröffnen. Doch offenbart sich hier auch eine Lücke zu den ersten Abschnitten des Bandes und den Beiträgen dort. Hier wäre, v.a. am Ende, eine zusammenführende Darstellung wünschenswert gewesen, die durchaus auch andere methodisch-methodologische Zugänge in der empirischen Erforschung nahelegt. Hieraus resultiert eine Engführung, die zwar nachvollziehbar ist, aber der Breite in diesem Forschungsfeld nicht unmittelbar gerecht wird.
Ungeachtet dieser Kritik ist dieser Einführungsband in die Soziologie des Konflikts ein gelungenes und durch und durch auch empfehlenswertes Buch.
Rezension von
Matthias Völcker
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: neben sozialisations- und identitätstheoretischen Fragestellungen im Besonderen die empirische Bildungsforschung
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