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Nahlah Saimeh (Hrsg.): Abwege und Extreme (Forensische Psychiatrie)

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 15.02.2017

Cover Nahlah Saimeh (Hrsg.): Abwege und Extreme (Forensische Psychiatrie) ISBN 978-3-95466-284-5

Nahlah Saimeh (Hrsg.): Abwege und Extreme. Herausforderungen der Forensischen Psychiatrie. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Berlin) 2016. 250 Seiten. ISBN 978-3-95466-284-5. D: 34,95 EUR, A: 36,00 EUR, CH: 42,00 sFr.

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Thema

Die jährlich stattfindende Eickelborner Fachtagung zur Forensischen Psychiatrie wird in ihren zentralen Beiträgen in einem Tagungsreader zusammengefasst und veröffentlicht (vgl. www.socialnet.de/rezensionen/16829.php). Der 2016er Jahrgang hat mit dem Thema „Abwege und Extreme“ einen weiten thematischen Bogen gespannt, der von rechtsphilosophischen Grundfragen zur Frage der Willensfreiheit über neuropsychologische Defizite bei Psychopathie bis zum Risk Assessment bei extremistischer Gewalt reicht. Andere Beiträge beschäftigen sich mit der Auswirkung bestimmter Erziehungsstile auf die Persönlichkeitsentwicklung, dem Zusammenhang zwischen psychischer Erkrankung und Delinquenz und den gewachsenen Aufgaben in Begutachtung und Kriminalprognostik. Auch wenn die Forensische Psychiatrie als Randgebiet gesellschaftlicher Realität wirken mag, beschäftigt sie sich mit Kernfragen gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Entwicklung von Menschen, der Sicherheit der Gesellschaft und der Frage, wie Menschen mit extremen und abwegig anmutenden Verhaltensweisen integriert werden können.

Herausgeberin

Dr. med. Nahlah Saimeh studierte Humanmedizin in Bochum und Essen, absolvierte eine Facharztausbildung und leitet nach Oberarzttätigkeit in der Allgemeinpsychiatrie zunächst die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Bremen. Seit 2004 ist sie ärztliche Direktorin der größten Maßregelvollzugsklinik Deutschlands am LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie in Eickelborn-Lippstadt.

Die Einzelbeiträge stammen von größtenteils namhaften Vertretern des Faches.

Aufbau und Inhalt

Die im Tagungsband enthaltenen 23 Beiträge sind thematisch nicht gegliedert, die Reihenfolge der Texte orientiert sich an der alphabetischen Gliederung der AutorInnennamen. Für die inhaltliche Zusammenfassung werden sie im Folgenden thematisch gegliedert.

Praxis des Maßregelvollzugs

Neun Beiträge gewähren einen Einblick in aktuelle Praxisbereiche des deutschen Maßregelvollzugs:

  • „Das Forensisch Ergotherapeutische Aufnahmeverfahren Regensburg – FETA-R“ stellt einen einfachen Anamnesebogen vor, der in teilstrukturierter Form Patienteninterviews in der Aufnahmesituation arbeits- und ergotherapeutischer Angebote strukturieren hilft. Der Assessmentbogen befindet sich noch in Entwicklung, eine abschließende Bewertung seiner Anwendbarkeit steht noch aus. Das Instrument wird an prominenter Stelle im Buch gleichwohl als geschlossenes Aufnahmeverfahren mit Markennamen präsentiert.
  • Über Notwendigkeit und Möglichkeiten professionellen Beschwerdemanagements berichtet eine Projektdarstellung aus dem Bereich des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe. Das dort praktizierte Beschwerdemanagement fußt auf sachlich-neutraler Prüfung der Patientenbeschwerden und wird als Mittel zur Qualitätsentwicklung und Entwicklung von Patientenbeteiligung und -zufriedenheit verstanden.
  • Ein für die Praxis des Maßregelvollzugs wichtiges, sogar zentrales Thema, wird vom Leiter des Baseler Maßnahmenvollzugs (Marc Graf) diskutiert: Ausgehend von persönlichen Erfahrungen mit erheblichen Störfällen in der dortigen Klinik (Entweichung eines Patienten, neue Delikte z. T. mit Todesfolge) plädiert Graf für ein strukturiertes Risikomanagement, das mögliche Worst-Case-Szenarien berücksichtigt, diese allerdings nicht als Ausgangspunkt für sicherheitszentrierte Engführung von Therapien beansprucht, sondern mögliche Fehlerprozesse rechtzeitig identifizieren hilft.
  • Nach den Auswirkungen veränderter Methoden und Haltungen in der Suchtbehandlung und deren Bedeutung für die Behandlung suchtkranker Straftäter fragt Rüdiger Holzbach in einem engagierten Beitrag. Zieloffene und akzeptierende Ansätze in der allgemeinen Suchttherapie sind nicht ohne weiteres auf die Forensische Psychiatrie übertragbar. Die Substitutionsbehandlung, längst Standard in der Versorgung schwer abhängiger, nicht abstinenzfähiger abhängiger Patienten ist im Maßregelvollzug weiter umstritten. Gleichzeitig bestehen weitere Herausforderungen für die Forensische Psychiatrie in Form der als sog. „Legal highs“ weit verbreiteten Drogen, welche besondere Fragestellungen für die forensische Begutachtung und Behandlung mit sich bringen.
  • Die Forensische Psychiatrie befasst sich mit Defiziten und daraus resultierenden Risikoaspekten ihrer Patienten. Torsten Klemm geht in seinem Beitrag zur forensischen Ressourcendiagnostik einen anderen Weg. Er stellt in seinem Beitrag die bekannten Vorgehen und Instrumente standardisiertes Ressourcendiagnostik und das 2013 in Leipzig entwickelte „Leipziger Ressourcen-Inventar“ vor, das in strukturierter Form Ressourcen in verschiedenen Funktionsbereichen (Biografie, Bildung, ökonomische Aspekte etc.) erhebt.
  • Ein weiterer Beitrag hinterfragt die Übertragungsmöglichkeiten des aus dem allgemeinen Strafvollzug bekannten Behandlungsprogramms für Sexualstraftäter (BPS) in das forensische Setting. Neben einer Darstellung des modularisierten BPS bietet der Beitrag Behandlungserfahrungen mit diesem Programm, wobei sich gezeigt hat, dass die Übertragung auf die erreichte Patientenpopulation (N = 10) gut zu realisieren war.
  • Der Folgebeitrag befasst sich ebenfalls mit der Behandlung von Sexualstraftätern. Das Kapitel von Katharina Leichauer et al. stellt die Evaluation der Behandlung in der psychotherapeutischen Fachambulanz für Sexualstraftäter in Nürnberg vor. Die vorläufigen Studienergebnisse zeigen, dass das Rückfallrisiko durch eine ambulant-begleitende Psychotherapie günstig beeinflusst werden kann. Allerdings stehen noch keine Ergebnisse zur Verfügung, welche Interventionsformen bei welcher Tätergruppe zu besonders niedrigen Rückfallraten führt.
  • Die veränderten Rahmenbedingungen im Maßregelvollzug und die Weiterentwicklung des Pflegeberufes sind Gegenstand eines weiteren Textes. Michael Schulz beschreibt zunächst die Entwicklung des Berufsbildes Krankenpflege (Differenzierung, Akademisierung) und die damit einhergehende Spezialisierung in diesem Berufsfeld, welche schließlich auch den Bereich der Forensischen Psychiatrie erreicht hat.
  • Ein weiterer Beitrag befasst sich mit der Frage, inwieweit Behandlungsprogramme aus dem allgemeinen Strafvollzug im Rahmen der Maßregelbehandlung angewandt werden können. Elisabeth Vieth et al. geht in ihrem Beitrag auf das Anti-Gewalt-Training ein, das hier für die Behandlung gehemmt aggressiver und traumatisierter Gewalttäter adaptiert wurde. Die bisherigen Behandlungsversuche mit diesem Programm werden für die Anwendung bei suchtkranken Gewaltstraftätern als „erfolgversprechend“ (284) eingeschätzt.

Kunst – Therapie

In zwei Texten wird, in sehr unterschiedlicher Form, der Frage nachgegangen, welche Beiträge gestalterisches und künstlerisches Schaffen in der Behandlung psychisch kranker Straftäter zu leisten vermag.

  • Rebekka Schulte nähert sich über den Diskurs zur Freiheit der Kunst der Frage, was Kunst im Maßregelvollzug darf und was sie kann. Kunst als freie Selbstreflexion, so ihre Kernaussage, erlaubt einerseits die Auseinandersetzung des Künstlers mit sich selbst und seiner Umwelt und drängt den Betrachter dazu, sich mit dieser subjektiven Sichtweise auseinanderzusetzen. Am Beispiel eines untergebrachten Mannes mit diagnostizierter Persönlichkeitsstörung und Pädophilie wird aufgezeigt, dass einerseits eine „Selbstverständigung“ des malenden Patienten erreicht werden konnte, andererseits seine Produkte, die Kunstwerke eine Zumutung an die Betrachtenden darstellen, wenn z. B. unbefangene Jungen, badende Kinder, oder „spielende Kinder, jung und schön“, eine „heile Welt“ (241) präsentiert werden. Zugleich, so die Autorin und Leiterin einer offenen Kunstwerkstatt in der Klinik, ermöglicht sie einen besonderen Zugang zu Mensch und Inhalt, dessen Motive durch den Gestaltungsprozess sichtbar gemacht wurden.
  • Im zweiten Beitrag erfolgt die Darstellung eines Fallbeispiels, eine systematische Fall- und Bildanalyse, die aufzeigt, dass künstlerische Tätigkeit unterschiedliche Daseinsebenen darstellen kann, diese zwischen Selbstverwirklichung, Reflektion, Suche nach Anerkennung und Darstellungswunsch verortet sind. Die Chancen kreativer Gestaltungsprozesse werden darin gesehen, dass in diesem Tun, in diesen Bildern die „existenziellen Bedürfnisse des Patienten nach Freiheit, Integration und Hoffnung … erlebbar und dadurch erfüllt“ (298) werden können, womit sie im therapeutischen Kontext auch verhandelbar sind.

Theoretische und methodische Grundlagen

  • Die Unterbringung im Maßregelvollzug ist mit langen Verweildauern assoziiert. Martin Feißt et al. fragen in ihrem Beitrag nach Ansätzen zur Verbesserung der Lebensqualität für forensische Langzeitpatienten. Die Autoren haben in einer begrenzten Studie (N = 50) Patienten in Deutschland und Polen nach deren Bedürfnissen im Zusammenhang mit Lebensqualität befragt. Die Ergebnisse verweisen u. a. darauf, dass die Möglichkeit adäquater Beschäftigung/Arbeit und die Realisierung intimer Beziehungen einen wesentlichen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit von Patienten haben.
  • Willensfreiheit, Schuld und Strafe, die Frage nach dem „freien Willen“ greift Reinhard Merkel in einer rechtsphilosophischen Betrachtung auf. Die losen Enden dieser Diskussion um neuronale Disposition, freie Willensentscheidung, das Phänomen des „anders handeln könnens“ und der bewussten aber per se nicht immer freien Entscheidung für das eigene Handeln werden hier zusammengeführt und als Mahnung an die Justiz formuliert, Schuld bei normativ nicht ansprechbaren Menschen, nicht als Hintergrundmaske für die Urteilsbildung zu verwenden.
  • Über die Auswirkungen eines gewaltfreien Erziehungsstils berichten Christian Pfeiffer und Laura Beckmann. Vorgestellt werden u. a. die Ergebnisse einer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen mit knapp 10.000 Jugendlichen durchgeführten Repräsentativbefragung. Die Befunde sind eindeutig: Menschen die keine innerfamiliäre Gewalt erlebt, stattdessen eine hohe und liebevolle Zuwendung der Eltern erfahren haben, begehen weniger Straftaten, sind besser in Bildungsinstitution integriert, haben ein höheres zwischenmenschliches Vertrauen und allgemein eine höhere Lebenszufriedenheit. Im Kontext der Forensischen Psychiatrie ergeben sich hier wichtige Hinweise für präventive Ansätze (deren Diskussion im vorliegenden Beitrag jedoch nicht erfolgt).
  • Ein weiterer Beitrag stellt ein Risikomodell zur Beurteilung der Ausführungsgefahr bei extremistisch eingestellten Personen vor. Das Modell nähert sich der Gefahrenprognose aus mehrdimensionaler Perspektive und zielt auf die Erfassung extremistischer Einstellungen, personaler Merkmale (z. B. Dissozialität, Drogenproblematik), aktuellem Warnverhalten (z. B. Einweihung Dritter, akute Drohung) und akuten Belastungsfaktoren (z. B. soziale Zuspitzung, psychopathologische Verschlechterung).

Patientengruppen

  • Suizide im Maßregelvollzug stellen für Mitpatienten und Beschäftigte eine große Belastung dar, hinterlassen den Eindruck des Scheiterns und werfen grundsätzliche Fragen auf. Eine Projektgruppe an einer südwestdeutschen Maßregelvollzugsklinik hat sich anlassbezogen mit dieser Problematik beschäftigt und einen Standard zur Suizidprävention entworfen, der inklusive eines Selbsteinschätzungsbogens vorgestellt und diskutiert wird.
  • Erste Ergebnisse einer Studie zum neuropsychologischen Profil untergebrachter pädophiler Straftäter im MRV präsentieren Solveig Klingner et al. Die Befunde deuten auf das Vorliegen geminderter Intelligenz, kognitive Einschränkungen und eine deutliche Einschränkung der kognitiven Flexibilität.
  • Mit Besonderheiten der Emotionserkennung bei Psychopathie beschäftigt sich Andreas Mokros. Das Störungsbild bedingt als Variante der Antisozialen Persönlichkeitsstörung ein erhöhtes Risiko gewaltförmige Verhaltensweisen zur Zielerreichung einzusetzen. Dieses Verhalten scheint mit Defiziten in der Erkennung negativer Emotionen zu korrelieren. Der Beitrag stellt den aktuellen Forschungsstand zu dieser Fragestellung vor.

MRV und Migration

Der Maßregelvollzug wird mittlerweile stärker mit Patienten mit Migrationshintergrund konfrontiert (73). Drei Beiträge widmen sich dieser Thematik:

  • Kirsten Eichler führt zunächst in die Grundzüge des Asyl- und Ausländerrechts ein. Ein weiterer Beitrag zeigt die rechtlichen, sozialen und (forensisch) psychiatrischen Bedingungen und Gegebenheiten von Rückführungsmaßnahmen untergebrachter Patienten im Maßregelvollzug in die Herkunftsländer auf. Der Beitrag basiert auf den Erfahrungen mit diesem Verfahren in der Forensischen Klinik Gießen.
  • „Über die Irrtümer von Psychiatrie und Justiz – zur Komplexität der Maßregelindikation bei Menschen mit Migrationshintergrund“ schreibt die Herausgeberin des Tagungsbandes, Nahlah Saimeh. Ausgehend von einem Fallbeispiel diskutiert die Leiterin des Maßregelvollzugszentrums Eickelborn die besonderen Belastungs- und Entwicklungsphänomene bei Migranten, welche zwischen kultureller Prägung, Anpassungsschwierigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen verortet werden müssen. Solche Phänomene sind oft als Anpassungsstörung oder akute Belastungsreaktion einzustufen und erfüllen „im Regelfall nicht den Schweregrad einer schweren seelischen Abartigkeit“ (230), womit diese in § 20 StGB definierte Voraussetzung für eine Unterbringung nicht gegeben ist. Die Autorin mahnt hier eine kultursensible Begutachtung und Einschätzung an.

Patientenperspektive

Die Forensische Psychiatrie begutachtet, sichert, behandelt, resozialisiert und begleitet psychisch kranke, straffällig gewordene Menschen oft über viele Jahre, meist gegen deren Willen. Die Behandler haben Deutungshoheit, von ihren Einschätzungen hängen Lockerungen und Entlassung ab. Umso wichtiger ist es, danach zu fragen, wie die davon Betroffenen, die Patienten diese Form der Unterbringung erleben, ob und wovon sie profitieren. Dieser Sichtweise sind zwei Beiträge im Tagungsband gewidmet.

  • Claudia Franck, ehemals Patientin einer Forensischen Klinik, stellt in ihrem „Bericht einer Erfahrenen aus dem 64er-Maßregelvollzug“ ihren eigenen Weg aus der Sucht vor, ein langwieriger Prozess, der davon lebt „im eigenen Tempo gehen zu können“ (53) und einen geschützten Rahmen nutzen zu können um sich „von Altem verabschieden und … weiterentwickeln“ (54) zu können. Auf der anderen Seite beschreibt die Autorin ein Therapieklima, das oftmals intransparent in der Behandlung, in den Entscheidungen und Maßnahmen wirkte und offensichtliche Fehler nicht einräumen konnte. Am Ende steht jedoch der Erfolg, der dazu führt „dass ich dieses Leben, ohne mit der Welt und mir selbst im Kriegszustand zu sein, nun auch selber gestalten kann“(54).
  • Ebenfalls mit der Patientenperspektive beschäftigt sich Michael Stiels-Glenn. Der Psychotherapeut, Kriminologe und Supervisor hat im Rahmen einer empirischen Studie 30 im Maßregelvollzug untergebrachte, straffällig gewordene Männer mit pädophiler Orientierung nach ihren Behandlungserfahrungen befragt. Die an anderer Stelle umfangreich publizierte Studie (www.socialnet.de/rezensionen/21680.php) benennt allgemeine Kriterien wirksamer Psychotherapien in der forensischen Kriminaltherapie mit pädophilen Straftätern. Durch die Erschließung der Patientenperspektive im Rahmen von Patientenbefragungen werden differenzierte Einblicke in Therapiestrukturen und -prozesse ermöglicht und in Bezug auf den (aktuellen) gesellschaftlichen Diskurs zu Sexualität, sexuellem Missbrauch und den Umgang mit abweichendem, straffälligem Verhalten gesetzt. Die vorangestellten Erkenntnisse aus der Therapieforschung zu Wirkfaktoren in Psychotherapien werden dabei als Referenzpunkt eingesetzt, an dem sich die Behandlungsrealität in Maßregelvollzugseinrichtungen und deren Wirkung auf die betroffenen Patienten einschätzen lassen.

Zielgruppe

Die Dokumentation der Eickelborner Fachtagung zu aktuellen Fragen des Maßregelvollzugs verfolgt, wie die Tagungen selbst, einen interdisziplinären Ansatz. Die hier versammelten Fachbeiträge richten sich an alle Berufsgruppen die mit der Behandlung psychisch kranker Straftäter befasst sind.

Diskussion

Die fachliche Entwicklung des Maßregelvollzugs ist in Fahrt gekommen. Therapieansätze und -methoden aus der Allgemeinpsychiatrie oder dem kriminaltherapeutischen Bereich des Strafvollzugs werden für die Behandlung psychisch kranker Straftäter adaptiert und in Erfahrungsberichten und Evaluationsstudien auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.

Forschungsprojekte zu neuropsychologischen, psychotherapeutischen, psychologischen, kriminologischen und psychiatrischen Fragestellungen werden vermehrt von Kliniken in Kooperation mit Forschungsinstitutionen der Hochschulen initiiert. Die Entwicklung im pflegerischen Bereich ermöglicht neue Arbeitsansätze, deren Inhalte und Strukturen im Entstehen sind, dargestellt und reflektiert werden müssen. Die Rahmenbedingungen in Recht und Verwaltung sind in stetigem Wandel, deren Auswirkungen auf die Praxis bedürfen der kritischen Beschreibung und Diskussion. All das wird jährlich in der Eickelborner Fachtagung zum Maßregelvollzug zusammengeführt und in Tagungsbänden der breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht.

Es ist das Verdienst der Eickelborner Klinikleitungen, diese Aufgabe seit Jahrzehnten verlässlich zu übernehmen und die bedeutendste Fachtagung im deutschsprachigen Raum zu organisieren. Manche der vorgestellten Beiträge haben Experimentcharakter, präsentieren erste Ergebnisse oder Praxiserfahrungen mit neuen methodischen Ansätzen. Entsprechend unterschiedlich schwanken die Texte hinsichtlich inhaltlicher Tiefe, was allerdings nicht als Mangel definiert werden sollte. Die Forensische Psychiatrie ist kein statisch voll entwickeltes Fach. Es geht darum diese Entwicklung zu protokollieren und der breiteren Praxis zugänglich zu machen. Und das wird durch diese Form der Publikation bewältigt. Den künftigen Tagungsbänden wäre eine klarere inhaltliche Struktur zu wünschen, gegliedert nach Themenschwerpunkten, so dass sich interessierte LeserInnen schneller orientieren können.

Fazit

Die Schriftenreihe zur Forensischen Psychiatrie und der vorliegende Tagungsband geben einen kompakten Überblick zur aktuellen Entwicklung der Forensischen Psychiatrie, neuen Praxisansätzen, Anwendungsforschung, kriminologischen, rechtsphilosophischen, pflegewissenschaftlichen und rechtlichen Fragestellungen. Für Fachkräfte im Bereich der Forensischen Psychiatrie ein unverzichtbares Kompendium zum state of the art der Forensischen Psychiatrie.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.

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Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 15.02.2017 zu: Nahlah Saimeh (Hrsg.): Abwege und Extreme. Herausforderungen der Forensischen Psychiatrie. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Berlin) 2016. ISBN 978-3-95466-284-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21916.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.


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