Winfried Kluth, Andreas Heusch (Hrsg.): Ausländerrecht
Rezensiert von Prof. Dr. Holger Hoffmann, 27.12.2017
Winfried Kluth, Andreas Heusch (Hrsg.): Ausländerrecht. Verlag C.H. Beck (München) 2016. 1736 Seiten. ISBN 978-3-406-69932-0. 139,00 EUR.
AutorInnen
Das Bearbeiterverzeichnis benennt 29 Autorinnen und Autoren – eine ungewöhnlich große Zahl. Der umfangreichere, ebenfalls im Beck – Verlag erschienene Kommentar von Bergmann/Dienelt zum selben Rechtsbereich kommt mit zehn MitarbeiterInnen aus. Von den AutorInnen des „Kluth/Heusch“ sind 15 als Verwaltungsrichter tätig, vier davon am Bundesverwaltungsgericht; vier als Hochschullehrer, vier als wissenschaftliche Mitarbeiter an Hochschulen. Beamte aus Bundes- und Landesministerien kommentieren, nur ein Rechtsanwalt sowie der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Leider fehlt die Angabe im Bearbeiterverzeichnis, wer welche Bereiche kommentiert hat.
Insgesamt vermittelt sich der Eindruck, dass die AutorInnen in sehr unterschiedlichem Umfang an den Kommentierungen beteiligt waren – einige nur bezüglich einer oder weniger Vorschriften( z.B. Hofmann – Art 8 EMRK, Fleuß: § 72 – 73c AsylG) einige nur in sehr speziellen Bereichen (z.B:Thym Art 67,68,72,75,77 – 80 AEUV).
Entstehungshintergrund
Der gedruckte Kommentar (Stand: August 2016) basiert auf der 11. Auflage des – weiterhin vierteljährlich aktualisierten – „on-line“-Kommentars des beck-Verlages. Er wurde inzwischen von der 15. Auflage der Online-Version überholt (Stand: August 2017).
Erstaunlich erscheint, dass im Beck-Verlag gleich drei große Kommentare zum Ausländerrecht miteinander konkurrieren (dazu ein vierter im „Tochter“-Verlag nomos), die im Wesentlichen dieselben Vorschriften kommentieren:
- Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12.Aufl, Stand 8/2017 – 185 €,
- Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl, Stand April 2016 – 119,00 €,
- Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., Stand 2/2016 – 165,00 €
Es muss ein lukrativer Markt sein, obwohl (oder weil) er sehr hochpreisig ist. Vielleicht reflektiert das aber auch nur die „stürmische“ Entwicklung eines Rechtsgebietes, indem, wenn ein gedruckter Kommentar vorliegt, der Gesetzgeber schon ein bis zwei neue Gesetze weiter ist.
Aufbau
Der Kommentar erläutert das Aufenthaltsgesetz, das Asylgesetz, das Freizügigkeitsgesetz/EU, den Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) in Auszügen, den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Auszügen, Art. 8 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (Asylpaket II) sowie das Gesetz zur erleichterten Ausweisung ausländischer Straftäter(beide vom 11.3.2016), das Datenaustauschverbesserungsgesetz (2.2.2016), das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz („Asylpaket I“ – 20.10.2015) sowie das Integrationsgesetz vom 31.7.2016 – ein ziemlich umfassendes Programm. Trotzdem ist die gedruckte Version schon nicht mehr aktuell wegen der seit Herbst 2016 bis Juli 2017 erfolgten, teilweise erheblichen weiteren Rechtsänderungen – die in der 15.Aufl. der on-line Variante allerdings inzwischen ebenfalls kommentiert wurden.
Ausgewählte Inhalte
Im Wesentlichen ist der Kommentar orientiert an der Rechtsprechung des BVerwG, der OVG/VGH, des EUGH sowie des EGMR. Geschrieben wurde er für Rechtsanwälte, insbesondere Fachanwälte für Verwaltungs- und Migrationsrecht, Verwaltungsrichter, Staatsanwälte, Ausländer- und Sozialbehörden sowie die Universitäten – so die Werbung des Verlages. Nicht in erster Linie gedacht ist er mithin für Menschen, die in der Sozialen Arbeit tätig sind, etwa bei freien Trägern oder ehrenamtlich.
Bei einem Buchumfang von 1694 Seiten kann eine Rezension nur stichpunktartig vorgehen und einige positive und negative „Auffälligkeiten“ nennen.
Auffällig erscheint in manchen Passagen der „Duktus“ des Kommentars. So wird etwa zur Härtefallregelung in § 23a formuliert: „Bei der Prüfung, ob ein Härtefall vorliegt, hat die Härtefallkommission ausgehend vom Ausnahmecharakter der Vorschrift einen strengen Maßstab anzulegen.“ (Rn.7) oder „Dass der obersten Landesbehörde eingeräumte Ermessen darf allerdings nicht in der Weise ausgeübt werden, dass andere gesetzlich ausdrücklich geregelte Erteilungstatbestände durch Anwendung der Härtefallregelung unterlaufen werden…“(Rn 14). § 26, Rn 16: „wann der Lebensunterhalt ‚weit überwiegend‘ gesichert ist, lässt sich aus dem Gesetz nicht genau ableiten. Man kann aber davon ausgehen, dass dies jedenfalls dann der Fall ist, wenn das Verhältnis der Erwerbseinnahmen zu den staatlichen Leistungen günstiger als im Verhältnis 3:1 stehen“.
Dies wird gesagt ohne jeden Hinweis, aus welchem Grund „man davon ausgehen kann“ oder ohne jedes Zitat, wer außer den Autoren Maaßen und Kluth diese Auffassung noch vertritt. Sie scheint schlicht „aus den Fingern gesogen“. Es fällt nicht nur auf, dass diese Sätze mit keinerlei Rechtsprechung; Verwaltungsvorschriften oder Hinweisen auf die Gesetzesbegründung belegt sind. Sie überschreiten vielmehr die Grenze von der Kommentierung einer Norm zur Verhaltensanweisung an die Entscheidungsträger- als hätte ein Kommentator Dienstanweisungen „ex cathedra“ zu geben. Ein Kommentator ist aber weder Erzieher noch Herausgeber von Verwaltungsvorschriften.
Auch die argumentative „Tiefe“ und die Erörterung kritischer Aspekte lassen nicht ganz selten zu wünschen übrig: Zitiert wird aus Gesetzesbegründungen, Verwaltungsvorschriften und – je nach Geschmack mehr oder weniger umfangreich – aus der Rechtsprechung. Eigene kritische Denkansätze kommen bei manchen Autoren kaum vor. Wenn Maor etwa den neuen § 12a kommentiert (hat er ihn als Regierungsdirektor im BMI auch konzipiert?), fehlt jegliche Reflexion dazu, ob diese Norm tatsächlich integrationsfördernd wirken kann oder genau das Gegenteil erreicht, in dem sie die Freizügigkeit anerkannter Flüchtlinge gravierend einschränkt. Dass z.B. die Verwaltungen der Kommunen in NRW die Regelung nur sehr zögerlich anwenden, zeigt, dass aus dortiger Sicht jedenfalls die negativen Aspekte eher überwiegen. Ähnliche kritische Überlegungen fanden sich schon vor Erlass der Regelung in der Literatur und finden sich dort weiterhin. Dazu aber kein Wort von Maor, nicht einmal der Hinweis, dass andere als seine Meinung/Auslegung vertreten wird.
Wenn Kluth zu § 25 b (Rn 16) Unklarheiten des Gesetzeswortlautes rügt und feststellt, dass Gesetz lasse in Bezug auf die Frage, was eine „häusliche Gemeinschaft mit Minderjährigen“ bedeute, mehr offen, als es regelt, ist diese Feststellung sicher richtig. Daraus folgert Kluth aber nicht, dass eine kritische Reflexion der Norm geboten ist und die Frage gestellt werden sollte, ob die unklaren Formulierungen möglicherweise in unklarer Denkvorstellung oder einem wenig durchdachten politischen Kompromiss des Gesetzgebers ihren Ursprung haben. Vielmehr gibt er ein weiteres Mal Verhaltensanweisungen: die erforderliche Offenheit habe zur Folge, dass in der Praxis kaum mehr verlangt werden könne, als eine faktische häusliche Gemeinschaft die zur Begründung der Privilegierung jedenfalls einige Zeit vor Antragstellung bereits bestanden haben müsse und von deren Fortbestand für die nahe Zukunft ausgegangen werden könne. Dies sei von der Behörde zu berücksichtigen. Anhaltspunkte dazu, dass außer ihm noch jemand diese Auffassung vertritt oder sie z.B. durch Rechtsprechung oder Verwaltungsvorschriften abgesichert wäre, fehlen. Genau das ist aber die Aufgabe des Kommentars, statt „Verhaltensanweisungen“ für Ausländerbehörden zu geben ist der Sinngehalt einer Norm auszulegen nach den üblichen juristischen Auslegungsmethoden und unter Beiziehung der Gesetzesbegründung, der Rechtsprechung-und nicht zuletzt eigener Gedanken zur Sinnhaftigkeit gesetzlicher Regelungen. Diese Dimension fehlt der Argumentation von Kluth nicht nur an dieser Stelle vollständig.
Positiv stechen z.B. die umfangreichen und abgewogenen, kritisch reflektierenden Kommentierungen Tewochts zu den familienrechtlichen Vorschriften der § 30 – 36, Breidenbachs zu den Beschäftigungsvorschriften der §§ 18- 19a oder Hörichs zu den ordnungsrechtlichen Vorschriften der §§ 46 ff hervor oder jene von Eichenhofer zu den „integrationrechtlichen“ Vorschriften (§ 44 – 45a). Als hilfreich kann auch die Kommentierung von Hofmann zu Art 8 EMRK angesehen werden(S. 1665 – 1694), die besonders sorgfältig die einschlägige (und oft schlecht zugängliche) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte referiert.
Diskussion
Die oben benannte „hochkarätige“ AutorInnenriege liess erwarten: In diesem Buch wird seriös argumentiert unter Heranziehung von Rechtsprechung Gesetzesmaterialien, Literatur und Verwaltungsvorschriften. Kritische Auseinandersetzung mit einzelnen Normen, wie sie etwa den Kommentar von Hofman et al. prägt, findet aber nur bei wenigen Autoren und insgesamt in eher geringem Umfang statt. Man referiert vielmehr biederer Weise aus den Gesetzesbegründungen, „was der Fall ist“ und ergeht sich über weite Strecken in Verhaltensanweisungen – nur: an wen? Ausländerbehörden, die möglichst restriktiv mit den Normen umgehen sollen? Gerichte – die sich seit Langem anderer Standard-Kommentare bedienen? Der „Wissenschaft“, die seit Langem andere Kommentare nutzt?
Wer bereit ist, über 130,00 € für einen Kommentar auszugeben, sollte gut überlegen, was sonst noch auf dem Markt sich findet (etwa das Handbuch von Marx, der Kommentar von Hofman o.ä). Wer diesen Kommentar im Rahmen eines der „online-Module“ des Beck-Verlages mitgeliefert bekommt und dafür monatlich Lizenzgebühren zahlt, erhält zugleich die Möglichkeit, die anderen Verlagsangebote zum Ausländer-/Migrationsrecht zu nutzen. Davon sollte man Gebrauch machen.
Fazit
Die Idee, einen Kommentar „on-line“ zu erstellen, der mehrfach im Jahr kurzfristig überarbeitet wird (wobei dann auch mal „danebengegriffen“ oder eher „dünn“ argumentiert werden darf, weil es um Schnelligkeit beim Erläutern neuer Vorschriften geht), erscheint zeitgemäß. Die AutorInnen hätten fraglos auch „das Zeug dazu“, Kommentierungen kompetent zu schreiben.
Die „Print-Ausgabe“ vermittelt aber leider den Eindruck, dass einige Autoren sich dabei nur wenig Mühe gegeben haben. Es wäre die Aufgabe der Herausgeber gewesen, einige „mit heißer Nadel genähte“ Kommentierungen den Autoren, die eher ideenlos geschrieben haben, zumindest für die gedruckte Fassung zur Nachbesserung zurückzugeben. Vielleicht hatten jene Mitarbeitenden schlicht nicht die Zeit, sich neben anspruchsvollen Hauptaufgaben um diese „Nebenaufgabe“ angemessen zu kümmern. Dann allerdings sollte man es lieber lassen, statt zu einem Buch beizutragen, das teuer ist und beim Leser Erwartungen weckt, die aber nur zu geringem Teil eingelöst werden. Diesem Buch kann man in dieser Form keine Neuauflage wünschen.
Rezension von
Prof. Dr. Holger Hoffmann
Pensionierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen
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Es gibt 13 Rezensionen von Holger Hoffmann.
Zitiervorschlag
Holger Hoffmann. Rezension vom 27.12.2017 zu:
Winfried Kluth, Andreas Heusch (Hrsg.): Ausländerrecht. Verlag C.H. Beck
(München) 2016.
ISBN 978-3-406-69932-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/21925.php, Datum des Zugriffs 14.11.2024.
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