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Kristina Reiss, Christine Sälzer u.a. (Hrsg.): PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Heekerens, 21.12.2016

Cover Kristina Reiss, Christine Sälzer u.a. (Hrsg.): PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation ISBN 978-3-8309-3555-1

Kristina Reiss, Christine Sälzer, Anja Schiepe-Tiska, Eckhard Klieme, Olaf Köller (Hrsg.): PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2016. 504 Seiten. ISBN 978-3-8309-3555-1. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR.

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Thema

Das Buch stellt Anlage und Ergebnisse des Programme for International Student Assessment (PISA) 2015 und in diesem Zusammenhang interessierende Daten und Analysen vor.

Entstehungshintergrund

PISA (https://de.wikipedia.org/wiki/PISA-Studien) ist eine international-vergleichende die drei Bereiche Lesekompetenz, mathematische Kompetenz und naturwissenschaftliche Grundbildung (Literacy und Numeracy) betreffende und bei 15-Jährigen am Ende der Sekundarstufe I durchgeführte Schulleistungsstudie, die seit 2000 alle drei Jahre (im Frühjahr) durchgeführt wird. Deutschland hat sich an allen PISA-Studien beteiligt; so auch bei jüngsten, deren Daten im Frühjahr 2015 erhoben wurden.

Herausgeber(innen)

  • Kristina Reiss ist Vorstandsvorsitzende des Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB; http://zib.education/startseite.html), eines An-Instituts der TU München. Beim ZIB lag das nationale Projektmanagement für PISA 2015. Kristina Reiss ist Inhaberin des Heinz Nixdorf-Stiftungslehrstuhl für Didaktik der Mathematik an der TUM School of Education, einer Fakultät („Die Bildungsfakultät“) der TU München. Im o. g. ZIB kooperieren die TUM School of Education, das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF, Frankfurt a. M.) und das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN, Kiel).
  • Bei der Erziehungswissenschaftlerin und Bildungsforscherin Christina Sälzer, seit Ende 2010 an der TUM School of Education und im ZIB tätig, lag die operative Projektleitung bei PISA 2015.
  • Ihre Vertretung hatte die Psychologin Anja Schiepe-Tiska, kurz nach Christina Sälzer an die TUM School of Education und ins ZIB gekommen.
  • Eckhard Klieme 2. Vorsitzender des ZIB, vertritt dessen zweiten Kooperationspartner, das DIPF, wo er seit 2001 Direktor des Arbeitsbereichs „Bildungsqualität und Evaluation“ ist.
  • Die dritte der im ZIB kooperierenden Institutionen, das IPN, ist vertreten durch das ZIB – Vorstandsmitglied Olaf Köller, der ist seit 2009 Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN ist.

Die Herausgeber(innen) fungieren – neben anderen Personen – auch als Autor(inn)en; alle Autor(inn)en werden nachfolgend beim jeweiligen Beitrag namentlich aufgeführt.

Aufbau und Inhalt

Vor Darstellung einzelner Untersuchungsschritte und -ergebnisse scheinen einige Vorbemerkungen angebracht. Mit PISA 2015 liegen die Ergebnisse aus der sechsten PISA-Erhebungsrunde vor, bei der diesmal die Naturwissenschaften im Mittelpunkt stehen. Damit ist der zweite Zyklus der PISA-Studie (2000-2006, 2009-2015) abgeschlossen, und jede der drei untersuchten Grundbildungsdomänen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften bildete zweimal den inhaltlichen Schwerpunkt.

In PISA 2015 wurden bewährte Prozeduren weitergeführt, aber auch eine Reihe von Neuerungen eingeführt. Die wichtigste Änderung für die Testteilnehmer(innen) war die Umstellung auf computerbasiertes Testen. Zu ihren Erfahrungen im Umgang mit Computern befragt, geben sich Jugendliche in Deutschland zum Teil durchaus selbstbewusst, im Unterricht nutzen sie den Computer aber im internationalen Vergleich eher wenig. Außerdem wurde in PISA 2015 ein verfeinertes Modell zur Skalierung der Daten verwendet, welches neben der Schwierigkeit der Testaufgaben und der Fähigkeit der Jugendlichen auch das Potenzial von Testaufgaben berücksichtigt, tatsächlich kompetente von weniger kompetenten Schülerinnen und Schülern zu unterscheiden.

Durch diese Neuerungen ist bei der Beschreibung und Interpretation von Trends, also einem Vergleich von PISA 2015 mit früheren PISA-Erhebungsrunden, Vorsicht geboten. Die Umstellung vom Papier- auf das Computerformat lässt unter anderem so genannte Modus-Effekte erwarten, also eine systematische Änderung der Schwierigkeit von Aufgaben. Auch der Wechsel des Skalierungsmodells sowie Modifikationen im Testdesign sind Innovationen bei PISA 2015, die einen Vergleich mit früheren PISA – Runden erschweren. Entsprechend vorsichtig wird im nationalen Bericht für Deutschland in Bezug auf Trends argumentiert. Plausible Erklärungen für mögliche Veränderungen in der Kompetenz der Schülerinnen und Schüler werden unter Bezug auf die wissenschaftliche Literatur diskutiert.

In ihrem Vorwort weisen die Herausgeber(innen) auf die genannten Besonderheiten von PISA 2015, die aus Forschungsperspektive Herausforderungen darstellen, hin, um abschließend zu formulieren: „Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen werden die Befunde im hier vorliegenden nationalen Berichtsband interpretiert und in den Kontext des deutschen Bildungssystems eingeordnet. Wir argumentieren insbesondere im Hinblick auf die Trends in den erreichten Leistungen vorsichtiger als in den letzten Berichtsbänden. Sicher scheint allerdings zu sein, dass sich Deutschland in Bezug auf die Kompetenzen weiterhin auf guten oberen Plätzen im Vergleich der OECD-Staaten befindet und auch PISA 2015 ein positives Bild für das deutsche Bildungssystem zeichnet.“ (S. 12)

Im Mittelpunkt des 1. Kapitels PISA 2015 – die aktuelle Studie (Christine Sälzer & Kristina Reiss) stehen die Darstellung der genannten Besonderheiten von PISA 2015 sowie Hinweise auf deren Auswirkungen für die Interpretation von Befunden.

Naturwissenschaftliche Kompetenz in PISA 2015 – Ergebnisse des internationalen Vergleichs mit einem modifizierten Testansatz, verfasst von Anja Schiepe-Tiska, Silke Rönnebeck, Katrin Schöps, Knut Neumann, Stefanie Schmidtner, Ilka Parchmann und Manfred Prenzel ist das erste Ergebniskapitel, das sich hinsichtlich der Resultate so darstellen lässt: Mit 509 Punkten liegen die Schüler(innen) und in Deutschland (erneut) signifikant (um 16 Punkte) über dem OECD-Durchschnitt. Deutschland gehört damit zu jenen Staaten, die der Spitzengruppe mit Japan, Estland, Finnland und Kanada folgt. Im Vergleich PISA 2006, als die Naturwissenschaften das letzte Mal als Schwerpunktdomäne untersucht wurden, zeichnen sich für Deutschland keine signifikanten Veränderungen – weder nach oben noch nach unten – ab.

Ergänzend seien drei differenzierende Resultate genannt. Was zunächst den unteren Bereich der Kompetenzverteilung betrifft, so befinden sich im OECD-Durchschnitt 21 Prozent auf den Kompetenzstufen Ia und Ib bzw. darunter; in Deutschland ist dieser Anteil mit 17.0 Prozent signifikant niedriger. Beim Blick auf die Hochkompetenten (Stufen V und IV) zeigt sich: Deutschland liegt bald 11 Prozent signifikant über dem OECD-Durchschnitt (knapp 8 Prozent). Schließlich: Im OECD-Durchschnitt zeigt sich bei PISA 2015 erstmals eine statistisch signifikante Differenz der naturwissenschaftlichen Kompetenz von vier Punkten zugunsten der männlichen Jugendlichen; auch in einem Großteil der OECD – Staaten (15) erreichen Jungen signifikant höhere mittlere Kompetenzwerte als Mädchen, 10 Punkte sind es in Deutschland.

Die zentralen Ergebnisse des 3. Kapitels Motivationale Orientierungen, Selbstbilder und Berufserwartungen in den Naturwissenschaften in PISA 2015 von Anja Schiepe-Tiska, Inga Simm und Stefanie Schmidtner sind folgende: Die Schüler(innen) in Deutschland berichten allgemein über weniger Freude über und Interesse an Naturwissenschaften, interessieren sich jedoch im Vergleich zum OECD-Durchschnitt überdurchschnittlich stark für verschiedene naturwissenschaftliche Themen – vor allem aus den Bereichen „lebende Systeme“ sowie „Erd- und Weltraumsysteme“. Nur die Hälfe bewertet Naturwissenschaften als wichtig für ihr späteres Leben (instrumentelle Motivation) und auch in dem, was sie sich in Bezug auf die Naturwissenschaften zutrauen (Selbstwirksamkeitserwartungen), liegt ein großes Verbesserungspotenzial.

Differenzierende und längsschnittlich ermittelte Ergebnis runden das Bild ab. Im internationalen Vergleich besonders auffällig sind die in Deutschland zu findenden Geschlechterdifferenzen in allen Schülermerkmalen zugunsten der Jungen. Betrachtet man die Veränderungen von PISA 2006 zu PISA 2015, so ist eine Abnahme an Freude und Interesse, instrumenteller Motivation und Selbstwirksamkeitserwartung zu beobachten. Anders ist es bei der Tendenz, später einen naturwissenschaftlichen Beruf ergreifen zu wollen: Die ist zwar etwas geringer als im Vergleich zum OECD-Durchschnitt, im Vergleich zu PISA 2006 jedoch angestiegen.

Die beiden nächsten Kapitel berichten über Kontextbedingungen von PISA 2015; zunächst ist

Naturwissenschaftlicher Unterricht in Deutschland in PISA 2015 im internationalen Vergleich (Anja Schiepe-Tiska, Stefanie Schmidtner, Katharina Müller, Jörg-Henrik Heine, Knut Neumann & Oliver Lüdtke) das Thema, anschließend Schulische Rahmenbedingungen der Kompetenzentwicklung von Christine Sälzer, Manfred Prenzel, Anja Schiepe-Tiska und Marcus Hammann.

Die beiden folgenden Kapitel sind wieder Ergebniskapitel. Zunächst stellen Sabine Hammer, Kristina Reiss, Matthias C. Lehner, Jörg-Henrik Heine, Christine Sälzer und Aiso Heinze Mathematische Kompetenz in PISA 2015: Ergebnisse, Veränderungen und Perspektiven vor. Deutschland liegt mit durchschnittlich 506 Punkten signifikant (16 Punkte) über dem OECD-Durchschnitt; im Vergleich zu PISA 2012 hat sich dieser Wert nicht signifikant verändert, wohingegen sich die Leistungsstreuung

reduziert hat. Im internationalen Vergleich befindet sich Deutschland weiterhin im oberen Drittel der OECD-Staaten, auch wenn der Anschluss an die Spitzengruppe nicht gelingt.

Nach wie vor gibt es deutliche Leistungsunterschiede in Mathematik zwischen Mädchen und Jungen; diese verfügen offensichtlich über eine höhere mathematische Kompetenz als Mädchen, insbesondere überwiegt der Anteil der Jungen im oberen Leistungsbereich, während sich im unteren Leistungsbereich verstärkt Mädchen finden. Rein biologisch („Sex“) sind die Geschlechtsunterschiede nicht zu erklären, da spielt auch das Soziale („Gender“) eine Rolle; Deutschland gehört nämlich zu den OECD-Staaten, in denen die Diskrepanz der mathematischen Kompetenz zwischen den Geschlechtern am größten ist. Der Anteil leistungsschwacher Schüler(innen), derjenigen also, die lediglich über sehr grundlegende mathematische Kenntnisse verfügen, konnte im Vergleich zu PISA 2012 nicht reduziert werden, ist aber deutlich geringer als bei PISA 2000. Was die den oberen Bereich der Leistungsskala anbelangt: An den Gymnasien ist der Anteil besonders Leistungsstarker gegenüber PISA 2012 zurückgegangen; an den nicht-gymnasialen Schularten zeigt sich diese Entwicklung nicht.

Über Lesekompetenz in PISA 2015: Ergebnisse, Veränderungen und Perspektiven referieren Mirjam Weis, Fabian Zehner, Christine Sälzer, Anselm Strohmaier, Cordula Artelt und Maximilian Pfost. Deutschland liegt mit 509 Punkten signifikant höher ist als der OECD-Durchschnitt (493 Punkte). Insgesamt befindet sich Deutschland im Vergleich mit den anderen OECD-Staaten im oberen Drittel der Rangreihe. Die Gruppe der besonders leistungsstarken Schüler(innen) ist in Deutschland signifikant größer als im Durchschnitt der OECD-Staaten, die Gruppe der sehr leistungsschwachen Schüler(innen) hingegen signifikant kleiner. Vertiefende Analysen zeigen eine höhere Lesekompetenz bei Schüler(innen) am Gymnasium als bei solchen an nicht-gymnasialen Schularten. Ferner verfügen Mädchen in Deutschland über eine höhere Lesekompetenz als Jungen, wobei sich dieser Geschlechterunterschied im Vergleich zu früheren Erhebungsrunden deutlich verringert hat.

Zuletzt war die Lesekompetenz in der PISA-Studie 2009 Hauptdomäne. Damals lag die Lesekompetenz der Schüler(innen) in Deutschland noch im Durchschnitt der OECD-Staaten; seitdem ist die Lesekompetenz der 15-Jährigen Deutschland deutlich gestiegen; es sind vor allem die Jungen, die 2015 im Vergleich zur Erhebung im Jahr 2009 eine höhere Lesekompetenz zeigen. Ferner ist die Gruppe der besonders leistungsstarken Schüler(innen) in Deutschland seit 2009 signifikant gewachsen.

Das 8. Kapitel gilt dem Thema Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb (Katharina Müller & Timo Ehmke). In allen bisherigen PISA-Erhebungsrunden wurde sichtbar, dass soziale Disparitäten sowohl mit der Bildungsbeteiligung als auch mit der Kompetenz in einem Zusammenhang stehen. Solche Zusammenhangsanalysen werden bei PISA jeweils nur für die Hauptdomäne – in PISA 2015: die Naturwissenschaften durchgeführt.

Der deutsche Bericht zu PISA beschreibt den sozio-ökonomischen Hintergrund traditionell differenzierter als die OECD, indem neben Indizes zu Sozialstatus, Bildungsniveau und vorhandenem Kapital auch eine Klassifizierung nach beruflicher Stellung der Eltern erfolgt.

Die Analysen zeigen (auch diesmal), dass es in Deutschland einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem sozio-ökonomischen Hintergrund und dem – hier naturwissenschaftlichen -Kompetenzniveau der Schüler(innen) gibt. Zugleich wird sichtbar, dass die Abstände im Kompetenzniveau zwischen sozialen Schichten in den letzten Jahren kleiner geworden sind. Die Ergebnisse von PISA 2016 zeigen aber auch, dass hier Verbesserung sowohl nötig als auch möglich ist. Zur Illustration ein Beispiel. Nimmt man als Indikator für den sozio-ökonomischen Hintergrund den Index HISEI (Wert des „höheren“ Elternteils nach dem International Socio-Economic Index of Occupational Status) dann zeigt sich folgendes Bild (vgl. S. 293 Abb. 8.1): Deutschland liegt nahe beim OECD-Durchschnitt, aber signifikant über diesem, d.h. mit signifikant geringerer Abhängigkeit der Kompetenz vom sozio-ökonomischen Hintergrund, liegen 13 Staaten; angeführt wird diese Liste von Norwegen, Island, Israel, Kanada und Schweden.

Danach betrachten Dominique Rauch, Julia Mang, Hendrik Härtig und Nicole Haag die

Naturwissenschaftliche Kompetenz von Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungshintergrund. Der Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund in Deutschland ist seit 2006 gestiegen und beträgt derzeit etwa 28 Prozent. Gleichzeitig hat die Heterogenität bei den Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund zugenommen – in Bezug auf ihre Herkunftsländer. Nach wie vor verfügen Familien von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland über geringere sozio-ökonomische und kulturelle Ressourcen. Ebenso wie in den meisten europäischen Nachbarstaaten zeigen Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland bei PISA 2015 (ohne Kontrolle von sozio-ökonomischem Hintergrund!) geringere naturwissenschaftliche Kompetenzen, wobei für Jugendliche der ersten Generation besonders hohe Disparitäten bestehen. Im Gegensatz zu den Bereichen Lesen in PISA 2009 und Mathematik in PISA 2012 konnte für die Naturwissenschaften keine Verringerung migrationsbezogener Disparitäten seit dem Bezugsjahr 2006, in dem sie ebenfalls Hauptdomäne waren, festgestellt werden

Im 10. Kapitel nehmen Nina Jude, Silke Hertel, Susanne Kuger & Christine Sälzer Die Lernumgebung in der Familie und die elterliche Unterstützung in den Blick. Die Angaben, aufgrund derer die Konstrukte „Lernumgebung in der Familie“ und „elterliche Unterstützung“ gebildet wurden, beruhen auf Auskünften von Eltern bzw. Erziehungsberechtigten (PISA-Elternfragebogen); das weckt Zweifel an der Gültigkeit (Validität) der Daten. Während die Autorinnen des Beitrags diesem Umstand wenig Gewicht beimessen, weisen sie auf folgende drei Punkte hin: „Bei der Auswertung und der Interpretation der Ergebnisse des Elternfragebogens sind drei Aspekte besonders zu berücksichtigen: Erstens ist ein umfassender internationaler Vergleich nur eingeschränkt möglich, da nicht alle Teilnehmerstaaten diesen Fragebogen einsetzen. Zweitens ist aufgrund der Freiwilligkeit der Teilnahme mit einem eingeschränkten Rücklauf [faktische Rücklaufquote: 52 Prozent] zu rechnen. Analysen aus dieser sowie aus vorangegangen PISA-Erhebungsrunden weisen zudem darauf hin, dass der Ausfall systematisch mit familiären Hintergrundmerkmalen (sozioökonomischer Status sowie Migrationshintergrund) zusammenhängt. Drittens ist zu beachten, dass die PISA-Studie als Querschnittserhebung angelegt ist. Die untersuchte Kohorte wird nur einmalig am Ende der Pflichtschulzeit befragt. Dieses Design erlaubt allenfalls Aussagen über (korrelative) Zusammenhänge unterschiedlicher Indikatoren zum Zeitpunkt der Datenerhebung. Aussagen über (kausale) Ursache-Wirkungszusammenhänge sind auf der Ebene von Schülerinnen und Schülern sowie der Eltern nicht möglich.“ (S. 354 – 355)

Die Aussagekraft der im vorliegenden Kapitel zu findenden Resultate ist also stark eingeschränkt und mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Aus diesem Grund werden hier, wo dies nur in stark verkürzter Form erfolgen könnte, keine Analyseergebnisse präsentiert, da dies Anlass zu verfehlten Interpretationen wäre. Für an der Fragestellung interessierte Leser(innen), die methodische Umsicht walten lassen, sei die Lektüre des Beitrags in seiner Gänze nahe gelegt.

PISA ist so alt wie die bei PISA 15 untersuchten Schüler(innen). Aus Fünfzehn Jahre PISA: Bilanz und Ausblick von Kristina Reiss und Christine Sälzer seien aus der Längsschnittbilanz von PISA 2000 bis PISA 2015 fünf Punkte aufgeführt:

  1. Deutschland hat (von einer niedrigen Ausgangslage aus!) eine – im Vergleich mit anderen Ländern einzigartige – positive Entwicklung in allen drei Kompetenzbereichen (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften).
  2. Der Anteil sehr schwacher Schüler(innen) ist in allen drei Kompetenzbereichen gesunken. Zu diesem Erfolg („Kein Kind zurücklassen“) haben vor allem die nicht- gymnasialen Schularten beigetragen.
  3. An der Leistungsspitze ist ein vergleichbarer positiver Trend, für den vor allem die Gymnasien sorgen müssten, nicht zu verzeichnen.
  4. Bei den Disparitäts-Faktoren Geschlecht und Migrationshintergrund gibt es keinen einheitlich positiven Trend.
  5. Für den Disparitäts-Faktor soziale Herkunft formulieren die Autorinnen: „Mit Blick auf die bisher vorliegenden PISA-Runden scheint sich Deutschland diesbezüglich am Anfang eines guten Weges zu befinden.“ (S. 379) Kristina Reiss (s. o.), in deren Händen die Gesamtverantwortung für den deutschen Part von PISA 2015 lag, hat in einem ZEIT-Interview (Kerstan & Spiewak, 2016, S. 76) Folgendes präzisierend und differenzierend angemerkt: „Deutschland ist über die Jahre spürbar und messbar sozial gerechter geworden, das muss bei aller Kritik festgehalten werden. Bei der Lesefähigkeit sieht man das besonders deutlich: Bei den Akademikerkindern hat sich fast nichts verändert, die Leistungen der Arbeiterkinder hingegen haben sich massiv verbessert.“ Und kurz darauf: „Es bleibt aber noch viel zu tun. Gerade bei den Naturwissenschaften sind wir noch immer ungerechter als der internationale Durchschnitt. Die Leistungen der Schüler hängen immer noch zu stark von ihrer sozialen Herkunft ab.“

Das 12. und 13. Kapitel ist der Darstellung von Details des Forschungsdesigns und der Untersuchungsmethodik gewidmet: Kompetenzmessung in PISA 2015 (Jörg-Henrik Heine, Julia Mang, Lars Borchert, Jens Gomolka, Ulf Kröhne, Frank Goldhammer & Christine Sälzer) und Die Erhebung von Lern- und Lehrkontexten, Hintergrundmerkmalen und nichtleistungsbezogenen Lernergebnissen in PISA 2015 (Nina Jude, Eckhard Klieme, Susanne Kuger & Fabian Zehner).

Im 14. und letzten Kapitel wird ein Glossar zentraler Begriffe zu den PISA-Ergebnissen (Christine Sälzer, Kristina Reiss & Jörg-Henrik Heine) vorgestellt, das von „Antwortformate“ bis „Varianz“ reicht.

Der Anhang enthält eine Reihe von Tabellen; denen folgen ein Abbildungs- sowie Tabellenverzeichnis und Kurzporträts der Autor(inn)en.

Diskussion

Das Buch bietet zu hiesigen Schüler(innen) am Ende der Sekundarstufe I und damit an einer Schlüsselstelle ihrer Bildungslaufbahn eine breite und aktuelle Bestandsaufaufnahme der Kernkompetenzen und der sie beeinflussenden Faktoren. Zusammen mit den gleichzeitig veröffentlichten Ergebnissen von und Analysen zu TIMSS 2015 (Wendt u.a., 2016), wo das am Ende der Grundschulzeit, ebenfalls eine schulische Schlüsselstelle, ausgeleuchtet wird, zeichnet es ein detailliertes Bild vom Leistungsvermögen der deutschen Schule und seinen Schwächen (vgl. dazu auch Bonsen & Priebe, 2016).

Fazit

Das Buch gehört in mindestens zwei Exemplaren in die Bibliothek jeder Hochschule oder Hochschulabteilung für Soziale Arbeit; eines davon in die Präsenzabteilung. Und natürlich sollte es – zumindest kapitelweise – von Studierenden und Lehrenden auch gelesen werden – insbesondere die drei (Ergebnis-)Kapitel zu Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften, wo auch von geschlechtsspezifischen Unterschieden berichtet wird, die beiden Diversitäts – Kapitel zu Migrationshintergrund bzw. sozialer Herkunft (vgl. dazu Heekerens, 2012, 2013a, 2013b) sowie – mit methodisch gebotener Vorsicht (s. o.) – das zu Lernumgebung in der Familie und elterlicher Unterstützung.

Literatur

  • Bonsen, M. & Priebe, B. (Hrsg.) (2016). PISA – Folgen und Fragen. Anstöße zur Qualitätsentwicklung im Bildungssystem. Selze: Friedrich Verlag (www.socialnet.de/rezensionen/22004.php).
  • Heekerens, H.-P. (2012). Perspektivenwechsel in der Bildungsdebatte. Sozialmagazin, 37(3), 44-54.
  • Heekerens, H.-P. (2013a). Die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland dauert an. Neue Praxis, 43, 581-588.
  • Heekerens, H.-P. (2013b). Ein verlorenes Jahrzehnt. Bildungsgerechtigkeit im Spiegel jüngster Schulleistungsstudien. Unsere Jugend, 65, 485-494.
  • Kerstan, T. & Siewak, M. (2016). „Wir klagen auf hohem Niveau“. DIE ZEIT 51/2016 vom 8.12.2016, S. 75-76.
  • Wendt, H., Bos, W., Selter, C., Köller, O., Schwippert, K. & Kasper, D. (Hrsg.) (2016). TIMSS 2015. Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann (www.socialnet.de/rezensionen/22014.php).

Rezension von
Prof. Dr. Dr. Hans-Peter Heekerens
Hochschullehrer i.R. für Sozialarbeit/Sozialpädagogik und Pädagogik an der Hochschule München
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Es gibt 178 Rezensionen von Hans-Peter Heekerens.

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Zitiervorschlag
Hans-Peter Heekerens. Rezension vom 21.12.2016 zu: Kristina Reiss, Christine Sälzer, Anja Schiepe-Tiska, Eckhard Klieme, Olaf Köller (Hrsg.): PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2016. ISBN 978-3-8309-3555-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/22060.php, Datum des Zugriffs 11.12.2023.


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