Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt
Rezensiert von Arnold Schmieder, 07.04.2017

Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt. Suhrkamp Verlag (Berlin) 2016. 266 Seiten. ISBN 978-3-518-42563-3. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.
Thema
Was dem Autor vor wenigen Jahrzehnten die Risikogesellschaft war, ist hier in die Metamorphose der Welt erweitert, wobei es immer noch, aber nicht nur und auch anders um Globalisierung, mehr oder minder dramatische Veränderungen der Arbeitswelt und Prozesse der Individualisierung geht, was jedoch alles in den Sog einer Metamorphose der Welt gerät und zunächst zu Orientierungslosigkeit führt, da Fixpunkte verschwimmen, die wie in Theorien sozialen Wandels ausweisen, was beständig bleibt und was sich in welche Richtung verändert. Darum müssten wir in Bezug auf die allermeisten problematischen Phänomene den „Bezugsrahmen des gesellschaftlichen Wandels durch den der Metamorphose ersetzen“. (S. 248) Die Metamorphose habe gegenwärtig zur Folge, dass nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im Alltagsbewusstsein der Menschen weltweit Interpretationen bis Meinungen changieren, wobei der gemeinsame Nenner laut Beck ist: „Ich begreife die Welt nicht mehr.“ Darum tritt der Autor an, „zwischen Wandel der Gesellschaft und Verwandlung der Welt“ zu unterscheiden, eine „Zustandsbeschreibung der Verwandlung“ zu präsentieren, der „Metamorphose“, die „den Gewissheiten moderner Gesellschaften den Boden unter den Füßen weg(zieht).“ Mit solcher Metamorphose, so gleich im Vorwort, und zwar in der Spannbreite von Mauerfall über Klimawandelfolgen bis Snowdens Entlarvung totalitärer Überwachung digitaler Kommunikation, seien wir in jüngster Vergangenheit konfrontiert worden. Es sind „Nebenfolgen“, die Gewissheiten nicht nur erschüttern, wo das „gestern Undenkbare heute nicht nur möglich, sondern längst Realität geworden ist.“ Was daraus folge, liefe jedes Mal nach demselben Muster ab: „Was vorab als vollkommen unvorstellbar ausgeschlossen wurde, tritt jetzt ein – als Ereignis von globaler Bedeutung, das die Massenmedien in jedes Wohnzimmer des Planeten tragen.“ (S. 11 f.)
Um nicht in eine Reihe mit den „Katastrophikern“ gestellt zu werden, die wie Raupen „keine Idee von Metamorphose“ haben und nicht „zwischen Zerfall und Anders-Werden“ zu unterscheiden vermögen und „die Welt und ihre Werte untergehen“ sehen, um auch nicht gleich in die Riege der eher Optimistischen eingereiht zu werden, betont der Verfasser, in seinem Buch gehe es nicht darum, „Optimist oder Pessimist zu sein, sondern darum, die dystopisch-pessimistische Konstellation durch Bestimmung ihrer soziologischen, politischen und kulturellen Quellen und Bedingungen zu entlarven“ – weil, wenn wir die Metamorphose verstehen wollen, wir den „Blick nicht nur auf zerfallende gesellschaftliche und politische Realitäten“ richten müssen und dürfen, „sondern auch auf die Neuanfänge“. (S. 31 f.)
Dabei wirft er die Frage auf, ob nicht „die sich anbahnende Katastrophe des Klimawandels auf ähnliche Weise wie der Zweite Weltkrieg das Potenzial einer emanzipatorischen Katastrophe und damit die Verwirklichung kosmopolitischer Institutionen“ hat. Dann, so der vorsichtige Ausblick, würde es sich um die „positiven Nebenfolgen von bads“ handeln, welche „normative Horizonte des Gemeinwohls“ hervorbrächten und die „nationale hinter der kosmopolitische Perspektive zurücktreten“ ließen, was er „emanzipatorische(n) Katastrophismus“ nennt, der ihm natürlich nicht wünschenswert erscheint. (S. 153 f.)
Vorab aber sind auch unter dem Blickwinkel der Metamorphose, wie sie „gerade mit den Erfolgen der Modernisierung voranschreitet und an Tempo gewinnt“ (S. 241), „Konfliktlinien“ wie die weltweite „ökonomische Kluft“ nicht zu übersehen (S. 248), eine globale „Zunahme sozialer Ungleichheit“, die erst im Zuge eines „postkolonialen Gleichheitsdiskurs“ politisch umschlüge, weil nicht die Sache an sich zu „politischen Konflikten“ führe, „solange es keine globalen Gleichheitserwartungen gibt.“ (S. 249) Überhaupt sei „Ungleichheit zu einer in sozialer und politischer Hinsicht explosiven Kernfrage geworden. Ihre Gefährlichkeit entsteht heute vor allem im Kontext sogenannter ‚Natur‘-Katastrophen, die in Wirklichkeit vom Menschen herbeigeführt sind, und vor dem Horizont eines Gleichheitsversprechens, das für alle gilt.“ (S. 253) Was zu prognostizieren sei und sich „heute schon abzeichnet“, sei ein „neuer globaler Umverteilungskampf“, der sich „in Zukunft vermutlich dramatisch verschärfen“ würde. (S. 252)
Entstehungshintergrund
In einer Vorbemerkung zur „Geschichte eines unvollendeten Buches“ lässt Elisabeth Beck-Gernsheim die LeserInnen wissen, dass es sich um eine bearbeitete vorläufige Fassung aus der Feder von Ulrich Beck handelt und er nicht mehr selbst dazu gekommen ist, alle Rückmeldungen und Kommentare aufzunehmen. Ulrich Beck ist im Januar 2015 verstorben und nicht nur darum viel zu früh, weil er sein Vorhaben über die Metamorphose der Welt nicht selbst zu einem Ende bringen konnte. Das hat Elisabeth Beck-Gernsheim zusammen mit WeggefährtInnen und KollegInnen und unter Rückgriff auf fertige Vorarbeiten besorgt.
Zunächst ist das Buch 2016 auf Englisch erschienen. Angesichts der Einbettung Becks in die internationale Scientific-Community ist das nur folgerichtig. Frau Beck-Gernsheim gibt in ihrer Vorbemerkung der Hoffnung Ausdruck, dass mit der vorliegenden Monographie die „Vision zu erkennen“ ist, mit der Ulrich Beck „den langen Weg zur Metamorphose begann“ (S. 10), wie er nun auch in der deutschsprachigen Ausgabe dokumentiert ist.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist nebst Vorbemerkung und Vorwort sowie einer Bibliographie in drei Hauptkapitel gegliedert, die in insgesamt zwölf Unterkapitel unterteilt sind.
Im ersten Teil wird ausgewiesen, warum es nicht um Wandel geht, sondern die Optik auf die Verwandlung der Welt einzustellen ist. Und bereits hier ist der Klimawandel als ein ganz wesentlicher Bezugspunkt ausgewiesen: „In jenem Moment der Metamorphose, den wir Klimawandel nennen, fließen Natur, Gesellschaft und Politik zusammen. Deshalb kann das Narrativ der Risikogesellschaft auch als Narrativ der Metamorphose der Welt dienen.“ (S. 62) Wichtiges Argument ist, dass die „kosmopolitische Metamorphose des Klimawandels (oder der globalen Risiken im Allgemeinen) (.) sich um gemeinschaftlich produzierte Risikowahrnehmungen und Normhorizonte (dreht): Der Weltuntergang macht vor nichts und niemandem Halt.“ Daher sind angesichts „einer suizidalen (kapitalistischen) Moderne“ wieder politische „Grundfragen“ auf der Tagesordnung, weil das „globale Risiko des Klimawandels (.) so etwas wie ein unumgängliches kollektives Gewissen“ darstellt – „in dem Sinne, dass unsere früheren Entscheidungen und Irrtümer mitverantwortlich sind für die Situation, in der wir uns heute wiederfinden“. Diese bedrohliche Situation ist allerdings eine, „die jederzeit widerrufen werden kann, ein vorläufiger Modus des Handelns, den wir aufgeben können und müssen, wenn durch ihn die ganze Art gefährdet wird.“ Insofern verkörpere der Klimawandel die „Fehler einer ganzen Epoche fortschreitender Industrialisierung“ und die „Selbstgewissheiten des nationalstaatlichen Industriekapitalismus“ würden darum erodieren, weil ihm „seine Fehler in Form einer objektivierten Bedrohung seiner eigenen Existenz gegenübertreten.“ (S. 55 f.) Ein „kosmopolitische(r) Normenhorizont“ keime auf, zumal in Weltstädten, und nationalstaatliche Interessen hätten sich in neue „Formen transnationaler Verantwortung“ einzufinden. Die durch den Klimawandel gestiftete Metamorphose von Politik und Gesellschaft müsse eine „Soziologie des methodologischen Kosmopolitismus aufdecken und analysieren.“ (S. 68 ff.) Dass die Metamorphose zu einem Konzept der „Weltrisikogesellschaft“ (S. 89) nötigt und welche Nebenfolgen beobachtbar sind, wird bereits hier thematisiert. Was vor allem in Frage gestellt ist, sind die „Wahrheiten des Nationalstaates“. (S. 79)
Im zweiten Teil, der mit „Themen“ übertitelt ist, geht es um Nebenfolgen, Begleiterscheinungen und anrainende Problemlagen in Zeiten der Metamorphose. Im Zuge sich weltweit zuspitzender sozialer Ungleichheit verwandeln sich „Klassen (.) in Risikoklassen“ und zugleich ist eine „Metamorphose der Machtverhältnisse in der Weltrisikogesellschaft“ festzuhalten. Das nötigt, „das Paradigma des sozialen Wandels durch das der Metamorphose“ zu ersetzen, womit die „neuen kosmopolitischen Handlungsräume in den Blick“ treten. (S. 129 f.) Das Zentrum der Machtstruktur liege nunmehr in den „Wissenskulturen von Experten“ und solange „man Risikoforschung in den institutionalisierten Denkgleisen des sozialen Wandels betreibt, bleiben die Macht und die Politik der Unsichtbarkeit unsichtbar“ – wie insbesondere am Einfluss von „Atomexperten“ zu demonstrieren. (S. 141 f.) Die Theorie der Weltrisikogesellschaft tritt an, im Sinne jener ‚emanzipatorischen Katastrophen‘ die „positiven Nebenfolgen von bads“ (s.o.) zu erhellen (von denen „immer nur im Rückblick die Rede sein kann“): Wie allenthalben tritt die „kosmopolitische Perspektive“ in den Vordergrund (S. 154), was auch auf ‚digitale Risiken‘ zu wenden ist, ein Blick, der diesbezüglich „einen Horizont für alternative Handlungsweisen eröffnet. Diese neuen Optionen sind kosmopolitisch, insofern sie die Akteure über die Grenzen von Nationalität, Religion, Ethnie und Klasse hinaus miteinander in Berührung bringen und verbinden.“ (S. 195)
Der dritte Teil mit dem Titel „Ausblick“ hat lediglich ein Unterkapitel, welches lautet: „Globale Risikogenerationen: Im Niedergang vereint“. Hier befasst sich Ulrich Beck mit „der ‚Generation Metamorphose‘ und der Metamorphose des Generationenbegriffs“. Er stellt dar und lotet aus, wie man in einer „permanenten Metamorphose“ überlebt, was es für das Selbstverständnis dieser Generation bedeutet. Die junge Generation ist anders betroffen als die ältere. Gleichwohl sind alle Menschen in „Peripherie und Zentrum“ im Sog der Erscheinungsformen dieser Metamorphose, die „nicht auf ein Versagen, eine Krise oder auf Armut zurückzuführen ist, sondern gerade mit den Erfolgen der Modernisierung voranschreitet und an Tempo gewinnt, (.) die durch Nichthandeln nicht gebremst, sondern im Gegenteil noch beschleunigt wird“. Entlang kritischer Inspektion des Generationenbegriffs charakterisiert Beck diese „Risikogenerationen“, dass sie nicht durch die „Kraft einer politischen Agenda“ geeint sind und geformt werden, sondern vor allem durch andere Formen (und Mittel) der Kommunikation. Diese junge Generation ist „unideologisch“ und hat „kein klares Bild davon (.), was der richtige Weg in die Zukunft wäre; immerhin weiß sie aber genau, was jedenfalls nicht mehr funktioniert.“ (S. 241 ff.) So ihnen die „Metamorphose der Welt zur zweiten Natur geworden ist“, nehmen sie in ihrem Leben „Umwege, Verhandlungen und Widersprüche selbstverständlich in Kauf“, Veränderungen entfalten sich weitab jeglicher revolutionären Praxis „hinter der Fassade einer vermeintlichen Kontinuität in Form eines Machtzuwachses der jüngeren Generation und eines Machtverlusts der älteren“. (S. 244 f.) Ältere und Jüngere sind zwar „Zeitgenossen, leben aber dennoch nicht in derselben Epoche. Zwischen ihnen gibt es keine Gemeinsamkeiten.“
Löst man sich von überkommenen wissenschaftlichen Generationenkonzepten, wird klar, „dass es signifikant unterschiedliche und fragmentierte globale Generationen gibt, in denen verschiedene Horizonte und Weltsichten aufeinanderprallen und sich miteinander vermischen“. Wohl gibt es „gemeinsame Gefühlslagen und ein gemeinsames Verständnis globaler Risiken“, doch gilt für „globale Risikogenerationen“ nicht, „dass auch die sozialen Umstände weltweit konvergieren“, wobei Beck allererst die „ökonomische Kluft“ dingfest macht. (S. 247 f.) Selbst wenn es zu einer globalen Zunahme sozialer Ungleichheiten komme, führe dies nicht zwingend zu politischen Konflikten, „solange es keine globalen Gleichheitserwartungen gibt“, weshalb man, wolle man die Situation der eben jüngeren Generation verstehen, den „postkolonialen Gleichheitsdiskurs in den Mittelpunkt stellen“ müsse. So schwinde zudem der „Unterschied zwischen Menschenrechten und nationalen Bürgerrechten“. (S. 249 f.) Gleichzeitig aber sind die „globalen Generationen“ fraktioniert, und zwar „hier eine ‚Generation des Weniger‘, die im Vergleich zu früheren Dekaden Wohlstandsverluste einkalkulieren muss, dort eine ‚Generation des Mehr‘, die, von den Bildern des Überflusses der ‚Ersten Welt‘ motiviert, auf ihren Anteil an dessen Wohlstand drängt.“ Daher steht ein „neuer globaler Umverteilungskampf“ ins Haus, was das zentrale Problem der Zukunft aus der „Metamorphose der Ungleichheit“ ist. Die Ursachen liegen in der „Institutionalisierung der Gleichheitsnormen“ und zunehmender Ungleichheit auch innerhalb der Nationalstaaten und darin, dass die wachsende Ungleichheit nicht mehr durch öffentliche Mittel kompensiert werden kann, und es tritt hinzu, „dass die Verteilung der bads Risikoklassen, Risikonationen und verschiedene Arten und Grade neuer Ungleichheit entstehen lässt. So bildet sich eine Synthese aus Armut, Vulnerabilität und mit dem Klimawandel und Naturkatastrophen einhergehender Gefahren heraus.“ (S. 252 f.) Wesentlich bezieht Beck auch Risiken aus Digitalisierung ein, die er ebenfalls in seine Überlegungen zur Metamorphose einspeist, wie auch die Fortpflanzungsmedizin ein zentrales Thema ist, mit der eine Realität geschaffen ist, mit der immer neue moralische Fragen aufgeworfen werden, die schnell überfordern können.
Diskussion
Verwundbar ist die Welt in der Tat und dies schon länger, ob sie bereits waidwund ist, wird allenthalben kontrovers diskutiert, vornehmlich von Soziologen. „Katastrophen“, so Max Frisch 1979 (also seit der Klimawandel als vordringlich zu lösendes Problem diskutiert wird), „kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen.“ Damit ist knapp und bündig markiert, worum Beck kreist.
Der Autor setzt nicht Gefahren aus dem mehr als riskanten Umgang mit Natur und Umwelt und soziale Folgeprobleme sowie (Selbst-)Schutzmöglichkeiten in Bezug zueinander und dies auch nicht für begrenzte Räume, wie man katastrophensoziologisch üblicherweise verfährt. Wie er selbst anmerkt, setzt seine „Metamorphose“ seine vormalige „Risikogesellschaft“ fort, und zwar in dem Sinne, dass vor allem vermittels der Risiken aus dem Klimawandel bzw. der Klimakatastrophe nächst und vermittels der prekären Nebenfolgen andere Wege eingeschlagen werden können bzw. beschritten werden müssen, dies bei Strafe sich mehrender desaströser Folgen oder gar des Untergangs. Was der Autor vor Augen führt, ist erst einmal und dies gleich im ersten Satz: „Die Welt ist aus den Fugen.“ (S. 11)
Übersetzt man seinen Begriff der Metamorphose in den geläufigeren Begriff und so bescheidener in Transformation (die in ihrer Entstehungsgeschichte, in ihren Risiken und Chancen auch immer erst ex post zu fassen ist), ist man an Polanyi und dessen Werk „The Great Transformation“ (1944) erinnert, in dem Polanyi zeigte, dass und wohin weit zurückreichende Verselbstständigung der Ökonomie gegenüber der Gesellschaft geführt hat, nämlich zur desintegrierten Gesellschaft der freien Marktwirtschaft. Dieser Prozess hält an und die ‚Freiheit‘ der Marktwirtschaft ist zugleich immer auch ‚Unfreiheit‘, die deutlicher hervortritt. Damit ist dem Begriff der Freiheit seine idealistisch-emphatische Aura genommen, was Marx im ‚Kapital‘ in Bezug auf die Zirkulationssphäre, den (doppelt freien) Lohnarbeiter und die Zwänge des Kapitals selbst zu erklären vermochte. Das findet man bei Polanyi paraphrasiert und allerdings auch, wie in ‚Notlösungen‘ etwas aufkeimt, die der ‚Unfreiheit‘, den Zwängen entwachsenden Orientierungen auf etwas hinleiten (können), was (noch) nicht ist.
Beck ist dieses Werk Polanyis sicherlich bekannt gewesen. Mit seinem Metamorphose-Narrativ schlägt er diese Tastatur an, im Weltgesellschaftsmaßstab und mit allen Ungleichzeitigkeiten, Brüchen, Friktionen. Was jedoch nur übrigbleibt, ist, was uns schon länger geläufig ist: Dass die Menschen zwar ihre eigene Geschichte machen oder zu machen in der Lage sind, dabei immer „unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ Auch was weniger prosaisch klingt, dass die „Tradition aller toten Geschlechter (.) wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden“ lastet (Marx), füllt inzwischen Bibliotheken sozialhistorischer Studien.
Im „Kapital“ mit seiner Analyse der Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft erklärt Marx, wodurch der Rahmen gesteckt ist, innerhalb dessen wir – auch aktuell – ‚unsere‘ Geschichte machen. Das bleibt bei Beck außen vor. Flankenschutz, keinen erbetenen, erhält er von jenen akademischen Interpreten, die um Marx als Kritiker kreisen und meinen, da die proletarische Weltrevolution nicht stattgefunden habe und das Hauptproblem eben nicht mehr die „Lohnarbeit“ wäre, sei – mit den veränderten Bedingungen nach Marx und in der heutigen Zeit – seine Analyse als „Waffe der Kritik“ (Marx) in eben einem bestimmten historischen Umfeld entstanden und insofern von beschränkter Erklärungsreichweite, als radikale Gesellschaftskritik immer auf ihr selbst vorausgesetzte, historische und politische Umstände bezogen bleiben müsse. Dabei müssen Adorno und Horkheimer als Beleg herhalten, die im Kontrast zu Marx die Möglichkeit von Umwälzung nicht mehr thematisiert und eben nicht auf vorfindliche politische Praxis bezogen hätten, was die Angerufenen vermutlich nur mit einem Kopfschütteln quittiert hätten, da doch deren Kritik getragen ist von dem, was Marx als Ursache erhellte und damit radikal war, an die Wurzel gehend.
Abgesehen davon, dass solche Töne längst bekannt und auch dadurch, dass sie neu angestimmt werden, wird ihr Erkenntniswert nicht aufpoliert. (Letztlich wird eine ältere, publizistisch gut zu vermarktende Sottise revitalisiert: Mit dem Untergang des Realen Sozialismus sei der Wahrheitsgehalt der Marxschen Theorie auch vom Tisch – was wissenschaftlich gesehen ein Skandalon ist.) So man um einen Modus der Kritik kreist, nähert man sich jener von Marx kritisierten „Kritik im Handgemenge“ wieder an, machen vielleicht „Sphären“ der Gesellschaft als „partie honteuse“ kenntlich, ohne solchen Schandflecken „ihre eigne Melodie“ vorzusingen, ohne das Leitthema anklingen zu lassen. Beck allerdings kommt – musiktheoretisch gesprochen – den ‚Motiven‘ als Keimen des thematischen Gestaltens sehr nahe, insofern die charakteristische Physiognomie des Leitthemas deutlich aufscheint. ‚Radikal‘ ist er insofern und fasst die „Sache an der Wurzel“, als er sehr deutlich betont, dass die „Wurzel für den Menschen (.) aber der Mensch selbst“ ist, wobei das Ende offen bleibt wie ebenso die Frage, ob nur gefällt oder gründlich gerodet werden muss.
Wenn sich Beck auf den Zweiten Weltkrieg bezieht (der ohne den Nationalsozialismus nicht denkbar ist), der für ihn ein zentraler Markstein für eine „emanzipatorische Katastrophe“ (s.o.) war, so ist Adornos kritische Analyse und auch das Diktum von Horkheimer mitzudenken, nach der nationalsozialistischer Ungeist in der Bundesrepublik zumal im zählebigen autoritären Charakter fortlebt – jetzt in den „ihrer Selbständigkeit und Spontaneität beraubten Kinder(n) der heutigen standardisierten Massenkultur“ (Adorno).
Hinzuzufügen ist in Bezug auf diesen Krieg laut Horkheimer, dass man, will man vom Faschismus reden, vom Kapitalismus nicht schweigen darf. Wenn man zudem die (diskussionswürdige) theoretische Elle des Philosophen Claude Lefort anlegt und seine These reformuliert, dass Demokratie nicht das Andere des Totalitarismus ist, sondern letzteren immer schon als Element enthält, Demokratie gleichsam von totalitären Momenten durchzogen ist, aber so oder so eine Zivilgesellschaft nicht bis ins Kleinste zu kontrollieren wäre, dann nimmt man erneut Becks Kritik nationalstaatlicher Interessen als Hemmschuhe auf dem notwendigen Weg eines Kosmopolitismus in den Blick.
Man fragt sich besonders hinsichtlich der Fraktionen der „globalen Risikogenerationen“ (s.o.), wie zivilgesellschaftliche Momente in einem nicht macht- und herrschaftsfreien, nationalstaatliche Sonderinteressen aufsaugenden und korrigierenden Kosmopolitismus im Beckschen „homo cosmopoliticus“ weiter – dann im Weltmaßstab – entstehen und virulent bleiben (können), der übrigens nur als solcher überlebensfähig sein soll. Übersetzt man das heute altertümlich anmutende Wort „Bourgeoisie“ in nicht nur nationalstaatliche Träger von Entscheidungen, Macht und Herrschaft, sondern unter Becks Sicht auf Globalisierung und einen ins Gerede gekommenen Neoliberalismus in eine jetzt schon und in Zukunft zunehmend kosmopolitisch agierende ‚Klasse‘ vor allem ökonomisch orientierter Akteure, kann man dazu bereits im Kommunistischen Manifest von 1848 die lapidare Bemerkung finden, dass sie sich „eine Welt nach ihrem eigenen Bilde“ schafft. (Marx/Engels) Vorher heißt es, was hochaktuell klingt, dass sie durch „Verbesserungen aller Produktionsinstrumente“ und die „unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation“ und noch den „hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt“ und dazu, sich ihre Produktionsweise „anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehn wollen“. Dieses Déjà-vu, das nicht als solches gegen Beck einzuwenden ist, aber die Konzentration auf Ursachen auch in den gegenwärtigen Erscheinungsformen lenkt, substantiiert, was bei Beck im Begriff einer „suizidalen (kapitalistschen) Moderne“ (s.o.) nur als Kürzel auftaucht.
Becks Metamorphose ist doch etwas Anderes als das, was die Great Transformation mitsamt ihren Geburtswehen ausmachte. Man kann natürlich mutmaßen bis orakeln, dass wir an oder gar schon auf einer Epochenschwelle stehen, wo wir über Katastrophen wie den Zweiten Weltkrieg und den Klimawandel stolpern, was heilsam bis emanzipatorisch sein kann, nicht muss. Für Beck scheint das ziemlich klar zu sein: Heißt es doch, Ältere und Jünger seien „Zeitgenossen, lebten aber dennoch nicht in derselben Epoche“ (s.o.). Manche haben die Schwelle also schon überschritten, andere nicht.
Man kann sich aber auch darauf besinnen, dass und wie, und zwar innerhalb einer Epoche, selbstgemachte und lebensbedrohliche Probleme wie z.B. Verseuchungen der Flüsse und des Grundwassers, Feuersbrünste, Hungersnöte durch Kriege und agrarische Fehlwirtschaft, mangelnde Körperhygiene u.a.m. gelöst worden sind und dies auf dem beschreibbaren Weg in eine davon weitgehend befreite Moderne (westlichen Zuschnitts), die nunmehr selbst zum „Alp“ geworden ist und zunehmend wird. Da würde Beck nicht widersprechen. Was für große Menschenmassen aus der Industrialisierung und eben der Moderne folgt, ob nun erste oder zweite und reflexive Moderne usf., ist, dass sie, was Marx/Engels mit Blick auf den „modernen Arbeiter“ sagten, „zum Pauper“ werden und der „Pauperismus (.) sich noch rascher als Bevölkerung und Reichtum“ entwickelt, was schlussendlich jene „Bourgeoisie“ vor das Problem stelle, „unfähig zu herrschen“ zu werden, „weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muss statt von ihm ernährt zu werden.“ Wie weit wir uns diesem Punkt angenähert haben, ist augenfällig. Jenes ‚Manifest‘, noch keine erklärende Analyse, nimmt allerdings prognostisch vorweg, was heute unter den Nägeln brennt, wo wir diese „aufgestellten Prognosen sogar deutlicher sehen, als es den Generationen zwischen 1848 und heute möglich war.“ (Hobsbawm)
Das hat jedoch lediglich zur Folge, dass man versucht, sich mit Reformen und Korrekturen durchzumogeln und alle Erscheinungsformen von Desintegration schnell zu integrieren. Da dümpelt man auf einem See von Klagen über die sich bis zum Anschlag öffnende Schere zwischen Arm und Reich weltweit, und beklagt wie befürchtet die Folgen einer eklatanten ökonomischen und sozialen Ungleichheit und weiß nicht so recht, wie sie unter Beibehaltung marktwirtschaftlicher ‚Freiheit‘ zu bereinigen ist. Von der Warte der Metamorphose der Welt kann man fern am „Horizont eines Gleichheitsversprechens“ (S. 253) von gefährlicher Explosivkraft die katastrophisch induzierte Nötigung zur Behebung der beklagten Phänomene erkennen, was überfällig ist. Ob dann etwas geschieht, was spätere Historiker unter das Rubrum Transformation fassen werden, steht aus.
Erst einmal scheint es, dass sich ein sozialer und kultureller Wandel mit Weltmaßstabsambitionen anbahnt, die – gefräßige – „Raupe“ sich eben (noch) nicht „in einen Schmetterling“ verwandelt (S. 31), so lange man sie ihrer Wirtspflanze nicht beraubt. Wenn Becks „Soziologie der Metamorphose“ als „die kritische Theorie der Gegenwart (.) grundlegende Wahrheiten infrage“ stellen will, gehören dahin nicht nur „die Wahrheiten des Nationalstaates“ (s.o.), sondern es wäre zum nervus rerum von – derzeitig geschaffenem – „Alp“ vorzudringen, der noch unter dem Metamorphose-Druck fortwährt, auch die Geburtswehen eventueller Transformation permanent sediert; vom Kapitalismus wäre zu reden, etwa anschließend an Polanyi, wie und dass sich die herrschende Ökonomie gegenüber nicht nur Gesellschaften verselbstständigt hat und angetreten ist, auch einer möglichen Weltgesellschaft ihre mögliche Sperrigkeit auszutreiben. Das aber bleibt bei Beck ausgespart, ein, wie nur zu wiederholen, deutlicher Hinweis auf Ursachen der zu gewärtigenden weiteren „Arten und Grade neuer Ungleichheit“ (S. 253), die analytisch aus der Ökonomie einer Epoche erhellen, deren Widersprüche und Destruktivität längst erkannt sind – was der Kern und mehr als ein neuralgischer Punkt des Problems ist. Eine bloße „Kontrolle des Wirtschaftslebens“, wie sie Beck anmahnt, wird da wenig richten.
Ähnlich argumentierte schon Durkheim, einer der frühen Ziehväter der Soziologie. Endlich das Ideal „der menschlichen Brüderlichkeit zu verwirklichen“, diesem „lange gehegte Traum der Menschen“ stünden die Interessen der „partikulare(n) Gesellschaft“ entgegen und eine Realisierung wäre nur dann ins Auge zu fassen, „wenn alle Menschen eine einzige, den gleichen Gesetzen unterworfene Gesellschaft bilden.“ Was Durkheim (1893) für möglich hielt, „daß sich Gesellschaften ein und derselben Gattung zusammenfinden“ – diese Richtung der Durkheimschen „Evolution“ ist ganz offensichtlich eingeschlagen. Zwar blieb Durkheim skeptisch gegenüber der „Bildung einer einzigen menschlichen Gesellschaft“, schrieb aber in einer Anmerkung unter Bezug auf „intellektuelle und moralische Vielfalt“ hinzu, die „immer größere Ausdehnung der höheren Gesellschaften, in deren Gefolge die weniger fortgeschrittenen Gesellschaften absorbiert und ausgelöscht werden, neigen auf alle Fälle dazu, sie zu vermindern.“ So gesehen, schlägt man (bspw.) bei Marx und Durkheim nach, ist das, was Beck in den Rang einer Metamorphose hebt, zumindest längst konstatiert und überdies auch längst gezeigt, dass und wie eine nicht nur auf Nationalstaaten beschränkte kapitalistische Ökonomie nicht nur das eigentliche Problem auch da ist, wo sie ihr zuzuschreibende desaströse Folgen und selbst solche katastrophischen Ausmaßes im Sinne ihrer Logik zu überdecken versucht – oder sie schlicht über Experten relativieren oder Politiker leugnen lässt. Die Sache mit der „intellektuelle(n) und moralische(n) Vielfalt“ ist zwar immer noch eine Crux und diejenigen, die sich gegenwärtig äußerst sperrig zeigen und terroristisch agieren, werden vorab vermutlich nicht von einer kathartischen Wirkung der Klimakatastrophe auf einen im herrschenden Sinne vernünftigen und moralisch gebotenen Weg einschwenken.
Das Ende der Metamorphose kennen wir nicht und Beck gibt auch keine Antworten, bewusst und wohlweislich nicht. Sicherlich verändert sich die Welt, ein gemächlicher sozialer Wandel ist es nicht. Immer aufwändiger ist das Geschäft der Erhaltung gesellschaftlicher Ordnung für den Zweck des eigenen Stabilitätserhalts, den Status quo über Institutionen und selbst veränderte ökonomische Konzepte festzuklopfen. Beck ist zuzustimmen, wo er aufweist, dass überkommene Handlungskonzepte und selbst ein kausales Denken obsolet werden können und Erfahrungen entwertet werden bis gehören. Er legt den Finger in die größten der offenen Wunden und ruft den Weltbürger an, der uns als Idee der „Menschheit in mir“ schon bei Kant begegnet ist. Da wir über alles in der Welt Bescheid wissen und vor allem über das, was gestern noch unmöglich erschien, sind wir so etwas wie gepresste Kosmopoliten, dank der Digitalisierung ist die Welt tatsächlich inzwischen ein „Global Village“ (McLuhan). Ein anderes Gespenst geht um, das seinen Radius über alle Kontinente ausgedehnt hat. Es erscheint als „Metamorphose der Ungleichheit“ (Beck) und hat den Alptraum einer Klimakatastrophe im Gepäck, hütet sich aber, sein Wesen zu erkennen zu geben. Bei allem bleibenden Respekt gegenüber dem namhaften Soziologen Ulrich Beck, mit dem leider nicht mehr in dieser Weise zu diskutieren ist und wo er sicherlich in seiner immer höflichen wie freundlichen und sehr angenehmen Art gewichtige Einwände vorbringen würde: Man darf die Welt unschön reden, was sie de facto insbesondere für die Generationen des „Mehr“ und des „Weniger“ (s.o.) und nicht nur die ist, weil das gesellschaftsfähig bleibt, da allgemein bekannt, solange man den nervus rerum ausspart, der auch bekannt ist – und das schon lange.
Fazit
Es wurde von Kritikern eingewandt, man merke dem Buch an, dass Ulrich Beck es nicht fertigstellen konnte. Darüber kann man spekulieren. Und solche unterschwellige Exkulpation haben weder Beck noch die BearbeiterInnen des Buches nötig. Was bleibt, ist das an seine Risikogesellschaft angelehnte Narrativ der Metamorphose der Welt, Becks Blick auf „emanzipatorische Katastrophen“, die sein können, nicht müssen. Er ist kein Seher, aber einer, der warnt.
SoziologInnen und PolitikwissenschaftlerInnen werden dieses Buch und seine zentralen Botschaften aufnehmen und diskutieren und ggf. konstruktiv kritisieren, wofür er eine Plattform geschaffen hat. SozialarbeiterInnen und alle, die jetzt schon mit „Umverteilungskämpfen“ zu tun haben, und zwar vor Ort auf der Straße, in Schulen und Stadtvierteln, werden vieles bestätigt finden und wohl kaum mit dem Klimawandel argumentieren können, wenn sie Integration verwirklichen und moralisch nicht verschmutztes Zusammenleben stiften wollen. Dass dies kein Einwand gegen das Buch sein kann, da es erst einmal aufsummt, was nicht mehr beiseite zu schieben ist, liegt auf der Hand, zumal Beck keine konkreten Praxisanleitungen geben will, sondern erst einmal jene ‚Schandflecke‘ als mögliche ‚Kampffelder‘ (von letzten Endes Nebenkriegsschauplätzen) vor Augen führt.
Rezension von
Arnold Schmieder
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Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 07.04.2017 zu:
Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt. Suhrkamp Verlag
(Berlin) 2016.
ISBN 978-3-518-42563-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/22094.php, Datum des Zugriffs 10.12.2023.
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