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Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen

Rezensiert von Dr. Hermann Müller, 02.01.2017

Cover Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen ISBN 978-3-406-67525-6

Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens. Verlag C.H. Beck (München) 2015. 176 Seiten. ISBN 978-3-406-67525-6. D: 14,95 EUR, A: 15,40 EUR, CH: 23,50 sFr.

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Autorin

Gabriele Krone-Schmalz war Moskau-Korrespondentin der ARD und ist Professorin für TV und Journalistik an der Hochschule Iserlohn.

Einleitung und Thema

In ihrer Einleitung plädiert die Autorin für einen unabhängigen Journalismus. „Pressefreiheit bedeutet in jeder Beziehung Unabhängigkeit, von staatlichem und sonstigem Einfluss sowieso, aber auch von so etwas wie Mainstream“ (S. 8). Dieses Plädoyer ist auch nach Ansicht des Rezensenten wichtig in einer Zeit, in der Mainstream-Journalismus und „political correctness“ die Medien zu vielen Themen bestimmen. Die Medien verlieren in der Bevölkerung massiv an Vertrauen (vgl. Krüger 2016).

Die Autorin wendet sich in Ihrem Buch gegen die „verbale Aufrüstung“ gegenüber Russland (S. 8) und „doppelte Standards“. Sie weist darauf hin: „ Russland wurde weniger als Partner, denn als Konkursmasse behandelt“ (S. 12)

Aufbau und Inhalt

Kapitel 1 enthält eine differenzierte Darstellung der Ereignisse, die zum Sturz von Janukowitsch führten. Deutlich wird, wie die Proteste gegen die korrupte Regierung funktionalisiert wurden. Die Autorin gab damals einer großen Zeitung ein Interview, dass jedoch nicht gedruckt wurde. In dem Interview sagte sie u.a. „Es würde helfen in der Außenpolitik mit Interessen weniger heuchlerisch umzugehen, also den eigenen Interessen nicht moralische oder humanitäre Deckmäntelchen umzuhängen.“ Gezeigt wird, dass die Ereignisse auf der Krim völkerrechtlich nicht als Annexion, sondern als Sezession einzuordnen sind.

In Kapitel 2 geht die Autorin ausführlich auf die Berichterstattung in den westlichen Medien ein. Deutlich wird, dass diese Berichterstattung darauf abzielt, Russland und Putin in einem möglichst negativen Licht erscheinen zu lassen. Dargestellt werden u.a. die Morde am 2. Mai 2014 in Odessa, für die Mitglieder des „rechten Sektors“ verantwortlich waren. Anti-russische Propaganda hat in Deutschland eine Tradition vom Deutschen Kaiserreich über die Hitlerzeit und den kalten Krieg bis heute.

Im dritten Kapitel („Enttäuschte Hoffnungen – verpasste Chancen“) wird die wirtschaftliche und politische Entwicklung Russlands nach 1990 dargestellt. Deutlich wird, dass die desaströse wirtschaftliche Entwicklung unter Jelzin wesentlich vom Westen und der Politik von IWF und Weltbank beeinflusst war. Sie erwähnt u.a. eine Äußerung von Helmut Schmidt, der die Politik des IWF für die Krisen in Südamerika und Russland mitverantwortlich machte. Es sei [1], so die Autorin, nicht darum gegangen, diesen Ländern zu helfen, sondern eigene Märkte abzusichern. Möglichkeiten ein partnerschaftliches Verhältnis aufzubauen, seien vertan worden.

In Kapitel 4 geht es um die strategische Politik des Westens gegenüber Russland. Zunächst wird dargestellt, dass die Osterweiterung der NATO ein Wortbruch gegenüber Russland war, durch den viel Vertrauen verspielt wurde. Hochrangige deutsche Politiker hätten dies auch intern als Fehler bezeichnet, aber die Zitate dann nicht autorisiert. Kritisch fragt sie: „Wie ist es um die Qualität eines politischen Systems bestellt, in dem Zivilcourage zwar als Wert gilt, aber nur solange sie in den vorgegebenen Rahmen passt?“ ( S. 96) Russland sei nicht als vollwertiger Partner des Westens behandelt worden. In Polen seien westliche Waffensysteme installiert worden, wobei es nicht um Sicherheit, sondern um Rüstungsaufträge gegangen sei. Eingegangen wird auf die Angriffe der NATO gegen Serbien im März 1999, auf den Afghanistan-Krieg, auf den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg, der mit gefälschten Unterlagen gerechtfertigt worden sei, und den Überfall georgischer Truppen auf Süd-Ossetien. Sie fragt: „ Warum respektiert der Westen das Selbstbestimmungsrecht der Kosovaren, das der Südosseten aber nicht“ ( S. 108) Recht sei nicht teilbar.

Das Kapitel 5 beginnt mit einer Skizze der Geschichte des Gebiets der heutigen Ukraine bis 1991. Teile gehörten zu verschiedenen Staaten. Eingegangen wird auch auf die Zeit des Weltkriegs II, als Teile der Bevölkerung mit der NS-Regierung kollaborierten und andere Teile an der Seite der sowjetischen Armee gegen die Besatzung kämpften. Es folgt eine Darstellung der Geschichte der Ukraine nach 1991. Eingegangen wird auf die Außenpolitik Krawtschuks und Kutschmas mit ihrem Kurs des Ausgleichs zwischen Russland und der EU. Die von der amerikanischen „Revolutions-GmbH“ wesentlich mit organisierte und finanzierte „Orangene Revolution“ und der Wahlsieg Juschtschenko´s wird ebenfalls skizziert. Unter Juschtschenko und Timoschenko wurde eine einseitig westlich orientierte Politik betrieben, die sich gegen Russland richtete und zu entsprechenden Konflikten führte. Russland verlangte Marktpreise für Gas anstelle der subventionierten Preise für Bündnispartner, was im Westen als „Erpressung“ gleichgesetzt wurde. Die Zerstrittenheit der Regierung und die anhaltende Korruption und Misswirtschaft führten schließlich zur Wahl von Janukowitsch, der wiederum eine Politik des Ausgleichs zwischen EU und Russland versuchte. In dieser Situation habe die EU versucht, mit dem Assoziierungsabkommen der Ukraine eine Entscheidung für die EU und gegen Russland aufzuzwingen. Die Proteste auf dem Maidan richteten sich primär gegen die korrupte Regierung Janukowitsch, aber nur 28 % von ihnen gaben das Abkommen als Grund an. (s. S. 18). Nach Ansicht der Autorin läge es im Interesse der Ukraine sich diesem Gezerre zu entziehen „Dass sich dabei die Motive auf keiner Seite in selbstloser Menschenfreundlichkeit erschöpften, muss nicht ausdrücklich betont werden.“ (S. 116)

Mit dem Abschuss des Flugs MH 17 über der Ukraine beginnt das Kapitel 6. Die Vorverurteilungen Putins ohne entsprechende Beweise durch Obama und die Medien werden dargestellt und belegt. Gefragt wird u.a., warum die ukrainische Armee ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, als Sachverständige die Absturzstelle aufsuchen wollten, in diesem Gebiet mit Kampfhandlungen begann. Es folgt eine Darstellung zu den verschiedenen Gruppen in der Ostukraine, von denen ein Teil keine Separation, sondern eine föderale Lösung wolle. Eingegangen wird auch auf die Hilfskonvois aus Russland und die Berichterstattung darüber in westlichen Medien. Die einseitige Berichterstattung über die „pro-russischen Separatisten“ zu den Kampfhandlungen wird an vielen Beispielen belegt. Die Autorin erwähnt aber auch, dass von beiden Seiten Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, also nicht nur von der ukrainischen Armee. Auch habe es positivere Beispiele der westlichen Berichterstattung, die weniger einseitig waren, gegeben. Die Autorin vermutet, dass Poroschenko zu mehr Dialog bereit gewesen wäre, was aber durch Janzenjuk verhindert worden sei. Sie zitiert die die Staatssekretärin im US-Außenministerium Viktoria Nuland, wonach Janzenjuk der Mann der USA sei. Eingegangen wird dann auf die Interessenlagen der USA und Russlands. Die USA habe das geo-politische Interesse in der Welt die entscheidende Rolle zu spielen. Hingewiesen wird auch auf Schiefergasvorkommen in der Ostukraine, an die amerikanische Firmen interessiert seien. Ob allerdings wegen diesem Ölvorkommen die USA einen solchen Konflikt riskieren, erscheint dem Rezensenten fraglich. Wahrscheinlicher ist wohl, dass sich die USA einfach verkalkulierten und glaubten, ein leichtes Spiel zu haben. Die Autorin argumentiert, dass Russland kein Interesse an der Annexion der Ostukraine haben könne, weil es sich um einen „kostspieligen Sanierungsfall“ handele. Wohl aber sei Russland an einer föderalen Lösung interessiert.

In ihrem Ausblick plädiert die Autorin für eine Außenpolitik, die auf den Grundwerten Völkerverständigung, Frieden und Wohlstandsmehrung beruhe und Russland einbeziehen. Dies wird kontrastiert mit einer anderen Politik: „Rein theoretisch könnte unser Interesse auch sein, die eigene Macht auszubauen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, das alleinige Sagen zu haben und Länder klein zu halten, zu isolieren, in die Schranken zu weisen.“ Hier ist nach Meinung des Rezensenten eine Differenzierung sinnvoll. Der Versuch, das „alleinige Sagen“ zu haben, hätten nur die Supermacht USA unternehmen können und sie hat es getan. Dieser Versuch ist bisher gescheitert und er wird weiter scheitern. Dazu ist selbst die USA nicht mächtig genug. Auch ist die Politik der USA zu sehr mit den eigenen Wirtschaftsinteressen verknüpft, um die Position eine wohltätigen Herrschers einnehmen zu können, der sich für Demokratie und Wohlstand in der Welt einsetzt.

Diskussion und Fazit

Das Buch ist auch wichtig für die Demokratie und deren Entwicklung. Bereits Jaspers verwies auf die Bedeutung der Informationen für die demokratische Entwicklung. „Demokratie heißt Selbsterziehung und Information des Volkes. Es lernt nachdenken. Es weiß was geschieht. Es urteilt. Die Demokratie befördert ständig den Prozess der Aufklärung. Parteienoligarchie dagegen heißt: Verachtung des Volkes. Sie neigt dazu, dem Volke Informationen vorzuenthalten. Man will es lieber dumm sein lassen. Das Volk braucht auch die Ziele, die die Oligarchie jeweils sich setzt, wenn sie überhaupt welche hat, nicht zu kennen. Man will ihm statt dessen erregende Phrasen, allgemeine Redensarten, pompöse Moralvorstellungen und dergleichen vorsetzen. Es befindet sich ständig in der Passivität seiner Gewohnheiten, seiner Emotionen, seiner ungeprüften Zufallsmeinungen. Die gemeinsame Schamlosigkeit der Parteienoligarchie spürt sich selber nicht.“ (Karl Jaspers 1966, 140). Wenn man unter Populismus die Strategie versteht, durch Vereinfachungen und Parolen Vorurteile und negative Einstellungen gegen die eigenen Gegner zu erzeugen, muss man feststellen, dass Mainstream-Medien schon lange zu verschiedenen Themen populistisch sind.

Literatur

  • Jaspers, Karl (1966) Wohin treibt die Bundesrepublik?, München
  • Krüger, Uwe (2016 Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen, München. Rezension: www.socialnet.de/rezensionen/21535.php

[1] Dies soll hier nicht eine Distanzierung durch den Rezensenten ausdrücken.

Rezension von
Dr. Hermann Müller
Universität Hildesheim, Institut für Sozial- und Organisationspädagogik
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Es gibt 36 Rezensionen von Hermann Müller.

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Zitiervorschlag
Hermann Müller. Rezension vom 02.01.2017 zu: Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens. Verlag C.H. Beck (München) 2015. ISBN 978-3-406-67525-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/22118.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.


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