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Fiona Sara Schmidt, Jonas Engelmann u.a. (Hrsg.): Play Gender. Linke Praxis - Feminismus - Kulturarbeit

Rezensiert von Hannelore Güntner, 21.03.2017

Cover Fiona Sara Schmidt, Jonas Engelmann u.a. (Hrsg.): Play Gender. Linke Praxis - Feminismus - Kulturarbeit ISBN 978-3-95575-049-7

Fiona Sara Schmidt, Jonas Engelmann, Thorsten Nagel (Hrsg.): Play Gender. Linke Praxis - Feminismus - Kulturarbeit. Ventil Verlag (Mainz) 2016. 247 Seiten. ISBN 978-3-95575-049-7. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR, CH: 25,90 sFr.

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Thema

„Ist heute noch das Private politisch? Und warum sind die konstruierten binären normativen Geschlechterrollen noch immer so machtvoll?“ fragen die AutorInnen in ihrem Vorwort.

Sie stellen aktivistische, (queer-)feministische Ansätze und Interventionen im popkulturellen Raum sowie in links-aktivistischen Kontexten vor und suchen nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten. In dem Buch werden vielfältige Beiträge von neueren feministischen Aktionen, sehr unterschiedlicher feministischer Kulturarbeit, zu Diversity und zu Sexismus in linker Praxis versammelt.

Im Mittelpunkt steht die Frage, was verbindet Generationen und was haben Interventionen im Feld Feminismus und Gender in den letzten Jahren zu Veränderungen beigetragen. KünstlerInnen, Kulturschaffende und linke AktivistInnen diskutieren darüber, wie sich die Auseinandersetzung mit Geschlecht im Alltag konkret auf ihre Arbeit auswirkt und welche Utopien sie verfolgen.

Sexismus, Misogynie und Rassismus finden auch in subkulturellen Szenen, in der Musikindustrie und in der Wissenschaft statt. Das Buch will in einer Art Chronik Möglichkeiten und Strategien dagegen auf.

Herausgeberin und Herausgeber

  • Fiona Sara Schmidt (Jg. 1985) studierte Komparatistik in Gießen und Wien, währenddessen und danach freie Journalistin und prekäre Kulturarbeiterin. Seit 2014 ist sie Leitende Redakteurin des feministischen Magazins „an.schläge“ in Wien.
  • Torsten Nagel (Jg. 1962) arbeitet seit Jahren mit soziokulturellen Konzepten in kulturellen und politischen Arbeitsfeldern. In diesem Kontext initiierte er 2009 in Köln das Modellprojekt »play gender« und ist Autor für die »testcard«.
  • Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über Gesellschaftsbilder im Comic promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für »Jungle World«, »konkret«, »Zonic«, »Missy Magazine« und andere, lektoriert Bücher für den Ventil Verlag und gibt die »testcard« mit heraus.

Entstehungshintergrund

Das Buch Play Gender entstand in Folge von durchgeführten Aktionen zu „play gender“. Dazu wird beschrieben: „Hintergrund von Play Gender bildet die Anfang der 90er-Jahre in den USA entstandene Riot-GrrrL-Bewegung, die auf die starke Überzahl männlicher Musiker und deren Dominanz reagierte. Ziel und Anspruch dieser feministischen Bewegung war es, auf eben diese gesellschaftlichen Missstände aufmerksam zu machen, Frauen zu motivieren, sich nicht in konventionelle Rollenbilder pressen zu lassen, sondern unabhängig und selbstbewusst durchs Leben zu gehen.

Somit gestalteten sich die Riot Grrrls eine eigene Szene mit feministischer Netzwerkstruktur. Musik fungiert dabei als wertvolles Sprachrohr, um den Rest der Szene mit persönlichen Anliegen zu erreichen und Reflexionen über angesprochene Themen anzuregen und zu fördern. Aus der Unzufriedenheit heraus entstanden zahlreiche Bands, deren Texte Themen wie Frauendiskriminierung, sexueller Missbrauch, sexualisierte Gewalt, Homophobie und sonstige Missstände aufgriffen und nicht selten von persönlichen Erfahrungen handelten.

Fortgesetzt wird die Bewegung heute z.B. in den Ladyfesten, die eine non profit Veranstaltung und eine queer – feministische Plattform für Musik, Kunst, Workshops, Film und Literatur darstellen. Ladyfeste gelten als offene, von Sexismus und Gewalt befreite Räume, in denen „Ladies of all genders“ eingeladen sind um sie in die queer-feministische Diskussion einzubeziehen. Bewusst sind hierzu auch „feministisch“ solidarische Männer eingeladen. Grundsätzlich soll das Geschlecht keine Rolle spielen.“ (aus der Website www.playgender.de/playgender_konzept.html)

Aufbau

Mit der Aufzählung der Beiträge im Band wird deutlich wie umfangreich das Feld der vorgestellten Aktionsformen und Aktivitätsfelder ist.

FEMINISMUS

  • Mithu M. Sanyal: Im Westen was Neues. Warum wir wieder über Sexismus ­debattieren
  • Fluidität genießen. Interview mit Hinter den Brüsten
  • Ina Klären / Anne-Carina Lischewski: Slutwalk? keine Angst, keine Schuld, keine Scham. Von neuen Aktionsformen und alten Leerstellen
  • [i:waibz]: 2011, das Jahr der Slutwalks
  • One-Woman-Show. Interview mit Katja Röckel
  • Vojin Sa?a Vukadinovic / Melanie Groß: Musealisierung und Verflachung. Ein Gespräch zu (Queer-)Feminismus und Universitätsbetrieb
  • Andreas Kemper: Geschichte der profeministischen Männerbewegung
    Männerbewegungen & Feminismus. Fraktionen, Bündnisse und Protest
  • Interview mit Sebastian Scheele
  • Macker Massaker: Macker mit Reflexionshintergrund
  • Keine Vornamen, keine Fotos. Interview mit Stefanie Hochmuth
  • Anna Seidel: Netzfeminismus. Blogs, Hashtags und Strategien gegen Hate Mail
  • Fiona Sara Schmidt: Nische mit Power. Ein Roundtable zum Thema feministische Medien und Musikjournalismus

KULTURARBEIT

  • Sarah Diehl: … ich kam dazu wie die Jungfrau zum Kind. ProChoice-Aktivismus und Dokumentarfilme – eine Evolutionsgeschichte
  • Hormone mit Hochkonjunktur. Interview mit Françoise Cactus
  • Jonas Engelmann: Girl Commando. Eine feministische Comicgeschichte
  • Genderinstrumente. Interview mit Laura Landergott
  • Yori: Trouble X. gender is performance
  • Nilpferd im Kopf. Interview mit Julie Miess
  • Tine Plesch: Das Frauenbild in der bundesdeutschen Popmusik: zum Beispiel HipHop
  • Sookee: Es heißt nicht: ›Fick Deine Mutter‹, sondern ›Grüß Deine Mutter‹. Heterosexistische Kackscheiße im Rap erkennen und unterlaufen
  • Lob als Praxis. Interview mit Sandra und Kerstin Grether
  • Martin Büsser: Jenseits der Geschlechtergrenzen. Geschlechterverhältnisse in der Punk- und Hardcoreszene
  • Ärgern und Räume schaffen. Interview mit Unrecords
  • Vina Yun: Crying at the Discoteque. Alternativen zum Status quo der Clubkultur
  • Hi, Freaks!. Interview mit Christina Mohr
  • Kollektiv _tastique: _tastique!. Nach dem Ladyfest
  • Freiheit zur Innovation. Interview mit Thomas Frank
  • Fiona Sara Schmidt: Der Körper ist ein Monster. Ein Gespräch mit Julia Lämmle, Muda Mathis, Ilia Papatheodorou und Doris Uhlich
  • Das theoretische Accessoire. Interview mit Andrea B. Braidt

LINKE PRAXIS

  • ?Teile des Herausgeber_innenkollektivs von »Fantifa«:
    Feminismus in der radikalen Linken – Fantifa
  • Die Rote Zora: Militanter Feminismus
  • Klarheit in Kleinigkeiten. Interview mit YASMO
  • Claire DeCoeur: Genderbaustelle Conne Island
  • Martina Minette Dreier: »We are what is next!«
  • Torsten Nagel: Feuer und Flamme dem Patriarchat. Roundtable zu (Queer-)Feminismus in der radikalen Linken
  • Queer_Feminismus-AG der Interventionistischen Linken Berlin:
    Präventiv Krankfeiern
  • Das Private ist politisch. Interview mit Alva Dittrich
  • Mart Busche: Fürchte dich, Bleichgesicht? Das Unbehagen in der Unmarkiertheit
  • ug defma: Die Unterstützer_innengruppe DEFMA stellt sich vor!! DEFMA steht für: DIY – Emanzipatorisch – Feministisch – Militant – Autonom

Inhalt

Sehr unterschiedlich sind die einzelnen Beiträge sowohl inhaltlich als auch in der Länge und im Stil. Ein Interview mit „Hinter den Brüsten“, der Name spielt auf eine Femenvergangenheit an, die sich selbst als Vertreterinnen einer humoristischen, feministischen You Tube Perpektive bezeichnen, unterscheidet sich deutlich von dem Kapitel von Andreas Kemper über die Geschichte der pro feministischen Männerbewegung. Einige Texte beschreiben auf zwei Seiten die Erfahrungen als Frau und Feministin in der Musikszene (Stefanie Hochmuth, Francoise Cactus) von Bloggerinnen (Ana Seidel) oder mit einer Aktion (Slut walk).

Darüber hinaus berichten AktivistInnen von ihren Projekten und Erfahrungen, von Orten wie dem Leipziger Conne Island und Kulturschaffende geben praktische Ratschläge für das eigene Arbeiten. In Gesprächsrunden wird z.B. diskutiert, wie politisch das Theater sein kann. Sokee, eine der bekannteren Rapperinnen, versucht Counter Speech (Gegenrede), als Reaktion auf misogyne und Rape Culture verherrlichende männliche Rap-texte, zu erläutern.

Mit einem Expeditionsprotokoll 2000 beginnt die Reflexion von „Macker Massaker“, einem bunten Haufen männlich* definierter Menschen, geschrieben von einem anonym gebliebenen Orgamitglied. In ihr werden Aktionen als Reaktion auf die Erkenntnis, dass Sexismus auch ohne Gewalt schädlich ist und als Thema nicht immer den Frauen zugeordnet werden sollte, beschrieben.

Martin Büsser beschreibt Geschlechterverhältnisse in der Punkt- und Hardcoreszene geschichtlich und mit verschiedenen Perspektiven – schwule und queere Ansätze, Präsenz von Frauen in der Szene und Männerbilder.

Noch ein Beitrag eines Mannes* reflektiert die Frauenfrage. Wieder mit einem geschichtlichen Blick und diesmal in die Comicwelt Nordamerikas und Mitteleuropas.

Natürlich können hier nicht alle Beiträge beschrieben werden und auch eine Zusammenfassung bietet sich auf Grund der Unterschiedlichkeiten nicht an.

Diskussion

Play Gender bietet in 39 Kapiteln einen Einblick in bunte, differenzierte Kultur- und Aktivismuswelten, deren Reflektionen und Erfahrungen sowie Ideen rund um Feminismus, Gender, Queere Lebensweisen. Elf davon sind als Interview gestaltet. 7 sind von Männern* geschrieben.

Jedes Kapitel ist für sich spannend zu lesen und einige sind eine gute Zusammenfassung geschichtlicher Entwicklungen. Interessant sind auch die verschiedenen Reflektionsebenen sowohl auf einer theoretischen aber insbesondere auch auf der Gefühlsebene. Diese Schilderungen zeigen auch den Mut und den Willen zur Weiterentwicklung der Protagonisti*nnen.

Lesenswert für alle, die sich mit Kultur, Politik und gruppenbezogenen Aktionen beschäftigen. Die umstrittenen Begrifflichkeiten wie Gender, Feminismus, Queer, werden hinterfragt und auch selbstverständlich geschrieben. Der Einblick betrifft bestimmt nicht Alltagssituationen einer breiten Bevölkerungsgruppe und ist dieser vielleicht auch schwer vermittelbar – und trotzdem ist die Lektüre geeignet Verständnis für diese Experimentierfelder zu entwickeln. Und sie kann optimistisch stimmen: alles ist in Bewegung!

Fazit

In diesem Buch ist durch die vielen Beiträge ein Überblick über Themen und Aktionen rund um „Gender“, Frauen in männlich dominierten Kulturfeldern sowie Projekten der linken Szene und deren Erfahrungen versammelt. Play Gender bietet daher für erfahrene AktivistInnen und neu Interessierte an Gleichberechtigung, Feminismus und Queeren Themen Grundlagen, Einblicke und reflektierte Rückblicke.

Rezension von
Hannelore Güntner
Dipl. Sozialpädagogin (FH), Erzieherin, Supervisorin (DGSv), Bildungsreferentin. Fortbildungen und Trainings in den Bereichen der Mädchenarbeit, Genderpädagogik, Gender Mainstreaming und geschlechtersensiblen Cross Work
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Es gibt 10 Rezensionen von Hannelore Güntner.

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Zitiervorschlag
Hannelore Güntner. Rezension vom 21.03.2017 zu: Fiona Sara Schmidt, Jonas Engelmann, Thorsten Nagel (Hrsg.): Play Gender. Linke Praxis - Feminismus - Kulturarbeit. Ventil Verlag (Mainz) 2016. ISBN 978-3-95575-049-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/22125.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.


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