Bo Hejlskov Elvén: Herausforderndes Verhalten vermeiden
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 04.10.2017
Bo Hejlskov Elvén: Herausforderndes Verhalten vermeiden. Menschen mit Autismus und psychischen oder geistigen Einschränkungen positives Verhalten ermöglichen. dgvt-Verlag (Tübingen) 2015. 288 Seiten. ISBN 978-3-87159-237-9. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Herausfordernde Verhaltensweisen werden häufig durch eine ungünstige Umgebung oder unrealistische Anforderungen ausgelöst. Auf eine neue aufschlussreiche Weise geht der Autor Bo Hejlskov Elvén an das Thema heran. Er zeigt, wie sich das Verhalten von Menschen mit Autismus und anderen Entwicklungsstörungen oder geistigen Behinderungen „dramatisch“ zum Positiven verändern kann, wenn man diese Probleme identifiziert und richtig damit umgeht (Klappentext). Der Autor schlägt einfache und effektive Strategien vor, mit denen man positive Reaktionen herbeiführen und Methoden wie Bestrafung oder Fixierung vermeiden kann. Basis ist ein praxiserprobter „unaufgeregter Umgang“ mit den „Dienstleistungsnehmern“, wie er Klientinnen und Klienten nennt, um Wege weg vom Stress hin zu Ruhe und Entspannung aufzuzeigen. Das verbessert die Lebensqualität aller Beteiligten erheblich. Zahlreiche praktische Beispiele von Kindern und Erwachsenen mit unterschiedlichen Störungen und Behinderungen von Autismus bis zum Down Syndrom illustrieren die möglichen positiven Veränderungen und zeigen neue Blickwinkel auf.
Autor
Bo Hejlkov Elvén ist klinischer Psychologe. Er lebt in Schweden und arbeitet als freier Berater und Dozent für Autismus und herausforderndes Verhalten. Er ist ausgebildeter Studio III-Trainer. 2009 erhielt er eine Auszeichnung vom schwedischen Autismus-Verband mit dem „Puzzle Piece of the Year“- einen Preis für seine beratende und lehrende Tätigkeit im Bereich „Herausforderndes Verhalten“.
Entstehungshintergrund
In den vergangenen 50 Jahren hat sich im Umgang mit Menschen mit Behinderungen viel entwickelt. Auf diesem Hintergrund ist es angezeigt, dass Methoden aus der Vergangenheit zurückgelassen werden. Der Autor hat das Buch Christer Magnusson gewidmet, der 2006 im Alter von 32 Jahren Opfer menschenverachtender Betreuungspraktiken wurde, an deren Folgen er und viele andere verstorben sind.
Aufbau und Inhalt
Das Buch hat einen Umfang von 288 Seiten, die sich in sechs Kapitel untergliedern. Es handelt sich um die zweite Auflage, die im Softcover Format erschienen ist. Die inhaltlichen Ausführungen werden durch konkrete Fallvignetten unterfüttert. Jedes Kapitel endet mit einer Zusammenfassung.
- Herausforderndes Verhalten: Definitionen und Theorien
- Konzeptionen und Fehlvorstellungen
- Realistische Anforderungen
- Stressfaktoren: Ein Modell zur Erklärung des Chaos
- Bei Konflikten: Ruhe bewahren
- Ein Blick in die Zukunft
Es folgt ein Literaturverzeichnis.
Das erste Kapitel Herausforderndes Verhalten: Definitionen und Theorien führt ins Thema ein. Elvén definiert herausforderndes Verhalten wie folgt: „Verhalten, das den Menschen im Umfeld des Betreffenden Probleme bereitet“ (S. 53). Das Umfeld gerät dann in Schwierigkeiten, wenn es keine geeigneten Methoden zur Verfügung hat. Unter dem Begriff „herausforderndes Verhalten“ subsummieren sich gefährliches Verhalten (auf das man sofort reagieren muss) oder „nur“ schwieriges Verhalten, auf welches nicht sofort reagiert werden muss, es aber dennoch einer Strategie des Umgangs bedarf. Der Autor berichtet davon, dass es in diesem Zusammenhang nicht selten ist, dass jemand anderem die Schuld geben wird, wodurch sich das Verhalten aber nicht verändern kann. Mögliche Folgen sind endlose Diskussionen, die zu keiner Lösung führen.
Der Autor betrachtet in diesem Kapitel auch die Geschichte des herausfordernden Verhaltens in Hinblick auf Theorien und Therapien. Zum Beispiel wurde lange Zeit geglaubt, dass das Verhalten der Mütter in Zusammenhang mit der Diagnose Autismus steht. In den 1980er Jahren wurde diese falsche Annahme zurückgenommen. Nicht mehr die Mütter wurden als Verursacherinnen der Diagnose von Autismus angesehen, sondern neuropsychologische Zusammenhänge.
Konzeptionen und Fehlvorstellungen ist der Titel des zweiten Kapitels. Die Selbstkontrolle und Methoden zur Verhaltensänderung im Umgang und in Bezug auf Einstellungen und die Methodik bilden den Kern. Die Annahme, dass zu Konsequenzen Strafen gehören, ohne das darüber nachgedacht wird, ob die Klientel die Zusammenhänge zwischen Ereignis und Strafe nachvollziehen kann, ist auch heute noch verbreitet. Doch das ist eine Fehlannahme. Deshalb liegt der Fokus des Autors bei den Themen Konsequenzen und Struktur. Er zielt mit dieser Alternative darauf ab, zu erkennen, dass es bestimmte Methoden braucht, um effektive Veränderungen zu erreichen.
Um realistische Anforderungen geht es im dritten Kapitel. Es braucht Methoden, die eine Struktur geben, die die Möglichkeit beinhaltet, im eigenen Tempo zu arbeiten, eine Rolle spielen auch die Motivation, Wahlmöglichkeiten und auch die Fähigkeit, mit Anforderungen umzugehen.
Das vierte Kapitel befasst sich mit Stressfaktoren und einem Modell zur Erklärung des Chaos. Dieses Kapitel bildet den Kern des Buches, denn heutzutage ist bekannt, dass Stress die Hauptursache für herausforderndes Verhalten ist. Es geht nicht darum, kurzfristige Lösungen für Verhaltensprobleme zu finden, in diesem Kapitel steht die Frage im Mittelpunkt, wie Verhaltensprobleme vermieden werden können und wie langfristig damit umgegangen werden sollte. Es ist wichtig, dass Eltern und Betreuungspersonen Verantwortung übernehmen, um das Leben der Klientin/des Klienten zum Positiven zu verändern.
Die Auswirkungen von Stress werden näher beleuchtet. Für Stressfaktoren gibt es zahlreiche Beispiele, der Autor benennt aus seiner Arbeitspraxis heraus 16 Grund-Stressfaktoren (die sich teilweise mit Erkenntnissen von Tony Attwood decken) wie z.B. schwache zentrale Kohärenz, Reizüberflutung, innerfamiliäre Probleme, Einsamkeit und schmerzhafte Erkrankungen. Zudem wird häufig festgestellt, dass herausforderndes Verhalten durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst wird, der Autor spricht in diesem Zusammenhang von situativen Stressfaktoren wie z.B. Anforderungen, plötzliche Veränderungen, Ungerechtigkeiten, Konflikte etc. Auf 13 dieser 16 Faktoren wird konkreter eingegangen. In diesem Zusammenhang beschreibt der Autor auch (akute und dauerhafte) Warnsignale und Chaossignale. Aber es gibt auch Faktoren, die dazu beitragen, das Risiko des psychischen Chaos zu verringern. In der Literatur findet man unterschiedliche Bezeichnungen, Bo Hejlkov Elvén nennt sie schützende oder beruhigende Faktoren (Antonovsky benutzt die Begriffe Salutogenese/Gesundheitsfaktoren). Bei all diesen Faktoren geht es im Ziel immer darum, besser mit Stress fertig zu werden.
Das fünfte Kapitel bei Konflikten: Ruhe bewahren möchte gute Methoden vermitteln, um im Notfall mit Konflikten und Gewalt umgehen zu können. Den Einstieg bilden Emotionstheorien und das Konzept der Gefühlsansteckung. Der Autor erläutert, wie es gelingen kann, einen unaufgeregten Umgang zu initiieren, sodass Betreuende oder Eltern sich derart unter Kontrolle halten, dass sie nicht mit starken Emotionen reagieren. Es werden 11 verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt. Dazu gehört z.B. das Vermeiden von Blickkontakt oder Berührungen, das Einnehmen einer persönlichen Distanz oder das Abwarten. Bewährt haben sich auch Ablenkungsmanöver, zu ihrer Wirksamkeit liegen aus den USA zahlreiche Untersuchungen vor. Oberstes Ziel des Verhaltens von Betreuenden oder Eltern sollte sein, dem Betreffenden zu helfen, seine Selbstbeherrschung wieder zu finden.
Das Buch schließt im sechsten Kapitel mit einem Blick in die Zukunft, indem die wichtigsten Richtlinien nochmals zusammengefasst werden. Ein Grundprinzip lautet: „Menschen, die sich richtig verhalten können, werden es auch immer tun“ (S. 279). Verdachtsäußerungen in Hinblick auf eine böse Absicht oder Verweigerung der Klientel werden mit diesem Grundprinzip obsolet. Auch ist klar geworden, dass übliche Erziehungsmethoden bei Menschen mit sog. geistigen Behinderungen und neuropsychiatrischen Störungen nicht funktionieren. Es ist für den Autor von zentraler Bedeutung, dass das Ziel aller Methoden, die Selbstkontrolle der Person ist. Die Begleitung sollte immer auf Vertrauensbildung abzielen. Der Autor zieht Resümee: In den vergangenen 50 Jahren hat sich im Umgang mit Menschen mit Behinderungen viel weiterentwickelt. Deshalb ist es wichtig, Methoden aus der Vergangenheit zurücklassen.
Diskussion
Manchmal geht es um kurzfristige Lösungen für Verhaltensprobleme und manchmal erscheint es leicht, Lösungen zu finden, doch das kann ein Holzweg sein. In Hinblick auf nachhaltige Lösungen sollte die Frage, wie Verhaltensprobleme vermieden werden können und wie langfristig damit umgegangen werden sollte, im Mittelpunkt stehen.
Das Buch hält praxiserprobte Strategien im Umgang mit Menschen mit Behinderungserfahrungen bereit. Es ist sichtbar, dass der Autor aus der Praxis kommt, viel Erfahrung hat und weiß, wovon er spricht. So ist mit dem hier vorgelegten Buch ein praktischer Leitfaden entstanden, der einen neuen Blickwinkel auf Problemsituationen aufzeigt. Die Basis bildet ein „unaufgeregter Umgang“ mit den Dienstleistungsnehmern wie der Autor die Klient*innen bezeichnet, um Wege weg vom Stress hin zu Ruhe und Entspannung aufzuzeigen, was die Lebensqualität aller Beteiligten erheblich verbessert.
Besonders bemerkenswert empfinde ich den Begriff der „Dienstleistungsnehmer“, denn er macht die Zielrichtung deutlich. Hier wird nicht von Hilfebedürftigen gesprochen, sondern davon, dass Menschen mit Behinderungserfahrung eine Dienstleistung bekommen. Das Wort „dienen“ hat viele Bedeutungen. Passend finde ich das Dienen im Sinne von „sich einer Sache oder Person freiwillig unterzuordnen und für sie wirksam zu werden“. Mit dieser Bedeutung geht die Haltung einher, sich in den Dienst der Person zu stellen. Das ist ein anderer Blickwinkel als der übliche viel zu oft fremdbestimmte Ansatz, bei dem Außenstehende genau zu wissen meinen, was für die Person gut und richtig ist – beim Lesen des hier vorgelegten Buches wird klar, dass einer derartige Haltung völlig unangemessen ist.
Im Mittelpunkt von Bo Hejlkov Elvéns vertretenen Ansatz steht noch ein weiterer Aspekt: der Mensch mit Behinderungserfahrung behält die Kontrolle über sich selbst. Die darauf aufbauende Begleitung ist stets auf Vertrauensbildung ausgerichtet. Damit beschreibt der Autor einen neuen Umgang, der anders ist als der Umgang vergangener 50 Jahre. Ich kann der Forderung von Bo Hejlkov Elvén zustimmen: Methoden aus der Vergangenheit sollten zurückgelassen werden!
Selbstkontrolle bedeutet, Lösungsstrategien, die die Fokusperson für sich entwickelt hat, mit Ernsthaftigkeit zu begegnen. Handlungsleitend sollte sein, diese eigen-kreierten Strategien anzunehmen, zu unterstützen und zu begleiten. Leider werden sie oftmals nicht wahrgenommen, missachtet oder als ungünstig interpretiert. Damit wird die Chance vertan, die Person in ihren eigenen individuellen Ausdrucksformen, quasi in ihrer Kommunikationsform zu unterstützen. Vor 25 Jahren prägte ich einen Satz, der bis heute Gültigkeit hat: „Aggression ist Kommunikation“ – dieser Satz unterstreicht, dass Menschen verschiedene Kommunikationsformate nutzen. Begleitpersonen haben die Aufgabe, diese zu entschlüsseln und einen Umgang damit zu finden. Das ist Begegnung auf Augenhöhe. Doch leider ist dieses Vorgehen bis heute kein Standard. Stattdessen werden aus einer besserwisserischen Außenperspektive „gute Ratschläge“ entwickelt und es wird mit viel Energie daran gearbeitet, der Person die davon abgeleiteten Verhaltensweisen beizubringen.
Ich schließe mich dem Autor an, der zur Reflexion in zweierlei Hinsicht ermuntert. Erstens: Ratschläge können immer auch Schläge sein, auch dann, wenn aus wohlmeinenden Motiven gehandelt wird. Zweitens: Die Ablehnung individueller Lösungsansätze führt dazu, dass die Person neue Verhaltensweisen lernen muss. Etwas Neues zu lernen ist schwieriger und langwieriger, als vorhandene Verhaltensstrategien ernsthaft zu unterstützen. Ich bin nicht dagegen, dass Menschen Neues lernen, mir geht es darum, das vorhandene Strategien auf ihre Wirksamkeit geprüft werden, statt sie vorschnell als unpassend oder destruktiv zu verurteilen. Für diese Haltung bedarf es eines offenen und unvoreingenommenen Umgangs, denn solche individuell sinnvollen (Kommunikations-) Strategien können von außen betrachtet auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, lässt man sich aber für einen zweiten oder dritten Blick auf sie ein, so kann man feststellen, welchen Wert sie für die Person haben. Dieses Einlassen auf die Person, indem ein Stück in deren Schuhe gegangen wird und dieses sich Hineinversetzen ist eine Form der Würdigung und Anerkennung, Werte, die Bestandteil jeder Beziehung sein sollten. Dieser Paradigmenwechsel wird auch durch eine neue Sprache deutlich gemacht. Statt von Klientel und Mitarbeitenden spricht der Autor von „Dienstleistungsgebenden“ und „Dienstleistungsnehmenden“. Der gebende Part nimmt eine dienende Haltung ein, prozessführend ist die Klientin/der Klient.
Der Autor weiß: „Menschen, die sich richtig verhalten können, werden es auch immer tun“ (S. 279). Von außen formulierte Verdachtsäußerungen in Hinblick auf eine böse Absicht oder Verweigerung der Dienstleistungsnehmenden werden mit diesem Grundprinzip obsolet. In diesem Zusammenhang reflektiert der Autor, dass übliche Erziehungsmethoden bei Menschen mit sog. geistigen Behinderungen und neuropsychiatrischen Störungen nicht funktionieren, ergänzen möchte ich, dass es in der Arbeit mit Erwachsenen sicher nicht mehr um Erziehung geht! Ziel aller Methoden ist die Selbstkontrolle der Person, die Begleitung zielt auf Vertrauensbildung ab.
Ich bin dem Autor Bo Hejlkov Elvén sehr dankbar, dass er in seinem Buch die Auswirkungen von Stress näher beleuchtet, denn diese Zusammenhänge setzen sich nur schleppend durch. Er reflektiert 16 Grund-Stressfaktoren (die sich teilweise mit Erkenntnissen von Tony Attwood decken) wie z.B. schwache zentrale Kohärenz, Reizüberflutung, innerfamiliäre Probleme, Einsamkeit oder schmerzhafte Erkrankungen. Lenkt man die Perspektive auf diese Faktoren, so kann man feststellen, dass herausforderndes Verhalten durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst wird, der Autor spricht in diesem Zusammenhang von situativen Stressfaktoren wie Anforderungen, plötzliche Veränderungen, Ungerechtigkeiten, Konflikte etc. Auf 13 dieser 16 Faktoren geht er konkreter ein. Dabei beschreibt er auch (akute und dauerhafte) Warnsignale, Elvén nennt sie treffend „Chaossignale“.
Es gibt Faktoren, die dazu beitragen, das Risiko des psychischen Chaos zu verringern. In der Literatur findet man unterschiedliche Bezeichnungen, Bo Hejlkov Elvén nennt sie schützende oder beruhigende Faktoren (Antonovsky benutzt den Begriff Salutogenese oder den Begriff der Gesundheitsfaktoren). Im Ziel geht es bei all diesen Faktoren immer darum, besser mit Stress fertig zu werden. In der Begleitung herausfordernder Situationen sollte der Blick auf die situativen Stressfaktoren – da teile ich die Erfahrung des Autors – an erster Stelle stehen. Eine lernförderliche Umgebung verträgt sich nicht mit einem hohen Stresserleben, das gilt für jeden Menschen mit und ohne Behinderung! Gerade auf diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass der Faktor Stress in der Begleitung und Assistenz von Menschen mit Behinderungen bisher so wenig Beachtung findet. Hier sind die „Dienstleistungsgeber“ gefragt zu handeln, dazu bedarf es einer Haltungsänderung, die sich von der Erwartung verabschiedet, dass der Dienstleistungsnehmer sich ändert. Lösungsansätze liegen zu Hauf in der Umgebung, vorhandene stressbedingte Faktoren lassen sich oft leichter abbauen, als man denkt. Im Buch finden sich zahlreiche praktische Beispiele von Kindern und Erwachsenen mit unterschiedlichen Störungen und Behinderungen von Autismus bis zum Down Syndrom, die die möglichen positiven Veränderungen illustrieren.
Abschließend möchte ich auf den Aspekt des Strafens eingehen. Auch in dieser Hinsicht möchte ich mich beim Autor bedanken, dass er das Thema aufnimmt. Aus meiner Erfahrung ist es ein Irrsinn, selbstverständlich davon auszugehen, dass zu Konsequenzen Strafen gehören, ohne darüber nachzudenken, ob die Klientel die Zusammenhänge zwischen Ereignis und Strafe nachvollziehen kann. In von mir angeleiteten Fallgesprächen kann ich immer wieder herausarbeiten, dass das in den meisten Fällen nicht der Fall ist und strafende Konsequenzen auch schon deshalb keine Lösung darstellen. Der Fokus sollte bei Konsequenzen und Struktur liegen, denn damit lassen sich effektive Veränderungen erreichen. Folgendes Beispiel aus dem Schulalltag zeigt ein häufiges unsinniges Vorgehen: wenn Schüler*innen mit Behinderungen sich unangemessen verhalten, werden sie vom Unterricht ausgeschlossen und oft tagelang beurlaubt. Damit wird das Problem auf andere (die Eltern oder Wohngruppe) verschoben (statt, dass die Schule die Verantwortung übernimmt). Diese Konsequenz ist für eine Problemlösung vor Ort nicht förderlich. Im Gegenteil das Verhalten, das mit dieser Maßnahme bestraft werden soll, wird belohnt, denn im ungünstigsten Fall sitzt die Fokusperson zuhause Schokolade essend vor dem Fernseher.
Der Autor Bo Hejlkov Elvén hat das Buch Christer Magnusson gewidmet, der 2006 im Alter von 32 Jahren Opfer menschenverachtender Betreuungspraktiken wurde, an deren Folgen er und viele andere verstorben sind.
Fazit
Herausfordernde Verhaltensweisen werden häufig durch eine ungünstige Umgebung oder unrealistische Anforderungen ausgelöst. Auf eine neue, aufschlussreiche Weise geht der Autor Bo Hejlskov Elvén an das Thema heran. Er zeigt, wie sich das Verhalten von Menschen mit Autismus und anderen Entwicklungsstörungen oder geistigen Behinderungen, also von den wie er es nennt „Dienstleistungsnehmern“ „dramatisch“ zum Positiven verändern kann, wenn man diese Probleme identifiziert und richtig damit umgeht (Klappentext). Das Buch ist ein praktischer Leitfaden, der einen neuen Blickwinkel auf Problemsituationen aufzeigt und einfache und effektive Strategien vorschlägt, mit denen man positive Reaktionen herbeiführen und Methoden wie Bestrafung oder Fixierung vermeiden kann.
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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Zitiervorschlag
Petra Steinborn. Rezension vom 04.10.2017 zu:
Bo Hejlskov Elvén: Herausforderndes Verhalten vermeiden. Menschen mit Autismus und psychischen oder geistigen Einschränkungen positives Verhalten ermöglichen. dgvt-Verlag
(Tübingen) 2015.
ISBN 978-3-87159-237-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/22159.php, Datum des Zugriffs 12.10.2024.
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