Bernd-Dieter Meier: Kriminologie
Rezensiert von Sabine Hollewedde, 02.08.2017

Bernd-Dieter Meier: Kriminologie. Verlag C.H. Beck (München) 2016. 5., neu bearbeitet Auflage. 353 Seiten. ISBN 978-3-406-69580-3. D: 25,00 EUR, A: 25,80 EUR.
Thema
In nun fünfter Auflage bietet dieser Band, erschienen in der Reihe „Grundrisse des Rechts“, eine umfassende Einführung in die Kriminologie und stellt dabei sowohl klassische Theorien wie auch aktuelle Problemfelder kriminologischer Forschung vor. Das Buch ist an Studierende gerichtet und als Lehrbuch konzipiert. Durch die systematische Gliederung und die umfassende Behandlung von Grundbegriffen der Kriminologie bietet Bernd-Dieter Meier einen fundierten Überblick über das Fach.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist systematisch und übersichtlich in Paragraphen gegliedert und baut inhaltlich von grundlegenden Begriffen zu spezielleren Problemen der Kriminologie auf. Neben der im Literaturverzeichnis aufgeführten Literatur werden nach jedem Paragraphen Empfehlungen zur vertiefenden Lektüre gegeben. Die theoretische Darstellung der Begriffe und kriminologischen Probleme werden anschaulich durch Beispiele ergänzt, sodass der Praxisbezug in diesem Buch stets im Vordergrund steht. Wie der Autor im Vorwort schreibt, richtet sich der Band vornehmlich an Studierende der Rechtswissenschaften und ist in der Darstellung „an den Interessen und Bedürfnissen von Studierenden“ orientiert (S. V).
Einleitend stellt der Autor Gegenstandsbereich und Grundbegriffe der Kriminologie vor und führt so in den weiten Bereich der kriminologischen Theorien ein. „Die Kriminologie ist diejenige Wissenschaft, die sich mit Kriminalität als einem sozialen Phänomen beschäftigt, mit den Hintergründen von Straftaten, den Folgen, die das strafbare Verhalten für das Opfer und die Gesellschaft hat, sowie mit der Art und Weise, in der die staatlichen Organe auf das Bekanntwerden strafbarer Handlungen reagieren.“ (S. 2) Damit sei die Kriminologie zu unterscheiden von angrenzenden Disziplinen wie der Kriminalistik, der Juristerei und der Kriminalpolitik und wird demgegenüber von Meier als eine „Grundlagendisziplin“ vorgestellt. Nach weiteren grundlegenden Klärungen zum Verbrechensbegriff und zum Erkenntnisinteresse der Kriminologie folgen die ebenfalls hervorzuhebenden §§ 2 und 3, in denen ein Überblick über die Geschichte der Kriminologie sowie über die wichtigsten kriminologischen Theorien gegeben wird, die laut Meier das „Rückgrat der Kriminologie bilden“ (S. 32). Hier gibt der Autor nicht nur einen Überblick über Theorien, sondern gibt den Lesern auch neben der historischen Einordnung Kriterien zur Beurteilung und Brauchbarkeit von Theorien für unterschiedliche Problemfelder an die Hand. In einem abschließenden Vergleich stellt der Autor heraus, dass die „meisten der bisher entwickelten Theorien […] nur einzelne Erscheinungsformen der Kriminalität, nicht das Gesamtspektrum“ erklären (S. 90), sodass am konkreten Gegenstand die Angemessenheit einer Theorie zu prüfen sei. Zugleich betont Meier, dass die Theorien praktische Implikationen haben und hebt somit ihren Stellenwert für die Kriminologie hervor. (S. 91) Es folgt ein Überblick über kriminologische Forschungsmethoden (§ 4), wobei auf mögliche Probleme bei Erhebung wie Auswertung der Daten verwiesen wird.
Nach diesen einführenden Abschnitten folgen Paragraphen zu „Umfang, Struktur und Entwicklung der registrierten Kriminalität“ (§ 5) sowie zur Untersuchung der Täterpersönlichkeit (§ 6), zum Problem der Vorhersage von Straftaten (§ 7) und zur Bedeutung des Verbrechensopfers für die Kriminologie (§ 8). Dabei sensibilisiert Meier für den Umgang mit verfügbaren Quellen sowie die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion von Kriminalität. „Die Wahrnehmung und Bewertung von Kriminalität ist das Ergebnis individuell und institutionell unterschiedlicher Konstruktionsprozesse.“ (S. 119) Insofern ist die Perspektive und das öffentliche Interesse in der Wahrnehmung von Kriminalität zu beachten. Hinzu kommt, dass die verfügbaren Statistiken (wie die Polizeiliche Kriminalstatistik oder Justizstatistiken) unterschiedliche Bereiche von Kriminalität und Delinquenz erfassen, was es in der Arbeit mit den Quellen zu beachten gilt. Außerdem muss der Bereich des „Dunkelfelds“ beachtet werden. Hier stellt Meier spezielle Befragungstechniken vor, welche im Bereich der Dunkelfeldforschung Anwendung finden.
Es folgen in den §§ 9 und 10 Ausführungen zu Strafrechtlicher Sozialkontrolle und zu Kriminalprävention. Dabei geht es um die „Fähigkeit einer Gesellschaft, sich nach den jeweils erwünschten Prinzipien und Werten selbst zu regulieren und soziale Ordnung herzustellen“ (S. 239), wobei die von der Familie bis hin zum Strafrecht unterschiedlichen sozialen Zusammenhänge für die soziale Kontrolle bedeutsam sind. Für die Kriminologie relevant ist das Konzept der sozialen Kontrolle, da es „deutlich macht, dass die strafrechtlichen Bemühungen um die Herstellung von Verhaltenskonformität in einem größeren Gesamtzusammenhang von gesellschaftlichen Prozessen stehen, die auf die Beeinflussung und Veränderung von Verhalten abzielen.“ (S. 240) Die Problematik der strafrechtlichen Sozialkontrolle führt auf das Konzept der Prävention, welches als „Leitgedanke des modernen Strafrechts“ gelten kann (S. 246). Es ist allerdings festzuhalten, dass das Konzept der Kriminalprävention sich von dem der sozialen Kontrolle unterscheidet: „Während das Konzept der Sozialkontrolle die Fragen der Einflussnahme und der Verhaltenssteuerung thematisiert, stellt das Konzept der Kriminalprävention das Ziel dieser Steuerung in den Mittelpunkt: die Verhinderung von Straftaten. Sachlich ist das Konzept der Kriminalprävention damit breiter angelegt als das der strafrechtlichen Sozialkontrolle“. (S. 291) Konzept und präventive Praxis werden vorgestellt, sowie Forschungsbereiche zur Wirksamkeit von Prävention dargestellt. Unter der Überschrift „Rechtspolitische Perspektiven“ werden auch Probleme der präventiven Praxis angesprochen. „Während sich über das allgemeine Ziel, dass Vorbeugen besser ist als Strafen, relativ schnell Einigkeit herstellen lässt, ist damit noch nicht gesagt, dass auch über den Weg zu diesem Ziel Konsens besteht.“ (S. 310) Auseinander gingen die Linien zwischen Freiheit auf der einen und Sicherheit auf der anderen Seite. Hinzu kommen ökonomische Fragen derart, dass kriminalpräventive Maßnahmen in der Regel von den Kommunen zu finanzieren sind. Da sich gerade im Bereich der Prävention die Maßnahmen und deren Wirksamkeit schwer überprüfen lassen, sie sich zudem „auch mit den gesellschaftlichen Wertvorstellungen vereinbaren“ lassen müssen, sei es kaum möglich zu prognostizieren, in welche Richtung sich Kriminalprävention in Forschung und Praxis entwickeln werde. „In der schwierigen Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit sollte im Zweifel stets der Freiheit der Vorrang eingeräumt werden.“ (S. 312)
Den Band schließen die § 11 zur Wirtschaftskriminalität und § 12 zu Kriminalität und Strafverfolgung in Europa ab. Meier hebt die Bedeutung der Wirtschaftskriminalität hervor, da diese zwar einen relativ kleinen Ausschnitt der Kriminalität ausmache, einen „qualitativ aber äußerst bedeutsamen Ausschnitt“. (S. 313) Der durch Wirtschaftskriminalität angerichtete materielle Schaden ist in Relation zur Häufigkeit enorm. Da Wirtschaftskriminalität jedoch besondere Strukturen aufweise (wie typischerweise eine große Distanz zwischen Täter und Opfer; das Sozialprofil der Täter; die Verborgenheit der Tat), sei es schwer, eine greifende Bestimmung hierzu zu geben. Dennoch sei es angesichts des entstehenden Schadens geboten, präventive Maßnahmen zu entwickeln. „Auch wenn die theoretische Durchdringung der Wirtschaftskriminalität bislang noch nicht abschließend gelungen ist, ist es notwendig und legitim, sich auf der pragmatischen Ebene um die Prävention zu bemühen.“ (S. 327)
Durch die politische und rechtliche Verflechtung in der Europäischen Union ist der Blick über die Grenzen des Nationalstaates hinaus auch für die Kriminologie geboten. Es ist „ein neuer kriminalgeorafischer Raum entstanden, der nach einer neuen ‚europäischen Kriminologie‘ verlangt.“ (S. 330) Hierbei gibt es aufgrund der teils unterschiedlichen strafrechtlichen Lagen und der Möglichkeiten der statistischen Erfassung von Delikten besondere Schwierigkeiten für kriminologische Forschungen. Meier macht deutlich, dass die Kriminologie in diesem Aufgabenbereich noch viele offene Fragen aufweist und zumindest die deutsche Kriminologie weitgehend nationalstaatlich orientiert ist. „Festzustellen ist, dass sich jedenfalls die deutsche Kriminologie erst in Ansätzen den sich aus dem Zusammenwachsen Europas erbenden Fragestellungen zugewandt hat“. (S. 345)
Fazit
In seinem Lehrbuch gibt Meier eine umfangreiche, informative und zugleich übersichtliche Einführung in Theorien und Probleme der Kriminologie. Verschiedene Ansätze und Diskussionen in der Kriminologie werden abwägend dargestellt und für die LeserInnen nachvollziehbar gemacht. Durch die zusätzlichen Literaturempfehlungen wird ein weiterführendes Studium angeregt. Diese hier in fünfter Auflage vorliegende Einführung ist daher vor allem Studierenden der Rechts- und Sozialwissenschaften zu empfehlen, die einen Einstieg in den Bereich der Kriminologie bekommen möchten.
Rezension von
Sabine Hollewedde
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