Klaus-Peter Hufer: Argumentationstraining gegen Stammtischparolen
Rezensiert von Dr. Rolf Frankenberger, 27.06.2017

Klaus-Peter Hufer: Argumentationstraining gegen Stammtischparolen. Materialien und Anleitungen für Bildungsarbeit und Selbstlernen. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2016. 10. Auflage. 117 Seiten. ISBN 978-3-87920-054-2. 10,00 EUR.
Thema
Einfache Schlagwörter und emotionalisierte, polarisierende Parolen mit klaren Zuweisungen von Schuld und Verantwortung und meist ohne empirische Fundierung – so begegnet uns Populismus im Alltag und in der Politik. Mit solchen oftmals als „Stammtischparolen“ bezeichneten sprachlichen Äußerungen wird von PolitikernInnen und BürgerInnen Meinung gemacht und polemisiert – meist gegen Minderheiten wie Ausländer, Flüchtlinge, Linke, Muslime, oder eine als korrupt wahrgenommene politische Elite. In solchen Äußerungen treten vermehrt gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und rechtsextreme Einstellungen zutage, die mit den demokratischen Werten und einer demokratischen Diskussionskultur brechen und diese gezielt untergraben.
Mit dem hier rezensierten Band liegt nun die inzwischen zehnte Auflage eines Klassikers des Argumentationstrainings vor, der „ganz praktisch Handlungsformen und -wege sowie angemessene Argumentationsstrategien in schwierigen Situationen aufzeigen“ und zu einer Positionierung für „Menschenrechte, Toleranz, Gewaltfreiheit, eine zivile politische Kultur“ ermuntern will.
Autor
Der Autor Klaus-Peter Hufer ist Erwachsenenbildner, Fachbereichsleiter Geistes- und Sozialwissenschaften der Kreisvolkshochschule Viersen und außerplanmäßiger Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Autor und Dozent zahlreicher Publikationen, Vorträge und Kurse im Bereich der politischen Erwachsenenbildung und der politischen Bildung gegen Rechtsextremismus.
Enstehungshintergrund
Das vorliegende Buch hat der Autor unter Verwendung der Erfahrungen aus zahlreichen Seminaren in der Erwachsenenbildung verfasst. Es richtet sich neben ModeratorInnen von Gruppen in der Bildungsarbeit auch an Mitglieder zivilgesellschaftlicher Gruppen und Menschen, die sich gegen Stammtischparolen wappnen wollen und/oder solche Argumentationstrainings selbst durchführen wollen.
Aufbau und Inhalt
Das Argumentationstraining ist in zwölf Kapitel unterteilt. In jedem Kapitel finden sich inhaltliche Ausführungen zum jeweiligen Thema, speziell gekennzeichnete Informationen für
- ModeratorInnen (I) und
- Autodidakten (A) sowie
- praktische Übungen (Ü) in Argumentationstrainings und
- Materialien (M), die in Gruppen und von SelbstlernerInnen genutzt werden können.
Zunächst werden in Kapitel 1 (S. 6-12) die Konzeption und der Gebrauch des Buches sowie die Idee eines Argumentationstrainings erläutert.
In Kapitel 2 (S. 13-17) werden wichtige Schritte für die Planung eines Argumentationstrainings aufgezeigt: Wer sind die TeilnehmerInnen, welcher Zeitrahmen ist gegeben, welche Räumlichkeiten stehen zur Verfügung? Auch wird eine Materialliste vorgeschlagen
Nichts ist wichtiger als der Einstieg in ein Seminar. Mit dem Seminarbeginn beschäftigt sich der Autor in Kapitel 3 (S. 18-27). Dabei betont er die Bedeutung des sozialen Klimas in einem solchen Seminar. Eine Vorstellungsrunde, die Diskussion der Teilnahmemotive und der Rolle des Moderators sowie die Annäherung an das Thema werden als sinnvolle Schritte der Einführung kurz vorgestellt.
Die Auseinandersetzung mit Stammtischparolen ist Gegenstand von Kapitel 4 (S. 28-44). Dabei geht es Hufer zunächst darum, dass die TeilnehmerInnen selbst solche Parolen formulieren und diese schriftlich fixiert werden. Sie dienen als Ausgangspunkt der pratischen Arbeit und als Hinweis auf die Interessenlage der TeilnehmerInnen. In einem zweiten Schritt schlägt Hufer ein Rollenspiel vor, um die Auseinandersetzung zu vertiefen. Einige TeilnehmerInnen führen dabei ein Stammtischgespräch, während die übrigen TeilnehmerInnen diese Diskussion beobachten und analysieren sollen. In der Auswertung diskutieren beide Gruppen miteinander.
Kapitel 5 (S. 45-52) bietet eine kurze inhaltliche Vertiefung zur Formulierung von Gegenargumenten zu Stammtischparolen in den Themenbereichen Ausländerpolitik, Asylfragen, Entwicklungspolitik, Sozialpolitik und Armut, Politikverdrossenheit und Rechtsextremismus. Hier werden Parolen mit zentralen gegenargumenten kontrastiert. Hufer verbindet damit den Hinweis, dass einige Themen immer aufkommen werden, auf die die Seminarleitung auch inhaltlich vorbereitet sein sollte, um klassische politische Bildungsarbeit leisten zu können.
In Kapitel 6 (S. 53-77) werden psychologische Hintergründe von Stammtischparolen erläutert, so dass LeserInnen wie TeilnehmerInnen ein Verständnis für deren Aufkommen und Äußerung entwickeln können. Dabei geht der Autor anhand von Übungen und Erläuterungen vertieft auf Vorurteile, Aggression und Autoritarismus als psychologische und sozialpsychologische Ursachen für die Verwendung von Stammtischparolen ein. Vorurteile als stereotype, klischeehafte und häufig negative „Einstellungen gegenüber Einzelnen oder Gruppen“ (S. 63) haben dabei oft eine entlastende Funktion für die jeweiligen Personen und stabilisieren gleichzeitig bestimmte Herrschaftsmechanismen. Auch Aggressionen, die aus Trieben, Frustration oder gelerntem Verhalten heraus resultieren können, spielen am Stammtisch eine bedeutsame Rolle, so Hufer (S. 68). Sie machen die Auseinandersetzung mit Stammtischparolen zusätzlich schwierig. Nicht zuletzt seien autoritäre Charakterzüge wie Konventionalismus, autoritäre Unterwürfigkeit und Aggression, Aberglaube und Stereotypie, wie sie Theodor W. Adorno in seinen Studien zum autoritären Charakter 1973 formulierte, ein wesentlicher Treiber populistischer Argumentation (S. 75ff)
Mit der Frage der von Stammtischparolen ausgehenden Gefahr setzt sich Hufer in Kapitel 7 (S. 78-83) auseinander. Dabei betont er vor allem, dass Stammtischparolen aus demokratischer Sicht niemals zu unterschätzen seien. Sie sind häufig Ausdruck undemokratischer Einstellungen, verstärken sich gegenseitig, sind Grundlage und bieten Nährboden für „menschenverachtende politische Ideologien“ (S. 79)
Kapitel 8 (S. 84-103) ist daher Gegenstrategien zu Stammtischparolen gewidmet. Ausgehend von einer zusammenfassenden Charakterisierung von Stammtischparolen, die von TeilnehmerInnen der von Hufer angebotenen Trainings erarbeitet wurden, schlägt er verschiedene Strategien vor, wie die Einzelnen reagieren können. Dabei sind Hufer zwei Dinge wichtig.
- Erstens sind besonders starre Meinungen gemäß der Theorie der kognitiven Dissonanz nach Leon Festinger kaum durch Argumente und Fakten zu erschüttern.
- Und zweitens ist es hilfreich, soziale Unterstützung für die Parolen möglichst gering zu halten.
Konkret bietet Hufer eine Sammlung von erfolgversprechenden und weniger erfolgversprechenden Verhaltensweisen an. Wenig erfolgversprechend sind dabei etwa Moralisierungen, Überheblichkeit oder Belehrung. Problematisch sei zudem der Versuch, mit Gegenparolen zu antworten. Sehr viel hilfreicher sei es beispielsweise, stringent eine Argumentationslinie zu verfolgen, leise und sachlich zu bleiben, eine offene Körpersprache zu verwenden und Kooperationspartner einzubinden. Mit Hans-Peter Nolting sowie Hubert Schleichert führt er einige „nicht-aggressive Reaktionen auf Provokationen“ an:
- Provokationen ignorieren
- Fragen und Argumente an den Provokateur herantragen
- Ich-Botschaften senden
- Subversiv argumentieren und auf problematische Positionen, Seltsamkeiten in der Argumentation sowie Abstrusitäten hinweisen, indem man sie ad absurdum führt.
Die Kapitel 9 (Wo finde ich was?), Kapitel 10 (Kurzporträts von KursteilnehmerInnen), Kapitel 11 (Argumentationstraining und Politische Bildung) sowie Kapitel 12 (Literaturempfehlungen) runden den Band als Serviceteil ab.
Diskussion
Dem insgesamt sehr gelungenen und praxisorientierten Band täte es meines Erachtens gut, wenn die Beispiele in einer weiteren Auflage aktualisiert und ergänzt würden. Gerade die heute aktuellen Themen wie Islam und Religion, Flüchtlinge, die EU und die vermeintlich entkoppelten politischen Eliten sind Gegenstand populistischer Agitation. In diese Richtung könnte der Band erweitert werden, gerade auch weil eine Übertragung der Erkenntnisse auf diese Themen für Laien nicht immer problemlos möglich ist.
Fazit
Das inzwischen als Klassiker zu bezeichnende kleine, aber feine Buch ermöglicht sowohl MultiplikatorInnen als auch interessierten BürgerInnen einen Einstieg in die Thematik Argumentation. Es ist übersichtlich strukturiert und bietet mit den vielen praxisnahen Materialen und Vertiefungen gute Übungs- und Erkenntnismöglichkeiten, die eigene Argumentationsfähigkeit zu stärken, um Demokratie und Menschenrechte gegen populistische Parolen zu verteidigen.
Rezension von
Dr. Rolf Frankenberger
Politikwissenschaftler
Mailformular
Es gibt 22 Rezensionen von Rolf Frankenberger.