Dagmar Müller: Was hindert Frauen an der Karriere?
Rezensiert von Diplom-Psychologin Regina Michalik, 07.03.2017

Dagmar Müller: Was hindert Frauen an der Karriere?
Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2016.
61 Seiten.
ISBN 978-3-7841-2766-8.
D: 7,50 EUR,
A: 7,80 EUR,
CH: 8,50 sFr.
Soziale Arbeit kontrovers, 13. Deutscher Verein für Öffentliche und Private Fürsorge e.V. (Hrsg.).
Wie erhöht man den Frauenanteil in Führungspositionen?
Die Debatte ist relativ alt und von verschiedensten Seiten geführt. Sowohl die Gründe dafür, dass in allen Branchen mehr Männer als Frauen in Führung sind, wurden zahlreich dargelegt, als auch die Lösungsmöglichkeiten diskutiert – von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, politischen Interventionen bis zu Maßnahmen, die auf die Frauen selbst, ihre Persönlichkeit wie ihre Kompetenzen zielen. Das vorliegende schmale Büchlein verspricht einen Blick in eine besondere Branche – die Sozialwirtschaft. Denn es erscheint in der Reihe ‚Soziale Arbeit‘, herausgegeben vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. und deutet im Vorwort wie in Gliederung an, dass man hier mehr über die spezielle Branche erfährt: eine Branche mit einem hohen Frauenanteil, die die sogenannten ‚weiblichen Fähigkeiten‘ besonders zu schätzen scheint, und in der dennoch der Männeranteil in Führungspositionen höher ist als der Frauenanteil.
Autorin
Die Autorin selbst kommt aus der Branche und ist Referentin in der Fachgruppe Familienpolitik und Familienförderung am Deutschen Jugendinstitut und Arbeitet zu Karriereverläufen von Frauen. Es ist also wissenschaftliche wie praktische Expertise zu erwarten.
Aufbau
Die Broschüre ist gut gegliedert. Sie verspricht neben Daten und Fakten, einer Beantwortung der Frage, warum überhaupt Frauen in Führungspositionen sollten, ein Kapitel über die Hindernisse und Lösungsansätze. Alles in allem in knapp 60 Seiten.
Inhalt
Die grundlegende These der Autorin: Die Unterrepräsentanz von Frauen ist vor allem strukturell bedingt: Frauen wird die Zuständigkeit für Fürsorge gegeben, die gleichzeitig gesellschaftlich abgewertet wird; die Karrierelogik orientiert sich am männlichen Lebenslauf (Vollzeit, keine familiären Unterbrechungen, 150%iger Einsatz). Die Autorin bekennt sich zu einer Gleichstellungspolitik, die nicht nur Nachteile beseitigen, sondern auch aktive Förderung betreiben soll. Darüberhinaus sollen Männer ausreichend beteiligt werden, wo sie unterrepräsentiert sind, wie in der Sozialwirtschaft.
Unter ‚Führungskraft‘ versteht die Autorin eine große Bandbreite von Positionen je nach Größe des Unternehmens und Struktur der jeweiligen Hierarchie. In der Sozialen Arbeit sind dabei die Hierarchien meist flacher, und die Mitwirkung Ehrenamtlicher ist zusätzlich etwas Besonderes. Auch sind Führungskräfte hier häufiger als sonst in der Doppelrolle als Fachkraft und Leitung; Gehalts- und Aufstiegschancen sind geringer, was mit der immer noch bestehenden Konnotation als ‚Frauenberuf‘ und der Abwertung von Fürsorge zusammenhängt.
Auf diesem breiten Verständnis von Führungskraft zitiert die Autorin einige bekannte Zahlen über Frauen in Führung über alle Branchen. Die Besonderheit im sozialen Bereich: der Frauenanteil in den Führungspositionen ist relativ hoch, entspricht aber bei weitem nicht ihrem Anteil an den Beschäftigten. Hier wäre eine differenziertere Auflistung von Zahlen, auch über die unterschiedlichen Bereiche in der Sozialwirtschaft, und eine Beschreibung der besonderen Führungssituation in der Sozialwirtschaft schön gewesen.
Die Autorin begründet die Notwendigkeit von mehr Führungsfrauen mit dem Hinweis auf Legitimation, Effektivität von gemischten Teams etc. und stellt die erforschten Gründe für die Unterrepräsentanz dar: neben strukturellen sind dies Führungsmotivation, Berufswahl, Lebenslauf, Karrierevorstellungen, Netzwerkverhalten von Frauen etc.
Als Lösungsansätze beschreibt sie die Quote, die veränderte Auswahl von Führungskräften, gesetzliche Veränderungen hinsichtlich Steuermodellen, Entgelten und Tarifverträgen sowie strukturelle bezüglich Kinderbetreuung und Pflege.
Diskussion
Die Daten und Fakten, die die Autorin zusammenstellt, sind an vielen anderen Stellen nachzulesen; die Zusammenfassung in der Kürze kann aber ein hilfreiches Instrument sein für Leser_innen, die sich kurz und knapp einen Überblick schaffen wollen. Überall da, wo die Besonderheiten der Sozialwirtschaft erwähnt werden, wäre eine breitere und tiefere Darstellung wünschenswert gewesen. Allerdings scheinen hierzu die Fakten zu fehlen. Dennoch wären ein paar begründete Thesen und Vorschläge, wie sich die bekannte Situation in der Sozialwirtschaft erklärt und verändern könnte, interessant gewesen. Zum Beispiel zur Bedeutung des Konzepts der ‚coolness‘ als neues ‚Modell pflegerischer Professionalität‘, das sie als ‚Maskulinisierungspolitik‘ anreißt.
Fazit
Ein guter kurzer Überblick über bekannte Daten, Hintergründe der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen einschließlich Lösungsansätzen. Die Besonderheit in der Sozialwirtschaft kommt aber zu kurz. Hier leiten der Titel der Reihe, der Herausgeber und die Ankündigung der Autorin leider fehl, sodass Leser_innen enttäuscht werden müssen.
Rezension von
Diplom-Psychologin Regina Michalik
Organisationsberaterin und Supervisorin
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