Claudius Hennig, Uwe Knödler: Schulprobleme lösen (systemische Beratung)
Rezensiert von Dr. Torsten Mergen, 01.06.2017

Claudius Hennig, Uwe Knödler: Schulprobleme lösen. Ein Handbuch für die systemische Beratung. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2017. 4., Neuausgabe, 4., neu ausgestattete Auflage. 304 Seiten. ISBN 978-3-407-63013-1. D: 24,95 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 34,60 sFr.
Thema
Das Buch stellt für den Umgang mit „Problemfamilien“ und „Problemkindern“ im Schul- und Berufsalltag einen systemischen Ansatz vor, der diagnostische und therapeutische Lösungsansätze praxisnah beschreibt und durch zahlreiche Beispiele, Methoden und vertiefende Hinweise bereichert.
Autoren
Claudius Hennig, geb. 1950, arbeitete von 1975 bis 2012 als Schulpsychologe an der Tübinger Schulpsychologischen Beratungsstelle und ist Autor zahlreicher pädagogisch-psychologscher Fachbücher.
Uwe Knödler, geb. 1955, ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Er arbeitet seit 2008 als Leiter der Psychologischen Beratungsstelle des Landkreises Ludwigsburg.
Entstehungshintergrund
Der Band hat seine Wurzeln in den 1980er Jahren mit dem Siegeszug des systemischen Ansatzes in Beratung und Therapie. Die Vorgängerausgabe erlebte fünf Auflagen und wurde 2007 als „komplette Neugestaltung“ (S. 9) vorgelegt, die nun mit der vorliegenden Neubearbeitung von 2017 in vierter Auflage erscheint: „Bewährte und in der Praxis erprobte neuere Methoden der systemischen Beratungsarbeit mit schulschwierigen Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien machen den zentralen Teil des Buches aus. (…) Das vorliegende Buch ist von Praktikern (…) für Praktiker geschrieben.“ (S. 9)
Aufbau
Der Band ist nach zwei Vorworten, einer Einleitung und vier typischen Fallbeispielen zur Einführung differenziert gegliedert:
1. Grundhaltungen und Leitlinien der systemischen Beratung
2. Struktur und Phasen des systemischen Beratungsgesprächs
- Vorüberlegungen
- Struktur und Phasen des systemischen Erstgesprächs
3. Methoden der systemischen Familienberatung
- Diagnostische Methoden der systemischen Beratung
- Methoden zur Veränderung des Familiensystems
- Methoden für besondere Anlässe: Subsystemarbeit – Herkunftsfamilie – Trennung/Scheidung
4. Kontakt zwischen systemischem Berater und Schule
- Grundsätze schulischer Beratungsarbeit
- Kooperation mit dem Lehrer bzw. weiteren Fachdiensten an der Schule
- Beratung auf personaler und systemischer Ebene: ein systemisches Stockwerkmodell
5. Anhang: Materialien
Der Band wird abgerundet durch ein übersichtliches Literatur- und ein Stichwortverzeichnis.
Inhalt
In der kurzen Einleitung stellen die beiden Autoren den schulischen Kontext des systemischen Ansatzes her: „Auf den Schüler mit Schulproblemen bezogen (…) bedeutet das, dass er nicht als isoliertes Individuum betrachtet wird, dem die Schulprobleme gleichsam wie Persönlichkeitsmerkmale anhaften. Vielmehr erleben wir ihn als Mitglied dreier relevanter Bezugsgruppen, nämlich seiner Herkunftsfamilie, der Schulklasse und der Gruppe der Gleichaltrigen“ (S. 11).
Daran schließen sich vier Fallbeispiele für typische Problemsituationen im Kontext der Schule an:
- Scheidungssituation in der Familie mit negativem Einfluss auf die schulischen Leistungen des Kindes,
- Einzelkindproblematik und damit generierte Unselbstständigkeit,
- Leistungsüberforderung an einer neuen Schule,
- Nichtbeachtung der Eltern-Kind-Generationsgrenze.
Das erste Kapitel liefert das Fundament für die systemische Beratung, indem Grundhaltungen und Leitlinien verdeutlicht werden. Die Leitthese des Bandes lautet insofern: „Wir sehen die Herausbildung von Symptomen, also auch Schulprobleme, als einen verzweifelten Versuch des Systems, zu überleben, als Lösungsversuch eines Problems, der selber zum Problem wird“ (S. 35). Insofern beschreiben Claudius Hennig und Uwe Knödler die Grundhaltungen des systemisch arbeitenden Beraters konstruktiv mit:
- Ressourcenorientierung
- Empathie und Wertschätzung
- Kontextberücksichtigung
- Eigenverantwortung stärkend
- Lösungsfokussierung
- Neutralität bzw. Allparteilichkeit.
Das zweite Kapitel ist der Strukturierung des systemischen Beratungsprozesses gewidmet, für den ein Vierer-Schritt ausführlich vorgestellt und erläutert wird, der aus den Arbeitsfeldern Erhebung des Ausgangszustandes bzw. Problemwahrnehmung und -beschreibung, Erklärungsmodelle bzw. Zielklärung, Lösungsideen und Umsetzung besteht.
Das dritte Kapitel stellt den Schwerpunkt des Bandes dar – sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Thematik: Die Autoren beschreiben differenziert die systemisch-lösungsorientierten Methoden der Beratung, wobei sie als Ordnungsschema die Lern- und Sinneskanäle der Familienmitglieder zugrunde legen. Zentral ist der Aspekt der Diagnose „zur Erkundung der inneren Familienstruktur“ (S. 80), wobei verbale, visuelle und kinästhetische (handlungsorientierte) sowie beobachtungsbasierte Methoden differenziert werden. Daran schließt sich die Frage nach den sog. Veränderungsmethoden an, welche wiederum nach Wahrnehmungskanälen geordnet sind. Abgerundet wird das Kapitel durch Methoden für besondere Anlässe wie beispielsweise dem Umfeld (der „Herkunftsfamilie“) oder der spezifischenSituation von Trennungs- und Scheidungsfamilien. Resümierend legen Hennig und Knödler großen Wert auf den gesteuerten „Abschluss des Therapieprozesses“ (S. 254), wozu Ruhe und Zeit gehören, um Bilanz zu ziehen und Abschied zu nehmen.
Das vierte Kapitel erläutert die Grundlagen und den Prozess der Kontaktaufnahme des systemisch orientierten Beraters mit den schulischen Akteuren (Lehrkräfte, Schulleitung), ferner wird ein „systemisches Stockwerkmodell“ (S. 269) vorgestellt, das verschiedene Interventionsebenen zur Problemlösung umfasst, um die wünschenswerten Veränderungen zu stabilisieren. Als wesentliche Grundsätze für die Arbeit von externen Beratern im Kontext der Schule werden herausgestellt:
- Gleichberechtigte Kooperation mit den Fachkräften an der Schule,
- Klare Definition der Regeln der Beziehung und der jeweiligen Aufgabengebiete,
- Positive Bewertung der bisherigen schulischen Aktivitäten,
- Beachtung der Bedürfnisse und Bedingungen der schulischen Arbeitswelt,
- Überschaubarkeit des Beobachtungs- und Interventionsbereichs,
- Respekt vor den institutionellen Hierarchien und Kommunikationsregeln,
- Vermeidung symmetrisch-rivalisierender Kommunikationsformen,
- Lösungs- und Ressourcenorientierung durch Bestimmung von Erfolgskriterien der Kooperation.
Der umfangreiche Anhang liefert zahlreiche Übersichten, Auswertungsbögen, Checklisten und Kriterienkataloge, die für die Beratungsarbeit hilfreich sein können und sich in der Praxis der beiden Autoren bewährt haben.
Diskussion
Nicht ohne Grund hat sich der Band von Claudius Hennig und Uwe Knödler einen festen Platz in der Handbibliothek vieler Schulpsychologen und Sozialarbeiter erobert: Seit mehreren Jahrzehnten finden sich hier die ersten Ideen, Prozessmuster und Checklisten, die eine systemische Beratung mit Problemschülern und ihren Familien flankieren. Der Band ist durch eine dezidiert wertorientierte Herangehensweise und ein offenes Menschenbild geprägt, wenn die Autoren etwa postulieren: „Wir sehen jedes Verhalten, also auch das auffällige, als erklärbar und sinnvoll in seinem Bezugsrahmen und mit einer Kommunikationskomponente versehen an.“ (S. 13) Dies ist die Chance und die Herausforderung für alle am Beratungsprozess Beteiligten, wobei die beiden Autoren aus ihrer eigenen Praxis reichlich Struktur- und Lösungswissen einfließen lassen. Dazu ist der Band sehr gut strukturiert, die Ausführungen sind gut verständlich aufbereitet, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Graphiken, Visualisierungen und Schaubilder. Ein Stichwortregister erleichtert die schnelle Orientierung.
Fazit
Das Buch „Schulprobleme lösen“ hat sich in den letzten Jahrzehnten einen festen Platz im Schulbetrieb erworben. Es stellt für alle an Schule Beteiligten – auch ohne systemische Vorkenntnisse – eine hilfreiche und praxisorientierte Einführung in systemische Beratungsprozesse und -chancen dar. Klar und verständlich geschrieben, erfüllt der Band die Ansprüche, die Claudius Hennig und Uwe Knödler einführend beschrieben haben: „Das vorliegende Handbuch unterstützt die Beratungskraft darin, zu reflektieren, in welcher Phase des Gesprächs sie sich befindet, wie es um die aktuelle Kooperationsbereitschaft des familiären oder schulischen Umfelds bestellt ist, und mit welchen Methoden sie zur Lösung des Problems beitragen kann.“ (S. 8)
Rezension von
Dr. Torsten Mergen
Universität des Saarlandes, Fachrichtung 4.1
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