Hans Dusolt: Oma und Opa können helfen
Rezensiert von Dr. Martin R. Textor, 21.12.2004

Hans Dusolt: Oma und Opa können helfen. Was Grosseltern bei Trennung oder Scheidung tun können.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2004.
160 Seiten.
ISBN 978-3-407-22876-5.
12,90 EUR.
CH: 23,50 sFr.
Reihe: Beltz Taschenbuch - 876.
Das Thema
Jede Trennung bzw. Scheidung von Ehepartnern mit Kindern betrifft auch die erweiterte Familie. Großeltern erleben diese Situation - und ihr Kind in dieser Lebenslage - ganz unterschiedlich. Häufig beobachten sie, wie ihre Enkel leiden, und haben zugleich das Gefühl, kaum helfen zu können. In den Monaten/Jahren nach der Trennung wird oft die Beziehung zu dem Schwiegerkind aufgelöst - und damit besteht die Gefahr, den Kontakt zu den Enkeln zu verlieren, wenn diese in dessen Haushalt leben.
Der Familienpsychologe und Psychotherapeut Hans Dusolt ist einer der ersten, die sich mit der Rolle der Großeltern im Scheidungsgeschehen befasst hat. Sein Taschenbuch beinhaltet aber keine wissenschaftliche Analyse, sondern ist als "Orientierungshilfe" zu verstehen: Großeltern sollen auf den gleichen Wissensstand wie Ehepartner gebracht werden, damit sie das Trennungsgeschehen besser verstehen und ihre Funktion in ihm bestimmen können.
Keine Familie ohne Großeltern!
Im ersten Teil des Buches analysiert Dusolt die Rolle von Großeltern als aktive Mitglieder eines Familiensystems, das durch Genogramme verdeutlicht wird. Diese zeigen außerdem, wie schnell mit der Anzahl der Mitglieder die Zahl der Beziehungen steigt, dass also die Komplexität des Systems immer größer wird. Mit Hilfe von Genogrammen lässt sich auch leicht erfassen, welche Auswirkungen eine Trennung bzw. Scheidung auf das Beziehungsgeflecht hat.
Dusolt beschreibt, wie Großeltern die Partnerwahl beeinflussen und dass die Erfahrungen, die ihr Kind in seiner Herkunftsfamilie gesammelt hat, später zu Eheproblemen und sogar zur Trennung führen können, wenn der Partner bzw. die Partnerin ganz andere Bedürfnisse, Erwartungen und "Aufträge" mitbringt. Ferner erläutert er problematische Beziehungskonstellationen, die Folgen mangelnder Ablösung von der Herkunftsfamilie, Konflikte zwischen Großeltern und erwachsenen Kindern und andere Faktoren, die zu einer Trennung beitragen können.
Trennung und Scheidung: Psychologische und rechtliche Grundlagen
Im zweiten Teil des Buches versucht Dusolt zunächst, Großeltern zu verdeutlichen, was bei einer Trennung passiert. Er stellt die verschiedenen Phasen des Scheidungszyklus vor und beschreibt, welche Folgen eine Trennung für das Erleben und Verhalten der betroffenen Kinder haben können. Dann befasst er sich mit den Konsequenzen für Großeltern: ihren Gefühlen von Hilflosigkeit und Schuld, der Frage der Loyalität und der Sorge um ihre Enkel. Er schreibt: "Bei der Trennung der Eltern bewegen sich Großeltern ... einerseits in einem hochsensiblen Spannungsfeld zwischen Nichteinmischung und starker Identifizierung mit einer der beiden Seiten, andrerseits zwischen der Erwartung eines intensiveren Kontakts mit den Enkelkindern und der Angst, diese zu verlieren" (S. 64).
Dann versucht Dusolt, das "Wohl des Kindes" in der Trennungssituation zu bestimmen. Er betont, dass für Kinder der Erhalt der Beziehungen zu Mutter und Vater von zentraler Bedeutung ist, dass ihnen aber auch ihre Beziehungen zu den Großeltern wichtig sind. Kinder benötigen Informationen über das, was in ihrer Familie geschieht und im Verlauf der nächsten Wochen bzw. Monate noch passieren wird. Ferner muss sichergestellt werden, dass ihre Bedürfnisse auch in der Trennungssituation befriedigt werden.
Anhand von Gesetzestexten vermittelt Dusolt die wichtigsten rechtlichen Grundlagen zur elterlichen Sorge und zum Umgangsrecht, wobei er auch bestimmte Regelungen empfiehlt, die weitere Konflikte zu vermeiden helfen. Dann widmet er sich dem Umgangsrecht von Großeltern, das aber nur dann gegeben ist, "wenn das Kind bereits Bindungen zu den Großeltern besitzt und die Aufrechterhaltung dieser Bindungen seiner Entwicklung förderlich ist" (S. 98). Anschließend stellt er Institutionen und Personen vor, die bei Scheidungen eine Rolle spielen: Gericht, Jugendamt, Beratungsstellen, Rechtsanwälte, Mediatoren, Gutachter usw. Er beschreibt das gerichtliche Verfahren und betont die Bedeutung einvernehmlicher Regelungen. Schließlich erklärt er den "begleiteten Umgang" und geht kurz auf finanzielle Fragen ein.
Die Trennungsfamilie in der Praxis: Möglichkeiten und Grenzen der Großeltern
Im dritten und letzten Teil des Buches beschreibt Dusolt, wie Großeltern einen positiven Einfluss auf das Trennungsgeschehen ausüben können. Insbesondere widmet er sich der Frage, wie sie ihre Enkelkinder unterstützen können, ohne dass dies von den Eltern als Einmischung oder "Konkurrenz" erlebt wird. Er warnt davor, unüberlegt die Verantwortung für die Enkel übernehmen oder als Vermittler auftreten zu wollen. Besser ist es, immer wieder das Gespräch mit den Enkeln zu suchen und ihnen so die Möglichkeit zu bieten, offen über ihre Gefühle, Ängste und Wünsche zu reden. Hilfreich dürften hierbei die von ihm aufgelisteten Grundregeln für Gespräche sein.
Ferner geht Dusolt auf Beziehungsblockaden - die wieder anhand von Genogrammen verdeutlicht werden - und deren Folgen, insbesondere für die Kinder, ein. Er zeigt, wie sich neue Liebesbeziehungen auswirken, und beschreibt, wie eine Stieffamilie entsteht. Auch hier wird wieder die Situation der Großeltern thematisiert. So wird als positiv herausgestellt, dass sie eventuell Stiefenkel und neue Enkel bekommen. Allerdings wird dann das Familiensystem noch komplexer und schwerer überschaubar.
Schließlich befasst sich Dusolt noch mit praktischen Fragen: Wie beschenke ich meine Enkel richtig und gerecht? Wie können Familienfeiern auch nach Trennung/ Scheidung gemeinsam gestaltet werden? In einem "Ausblick" präsentiert Dusolt Antworten auf 12 zentrale Fragen von Großeltern. Im Anhang des Buches befinden sich ein Stichwortverzeichnis, eine thematisch geordnete Literaturliste und einige hilfreiche Adressen.
Fazit
Dieses Taschenbuch füllt eine Lücke auf dem Ratgebermarkt. Es kann Großeltern guten Gewissens empfohlen werden, da es fachlich fundiert, gut lesbar und voller hilfreicher Vorschläge ist. Viele Fallbeispiele und Transkripte verdeutlichen problematische und positiv verlaufende (Gesprächs-) Situationen. Das Buch ist aber auch für Fachleute lesenswert, da es die bisher wenig beachtete Rolle von Großeltern im Scheidungsgeschehen beleuchtet. Es wird deutlich, dass diese - nicht nur für ihre Enkel, sondern auch für ihre (Schwieger-) Kinder - eine wichtige Ressource sein können. So gilt es insbesondere in der Beratung, den betroffenen Scheidungsfamilien diese Ressource zu erschließen.
Rezension von
Dr. Martin R. Textor
Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF)
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