Heribert Prantl: Was ein Einzelner vermag
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 02.03.2017

Heribert Prantl: Was ein Einzelner vermag. Politische Zeitgeschichten. Süddeutsche Zeitung Edition (München) 2016. 240 Seiten. ISBN 978-3-86497-352-9. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Wie aus Utopien Wirklichkeiten werden können
In den Zeiten, in denen Populisten, Nationalisten, Faschisten, Rassisten und Fundamentalisten lautstark ihre scheinbaren „Wahrheiten“ verkünden und ihre Rezepte und allzu einfachen Antworten auf die immer wieder schwierige Gesellschafts- und Weltentwicklung hinausschreien, und zu viele „Einfachdenker“ ihnen folgen, ist es wichtig, selbst zu denken und nicht andere für sich denken zu lassen (Karl Heinz Bohrer, Selbstdenker und Systemdenker. Über agonales Denken, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/12903.php). Es braucht den Mut und die Kraft, trotz der scheinbaren und tatsächlichen Probleme, der sich andeutenden und wirklichen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, der menschengemachten Katastrophen und Konflikte, nicht zu resignieren oder sich den möglicherweise verlockenden und wohlfeilen Einstellungen hinzugeben: „Da kann man ja sowieso nichts machen!“ oder: „Da könnte ja jeder kommen!“ oder: „Das haben wir schon immer so gemacht!“ oder: „Das haben wir noch nie so gemacht!“. Es sind Einstellungen und Mentalitäten, die entweder egoistisch und egozentrisch oder angepasst motiviert sind.
Menschliches Denken und Handeln ist bestimmt von den vielfältigen, parallelen wie konträren Situationen und Begebenheiten, Ursachen und Wirkungen. Menschliche Existenz ist eingebunden in Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges. Zeit, Raum und Veränderung sind die Stabilisatoren, wenn es um die Frage der Fragen geht: „Wer bin ich?“. Phantasie und Wirklichkeit sind die Kletterseile im Auf und Ab des Lebens. Als Marker lassen sich dabei die Fähigkeiten zum utopischen Denken kennzeichnen. Vom antiken griechischen Philosophen Heraklit kommt die Erkenntnis: „Alles ist im Fluss“, was bedeutet, dass der Mensch ein homo kinêsis, ein im dauernden Wandel begriffenes Lebewesen ist. So stellt sich die Kompetenz, Unsichtbares zu sehen und Unmögliches zu denken, wenn es als humaner, utopischer Akt von Möglichkeit geschieht, als eine wünschenswerte und kritische Eigenschaft dar, um das Leben der Menschen als Individuum und Menschheit zum Besseren und Menschenwürdigen hin zu verändern.
Entstehungshintergrund und Autor
Wir sind in den Zeiten der Unsicherheiten auf der Suche nach Menschen, die als Gesellschafts- und Gemeinschaftswesen wahrhaftig leben; die Erich Kästners Weisheit – „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ – als Lebensprinzip adaptiert haben. Man kann sie als „Vorbilder“ bezeichnen, weil ihr Denken und Handeln authentisch ist; weil sie „mit sich im Reinen sind“, und dies auch in ihrer Umwelt zeigen; weil sie ehrlich und konsequent sind; und weil ihr individuelles und gesellschaftspolitisches Tun glaubhaft und hilfreich für die humane Weiterentwicklung der Menschheit ist. Es sind keine Götter oder Heroen und auf einem hohen Thron oder einem hierarchischen Podest schwebende Geister, sondern (eigentlich) Menschen wie Du und Ich!
Der Leitartikler, Journalist und politische Publizist Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, ist ein gefragter Gesprächspartner bei Talkshows und aktuell-politischen Magazinen, und als wissenschaftlicher Lehrender und Berater. Seine zahlreichen Veröffentlichungen zur Lage des Landes und der Welt bieten dem Leser hilfreiche Erkenntnisse und Einsichten an. Die Auszeichnungen und Preise, die er bisher erhielt, künden von der gesellschaftlichen Anerkennung seiner journalistischen Arbeit.
Es mag Spekulation des Rezensenten sein, dass Heribert Prantl ein Buch kurz vor seinem 65. Geburtstag mit dem Titel „Was ein Einzelner vermag“ herausbringt, gewissermaßen als Zwischenfazit seines beruflichen Wirkens und mit dem Fingerzeig darauf, dass der Mensch als Individuum die Eigenschaften pflegen und zeigen sollte, die den anthrôpos im Sinne der anthropologisch-aristotelischen Philosophie zu einem homo empathicus und einem zôon politikon machen. Mit seinen politischen Zeitgeschichten erzählt er von Menschen, die „in ihrer jeweiligen Welt, so groß oder klein sie war, Wegweiser gesetzt“ haben. Damit verdeutlicht er auch sein Lebensmotto: „Es ist nicht egal, was man tut, wie man es tut und wozu man es tut“; vielmehr kommt es darauf an, selbstbewusst, authentisch, ehrlich, human, demokratisch und zivilgesellschaftlich zum Wohl der menschlichen Gemeinschaft zu handeln.
Die vierzig Portraits von „großen Zwergen und kleinen Riesen“, deren Wirken und Haltung oftmals nicht als Schlaglichter und Events in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit registriert wurden, und die trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) positive Wirkungen erzeugten, kritisches Bewusstsein stärkten und durch ihr Handeln gegen Gleichgültigkeit, Machtmissbrauch, soziale Kälte, Hass, Menschenverachtung, Nationalismus und Rassismus auftraten. Er nennt sie „Helden der Nachkriegsjahrzehnte“, und als Zeitmaß nimmt der Autor die vergangenen 15 Jahre. Damit gibt er den Leserinnen und Lesern die Chance, durchaus aktuell und zeitgemäß eigene Erinnerungen und Erfahrungen zu reflektieren, und den Nachgeborenen Nachhilfeunterricht zu geben. Es sind Menschen, die noch leben und gesellschaftlich und politisch aktiv sind, und Gestorbene.
Aufbau und Inhalt
Prantl gliedert seine Portraits-Sammlung in die Kapitel
- „Parteifreunde“,
- „Parteigenossen“,
- „Parteikameraden“,
- „Starke Frauen“,
- „Starke Männer“,
- „Wilde Kerle“,
- „Staats- und Heimatschützer“ und
- „Dichter, Denker, Pinselkünstler“.
Bei der Aufzählung der 40 ausgewählten Individuen geht es dem Autor nicht darum, Biographien zu erzählen; vielmehr folgt er mit der Darstellung von Verhaltensweisen und Aktivitäten der Einzelnen seiner Frage, „was denn ein Einzelner schon bewirken kann“, und er gibt seine Antwort darauf: „Ziemlich viel“. Es sind Menschen, die ihre Überzeugungen nicht einfach für sich gelebt haben, sondern sich damit auf den öffentlichen Markt begeben haben, die laut und deutlich, überzeugend und zornig, empathisch und fordernd gegen Missstände und Fehlentwicklungen und ihrer Meinung nach falschen, politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen vorgegangen sind – strategisch und kalkuliert berechnend, wagend und selbstbewusst, emotional und auf Glück bauend. Allen ist gemeinsam, dass ihr Wirken und ihre Überzeugungen im Moment der jeweils aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation kontrovers zur Diskussion stand und sie Angriffen sowohl von ihren Freunden, als auch ihren Gegnern ausgesetzt waren. Ihre Standhaftigkeit, die nicht Sturheit oder Besserwisserei bedeutet, ist vermutlich die Eigenschaft, die ihr Wirken erinnerns-, erzählens-, nachahmenswert und diskussionswürdig macht. Dass dabei auch unterschiedliche Auffassungen, positive und negative Bewertungen der aufgeführten Aktivitäten durch die Leser zur Sprache kommen dürfen und sollen, unterscheidet die ausgewählten Erzählungen von Dogmen oder alleingültigen, ideologischen „Wahrheiten“ und zeigt, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, die Vorbilder sein können für ein demokratisch und zivilgesellschaftliches Bewusstsein eines jeden von uns!
Mit der Differenzierung von „Parteifreunden“ und „Parteigenossen“ wählt Heribert Prantl Politiker aus den Volksparteien CDU und SPD aus, wie etwa Heiner Geißler, bei dem er feststellt: „Ohne ihn wäre die CDU nicht, was sie ist“; und zwar vor allem durch seine eigenständige, unabhängige und nicht angepasste Haltung, die ihn in seiner Partei Erfolge und Niederlagen beschert hat, ihn aber bis heute davon überzeugt sein lässt, dass es sich lohnt, gegen Dummheit, Claqueurismus, Ideologie und Populismus anzutreten.
Helmut Kohl bezeichnet der Autor einen „Riesen außer Dienst“, wenn er ihm zuspricht, dass er der einzige Deutsche seiner Generation sei, der Weltgeschichte geschrieben habe. Das Portraits Prantls von Kohl kommentiert die Süddeutsche Zeitung mit dem durchaus pikanten Hinweis, dass die Kontakte zwischen dem vormaligen Juristen und Richter und späteren Journalisten Prantl mit dem Politiker Kohl auch „landsmannschaftlich“ geprägt seien: Der Oberpfälzer Prantl und der Pfälzer Kohl sind auch geschichtlich miteinander verbunden, weil im Hausvertrag von Pavia 1329 Bayern geteilt wurde und der nordöstliche Teil an die Rheinpfalz ging.
Rainer Barzel, „der Mann, der fast Bundeskanzler war“ und trotz seiner auch von Parteifreunden zugefügten und beförderten Niederlagen immer er selbst blieb; Lothar Späth, „ein schwäbischer Herkules“, der Pragmatismus als sein Lebens- und Handlungsziel praktizierte; Wolfgang Schäuble, der als „Diener des Staates“, der trotz seines ihm von anderen zugefügten Handicaps ein Überzeugungsredner ist und, ginge es nach Prantl, ein „geborener Bundespräsident“ wäre. Und in diesem Reigen Angela Merkel, die „Frau Staatsmann“, die Nüchternheit mit Empathie zu verbinden vermag und ihren politischen Erfolg verdankt, dass sie „stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort (war) und … dort das Richtige gemacht“ hat.
Dann die zweite Schiene mit Hans-Jochen Vogel als den „Kardinal der SPD“; mit Gerhard Schröder als dem „Agenda-Kanzler“. An Oskar Lafontaine hat sich Prantl immer wieder abgearbeitet. Dass er für ihn die Überschrift „Die Geschichte kann kommen“ wählt, zeigt die Spannweite und Irritation, die „der Enkel von Willy Brandt“ ausstrahlt, auch wenn die Brisanz langsam schwindet. Da ist Peer Steinbrück mit seinen Eigenschaften: „Harte Schale, weicher Kern“, und seinen treffenden Analysen: „Wer sich nicht einmischt, muss sich nicht wundern, wenn er von Dümmeren regiert wird als er selbst“.
Was sind „Parteikameraden“? Franz-Josef Strauß, dem er „das Kreuz des Südens“ anheftet; oder Peter Gauweiler, der „Intellektuelle in Lederhosen“ und das „Mir san mir“ mit Redeflorett und juristischem Talar eher rechthaberisch zelebriert; Edmund Stoiber, der „Kunstschmied“, der sich dreht und biegt und schindet und Emotionen scheut; Günther Beckstein, der als evangelischer Franke und bayerischer Ministerpräsident als „Nachfahre des Ochsensepp“ durch die Lande zog.
Mit „Starke Frauen“ zollt Prantl denjenigen Respekt, die in der Politik die männlichen Mauern zu durchbrechen versuchten, wie Rita Süßmuth, die der „CDU den Feminismus beigebracht“ hat und unermüdlich auf die Grund- und Menschenrechte pochte, wie sie im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland postuliert sind. Neben den vielen bekannten Gesichtern gibt es auch solche, deren zivilgesellschaftliches und politisches Wirken in der Öffentlichkeit eher unbekannt ist, wie das von Anni Kammerlander, die 18 Jahre lang „Refugio“, das Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer in München leitete und Zeichen für Solidarität, Widerstand und Zivilcourage setzte. Der Autor nennt auch Heide Pfarr, deren wissenschaftliches und politisches Wirken zur „Zielscheibe schwacher Männer“ wurde, weil sie mit dem Anspruch der Gleichberechtigung die Gesellschaft veränderte. Dort, wo Frauen zum Ärgernis bei Männern und für sie werden, ist immer Durchsetzungskraft im Spiel, wie bei Renate Damm und anderen Rechtsanwältinnen, die dem (Meinungsfreiheits-)Recht in der Gesellschaft zum Durchbruch verhalfen. Dabei ist auch die Berliner Journalistin Anetta Kahane zu nennen, deren Menschenrechtsarbeit und ihr Eintreten gegen Rassismus, Menschen- und Fremdenfeindlichkeit beispielhaft für humanes, friedliches und gleichberechtigtes Denken und Handeln gilt.
Neben starken Frauen gibt es auch „Starke Männer“, wie z. B. den Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der Zeit seines Lebens als Jurist für Aufklärung und Verantwortung der Deutschen bei den NS-Verbrechen eintrat. Dann Horst Herold, zu dessen Zeit als Chef des Bundeskriminalamts die Bekämpfung der Gräueltaten und Verbrechen der RAF gehörten, und der die Computerfahndung einführte. Ob der Staat es ihm, „dem besten Polizisten der Welt“, wie Prantl ihn bezeichnet, dankt? Da ist auch Jürgen Micksch zu nennen, der mehr als zwei Jahrzehnte Herz und Kopf von „Pro Asyl“ war und unermüdlich für Menschenrechte eintritt und als der typische „Anti-Pegidist“, der für Zivilcourage und aktives, demokratisches Mitgestalten eintritt, bezeichnet werden kann. Auch Walter Scheel, der liberale Pragmatiker der Macht ist immer dafür eingetreten, „hoch auf dem gelben Wagen“ gerecht zu leben und dieses Gefühl als Bundespräsident auch zu vermitteln. An Hans-Dietrich Genscher, den Prantl den „Metternich aus Halle“ nennt, zu erinnern ist nicht nur wert, weil er mit seiner Person und seinem politischen Wirken die Kontinuität in die deutsche Außenpolitik brachte, sondern durch seine empathische Haltung Politik als positiv lebbar lebte. Vom Münchner Strafverteidiger Rolf Bossi ist das Wort überliefert: „Wo wir sind, ist das Recht zu suchen“. Sein durchaus egomanisches Wirken hat die Chancen der Gewaltenteilung als demokratische Grundfeste ins gesellschaftliche Bewusstsein gebracht.
Wo leben die „wilden Kerle“? Ernst Müller-Meiningen jr., den Prantl als „das gute Gewissen des liberalen Journalismus in Deutschland“ bezeichnet, lebte in München und hat von 1946 als Mitbegründer der Süddeutschen Zeitung bis Ende 1979 als politischer Redakteur gewirkt. Mit seinem berühmten Kürzel „M-M.jr“ hat er über Jahrzehnte hinweg für die freiheitlich-demokratischen Werte gefochten. Mit seiner empathischen, persönlichen und sachbezogenen Replik erinnert Prantl an seinen Journalistenkollegen, dem es gelang, mit „Distanz zu sich selber“ Zeichen zu setzen. Obwohl der journalistische Beruf wenig geeignet für die Unsterblichkeit sei, wie Prantl betont, ist auch der zweite „wilde Kerl“ ein Journalist: Der US-amerikanische Blogger, Schriftsteller und Rechtsanwalt Glenn Greenwald, der 2013 die Snowden-Dokumente veröffentlichte und damit die globalen Überwachungs- und Spionageaffäre öffentlich machte. Auch Rupert Neudeck gehört dazu. Als Pazifist, Humanist und Journalist gründete er die NGOs Cap Anamur und Grünhelme. Als Animator, Organisator und Aktivist gelang es ihm, nicht nur ehrenamtliches und bürgerschaftliches Handeln als gesellschaftlichen Anspruch zu etablieren, sondern auch, gewissermaßen als „heiliger Rupert“, Empathie und Akzeptanz zu erzeugen.
In die Rubrik „Staats- und Heimatschützer“ ordnet Prantl den Strafverteidiger bei den RAF-Prozessen und Innenminister, Otto Schily, ein. Als Verkörperer von staatlicher Macht und Gewalt, den er als eine in steingemeißelte, auf einem Sockel platzierte Figur beschreibt, und der er bei den Gelegenheiten habhaft wird, „wenn er einmal von seinem hohen Sockel heruntersteigt“. Hans Schuierer kennen nur Insider und Oberpfälzer. Der Landrat von Schwandorf verhinderte Mitte bis Ende der 1980er Jahre den in seinem Landkreis geplanten Bau der atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Der engagierte und konsequente Widerstand, für den der „Titan von Wackersdorf“ exemplarisch steht, kann als der Beginn der gesellschaftlichen Diskussion über den Ausstieg aus der Atomkraft gelten. Den Oberpfälzer „SPD-Rambo“ und „Dorfbua“ Ludwig Stiegler benennt Prantl als „Sancho Pansa aus der Oberpfalz“. Sein Wirken als Rechtsanwalt und Bundestagsabgeordneter „mit rotem Pullunder“ ist von der parteipolitischen Situation in Bayern bestimmt, in der die CSU in vielen Gemeinden absolute, unantastbare (und gottgesandte) Alleinherrschaft praktiziert und die SPD Marginalie ist. „Der gute Pate von Palermo“, der Europapolitiker und Bürgermeister der sizilianischen Stadt Palermo, Leoluca Orlando, ist durch die Mafia, die viele Namen hat, gefährdet. Er steht unter Personenschutz. Die Begegnungen mit ihm und sein engagiertes, demokratisches und furchtloses Schaffen für die Gemeinschaft seiner Heimatstadt bieten Parallelen an: „In Sizilien heißt das, was das Gemeinwesen zerstört, Mafia. In Deutschland heißt es Neonazismus und Antisemitismus“.
Im letzten Kapitel – „Dichter, Denker, Pinselkünstler“ – wird als „öffentlicher Intellektueller“ Oskar Negt vorgestellt. Der Hannöversche Kritische Theoretiker, Sozialphilosoph, Soziologe und politischer Aufklärer hat sich den Maulwurf als Initiationssymbol gewählt. Er ist davon überzeugt, dass der Mensch als zoôn politikon lebt und lernen muss, politisch zu denken und sein Dasein zu gestalten. „Soziale Gerechtigkeit … ist das Produkt eines umsichtigen Sozialstaates“. Peter Häberle, der „schwäbisch sprechende Weltgeist“ wird als „einer der fünf größten Staatsrechtslehrer nach dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet. Er lebt in Bayreuth, und zwar „nicht wegen, sondern trotz Richard Wagner“. Die Affäre um die Plagiatsnachweise der von ihm betreuten Doktorarbeit des CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg, hat Häberle persönlich und fachlich beschädigt und verzweifeln lassen. Ist es Flucht, dass er nach seiner Emeritierung von Bayreuth immer wieder nach Rom und an die Universität ins spanische Granada auswich, wo er als „Humanista“ anerkannt und verehrt wird? Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle ist „der Mann, der Scherben kitten kann“. Sein Wirken beim höchsten deutschen Gericht gründet auf der Überzeugung, die uns allen gut täte: „Die Verfassung, die wir haben, heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist“. Auch der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, hat „mit dem Willen zur Wahrheit“ gearbeitet und gelebt. Als Strafrechtler lag ihm vor allem der Datenschutz am Herzen. Der Richter, Fotograf und Schriftsteller Benno Hurt thematisiert anschaulich und begreifbar den Grundkonflikt zwischen Anpassung und Widerstand im individuellen und gesellschaftlichen Leben der Menschen. Mit „seinem Werk macht … (er) aus der Welt eine Provinz, weil er die Machtverhältnisse überschaubar macht“. Da ist auch noch Christian Semler, einer der Anführer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Bei seinem Weg vom Maoisten bis zum heutigen, anerkannten demokratischen Publizisten der taz verdeutlicht er, dass politisches Denken weder vom Himmel fällt, noch von Ideologien angeliefert wird, sondern mühsam und stetig als Aufklärungs- und Denkprozess erworben werden muss. Bei der Suche nach außergewöhnlichen, gewöhnlichen Menschen trifft man auch auf den österreichischen Verleger und Chefredakteur des Wiener Magazins „Falter“, Armin Thurnher, der mit seiner Streitschrift die Fackel der Aufklärung und Vernunft hoch hält. Und schließlich das 40. Vorbild: Der Cartoonist, Philosoph, Satiriker, Maler und Schriftsteller Hans Traxler. Wenn man sich die Frage stellt: „Wie bin ich geworden, wie und was ich bin?“, kommt man nicht selten auf Ereignisse und Situationen, die für den weiteren Lebensweg prägend waren. Bei Hans Traxler war es die bigotte, gottgewollte und unantastbare Tradition der katholischen Kirche in der Bischofsstadt Regensburg, in der die aus dem Sudentenland 1945 vertriebene Familie landete. Seine Abkehr von der angeborenen Weltanschauung führte ihn schließlich nach Frankfurt und zur „Frankfurter Schule“. Dort, in der Mainuferanlage in Frankfurt-Oberrad, steht das von ihm entworfene Denkmal „Ich“, ein zu Stein gewordenes Monument seiner Individual- und Gesellschaftskritik.
Fazit
Man muss mit der Auswahl von Prantls Protagonisten bei der Darstellung von Beispielen für individuelles, gesellschaftspolitisches Tun nicht einverstanden sein. Ob es die wichtigsten und zuerst zu nennenden Menschen der Jetztzeit sind, die zeigen, dass aktives, verantwortungsbewusstes und nachahmenswertes demokratisches und menschenwürdiges Handeln nicht nur notwendig, sondern auch möglich und machbar ist, braucht hier auch nicht thematisiert werden. Es sind Menschen, die der Journalist Heribert Prantl in seinem beruflichen Kontext kennengelernt und über sie geschrieben hat. Für den Leser ergeben sich daraus zwei Signale, die durchaus Motivation für die eigene Auseinandersetzung mit individuellem und gesellschaftlichem Engagement und Verantwortung sein können: Es ist die Kraft des Einzelnen, die humane Gemeinschaft ermöglicht! Und: Der Einzelne kann mit seiner Verantwortung viel erreichen!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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