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Verena Caroline Buschert: StaKogT - stadienspezifisches kognitives Training bei leichter kognitiver Störung

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 18.08.2017

Cover Verena Caroline Buschert: StaKogT - stadienspezifisches kognitives Training bei leichter kognitiver Störung ISBN 978-3-662-50342-3

Verena Caroline Buschert: StaKogT - stadienspezifisches kognitives Training bei leichter kognitiver Störung. Springer (Berlin) 2017. 234 Seiten. ISBN 978-3-662-50342-3. D: 39,99 EUR, A: 41,11 EUR, CH: 41,50 sFr.

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Thema

Leichte kognitive Störungen zeigen sich meist nicht auf dem ersten Blick, sondern eher bei komplexeren Aufgabenstellungen im Beruf oder im sozialen Umfeld. So werden oft die Defizite zuerst von Mitarbeitern und von Angehörigen erlebt. Die Konzentrationsfähigkeit kann bereits beeinträchtigt sein und bei einer detaillierten Befragung zeigen sich zunehmend Gedächtnislücken, Wiederholungen und Orientierungsfehler. Diagnostisch befindet sich die Personengruppe mit leichten kognitiven Störungen im Stadium 3 der Reisberg-Skalen und erzielt beim MMSE (Mini-Mental-State Examination nach Folstein et al. 1975) durchschnittlich einen Wert von 25 Punkten (maximal 30 Punkte). Es bedarf des Hinweises, dass etwa nur jeder dritte ältere Mensch mit einer „leichten kognitiven Störung“ innerhalb von drei Jahren eine Demenz entwickelt, während hingegen ein Drittel der Patienten kognitiv unverändert bleibt und ein Drittel sich kognitiv verbessert.

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um ein Gedächtnistrainingsprogramm für Personen mit leichten kognitiven Störungen.

Autorin

Dr. Verena Buschert ist laut Klappentext abweichend vom Profil ihrer Website (www.neuropsychologie-therapie.de/Profil) „Neuropsychologin“. Sie arbeitet in einer Klinik in Wasserburg am Inn sowie freiberuflich in einer Praxis für neuropsychologische Therapie in München.

Aufbau

Die Arbeit ist in vier Abschnitte mit insgesamt 32 Kapiteln unterteilt.

  1. Theorie (Seite 3 – 17) mit den Kapiteln 1 bis 3 „Kognitive Intervention bei leichter kognitiver Störung und Alzheimer-Demenz“, „Wissenschaftliche Grundlagen“ und „Konzeption der Therapieinhalte“.
  2. Therapiemanual (Seite 21 – 33) mit dem Kapitel 4 „StaKogT“ (Stadienspezifisches kognitives Training)
  3. Praxisteil – StaKogT Module Gruppenprogramm (Seite 37 – 167) mit den Kapiteln 5 bis 18: Einführung und Gedächtnisprozesse, Aufmerksamkeit, Tiere, Namen merken, Jahreszeit, Prospektives Gedächtnis und Automatisieren von Handlungen, Kleidung, Wahrnehmung, Musik, Zahlen merken, Geld, Kompetenz und Wiederholung, Märchen und Reisen und Abschluss.
  4. Praxisteil – StaKogT Module Singleprogramm (Seite 171 – 232) enthält mit den Kapiteln 19 bis 32 die Inhalte des Abschnittes III als Einzelprogramm aufbereitet.

Ausgewählte Inhalte

Aus dem Abschnitt Theorie sind folgende Ausführungen von Bedeutung

  • Bei 10 und 34 Prozent der Personen, bei denen eine leichte kognitive Störung (LKS) festgestellt wurde, erkrankten laut einer Metaanalyse aus dem Jahre 2013 innerhalb eines Jahres an einer Demenz. Leider versäumt die Autorin den Anteil der Personen mit LKS anzuführen, die nicht in das Stadium einer Demenz gelangen.
  • Eine medikamentöse Therapie für die LKS wird gegenwärtig nicht empfohlen. Untersuchungen zeigen jedoch, dass kognitive Interventionsmaßnahmen eine deutliche Verbesserung der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit bewirken. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass diese positiven Leistungseffekte sich kurzfristig quasi nach der Interventionsmaßnahme erheben ließen. Langzeitstudien bezüglich einer längeren Wirksamkeit der Trainingseffekte fehlen jedoch bisher.
  • Das Modell der kognitiven Reserve wird als Begründung verwendet, um die oft gravierende Diskrepanz zwischen demenzspezifischer Hirnpathologie auf der einen Seite und der gleichzeitig fehlenden klinischen Symptomatik im kognitiven Bereich (Gedächtnis, Wahrnehmung, Verhalten u.a.) auf der anderen Seite zu erklären. Das Konstrukt kognitive Reserve geht davon aus, dass durch ständige geistige Aktivitäten im Beruf und Alltag ähnlich wie bei einem Training Hirnkapazitäten geschaffen werden, die bei der Demenz protektiv im Sinne eines verzögerten Beginns der Erkrankung wirksam werden. Das neurophysiologische Korrelat der kognitiven Reserve besteht aus der neuronalen Plastizität, die besagt, dass geistige und körperliche Aktivitäten zu Veränderungen in den zuständigen Hirnarealen (Dichte der Synapsen u.a.) führen.
  • Bezüglich der Therapieinhalte ihres Konzeptes führt die Autorin folgende „kognitionsbezogene Therapiekomponenten“ an: kognitive Funktionsbereiche, Metakognition, nichtkognitive Maßnahmen, soziale Interaktion und Psychomotorik und Entspannung. Als Therapieziele werden die Erhaltung und Förderung des allgemeinen kognitiven und funktionalen Status und die Exploration, Erhaltung und Förderung persönlicher Ressourcen angegeben.

Im Abschnitt Therapiemanual werden die wesentlichen Aspekte des Trainingsprogramms vorgestellt:

  • Das Trainingsprogramm besteht aus 14 Einheiten á 90 Minuten (Gruppentraining) bzw. 45 Minuten (Einzeltraining), die im wöchentlichen Abstand durchgeführt werden. In stationären Einrichtungen können auch zwei Sitzungen pro Woche angeboten werden.
  • Das Therapiemanual umfasst „restitutive Ansätze“ (Übungen mit standardisierten Aufgaben), kompensatorische Ansätze (u.a. externe Gedächtnishilfen und Erwartungsanpassung), soziale Interaktion und die Vermittlung von Grundlagenwissen („Metakognition“). Überwiegend wird von der Autorin selbst entwickeltes Trainingsmaterial verwendet. Darüber hinaus wird auf Übungen aus der Verbandszeitschrift „denkzettel“ und aus den Ausbildungsunterlagen des Bundesverbandes Gedächtnistraining e.V. zurückgegriffen.
  • Die Zielgruppe besteht aus Patienten mit leichter kognitiver Störung mit der Prognose einer dementiellen Erkrankung und den ausreichenden kognitiven Fähigkeiten für das Trainingsprogramm und der hierfür erforderlichen Motivation.
  • Die Therapieunterlagen bestehen aus Arbeitsblättern und Übungsvorlagen, Übungskarten, Merkblättern und Impulskarten zu den jeweiligen Themen. Ergänzungen bestehen aus Vorlagen für Stundenprotokolle und Durchführungsanleitungen.
  • Anwender dieses Trainingsprogramms sollten neben Psychologen auch Ergotherapeuten, Fachkrankenpfleger mit Zusatzqualifikation Gedächtnistraining und von der Autorin ausgebildete Gedächtnistrainer sein.
  • Den Abschluss bildet eine Auflistung empfohlener Materialien für die einzelnen Trainingseinheiten: z.B. Stofftiere und Tierbilder für die Einheit „Tiere“.

Die Abschnitte Praxisteil – StaKogT Module Gruppenprogramm und Praxisteil – StaKogT Module Singleprogramm bestehen aus der Darstellung der jeweils 14 Module oder Kapiteln des Programms mit der folgenden Unterteilung:

  • Stundenprotokoll: ein minutengenaue Ablaufplanung in Gestalt einer Übersichtstabelle mit der Untergliederung „Zeit“ ( z.B. 5 min), „Programm“ (z.B. Begrüßung), „Inhalt“ (z.B. Begrüßung der Teilnehmer, Vorstellung des Trainingsleiters, Organisatorisches u.a.) „,Zielbereich“ (z.B. soziale Interaktion, Stimmung), „Methode“ (z.B. Plenum) und „Material“ (z.B. Tuch, Windlicht, Koffer mit verschiedenen Gegenständen, Namensschilder).
  • Durchführung: für das Modul 1 (Einführung und Gedächtnisprozesse) werden folgende Schritte gemäß dem Stundenprotokoll angeführt: Zielsetzung, Vorbereitung und Ablauf (Begrüßung, Vorstellungsrunde mit den Aufgaben „Gegenstände merken“, „Gegenstände abrufen“, „Wissen: Gedächtnisprozesse“, „Pause“, „Bewegungskoordination mit Luftballons“, „Lernen: Gegenstände abrufen“, „Denken: Erwartungen an das Training“, „Altgedächtnis und Denken: Anagramme bilden“ und „Aufgaben für Zuhause“.
  • Therapieunterlagen: Hier werden die Merk- und Arbeitsblätter im Original im DIN-A4-Format verkleinert (4 Blätter pro Buchseite, die jedoch ohne Vergrößerungsglas nicht zu lesen sind) abgebildet. Für das Modul 1 sind es die zwei Merkblätter „Funktionsweise des Gedächtnisses“ und „Veränderungen von Gedächtnisleistungen“ und die sechs Arbeitsblätter „Einschätzung und Erwartung“, „Einschätzung und Bewertung“, „Anagramme bilden“, „Blitzlicht: Einführung“, „Warteschleife: Einführung“ und „Groß und klein“ (für zu Hause). Die Therapieunterlagen können online beim Verlag heruntergeladen werden.

Diskussion und Fazit

Das vorliegende Trainingsprogramm im Sinne eines Hirnjoggings ist hinsichtlich seiner Inhalte und auch Vorgehensweisen relativ umfangreich und gut strukturiert. Es ist typisch für die vielen Vorgehensweisen im Arbeitsfeld Gedächtnistraining, das einer Reihe von Personengruppen zur Stärkung ihrer Gedächtnisleistungen offeriert wird.

Das „stadienspezifische kognitive Training“ bei Personen mit leichten kognitiven Störungen anzuwenden, erscheint dem Rezensenten aus mehreren Gründen hingegen jedoch als äußerst problematisch:

  • Die sogenannte „Stadienspezifität“ ist bei dem Trainingsprogramm nicht zu erkennen. Das Stadium 3 der Reisberg-Skalen entspricht Stadium IV der Braak-Stadien, einem Stadium, bei dem die Großhirnrinde bereits massiven Abbauprozessen ausgesetzt ist. Das bedeutet u.a., dass hier keine kognitiven Lernprozesse mehr zu erzielen sind.
  • Es liegen keine Wirksamkeitsnachweise im Sinne eines Langzeiteffektes vor. Leichte Verbesserungen der geistigen Fähigkeiten kurz nach der Intervention sind als bloße Artefakte zu klassifizieren.
  • Nach dem Stand der Forschung haben kognitive Trainingsprogramme bei Demenzkranken bisher keine signifikanten therapeutischen Effekte bezüglich des Krankheitsverlaufes erbringen können.

Menschen mit beginnenden leicht spürbaren Konzentrations- und Gedächtniseinbußen benötigen neben fachlicher Begleitung vorrangig psychische Hilfe und Unterstützung bei der seelischen Bewältigung dieser kognitiven Minderleistungen. Ein Trainingsprogramm ohne Wirksamkeitsnachweise wird hierbei eher kontraindiziert sein.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Es gibt 228 Rezensionen von Sven Lind.

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ISSN 2190-9245