Gabriele Biegler-Vitek, Monika Wicher (Hrsg.): Theorie und Praxis der Psychodrama-Psychotherapie
Rezensiert von Prof. em. Dr. Thomas Schwinger, 14.08.2017

Gabriele Biegler-Vitek, Monika Wicher (Hrsg.): Theorie und Praxis der Psychodrama-Psychotherapie. In der Anwendung mit Eltern, Kindern und Jugendlichen. Facultas Verlag (Wien) 2017. 285 Seiten. ISBN 978-3-7089-1407-7. A: 29,90 EUR, CH: 37,90 sFr.
Thema
In dieser Aufsatzsammlung zum Psychodrama werden praktische Erfahrungen mit dem Psychodrama in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen und ihrem sozialen Umfeld geschildert und es werden theoretische Fundierungen für diese Methodik gegeben. Grundlage ist aktuelle deutschsprachige Psychodrama-Literatur. Es werden Einzel- und gruppentherapeutische Settings behandelt, ebenso verschiedene Kontexte (stationäre vs. ambulante Therapie, Elternarbeit u.a.m.). Dieses Buch bietet Einblick und Anregungen für die auf Psychodrama beruhende psychotherapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen für PraktikerInnen und Studierende. Auch allgemeine Fragen der Kinder- und Jugendpsychotherapie werden in diesem Rahmen zu beantworten gesucht, wie die Bedeutung des sozialen Umfelds.
Herausgeberinnen
Gabriele Biegler-Vitek, MSc, (Lehr-)Psychotherapeutin und (Lehr-)Supervisorin im ÖAGG, an der Donau-Universität Krems und in freier Praxis, Leiterin des Weiterbildungslehrganges für Kinder- und Jugendpsychotherapie der Fachsektion Psychodrama im ÖAGG, Sonderkindergartenpädagogin, Lehrbeauftragte an der Bundesbildungsanstalt für Kindergartenpädagogik, langjährige Erfahrung in der Arbeit mit mutistischen, sozialängstlichen und autistischen Kindern sowie Kindern mit ADHS.
Monika Wicher, MSc, (Lehr-)Psychotherapeutin und (Lehr-)Supervisorin im ÖAGG, an der Donau-Universität Krems und in freier Praxis, Mitglied des Leitungsteams des Weiterbildungslehrgangs für Kinder- und Jugendpsychotherapie der Fachsektion Psychodrama im ÖAGG. Langjährige Tätigkeit als Einzel- und Gruppenpsychotherapeutin für Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen stationären Einrichtungen in Graz, Vortragende des ULG Psychotherapeutisches Proprädeutikum der Karl-Franzens-Universität Graz.
Weitere AutorInnen
Hildegard Pruckner, Manfred Stelzig, Maria Teresa Gutmann, Bernd Kühbauer, Elisabeth Grosinger-Spiss, Sigrid Jernej, Sandra Kornsteiner, Elisabeth Grissenberger
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst elf Beiträge österreichischer AutorInnen; den Schwerpunkt bilden vier Beiträge der beiden Herausgeberinnen mit grundlegenden und zentralen Themen des Weiterbildungslehrgangs Kinder- und Jugendlichen – Therapie der Fachsektion Psychodrama im ÖAGG. Spezielle Anwendungsbereiche werden von weiteren AutorInnen dargestellt.
Der Einführungsbeitrag von Hildegard Pruckner „Das humanistisch orientierte Psychodrama mit Kindern und Jugendlichen“ schildert die Entwicklung des Kinder-Psychodramas in Österreich aus einer recht persönlichen Sicht. Die österreichische Pionierin geht ferner auf Grundprinzipien des Psychodramas in diesem Anwendungsbereich ein, etwa dass die Leitung nicht mitspielt.
Im Beitrag „Das angeborene Rollenrepertoire, die Interaktionserwartungen und die impliziten Elternrollen“ stellt Manfred Stelzig Forschungsergebnisse zu pränatalen Grundlagen z.B. von Emotionen dar, sowie Kommunikationsmuster zwischen Säugling und Mutterfigur. Er folgert, dass Neugeborene und ihre Bezugspersonen über implizites Beziehungswissen verfügen und veranschaulicht dies an verschiedenen Forschungsergebnissen, u.a. zur Deprivation im Sinne von R. Spitz. Das Psychodrama mit seinen speziellen Techniken und der surplus reality kann Kränkungen u.a.m. korrigieren. Dazu werden zwei Übungen plastisch dargestellt, wie Patienten mit ihren offenbar angeborenen Vorstellungen über gute Eltern in Kontakt kommen können. Daran können auch ErzieherInnen und KinderpsychotherapeutInnen ansetzen.
Gabriele Biegler-Vitek schildert in ihrem Kapitel „Vom Körpererleben zur Begegnung“ ausführlich die Bedeutung des Körpererlebens für den Prozess der Identitätsentwicklung vom Fötus zum Erwachsenen, dazu gehört auch die Entwicklung der Wahrnehmung. Ausführlich wird die Entwicklung auf der ersten Ebene der Rollenentwicklung beschrieben, der psychosomatischen Rollen mit ihren Komplementärrollen nach Moreno bzw. Schacht, mit Möglichkeiten der Irritation und deren langfristigen Folgen, dies an 15 instruktiven Fallbeispielen. Deutlich wird die nötige Vorbereitung des Symbolspiels auf der Psychodramabühne, dazu werden mehrere methodische Prinzipien herausgearbeitetherausgearbeitet, z.B. der Einsatz von Handpuppen als Spielrolle der Leitung, der Bau eines „Schutzhauses“ als sicheren Platzes. Themen sind sowohl Einzel- als auch Gruppentherapie.
Ebenfalls von Gabriele Biegler-Vitek stammt der nachfolgende Beitrag „Körper, Wahrnehmung und Bewegung in der Adoleszenz“; darin werden die theoretischen Überlegungen aus dem vorangehenden Kapitel auf das Jugendalter angewandt. Es geht u.a. um die Veränderung der Störungsbilder und um jugendtypisches Problemverhalten in Einzel- und auch Gruppentherapie.
Im Beitrag „Wie die Zombies der Unterwelt auf die Königsfamilie treffen – Spontaneität und Kreativitätsentwicklung im psychodramatisch-psychotherapeutischen Prozess von Kindern“ behandelt Monika Wicher die kindliche Entwicklung des Spiels als eine Form der Kreativitätsentwicklung, dabei werden Handlungen als kreativer Umgang mit Situationen aufgefasst. Nach einer theoretischen Beschreibung auch der sozialen Entwicklung geht die Autorin auf die Förderung von Kreativitätsentwicklung als Basis der Rollenentwicklung ein; an Fallbeispielen werden Grundzüge des praktischen Vorgehens beschrieben.
Monika Wicher beschreibt im kurzen Beitrag „Einladung zur begleitenden Elternarbeit im psychotherapeutischen Kontext“ die Bedeutung der sozialen Umwelt des Kindes und von deren Einbeziehung zu Vorbereitung und Begleitung der Kinderpsychotherapie. Die Autorin geht an Beispielen auch auf soziale Vernetzung der Therapie ein.
Im Beitrag von Maria Teresa Gutmann „Lust am Spielen im Drama der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ wird der Einsatz des Psychodramas im stationären Bereich geschildert. Dabei werden Einzeltherapie, Elternarbeit und Gruppentherapie beschrieben. Für die Gruppenarbeit wird der Einsatz von Erwachsenen als Hilfs-Ichs behandelt. Dazu dient ein fortlaufend kommentiertes Praxisbeispiel. Außer einer Jahresgruppe werden auch zwei Psychodramawochen dargestellt.
Um einen scheinbaren Gegensatz geht es im Beitrag von Bernd Kühbauer „Wohlfühlen im Zwangskontext“. Thema ist die Anti-Gewalt-Therapie. Mit Widerständen ist bei den nicht freiwillig teilnehmenden Jugendlichen zu rechnen. Der Autor skizziert ein wohlwollendes Verständnis des Nörgelns und Meckerns, das auf einem vertieften Verständnis der frühen Kindheit, wie es etwa von Biegler-Vitek und Wicher beschrieben wird. Konsequent setzt er bei Körperübungen an, die präzise beschrieben werden. Anhand von Teilnehmer-Aussagen wird der Übergang von Widerständigkeit zu angenehmem Erleben beleuchtet und dies mit den Begriffen von Begegnung und Spontaneität verbunden.
Ein Projekt mit (Vor-) Schulkindern behandelt Elisabeth Grosinger-Spiss in „ICH-DU-GRUPPE. Ein Projekt mit (Vor-) Schulkindern nach Moreno“. Nach einer Erzählung zum Entstehen der Gruppe werden beispielhaft vier Kinder mit ihren Problematiken beschrieben. Diese werden anhand der Rollenebenen nach Schacht als Entwicklungsdefizite interpretiert. Ausführlich wird auf die nötigen Rahmenbedingungen eingegangen, etwa Begegnungs- und Spielbühne; dies wird auch grafisch vorgestellt. Schließlich geht es um die Art der Leitung und mögliche Interventionen im Spiel.
Elternarbeit ist das Thema des Beitrags von Sigrid Jenej und Sandra Kornsteiner „ ‚Du, Mama, spielt ihr dort auch so wie wir? ‘ Erfahrungen mit einer begleitenden Elterngruppe“. Es wird der Ablauf und die Entwicklung einer Elterngruppe beschrieben und theoretisch reflektiert. Die Stützung der Eltern wirkt sich auch positiv auf deren Beziehungen zu den Kindern aus.
Elisabeth Grissenberger geht auf „Die Bedeutung der Netzwerkarbeit in der Kinder- und Jugendtherapie im ländlichen Bereich“ ein. Die sorgfältige Analyse verschiedener Rollen des/der therapeutisch Tätigen zeigt für diesen Bereich besondere Möglichkeit der Rollenunklarheit, mit der bewusst umzugehen ist. Zur Analyse greift die Autorin auf ein soziologisches Schema zurück. Es wird die Bedeutung des sozialen Atoms des Kindes/Jugendlichen und auch des interdisziplinären Netzwerks behandelt und an einem Fallbeispiel deutlich gemacht, es geht auch um die Vorbehalte gegen Psychotherapie.
Zielgruppe
Studierende der Psychotherapie und PsychotherapeutInnen mit Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Diskussion
Das Buch bietet ein vom Psychodrama ausgehendes theoretisches Verständnis kindlicher Entwicklung – vor allem der frühen Entwicklung – und deren Bedeutung für Resilienz und für spätere Problematiken. Die Unterschiede in der psychotherapeutischen Arbeit mit Kindern vs. Jugendlichen werden deutlich gemacht und es wird das praktische Vorgehen im Psychodrama bei diesen beiden Gruppen geschildert und begründet. Die Unterschiede zwischen Psychodrama in der Einzeltherapie und in der Gruppenpsychotherapie werden für Kinder und für Jugendliche differenziert beschrieben, ebenso wie ihre Verknüpfung je nach Kontext. Zahlreiche Fallbeispiele machen den Zusammenhang zwischen Theorie und Methodik anschaulich. Es wird vielfältige Fachliteratur verarbeitet speziell zur kindlichen Entwicklung des Körpererlebens und meist gut erklärt
Die Breite der in den grundlegenden Artikeln von Biegler-Vitek und Wicher behandelten Themen ist beeindruckend, macht die Lektüre allerdings in Teilen mühsam. Verständlicherweise sind nicht alle Schwierigkeiten des Psychodrama-Theoriegebäudes aufgelöst. (z.B. wird der Rollenbegriff teils interaktiv verstanden, teils aber auch als individuelle psychosomatische Befindlichkeit). Die Anschlussfähigkeit des Psychodramas mit anderen Methoden steht in diesem Buch nicht im Zentrum.
Fazit
Psychodrama in der Kinder- und Jugendlichen-Therapie wird in diesem Buch neu gefasst – in Begründung und in Aspekten des methodischen Vorgehens. Wichtig sind für LeserInnen Erfahrungen mit der psychodramatischen Methode und gute Kenntnisse ihrer Grundlagen – sonst sind wohl nicht alle Beiträge gut verständlich. Das Buch eignet sich vor allem zur Vertiefung für fortgeschrittene Teilnehmer einer Ausbildung in Psychodramatherapie.
Rezension von
Prof. em. Dr. Thomas Schwinger
Professor i.R. an der Evangelischen Hochschule Darmstadt, Dr. phil., Psychologe, Psychodramatherapeut (DFP/DAGG), Supervisor (DGSv)
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