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Verena Kast: Wider Angst und Hass

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 16.03.2017

Cover Verena Kast: Wider Angst und Hass ISBN 978-3-8436-0918-0

Verena Kast: Wider Angst und Hass. Das Fremde als Herausforderung zur Entwicklung. Patmos Verlag (Ostfildern) 2017. 128 Seiten. ISBN 978-3-8436-0918-0. D: 12,99 EUR, A: 13,40 EUR.

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Fremd ist der Fremde nur in der Fremde

Diese einleuchtende und schlichte Erkenntnis sollte eigentlich Menschen davon abhalten, Angst vor Fremden und Fremdem zu haben, und dann auch noch ihre Angst und ihr Unbehagen in Ablehnung und Hass auszudrücken. Erklärungsversuche gibt es genug, wie die Ausdrucksweise „Hass“ zustande kommt (Michael Tomasello, Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/21987.php), sich auf das Zusammenleben der Menschen auswirkt (Erhard Oeser, Die Angst vor dem Fremden. Die Wurzeln der Xenophobie, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/21874.php), Humanität zerstört (Carolin Emcke, Gegen den Hass, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/21852.php) und in den verschiedenen Formen sichtbar und wirksam wird (Thomas Mücke, Zum Hass verführt. Wie der Salafismus unsere Kinder bedroht und was wir dagegen tun können, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/21555.php).

In der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden (Einen?) Welt haben Menschen mehr Möglichkeiten, Existenzgefährdungen, die durch Umweltzerstörung, gewaltsame Konflikte, politischen oder weltanschaulichen Verfolgungen entstehen, zu entgehen. Wir reden vom „Zeitalter der Flüchtlinge“, weil Millionen von Menschen sich aufmachen, um anderswo ein besseres, menschenwürdiges Leben zu finden. Dort, wo sie nicht selten unter Lebensgefahr ankommen, werden sie entweder mit einem „Willkommen“ empfangen und aufgenommen, oder mit Distanz, Ablehnung und Hass weggewiesen. Es sind die Symbole Brücken und Mauern, die das Verhältnis der Einheimischen gegenüber den Fremden bestimmen (vgl. dazu auch: Jos Schnurer, Wie Deutschland zu den Fremden kam, 20. 12. 2013, www.socialnet.de/materialien/171.php).

Entstehungshintergrund und Autorin

Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass sind Entgleisungen der Menschlichkeit; Empathie hingegen ist dem anthrôpos dank seiner Vernunft, seiner Fähigkeit, Allgemeinurteile zu bilden, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können und der Notwendigkeit, friedlich, gleichberechtigt und gerecht mit den Mitmenschen und der Natur zu leben, als Mensch gegeben. Soweit das Ideal! Dort, wo Menschen sich hassen und bekämpfen, fehlt die Menschlichkeit, und es bedarf der Bildung und Aufklärung, um Hass verhindern zu können. Damit stellt sich die Frage aller Fragen beim menschlichen Zusammenleben: Wie kann es gelingen, Menschen davon zu überzeugen, dass sie aufgeklärt sein wollen? Zur Beantwortung dieser Frage sollten PädagogInnen, PhilosophInnen, SoziologInnen, PsychologInnen und PsychotherapeutInnen in der Lage sein.

Die Psychologin und Psychotherapeutin, Lehranalytikerin am C. G. Jung-Institut Zürich, Verena Kast, fragt in dem Buch mit dem mehrdeutigen Titel „Wi(e)der Angst und Hass“, wie den zunehmenden negativen Tendenzen und fatalen Entwicklungen begegnet werden kann, dass persönliche und gesellschaftliche Unsicherheiten und Ängste, z. B. auch durch die Flüchtlingskrisen hervorgerufen, sich als Menschen- und Fremdenhass ausdrücken.

Aufbau und Inhalt

Die Autorin entwickelt aus ihrer psychoanalytischen Praxis und Lehrtätigkeit Gedankengänge, um zu erklären, wie aus nichtreflektiertem Ärger Hass entstehen kann, wie sich Rachegelüste entwickeln können und mit welchen Strategien und Charaktereigenschaften diesen Fehlhaltungen begegnet werden kann. An einem psychotherapeutischen Fallbeispiel aus der tiefenpsychologischen Therapie zeigt sie Ursachen, Verläufe, Wirkungen und Lösungen auf. Es sind Ressentiments, Vorurteile, Gier- und Neidkomplexe, die nicht selten alltäglich daher kommen und unbewusst im eigenen Ich festgesetzt sind und nur durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und dem individuellen und gesellschaftlichen Handeln bewusst gemacht und damit veränderbar werden. Eine Zielsetzung dahin stellt ohne Zweifel das Bemühen dar, das eigene Selbstwertgefühl zu entdecken und zu entwickeln.

Die Autorin vermittelt mit konkreten Beispielen, wie sich Hassempfindungen und -aktivitäten darstellen und erkennbar werden und die Persönlichkeitsentwicklung be- oder verhindern, welche Bedeutung dabei Emotionen und Gefühle haben können; und sie erläutert diese Empfindungs- und Ausdrucksformen aus der psychoanalytischen Praxis mit dem von C. G. Jung entwickelten „Schattenkonzept“, was besagt, „dass wir Menschen uns gern etwas schöner präsentieren, als wir sind“. Übertragen auf Fremdenangst und -hass bedeutet dies, dass „die Fremden ( ) dann die Träger unserer schlechten Eigenschaften (sind)“. Diese Erkenntnis drückt sich aus in der interkulturellen (Binsen-)Weisheit, dass der Fremde ich selbst bin!

Ängste, Ablehnungs- und Hassempfindungen zu erkennen ist das eine Wichtige; sich damit mit dem Ziel auseinander zu setzen, sie zu verändern und zu vermeiden, das andere. Denn mit Angst umgehen, ist eine existentielle und verantwortungsbewusste Herausforderung (vgl. dazu auch: Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/18499.php). Auch hier liefert Verena Kast eine Reihe von Praxisbeispielen, die für die eigene Reflexion, wie auch für die didaktische, schulische und außerschulische Bildungsarbeit hilfreich sind. Denn der Weg vom eigenen und gesellschaftlich oder ideologisch eingeredeten Angstempfinden hin zum zerstörerischen Fanatismus, Ego- und Ethnozentrismus, Fundamentalismus und Populismus ist oftmals kurz. Dagegen helfen eben nur die humanen Tugenden, die Menschen zueinander und miteinander leben bringen können: Zuwendung, Verbundenheit, Gleichberechtigung, empathisches Miteinander, Identität.

Fazit

Die psychoanalytische Auseinandersetzung der Zürcher Psychoanalytikerin Verena Kast mit den menschlichen Fehlhaltungen, die sich als Angst vor und Hass gegen Fremde ausdrücken, stellen keine neuen und bahnbrechenden Erkenntnisse dar. Das ist auch nicht notwendig; denn die negativen Entwicklungen, die sich als Menschen-, Fremdenfeindlichkeit und Xenophobie zeigen, sind den Menschen nicht in die Wiege gelegt und nicht in die Gene gepflanzt worden; sie sind menschengemacht und müssen deshalb auch aus dem Bösen des Menschen entfernt werden. Die Psychoanalyse bietet dazu Denkansätze, Handlungsanregungen und Instrumente an!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1707 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245