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Theo Kienzle, Barbara Paul-Ettlinger: Aggression in der Pflege

Rezensiert von Prof. Dr. Margret Flieder, 02.08.2017

Cover Theo Kienzle, Barbara Paul-Ettlinger: Aggression in der Pflege ISBN 978-3-17-029160-7

Theo Kienzle, Barbara Paul-Ettlinger: Aggression in der Pflege. Umgangsstrategien für Pflegebedürftige und Pflegepersonal. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2017. 8., aktualisierte Auflage. 140 Seiten. ISBN 978-3-17-029160-7. D: 12,00 EUR, A: 12,40 EUR.

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Thema

Pflegearbeit ist ein anspruchsvolles Handlungsfeld mit großer gesellschaftlicher Bedeutung und voller Herausforderungen. Dass es dabei zu aggressiv aufgeladenen Situationen kommen kann und kommt, ist angesichts der problematischen Arbeitsbedingungen und der Rekrutierungsproblematik bzw. des Pflegenotstandes naheliegend. Komplexe Situationen mit intensiven Emotionen und Traumatisierungspotenzial benötigen einerseits einen juristischen Rahmen und zum anderen verstehens- und verhaltensbezogene Zugänge für Situationen im Berufsalltag.

Hier setzt der vorliegende Band an mit Grundlagenwissen und mit praxisbezogenen Hinweisen zum Umgang mit Aggression im Pflegealltag.

Autor und Autorin

Theo Kienzle ist Jurist. Er arbeitet als Dozent und lehrt in seinen Spezialgebieten Sozial-, Medizin- und Betreuungsrecht in Aus-, Fort- und Weiterbildungen für Sozial- und Gesundheitsberufe. Weiterhin ist er Autor von Fachbüchern und Fachartikeln sowie Berater für Pflegerecht und Arbeitsrecht.

Barbara Paul-Ettlinger († 2016) war Diplom-Psychologin und Pädagogin, viele Jahre lang Dozentin in Aus- und Fortbildungen. Ihre Themen betrafen u.a. Kommunikation, Leben im Alter und Sterbebegleitung.

Aufbau

Der Band umfasst im Pocket-Format 145 Textseiten in zwei Teilen und insgesamt zwölf Kapiteln sowie einen Anhang mit Glossar, Literatur- und Stichwortverzeichnis.

Zu Teil I: Psychologischer Teil

Mit Kapitel 1 erfolgt eine kurze Einführung in die Definition von Aggression und Gewalt.

Die Überschrift von Kapitel 2 lautet: Darstellung von Aggressionstheorien/ Erklärungstheorien. Hier beschreiben die Autor_innen in kurzer Form (S. 22-42) einige Erklärungsansätze für die Entstehung von Aggression.

Kapitel 3 geht ein auf Reaktion[en] auf aggressives Verhalten. Hier wird zum einen auf personenbezogene Aspekte (sprachlich adäquate Verständigung, Handlungsablauf unterbrechen, beruhigen, Hilfe holen) eingegangen, zum anderen auf institutionelle Aspekte wie eine unzureichende Personalsituation oder sachlich-räumlich problematische Ausstattung.

Ansätze zur Prävention von Gewalt und Aggression unter Berücksichtigung von eigener Kompetenzentwicklung durch die Pflegefachkraft stehen im Mittelpunkt von Kapitel 4.

Zu Teil II: Rechtlicher Teil

Mit Kapitel 1 erfolgt eine sehr kurze Auseinandersetzung mit der rechtliche[n] Einordnung von Aggressionen (S. 81-82).

In Kapitel 2 des rechtlichen Teils Rechtfertigungsgründe bei Gegenwehr werden von Theo Kienzle und Barbara Paul-Ettlinger wissenswerte Aspekte zu Gegenwehr von Betroffenen, Notstand und weiteren Rechtfertigungsgründen mit praxisnahen Beispielen erklärt.

Gewalt im ambulanten Bereich lautet die Überschrift von Kapitel 3 des rechtlichen Teils (S. 114-115).

Im Mittelpunkt von Kapitel 4 des rechtlichen Teils steht das Thema Dokumentation (S. 116-117).

Der Arbeitsrechtliche Schutz des Personals wird in Kapitel 5 des rechtlichen Teils erläutert.

Im 6. Kapitel des rechtlichen Teils gehen Theo Kienzle und Barbara Paul-Ettlinger ein auf Rechtliche Reaktionsmöglichkeiten.

Die Schutzpflicht gegenüber Dritten ist Thema des 7. Kapitels (S. 140).

Mit dem 8. Kapitel erfolgt eine Zusammenfassung inform von Tabellen zur Einordnung der Art der Aggression, psychologischer und juristischer Reaktion (S. 141-145).

Zielgruppen

Dieser Band richtet sich primär an Pflegefachkräfte in Aus- oder Fortbildung. Er ist weiterhin geeignet für Studierende eines pflegebezogenen bzw. pflegewissenschaftlichen Studiengangs zum Kennenlernen der Problematik und zur Unterstützung grundlegender Seminare oder Vorlesungen.

Diskussion

Die Tatsache, dass es sich bei dem vorliegenden Band bereits um die 8., aktualisierte Auflage handelt macht deutlich, dass das Thema zeitlos aktuell ist. Das Buch ist durch sein Pocket-Format ansprechend und ermöglicht zum einen das Auffinden von kurzen Hinweisen zur ersten juristischen Einordnung bei Problemen im Arbeitsalltag. Zum anderen ist es durch seine handliche Form leseanregender für Fachkräfte als es ein umfangreiches Handbuch mit ausführlichen Erläuterungen vermutlich wäre.

Theo Kienzle und Barbara Paul-Ettlinger vermitteln in bündiger Form grundlegende Aspekte zur Erklärung und zum Verständnis von Aggression bzw. von aggressivem Verhalten. Dabei geht es ihnen nicht nur um einen analytisch-erklärenden Zusammenhang, sondern auch um die Prävention von Gewalt durch die Vermittlung angemessener Hilfestellungen in anspruchsvollen Situationen des Alltags in der Pflege.

Im ersten Teil stehen psychologische Aspekte im Vordergrund, im zweiten Teil rechtliche Aspekte. Theo Kienzle und Barbara Paul-Ettlinger fokussieren ihre Erläuterungen zum Thema Gewalt auch auf die Entwicklung fachlicher und sozialer Kompetenzen der Pflegefachkräfte, auf Selbstpflege und Entspannung (S. 66-76). Sie verstehen ihr Buch bewusst als praxisnahe Hilfestellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

In Bezug auf die Formalia gibt es verbesserungsfähige Bereiche. Da es sich bereits um die 8., aktualisierte Auflage handelt wäre es hilfreich zum einen zu erkennen, wann die Erstauflage erschienen ist und zum anderen, welche Bereiche/ Themen bei der Aktualisierung insbesondere neu gefasst wurden. Das Literaturverzeichnis ist uneinheitlich und enthält Fehler. Weiterhin ist kritisch anzumerken, dass das Quellenverzeichnis kaum aktuelle Quellen enthält mit Ausnahme einer Veröffentlichung von Kienzle (2016), und mehrerer Gesetzesfassungen wie von Palandt (2015) zum BGB, von Schönke/ Schröder (2010) zum STGB oder von Rieger (2001) zum Lexikon des Arztrechtes. Von den insgesamt 30 genannten Quellen sind 23 Veröffentlichungen vor dem Jahr 2000 erschienen. In Würdigung der Werke von Bandura/Ross/Ross (1963), Tausch/Tausch (1979) oder Geiß (1989) sollte eine aktualisierte Auflage zusätzlich neuere Quellen und auch aktuelle Internetquellen nennen.

Ergänzungswürdig bei einer 8. aktualisierten Auflage sind Ausführungen zu Angeboten der Arbeitgeber (regional, überregional, bundesweit) zur Bewältigung/ Verarbeitung von Gewalt bzw. traumatisierenden Situationen ausgelöst durch massive aggressive Übergriffe von pflegebedürftigen Menschen auf die Fachkräfte (resp. Auszubildende bzw. Praktikant_innen). In gleicher Weise zu ergänzen wären Hinweise auf aktuelle Erkenntnisse bzw. Projekte zugunsten von Beschwerdemanagement bzw. Ombudschaft für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen bei Erfahrungen mit Gewalt in der Pflege. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang betrifft aggressives Verhalten durch Pflegekräfte und eine dringend erforderliche kritische Reflexion sowie entsprechende Hilfeangebote.

Fazit

Es ist ein handliches Buch mit guten Anregungen in kurzer Form und mit verbesserungsfähigen Bereichen. Der juristische Teil (S. 81-145) ist insgesamt gut ausgearbeitet, Begriffe und Beispiele sind strukturiert und praxisnah, lassen allerdings aktuelle Quellen vermissen. Der psychologische Teil (S. 17-77) benennt Theorien und Erklärungsversuche von Aggression. Diese kurze Form wird allerdings den anspruchsvollen Modellen und Theorien nicht gerecht. So wird z.B. die Triebtheorie nach Freud auf knapp 8 Zeilen (S. 22) oder die Theorie des sozialen Lernens (S. 25-28) auf 3 Seiten dargestellt, jeweils ohne aktuelle Veröffentlichungen.

In Würdigung der fachlichen Expertise der Autorin und des Autors hätte eine grundlegende Aktualisierung des Bandes dem thematischen Anliegen zum Verständnis von Aggression in der Pflege besser entsprochen.

Zum ersten Kennenlernen vor allem der juristischen Aspekte von Aggression in der Pflege ist der Band insgesamt gut geeignet, sinnvollerweise mit Einbettung in einen Vermittlungsprozess von Aus- oder Fortbildung mit weiterführenden aktuellen Quellen.

Rezension von
Prof. Dr. Margret Flieder
Evangelische Hochschule Darmstadt
Fachbereich Pflege- und Gesundheitswissenschaften
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Es gibt 37 Rezensionen von Margret Flieder.

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ISSN 2190-9245