Bettina Franzke, Romy Henfling: Interkulturelle Kompetenz Deutschland-Russland
Rezensiert von Dr. Olga Frik, 26.10.2017
Bettina Franzke, Romy Henfling: Interkulturelle Kompetenz Deutschland-Russland. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2017. 150 Seiten. ISBN 978-3-7639-5848-1. 29,90 EUR.
Thema
Im Focus der vorliegenden Untersuchung liegt interkulturelle Kompetemz bezogen auf Deutschland und Russland. Die Autorinnen zeigen an 20 Fallbeispielen, sogenannten Critical Incidents (CIs), wie Stolpersteine in deutsch-russischen Begegnungen überwunden werden können. Die 20 Critical Incidents (CI) als Instrument für interkulturelles Lernen in deutsch-russischen Kontakten wurden im Zuge einer Kreativitätswerkstatt zum Thema „Interkulturelle Kompetenz Deutschland-Russland: Eine Kreativitätswerkstatt zu deutsch-russischen Überschneidungssituationen“ an der Uraler Föderalen Universität mit 14 berufstätigen Erwachsenen, die in Deutschland oder Russland leben und arbeiten, erhoben und hinsichtlich kritischer Merkmale wie Kulturschockelementen und kulturellen Unterschieden analysiert.
Im weiteren Forschungsprozess wurden die Fallbeispiele im Sinne der CI-Technik weiterentwickelt und für Qualifizierungsprogramme aufbereitet. In all diesen Fällen geht es um interkulturelle Überschneidungssituationen, die in deutsch-russischen Kontakten – beruflich und privat – als befremdlich, merkwürdig, verunsichernd oder konfliktreich erlebt und nach einem spezifischen Verfahren für das interkulturelle Lernen nutzbar gemacht werden.
Die Auseinandersetzung mit Critical Incidents (CIs) ist – laut Autorinnen – eine moderne, Erfolg versprechende Methode, interkulturelle Kompetenzen auf- beziehungsweise auszubauen. CIs sind als kritische Ereignisse definiert, die in interkulturellen Interaktionen auftreten können. CIs fokussieren Situationen, die mit Unbehagen, Frustration, Irritation, Unverständnis, Verunsicherung, Enttäuschung, Befremden oder Ärger verbunden sind (S. 7). Die Auseinandersetzung mit den aufgeführten Critical Incidents (CIs) fördert Empathie, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und führen zu neuen Sichtweisen in deutsch-russischen Kontakten. Der hier dargestellt Aushandlungsprozess ist auf eine Vielzahl deutsch-russischer Kontakte übertragbar.
Im vorliegenden Buch werden Fragen der Gastfreundschaft und Willkommenskultur, des Ausdrucks von Ärger und Kritik, Handlungsabläufe, die Zusammenarbeit im Beruf, Fremdbilder, sprachliches Verstehen und der Umgang mit Sprachhürden thematisiert. Die 20 Fallbeispiele beziehen sich auf Alltag, Schule und Hochschule. Zu jedem Fall stellen die Autorinnen Fragen und Lösungsmuster dar, mit denen sich Teilnehmende von Sprachkursen und Austauschprogrammen sowie Beschäftigte internationaler Organisationen auf kurze oder längere Aufenthalte in Deutschland und Russland vorbereiten können.
HerausgeberInnen
Prof. Dr. Bettina Franzke ist Professorin für Interkulturelle Kompetenzen und Diversity-Management an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln (Deutschland). Sie führt Lehrveranstaltungen, Vorträge, Seminare, Trainings und Forschungsprojekte zur interkulturellen Kommunikation durch.
Romy Henfling ist Lektorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) am Lehrstuhl für Fremdsprachen und Übersetzen der Uraler Föderalen Universität in Jekaterinburg (Russland). Neben ihrer Tätigkeit am Lehrstuhl für Fremdsprachen und Übersetzen ist sie verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung von Projekten sowie Kultur- und Weiterbildungsveranstaltungen mit Deutsch- und Deutschlandbezug für verschiedene Zielgruppen.
Aufbau und Inhalte
Das vorliegende Buch greift zentrale Aspekte auf, die für eine qualifizierte Betrachtung von interkultureller Kompetenz Deutschland – Russland von Bedeutung sind. Das Buch gliedert sich in die folgenden Teile:
- „Einleitung“
- „Deutschland und Russland: wo und wie Menschen aufeinandertreffen“;
- „Interkulturelle Kompetenz verstehen und lernen“;
- „Critical Incidents konzipieren und umsetzen“;
- „Wie die Fallsammlung entstand“;
- „Fallsammlung mit Lösungsansätzen“;
- „Literatur“;
- „Anhang“.
In der Einführung geben Bettina Franzke und Romy Henfling eine Einführung in die Thematik und einen Ausblick auf Inhalte und Aufbau ihrer Arbeit.
Im Kapitel II („Deutschland und Russland: wo und wie Menschen aufeinandertreffen“) gehen die Autorinnen auf die Orte, Chancen und Herausforderungen in deutsch-russischen Interaktionen ein. Der Fokus wird auf eine psychologische Perspektive gelegt, nach der sich Menschen in Deutschland und Russland in einer Reihe kultureller Orientierungen und Standards unterscheiden.
Im Kapitel III („Interkulturelle Kompetenz verstehen und lernen“) beschreiben die Autorinnen die Bedeutung und Elemente interkultureller Kompetenz sowie Konzepte interkulturellen Lernens. Hier wird dargestellt, wie interkulturelle Kompetenz definiert ist und welche Bestandteile sie hat. Außerdem gehen die Autorinnen auf den Auf- und Ausbau interkultureller Kompetenzen im Prozess des interkulturellen Lernens ein.
Im Kapitel IV („Critical Incidents konzipieren und umsetzen“) stellen die Autorinnen die Entwicklung und Umsetzung von Critical Incidents beziehungsweise Arbeitsweisen mit diesen dar. Hier wird beschrieben, wie Cis sich von einem eignungsdiagnostischen verfahren zu einer prominenten Methode interkulturellen Lernens entwickelt haben, wie sie Schritt für Schritt konzipiert, formuliert und umgesetzt werden. Ferner geben die Autorinnen konkrete Hinweise zur Vorbereitung auf Auslandsaufenthalte, zur Umsetzung von Cis im Fremdsprachenunterricht und in Austauschprogrammen.
Im Kapitel V („Wie die Fallsammlung entstand“) wird der Aufschluss über die Herkunft der Fälle gegeben. Hier beschreiben die Autorinnen, wie die Cis erhoben wurden und nach welchen Kriterien sie zusammengefasst worden sind. Ferner geben Franzke und Henfling Hilfestellungen zur Analyse und Interpretationen der Fälle.
Das Kapitel VI („Fallsammlung mit Lösungsansätzen“) enthält das Herzstück des Buches, die 20 Critical Incidents mit Auflösungen.
Zielgruppen
Das Buch wendet sich an Lehrkräfte für Deutsch oder Russisch als Fremd- oder Zweitsprache. Es sind auch Menschen angesprochen, die sich für deutsch-russische Kontakte oder die Verbesserung deutsch-russischer Beziehungen einsetzen, zum Beispiel in wissenschaftlichen, künstlerischen und schulischen Austauschprogrammen. Die dort engagierten Akteurinnen und Akteure sind genauso wie die Lehrkräfte auch Kulturmittlerinnen und -mittler, die im Rahmen ihrer Tätigkeit Kultur- und Landeskundeveranstaltungen durchführen und somit im Gastland Brücken zu ihrem Heimatland schlagen und den interkulturellen Dialog fördern. Zivilgesellschaftliche Organisationenund Kommunen können die Ergebnisse und Erkenntnisse aus diesem Buch verwenden, um die rund 100 deutsch-russischen Städtepartnerschaften oder die lokal bestehenden Austauschprogramme im kulturellen oder Bildungssektor zu flankieren. Das Werk ist für Forschende im Bereich der interkulturellen Kommunikation und für Menschen mit Interesse an anderen Kulturen interessant. Die Autorinnen betonen, dass in einer Zeit, da deutsch-russische Beziehungen auf eine Probe gestellt und mitunter von einer nicht immer vorteilhaften Tagespolitik überschattet sind, ist es wichtig, die noch bestehenden Kontakte im wissenschaftlichen, schulischen, kulturellen und privaten Bereich konstruktiv zu gestalten (Vgl.S. 9).
Fazit
Im vorliegenden Buch wird eine Fallsammlung zur interkulturellen Kompetenz Deutschland-Russland vorgestellt. Dieses hilfreiche, aktuelle und wissenschaftlich fundierte Material kann für das interkulturelle Lernen, beispielsweise im Fremdsprachenunterricht oder zur Vorbereitung auf Auslandsaufenthalte in Deutschland beziehungsweise Russland, eingesetzt werden.
Mein persönlicher Eindruck ist: Es handelt sich hier um ein praxisorientiertes, hilfreiches, interessantes und lesenswertes Buch, das hilft, Phänomene der interkulturellen Kommunikation besser zu verstehen. Das Buch kann den Zielgruppen nur ausdrücklich empfohlen werden. Es dürfte ihnen eine wichtige Denk- und Arbeitshilfe sein.
Rezension von
Dr. Olga Frik
Finanzuniversität, Omsk, Russische Föderation. Ehemalige Lehrbeauftragte und Gastwissenschaftlerin an der Leibniz-Universität Hannover
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Es gibt 46 Rezensionen von Olga Frik.
Zitiervorschlag
Olga Frik. Rezension vom 26.10.2017 zu:
Bettina Franzke, Romy Henfling: Interkulturelle Kompetenz Deutschland-Russland. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG
(Bielefeld) 2017.
ISBN 978-3-7639-5848-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/22500.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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