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Rüdiger Müller-Isberner, Petra Born et al. (Hrsg.): Praxishandbuch Maßregelvollzug

Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 08.11.2017

Cover Rüdiger Müller-Isberner, Petra Born et al. (Hrsg.): Praxishandbuch Maßregelvollzug ISBN 978-3-95466-287-6

Rüdiger Müller-Isberner, Petra Born, Sabine Eucker, Beate Eusterschulte (Hrsg.): Praxishandbuch Maßregelvollzug. Grundlagen, Konzepte und Praxis der Kriminaltherapie. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Berlin) 2017. 3. Auflage. 726 Seiten. ISBN 978-3-95466-287-6. D: 99,95 EUR, A: 102,95 EUR, CH: 99,00 sFr.

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Thema

„Die Bedeutung des psychiatrischen Maßregelvollzugs nimmt zu: Nicht nur die Zahl der Patienten und Betten steigt, auch die Ansprüche von Politik und Gesellschaft an die beteiligten Fachdisziplinen werden höher. Professionalität und Interdisziplinarität sind gefordert: Psychiater, Psychologen, Pflegende und unterschiedliche Fachtherapeuten benötigen valide und umsetzbare Empfehlungen für ihre spezielle Arbeit mit psychisch kranken Straftätern. Die 3. Auflage des Standardwerkes Praxishandbuch Maßregelvollzug vermittelt umfassend die rechtlichen und forensisch-psychiatrischen Grundlagen sowie alle relevanten Aspekte der Unterbringung gemäß §§ 63 und 64 StGB. Neben den organisatorischen, rechtlichen oder ethischen Fragen werden besonders die kriminaltherapeutischen Methoden, auch aus dem Blickwinkel der Probleme einzelner Patientengruppen, dargestellt.“ (Verlagsinformation, in: www.mwv-berlin.de)

Herausgeber

  • Dr. med. Rüdiger Müller-Isberner ist seit 1987 ärztlicher Direktor der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Haina. Von 1994 bis 1999 war er Sprecher der deutschen Maßregelvollzugseinrichtungen und von 2003 bis 2005 Präsident der International Association of Forensic Mental Health Services, gegenwärtig ist er dort Mitglied im Board of Directors.
  • Dr. phil. Petra Born ist seit 1992 im Maßregelvollzug der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Haina, Standort Gießen, seit 2008 in der Stabsabteilung „Recht und Organisation“.
  • Dipl. Psych. Sabine Eucker ist psychologische Psychotherapeutin und Fachpsychologin für Rechtspsychologie BDP/DGPs. Sie ist seit 1988 als Diplompsychologin an der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Haina tätig. Seit 2002 ist sie dort leitende Psychologin und leitet seit Anfang 2009 eine Abteilung für persönlichkeitsgestörte Rechtsbrecher.
    Dr. med. Beate Eusterschulte ist seit 2001 an der Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Haina, seit 2013 als Stellvertretende Ärztliche Direktorin und designierte Nachfolgerin des ärztlichen Direktors. (Angaben S. VII)

Aufbau

Das Herausgeberwerk umfasst insgesamt zehn große Abschnitte.

Zu I. Die rechtlichen Grundlagen

Thomas Wolf stellt die Grundzüge des Maßregelvollzugs (§§ 63, 64 StGB) dar und geht dabei insbesondere auf Verfahrensgrundsätze ein (1).

Rüdiger Müller-Isberner, Anne Rohner und Sabine Eucker befassen sich mit ausgewählten rechtlichen Einzelfragen (z.B. Schweigepflicht, Grundrechtseinschränkungen, Vollzugslockerungen), die sich aus psychiatrischer Sicht im Zusammenhang mit dem § 63 StGB ergeben (2).

Dieselbe Autorengruppe widmet sich anschließend Begutachtungsfragen im Rahmen der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB). Die Autoren klären Anforderungen von und an Gutachten. Am Ende ihres Artikels findet sich noch Lob und Tadel für die jüngsten Gesetzesänderungen (3).

Unmittelbar daran schließt sich Birgit von Hecker an, die sich dem Thema „rechtliche Aspekte und Begutachtungsfragen“ aus der Perspektive des § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) widmet (4). Darin werden u.a. Fragen der Behandlungshöchstdauer angesichts komorbider Störungen und der damit verbundenen Probleme thematisiert. Besonders wird auf Gründe für das Scheitern von Therapien eingegangen.

Rechtsfragen im Vollzugsalltag stellt Anne Rohner vor. Wichtige Themen sind z.B. Besitz und Erwerb von Sachen, Besuche und Außenkontakte, Freizeit und Medien, Disziplinarmaßnahmen. Da die Regelungen gemäß Föderalismusreform Länderangelegenheiten sind, werden diese beispielhaft dargestellt (5).

Die Autorin schließt einen ausführlichen und sehr praxisnahen Beitrag über Beschwerderechte des Patienten an. Zahlreiche Beispiele illustrieren die aus Gesetzeskommentaren und Gerichtsentscheidungen entnommenen Grundsätze (6).

Zu II. Grundlagen, Methoden und Praxis der Kriminaltherapie gemäß § 63 StGB

Alle der folgenden in diesem Abschnitt gesammelten Artikel (1) bis (9) wurden von Sabine Eucker und Rüdiger Müller-Isberner verfasst.

Nach einer kurzen Einleitung (1) explizieren die beiden Autoren im zweiten Artikel ausgehend von der empirischen Feststellung des Zusammenhangs von psychischer Störung und Gewalttätigkeit einen informativen Überblick über multifaktorielle Ätiologie (genetische, biologische, psychosoziale Faktoren), um daran anschließend Gruppen von Rechtsbrechern (z.B. life course persistent offenders, diskontinuierliche Straftäter) zu identifizieren. Es folgt eine Typologie schizophrener Rechtsbrecher und ein kurzes Kapitel über Dissozialität (2).

Um empirisch gesichertes Wissen zur Kriminaltherapie geht es im nächsten Abschnitt (3). Drei methodische Zugänge werden vorgestellt: Pharmakotherapie, Psychosoziale Verfahren und Psychotherapie. Zu den „psychosozialen Verfahren“ zählen die Autoren auch Case Management, Ergotherapie und Soziotherapie. In der Psychotherapie werden als Teilaspekte Psychoedukation, Training sozialer Fähigkeiten und Kognitive Verhaltenstherapie genannt. Danach werden Evaluationen der Straftäterrehabilitation (inkl. der Wirksamkeitsprinzipien von Andrews/Bonta) dargelegt.

Basisdaten und kriminologische Merkmale zu Klienten des psychiatrischen Maßregelvollzuges liefert der nächste Artikel (4). Daran schließen sich vier Seiten an, die sich mit „Organisation und Durchführung von Maßregelvollzug“ befassen (5).

Erneut werden im Folgenden kriminaltherapeutische Methoden (6) referiert, z.T. sind es dieselben, die bereits in (3) dargestellt wurden. Trotzdem ist dieser Artikel einer der instruktivsten.

Dies kann man von den nächsten beiden nicht behaupten. In dem einen geht es um die „Evaluation der psychiatrischen Kriminaltherapie“ (7). Anders als die Überschrift suggeriert, werden hier Fallzahlen des Hessischen Maßregelvollzuges präsentiert, die sich ausnahmslos im einstelligen Bereich bewegen. Ob man angesichts dieses Ergebnisses „Trends“ (S. 210) ablesen kann, erscheint zumindest fraglich.

Das andere Kapitel, „Ethische Aspekte“ (8), füllt nicht einmal eine Seite und mündet in dem Fazit: „Das Spannungsfeld des Doppelmandats von Behandlung und Sicherung wirft spezifische ethische Fragen auf.“ (S. 216)

Wesentlich aussagekräftiger ist das Schlusskapitel dieses gesamten Abschnittes, das mit „Die Praxis der Behandlung“ überschrieben ist. Der sehr schön gegliederte und informative Artikel führt, nach einem kurzen Modell der Rückfallvermeidung, von der Diagnostik über die Behandlung, Wiedereingliederung und Nachbetreuung (9).

Zu III. Therapieoptionen und -konzepte bei einzelnen Patientengruppen

In den folgenden acht Unterkapiteln beschreiben verschiedene Autoren Epidemiologie, Ätiologie und Therapie von verschiedenen Patientengruppen.

Beate Eusterschulte, Rüdiger Müller-Isberner und Hilla Müller widmen sich schizophrenen Rechtsbrechern (1). Ausführlich wird auf die Ätiologie antisozialen Verhaltens Schizophrener eingegangen. Primär behandelt dieser Beitrag psychopharmakologische Interventionen.

Um „Intelligenzgeminderte Rechtsbrecher“ geht es Susanne Pilz, Martin Neumann und Beate Eusterschulte. Dieser praxisnahe Artikel stellt die Gefährdungslage der genannten Zielgruppe heraus, da Intelligenzminderung häufig in komorbider „Gesellschaft“ mit Persönlichkeitsstörungen oder Substanzstörungen einhergeht. Es werden eine Reihe von Behandlungsmethoden vorgeschlagen (2).

Sebastian Kötter schließt einen Beitrag über „Patienten mit hirnorganischen Störungen“ an. Leider werden die Behandlungsmöglichkeiten nur stichpunktartig ausgeführt (3).

„Patienten mit Persönlichkeitsstörungen“ (4) stehen im Zentrum des Artikels von Sabine Eucker. Sie gibt einen guten Überblick über Schwierigkeiten bei und Therapiemöglichkeiten für diese Zielgruppe. Letztere sind – auch dies belegt der Artikel – größer, als gemeinhin angenommen.

Barbara Holzinger und Alexandra Kirste berichten anschaulich und mit Fallmaterial über „Integrative Behandlung von Patienten mit Suchtproblematik, psychotischer Erkrankung und/oder Persönlichkeitsstörung“ (5). Sie nehmen die Metaperspektive ein und beschreiben die Bedingungen für das Gelingen von Maßnahmen bei Menschen mit Doppel- und Dreifachdiagnosen und betonen die Wichtigkeit der Behandlung jeder einzelnen Erkrankung ebenso wie die Notwendigkeit der Behandlungsmotivation der Betroffenen.

Sabine Eucker überschreibt ihren Beitrag mit „Sexualstraftäter“ (6), Es werden psychopharmakologische und psychotherapeutische Aspekte thematisiert.

Einer sehr kleinen Gruppe, nämlich Patienten mit unsicherem Bleiberecht, widmet sich Marita Henderson, die lt. Autorenverzeichnis die Ausländerbeauftragte der Klinik ist. Sie beschreibt die ausländerrechtlichen Grundlagen und anhand von interessanten Fallbeispielen die Problematik. Der Beitrag ist spannend zu lesen, inwiefern er aber zu dem Kapitel „Therapieoptionen“ passt, sei dahingestellt (7).

Gewalttätiges und aggressives Verhalten im forensisch-psychiatrischen Kontext beleuchten Beate Eusterschulte, Michael Fritz und Sabine Eucker. Nach einem kurzen Erklärungsmodell beschreiben die Autoren Diagnostik und Prävention. Es folgen sehr konkrete Maßnahmen im Umgang mit aggressiven Patienten (8).

Den letzten Beitrag in diesem Kapitel liefern Petra Bauer und Claudia Knörnschild zum Thema „Frauen im Maßregelvollzug“. Sie plädieren für eine geschlechtsspezifische Behandlung dieser relativ kleinen Gruppe (9).

Zu IV. Die Phasen der Behandlung

Sabine Eucker und Beate Eusterschulte beschreiben zunächst einen „optimierten“ Aufnahmeprozess im Maßregelvollzug, also die Phase vom Betreten der Klinik bis zur Regelversorgung. Die Autorinnen stellen diese Phase sehr detailreich und ausgesprochen praxisorientiert dar (1).

Der Kernsatz in dem Artikel von Volker Hofstetter zum Thema „Spezialisierte Behandlung“ (2) lautet: „Es handelt sich bei den Patienten des psychiatrischen Maßregelvollzuges um eine sehr heterogene Klientel, bei der nicht nur die krankheitsspezifischen Behandlungsziele verfolgt, sondern alle vorliegenden kriminogenen Merkmale kriminaltherapeutisch adressiert werden müssen.“ (S. 354) Spezifiziert wird dieser Grundsatz anschließend in sehr knapper Form an Patienten mit geistiger Behinderung oder hirnorganischen Schädigungen, mit funktionellen Psychosen oder Persönlichkeitsstörungen.

Ebenfalls von Volker Hofstetter stammt der Artikel „Offene Behandlung und Wiedereingliederung“. Hier geht es um den Entlassungsprozess und die verschiedenen Teilaufgaben, die erledigt werden müssen (3).

Petra Born, Volker Hofstetter und Rüdiger Müller-Isberner überschreiben ihren Artikel mit „Ambulante Kriminaltherapie“ (4). In diesem befassen sie sich mit der Nachsorge forensischer Patienten. Das besondere Augenmerk liegt auf dem Case Management als Bindeglied zwischen stationärer und ambulanter Therapie innerhalb der Führungsaufsicht. Es folgen Länderberichte mit Ergebnissen von Untersuchungen über die Effizienz (wahrscheinlich besser: Effektivität) der ambulanten forensischen Nachsorge.

Zu V. Extremformen therapeutischer Erreichbarkeit

Dieses Kapitel besteht nur aus zwei Beiträgen.

Volker Hofstetter und Ruth Rohdich befassen sich mit der „Kurzzeitbehandlung im Maßregelvollzug“ (1) und sprechen über Patienten mit überdurchschnittlich günstiger Behandlungsprognose, den sogenannten Schnellläufer(n). Wider Erwarten erweisen sich solche Entlassungen als weitaus aufwendiger als „normale“, weil die Entlassplanung wegen der anstehenden Aufgaben schneller getaktet werden muss.

Beate Eusterschulte, Walter Schmidbauer, Sabine Eucker, Volker Hofstetter, Jessica Jamrowski und Rüdiger Müller-Isberner verfassen den Beitrag über „Absehbar nicht entlassbare Patienten“ (2). Zwischen 20 % und 40 % der Patienten im Maßregelvollzug gelten als Personen ohne Entlassungsperspektive, d.h., sie sind länger als zehn Jahre untergebracht. Es sind hauptsächlich antisoziale Täter mit einem hohen „psychopathy-score“ und mit geringer Kooperations- und Anpassungsbereitschaft. Der Aufbau einer Perspektive, so die Autoren, ist das wichtigste Ziel, und um dieses zu erarbeiten, bedarf es vornehmlich sozialarbeiterischem und juristischem Know-how (S. 401). Anschließend werden verschiedene Organisationsmodelle diskutiert.

Zu VI. Spezielle Behandlungsformen und Settings

Von den „Besonderheiten der pharmakologischen Behandlung im Maßregelvollzug“ berichten Beate Eusterschulte, Hilla Müller und Anne Rohner. In diesem Beitrag ist insbesondere die rechtliche Situation bei Zwangsbehandlungen interessant (1).

Micha Brandt und Sindy Viragos referieren zum Thema „Psychotherapeutisches Gruppenbehandlungsprogramm für schizophrene Patienten im Maßregelvollzug“ (2). Sie beschreiben sehr anschaulich und praxisnah ein stationsübergreifendes Gruppenprogramm für die genannte Zielgruppe, welches – sehr zur Freude des Rezensenten – von Psychologen und auch von Sozialpädagogen angeleitet wird (S. 429). Bis hin zu den räumlichen Rahmenbedingungen werden hier die wichtigsten Informationen gegeben. Mein Lieblingsartikel in diesem Buch!

Lutz Gretenkord stellt das erfolgversprechende R&R (Reasoning and Rehabilitation) Programm kurz vor, das ja schon einige Jahrzehnte auf dem Markt ist. Neu ist, dass es eine Kurzform für Jugendliche gibt, und es ist auch interessant, dass von Robert Ross, dem Gründervater dieses Programms, Instruktoren für die Forensische Psychiatrie Haina e.V. ausgebildet wurden, die ihrerseits Trainer ausbilden (3).

„Co-Therapien“ (4) definieren die Autoren Thomas Madsack, Petra Born und Alice Ludwig, wie folgt: „Unter dem Begriff Co-Therapien sind im Maßregelvollzug (§ 63 StGB) Disziplinen zusammengefasst, die als nicht bettenführende Abteilung mit stationsübergreifenden Angeboten das forensische Behandlungsangebot komplettieren. Hierzu gehören: Ergotherapie, pädagogische Angebote, Sport- und Bewegungstherapie sowie Physiotherapie.“ (S. 443) Während in dem pädagogischen Bereich in einer Tabellenform die meist beruflichen Angebote aufgezählt werden, zeigt insbesondere die Ergotherapie, dass sie dabei ist, professionell an die psychotherapeutischen Angebote aufzuschließen. Sie ist längst nicht mehr das Abziehbild von „Beschäftigungstherapie“, sondern ein echter integraler Bestandteil der Kriminalprävention. Selbiges von der „Physiotherapie“ zu sagen, wäre nach den gerade einmal fünf Zeilen (!), mit denen dieser Bereich beschrieben wird, übertrieben.

Der aus Sicht des Sozialdienstes verfasste Beitrag stammt von Holger Willhardt und ist übertitelt mit „Sozialadministrative Aufgaben im Maßregelvollzug“ (5). Er beschreibt (übrigens völlig ohne Literaturverweise) die Arbeit des Sozialdienstes als „Erfassung und Sicherung der sozioökonomischen Situation des Patienten bei der Aufnahme in die Klinik und für die Zeit nach der Entlassung sowie die Organisation der Verwaltung seiner Habe und Geldmittel während der Unterbringung.“ (S. 463) Wer liest, dass die „Sozialanamnese“ (!) primär auf die ökonomische Situation ausgerichtet ist (S. 464), wird sich vielleicht fragen, ob an der Stelle des Sozialdienstes nicht besser ein Finanzfachmann sitzen sollte. Selbst die Schuldnerberatung kommt in der Darstellung offenbar ohne Arbeit mit dem Klienten oder Patienten aus, es fehlt (zumindest in der Darstellung) die Arbeit mit der Person, für die eine neue finanzielle Grundlage gefunden werden muss.

Zu VII. Pflege in der Forensik

Es folgen fünf Artikel zum Thema Pflege in der Forensik, davon sind vier von Gudrun Gaertner (1-2 und 4-5), einer von Volker Hofstetter (3).

Im ersten (1) Beitrag dieses Kapitels („Psychiatrische Pflege in der Kriminaltherapie“) geht es um Fragen der Ausbildung zur Pflege im Maßregelvollzug, zu deren Aufgaben und zu Möglichkeiten der Fortbildung. Ein (allerdings sehr allgemeines und nicht pflegespezifisches) Kompetenzmodell für Pflegekräfte wird aufgezeigt.

Des Weiteren (2) werden Handlungsfelder der Pflege beleuchtet. Dieser Abschnitt beginnt mit den Phasen der Pflege, setzt sich mit dem Thema „Bezugspflege“ auseinander und geht dann auf pflegerische Behandlungsmethoden (Diagnostik, Pflegeplanung, pflegerisch geleitete Gruppen) ein. Letztere behandeln die „Bewältigung von Alltagsanforderungen, das Training sozialkonformer Verhaltensweisen, die Schaffung der Tagesstruktur, die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit, die Krisenerkennung und -bewältigung …“ (S. 490). Komplettiert werden die Aufgaben durch das Risikomanagement und die Risikobeurteilung.

Es folgen Überlegungen zum „Gesundheitsverhalten im Maßregelvollzug“ (3). Hier werden die wichtigsten Gesundheitsrisiken für Patienten (Bewegungsmangel, Rauchen, Fehlernährung) sowie einige pflegerische Gegenmaßnahmen angeführt.

Kooperationsfragen (4) und Schlussbemerkungen (5) beschließen das Kapitel.

Zu VIII. Prognose- und Sicherungspraxis im klinischen Alltag

Beate Eusterschulte beginnt ihren Beitrag zum Thema „Prognosepraxis im psychiatrischen Maßregelvollzug“ mit dem wichtigen Satz: „Die Risikobeurteilung stellt im Maßregelvollzug […] die entscheidende Grundlage wirksamer Behandlung dar, da nicht die Heilung einer Erkrankung, sondern die Minderung des Rückfallrisikos im Fokus der Behandlung steht.“ (S. 515) Anschließend werden verschiedene Risikoprognosemethoden genannt und Bedingungen ihrer Anwendung diskutiert. Schließlich werden noch Implementierungsstrategien im Klinikbetrieb besprochen (1).

Einen ganz ähnlichen Duktus verfolgt Birgit von Hecker, die die Prognosepraxis aus Sicht der Entziehungsklinik (2) beleuchtet. Daneben stellt sie Prognosefragen im Zusammenhang mit Lockerungen und Entlassungen in den Mittelpunkt.

Ein Autorenoktett um Reinhardt Brück et al. nimmt sich des Themas „Lockerungen und Sicherung in der Praxis“ (3) an. Auch hier soll der (sprachlich allerdings etwas verunglückte) erste Satz zitiert werden: „Die Kunst im Maßregelvollzug besteht darin, die richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt zu lockern, und die richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt richtig und effizient zu sichern.“ (S. 531, H. i. O.) Der Stufenplan der Lockerungen samt „Mehrebenenmodell zu Stufungsentscheidungen“ und Verlaufskontrolle werden vorgestellt, ebenso sehr detailreich (allgemeine und besondere) Sicherungsmaßnahmen.

Zu IX. Die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)

Auf den nächsten knapp fünfzig Seiten finden sich zwölf Artikel; acht davon (1-7, 9, 11-12) wurden von Birgit von Hecker verfasst. Diese werden nachfolgend kurz vorgestellt:

In kurzen, kaum einseitigen Bemerkungen handelt Birgit von Hecker (1) „Die Behandlung in einer Entziehungsanstalt“ (rechtliche Voraussetzungen, Unterschied zu § 63 StGB), (2) „Die Häufigkeit der Unterbringung“, (3) „Substanzmissbrauch und Kriminalität“ und (4) „Die Patienten in der Entziehungsanstalt“ (z.B. Komorbidität) ab.

Ausführlicher und gehaltvoller werden von der Autorin die Phasen der Behandlung beschrieben (5). Für Patienten führt der Weg von der Aufnahme- und Diagnostikphase über die Behandlungsphase zur Rehabilitationsphase. Großen Wert wird auf Motivationsarbeit gelegt.

Bei dem sehr spannenden Thema „Substitution im Maßregelvollzug“ (6) diskutiert die Autorin neuere Entwicklungen, die vom absoluten Abstinenzgebot abweichen wollen. Die mögliche Alternative für die Klinik, nämlich Substitution, ist im ambulanten Bereich längst Alltagspraxis. Diese Möglichkeit wird von der Autorin allerdings im Kontext „sehr liberale(r) Indikationsstellung“ angesehen, für die es in der Entziehungsanstalt „keinen Raum“ gebe (S. 569). Sie lässt trotz der „therapeutischen Option“, als die sie Substitution erkennen will, wenig Zweifel, dass sie darin eine Gefahr sieht, weil „die Substitution für die Betroffenen auch mit einem gewissen Gefährdungspotenzial verbunden ist, da Kontakte zur Drogenszene notwendigerweise fortbestehen werden.“ (S. 569)

Es folgt erneut das Thema „Komorbidität“ (7), das um Überlegungen zu Kosten und Behandlungsmöglichkeiten erweitert wird. Allerdings ist auch dieser Teil sehr kurz gehalten.

Die Autorin greift des Weiteren „Besondere Patientengruppen“ (9), sprich Frauen und Migranten, heraus. Die Frauen als Patientengruppe werden nur numerisch abgehandelt, bei den Migranten sind einige sehr wenige (und eher klischeehafte) Bemerkungen über den „kulturellen Abstand“ zwischen „germanisiertem Kulturkreis“ und „russifiziertem Kulturkreis“ (S. 584) angefügt.

Es folgen zwei Artikel mit Fallbearbeitungen: Einmal „Kasuistiken aus der Entziehungsanstalt“ (11) und „Fälle aus der ambulanten Kriminaltherapie“ (12). In beiden Artikeln geht es u.a. um Komorbidität, im ersten werden noch zwei Fälle von „Erledigung wegen fehlender Aussicht auf Erfolg“ thematisiert.

Lothar Fürstenberg nimmt sich des Themas „Die Co-Therapien in der Entziehungsanstalt“ (8) an. Die Therapien und ihre Beschreibung (Ergotherapie, Arbeitstherapie, Sporttherapie u.a.) sind nahezu identisch mit denen, die sich im Artikel von Madsack et al. finden, interessanterweise ist auch hier die Physiotherapie nur mit fünf Zeilen angedeutet.

Mit „Ambulante Nachsorge suchtkranker Rechtsbrecher“ (10) hat Michaela Unseld ihren Beitrag überschrieben. Hier geht es um Fragen bezüglich Wohnung, Arbeitsfähigkeit, Schuldenregulierung und soziale Anbindung (S. 586). Folglich, so die Autorin, „werden überwiegend Sozialarbeiter und Pflegekräfte benötigt, die suchttherapeutisch qualifiziert und idealerweise im forensischen Klinikalltag erfahren sind“ (S. 586). Der Leser fragt sich an dieser Stelle natürlich, warum dieser Artikel dann von einer leitenden Ärztin geschrieben wird, wenn die Expertise für diese Tätigkeit überwiegend keine ärztliche ist.

Zu X. Der Kontext von Maßregelvollzug

Nach den einleitenden Bemerkungen von Rüdiger Müller-Isberner (1) beschreibt Joachim Hübner den „Maßregelvollzug in der Bundesrepublik Deutschland“ (2) in seiner föderalen Vielfalt. Der Blick durch alle Bundesländer zeigt, dass nicht nur diese den Maßregelvollzug völlig unterschiedlich organisiert haben, sondern dass es innerhalb der Bundesländer, wie z.B. in Bayern, weitere Binnendifferenzierungen gibt (z.B. staatliche Krankenhäuser oder privatrechtliche Betriebsformen). Zusammenfassend kann er dennoch schreiben: „Die Mehrzahl der forensischen Kliniken wird heute von Kapitalgesellschaften öffentlicher, freigemeinnütziger oder privater Eigentümer betrieben.“ (S. 611) Ein sehr interessanter Einblick in die föderale Welt, der sicher eines hohen Rechercheaufwands bedurfte.

Derselbe Autor, der lt. Autorenverzeichnis bis 2013 Prokurist der Maßregeleinrichtung in Haina (Träger seit 2007: eine Holding, die Vitos GmbH) war, beschreibt die Trägerorganisation der forensischen Fachkliniken am Beispiel Hessen (3). Er kündigt an, die mit der Privatisierung ausgelösten „verfassungsrechtlichen Fragen“ genauer betrachten zu wollen. Neben der geschichtlichen Abhandlung und Fragen bezüglich der Aufgaben der Holding, findet der Leser aber kaum eine derartige Auseinandersetzung. Der Artikel liest sich eher wie der Prospekt einer Kapitalgesellschaft.

Ralf Schulz, Geschäftsführer der Vitos GmbH, beschreibt „Die Sicht der Geschäftsführung“ (4). Hier kann sich der Leser mit „Service Unit“, „Human Resources Management“, „Facility-Management“, Qualitätsmanagement, Finanzcontrolling und Compliance-Strukturen befassen. Ob er das alles wirklich wissen will, wenn er ein „Praxishandbuch Maßregelvollzug“ zur Hand nimmt?

Es folgt „Aufgabe und Rolle des ‚Anstaltsleiters‘“, verfasst von Rüdiger Müller-Isberner. Die hier dargelegten Inhalte (Der Anstaltsleiter als Chef der Verwaltung, der u.a. Personalkosten und Sachkosten kalkulieren muss; der Anstaltsleiter als Qualitätssicherer; der Anstaltsleiter als Fachvorgesetzter …usf.) sind nicht sonderlich originell und auch hier fragt man sich, warum in der 3. Auflage dieses Kapitel eingefügt wurde (5).

Dasselbe gilt für die Beschreibung der „Aufgabe und Rolle des Krankenpflegedirektors“, die Gudrun Gaertner vornimmt (6). Wenig überraschend ist dessen Hauptaufgabe die „Qualität der Pflege“, Arbeitsschwerpunkte sind u.a. Mitarbeitergewinnung und Personalentwicklung.

Etwas interessanter ist das Kapitel „Mitarbeiter des Maßregelvollzugs“ (7), verfasst von Sabine Eucker und Rüdiger Müller-Isberner. Hier werden Spannungsfelder beschrieben, die es wert wären, auch empirisch beleuchtet zu werden. So schreiben die Autoren, das Personal sei angesichts des besonderen Auftrages („Behandlung und Sicherung“) und des Klientels („Lange Behandlungsdauer“, S. 650), in der Gefahr von „burn-out“. Leider folgen dann sehr wenige konkrete Strategien (z.B. Sabbatjahr als Prophylaxe), die nur genannt, jedoch nicht erläutert werden.

Die Leiterin der Abteilung „Konzernkommunikation und Marketing der Vitos GmbH“ Martina Garg fügt ein Kapitel „Öffentlichkeitsarbeit“ an. Sie beschreibt die besonderen Bedingungen der Medienarbeit in diesem Arbeitsfeld, insbesondere im Krisenfall (8).

Um „Krisenmanagement“ (9) geht es auch im letzten Kapitel des Buches, das wieder Rüdiger Müller-Isberner beisteuert. Auch hier geht es um Medienarbeit im Krisenfall. Als günstige Vorgehensweise schlägt der Autor vor, einen Krisenstab zu bilden, die Kooperation mit der Polizei und einen proaktiven bzw. authentisches Kontakt zu den Medien zu suchen.

Diskussion

Wenn man die 2. und 3. Auflage vergleicht, hat sich in der Neuauflage nicht nur die Zahl der Herausgeber, sondern auch der Umfang (und der Preis) verdoppelt. Da stellt sich die Frage, ob die massive Erweiterung des Umfangs für den Leser einen Gewinn darstellt: Dies lässt sich mit einem „Jein“ beantworten.

Fast das gesamte letzte Kapitel X („Der Kontext von Maßregelvollzug“) erscheint dem Rezensenten verzichtbar, ohne dass die Substanz darunter leiden würde. Insbesondere wenn Funktionäre schreiben, klingen die Statements austauschbar und häufig so, wie man es in unzähligen Managementbüchern nachlesen kann. Dagegen sind die neu aufgenommenen Beiträge in Kapitel III(„Therapieoptionen und -konzepte bei einzelnen Patientengruppen“) von hoher Qualität. Insbesondere haben den Rezensenten die in Kapitel III neu aufgenommenen Themen „Persönlichkeitsstörungen“, „Sexualstraftäter“ und „Gewalttätiges und aggressives Verhalten“ oder auch die häufig thematisierte Komorbidität überzeugt. Hier zeigt sich, dass sich die Herausgeber den Anforderungen der Praxis gestellt haben, um etwas zum Umgang mit diesen schwierigen Zielgruppen beizutragen.

Sehr positiv zu vermerken ist das neu hinzugekommene Kapitel über Pflege. Dass dies einen so breiten Raum einnimmt, ist schon für sich genommen innovativ und offenbart ein neues Bild von Pflege, das durchaus attraktiv ist. Die Artikel aus dem Pflegekapitel wären allerdings noch „runder“ geworden, wenn die schreibenden Autoren die Pflegewissenschaft und deren Erkenntnisse eingearbeitet hätten. Pflegewissenschaften sind längst ein prosperierender Zweig innerhalb der Sozialwissenschaften, den man nicht mehr ignorieren darf. Sie zur Kenntnis zu nehmen, würde dann auch bedeuten, sie zu zitieren. Leider müssen die Artikel im Pflegekapitel fast völlig ohne Literatur auskommen, was eben doch ein Unterschied ist zu den mit reichhaltigen Nachweisen bestückten Beiträgen der Psychologen und Ärzte.

Ob die Themen aus dem Feld Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) tatsächlich so viel hergeben, dass das Kapitel IX im Umfang von den früheren zwei auf die aktuellen zwölf Unterkapitel anwachsen musste, sei dahin gestellt. Sie sind fast alle von nur einer Autorin geschrieben, oft extrem kurz, z.T. mit sich überschneidenden Inhalten. Einige Inhalte sind spannend (z.B. Substitution) und hätten eine diskursivere Behandlung (vielleicht mit einem anderen Autor) verdient gehabt, andere (z.B. Co-Theapie) sind eine schlichte Wiederholung des bereits Gesagten, wieder andere hätten gut zusammengefasst werden können.

Der inhaltliche Schwerpunkt und auch die Stärke des Buches liegen eindeutig in der medizinischen und psychotherapeutischen Kompetenz im Maßregelvollzug. Bei diesen Artikeln, bei denen die Autorinnen und Autoren „bei ihrem Leisten“ bleiben, bieten sie ihren großen Wissens- und Erfahrungsschatz an, zu dem man sich an vielen Stellen noch mehr deutlicher ausgeführte Praxisbeispiele hätte vorstellen können. Wenn beispielsweise postuliert wird, „Longstay-Patienten“ sollten „spezialisierte Angebote“ (S. 358) bekommen, ist es natürlich gerade für Praktiker nicht uninteressant zu erfahren, welche damit gemeint sind. Die Methodik der Psychotherapie und Psychiatrie orientiert sich durchgängig an den RNR-Prinzipien von Andrews/Bonta (2010) und sind so sicherlich „state-of-the-art“. Sie beschreibt den derzeitigen Mainstream und ist so im guten Sinne ein „Praxishandbuch“, das gar nicht den Anspruch erhebt, innovativ zu sein oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorzulegen.

Dort, wo sich die (medizinischen und psychologischen) Autoren auf fremde Felder wagen (z.B. Ethik, Case Management), die eben nicht ihrer Disziplin angehören, ist das Ergebnis weit weniger überzeugend. Es hätte erwartet werden können und müssen, dass die Herausgeber das Prinzip durchbrechen, nur Sachkompetenz aus dem eigenen Hause einzuladen. Wenn es diese im eigenen Hause nicht gibt, müsste man das Thema entweder weglassen oder einen fremden Autor verpflichten.

Andererseits, und dies hat die „inhouse“-Vergabe natürlich für sich, passen die Artikel passen widersprechen sich nicht, sind nicht allzu heterogen in Länge und Sprache – allesamt Vorteile, die man bei einem über 700seitigen Werk nicht unterschätzen sollte.

Eine Anmerkung noch zum dem einzigen, die professionelle Sozialarbeit beschreibenden Artikel, der mit „Sozialadministration“ umschrieben ist. Es fällt auf, dass es ausgerechnet dieser Artikel ist, der – unter Verzicht auf jedwede Literatur – ein Bild des Sozialdienstes zeigt, wie es weder die Theorie der Sozialen Arbeit, noch ihr Selbstverständnis zeigen sollte: als eine Profession, die für die Verwaltung von Geld und Regelung von Rechtsansprüchen da ist, ohne dabei mit den Menschen selbst etwas zu tun zu haben. Wenn beispielsweise von „Schuldnerberatung“ (S. 467) die Rede ist, geht es selbstverständlich Sozialer Arbeit nie nur um die sachliche Aufgabe, so wichtig diese ist. Es geht ihr und muss ihr immer auch um die Person gehen, die befähigt werden soll, ihr (in diesem Fall finanzielles) Alltagsmanagement selbstständig wahrzunehmen. Ob man das wie früher „Hilfe zur Selbsthilfe“ (neudeutsch „Empowerment“) oder „Edukation“ nennt, ist weniger wichtig als die Haltung: Es werden nicht nur die Schulden reguliert, sondern der Schuldner wird beraten seinen Lebensstil so zu verändern, dass er zukünftig sein Finanzmanagement selbst so gestalten kann, dass er keine „sozialadministrative Versorgung“ (S. 466) mehr braucht. Die Formulierungen „der Patient (wird) bei der Beibringung der erforderlichen Unterlagen und Nachweise unterstützt“ (S. 467) oder es „wird die sozioökonomische Situation des Patienten erneut geprüft“ (S. 466) klingen nicht nur sprachlich wie „Verwaltung“, sie sind auch als Inhalt für das Profil einer sozialarbeiterischen Tätigkeit unzureichend. Es wird sicher Berufsgruppen geben, die Verwaltungstätigkeiten besser beherrschen als Sozialarbeiter. Wenn ich meine Studierenden fragen würde, welche Profession sich selbst wie folgt beschreibt „Bewältigung von Alltagsanforderungen, das Training sozialkonformer Verhaltensweisen, die Schaffung der Tagesstruktur, die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit, die Krisenerkennung und -bewältigung …“ (S. 490), so würden sie (hoffentlich) im Einklang mit Selbstverständnis und Theorie die Soziale Arbeit nennen. Im vorliegenden Handbuch sind diese Tätigkeiten Teil der Selbstbeschreibung der Pflege, während der Leiter des Sozialdienstes unter anderem „Taschengeldanträge […], Überleitung von Geldern, Klärung und Geltendmachung von Rentenansprüchen, […]Wohnungsauflösungen […]“ (S. 463) als seine Aufgaben nennt. Kann es sein, dass die Pflege professionsspezifisch in die Lücken geht, die Soziale Arbeit in ihrem Bestreben, sich mit „Sozialadministration“ auf ein unumkämpftes Tätigkeitsfeld zu begeben, zunehmend frei lässt? Jedenfalls ist der Pflege – zu Recht – im Praxishandbuch ein eigenes Kapitel mit fünf Unterabschnitten gewidmet; der Sozialdienst verantwortet einen Artikel, der – vorsichtig gesprochen – ergänzungsbedürftig ist. Dabei haben andere Professionen durchaus sinnvolle Erwartungen an die Soziale Arbeit (z.B. Entwicklung einer Lebensperspektive, Beiträge zur Motivationsarbeit), wie der Artikel „Absehbar nicht entlassbare Patienten“ beschreibt (S. 401). Es steht zu hoffen, dass diese „Steilvorlage“ in der Praxis des Maßregelvollzugs von der Sozialen Arbeit genutzt wird.

Fazit

Für die Zielgruppe, die das Buch lt. Verlag, anstrebt, ist der Gewinn differenziert zu sehen:

Für forensisch tätige Psychiater, Psychologen und Psychiater ist das Handbuch ein gutes Kompendium, das dazu beitragen kann, der in der Praxis Tätigen den derzeitigen Mainstream von Diagnostik und Behandlung näher zu bringen. Für Juristen, insbesondere Rechtsanwälte, Staatsanwälte und Richter, die mit Maßregelvollzug zu tun haben, hält das Handbuch profundes Spezialwissen bereit. Für diese Zielgruppen kann das Handbuch die Stärke einer hoch spezialisierten Klinik für den Leser nutzbringend einbringen. Für die Pflege bedeutet das Handbuch eine große Aufwertung ihrer Profession. Hier spiegeln sich die Entwicklungen in der Pflege wider, wie sie sich in den letzten zehn Jahren herausgebildet hat. Schön wäre es, wenn auch in diesem Praxishandbuch die Pflegewissenschaft stärker Platz finden würde.

Für die Zielgruppe der Pädagogen und Sozialarbeiter bietet das Buch Wissen der genannten Professionen an, mit deren sich immer weiter spezialisierenden Angeboten. Dieses Wissen ist sicher nicht unwichtig, da es doch die Voraussetzung für eine interprofessionelle Zusammenarbeit ist, zu wissen, was andere Professionen tun. Über sozialarbeiterische oder pädagogische Professionalität im Maßregelvollzug selbst hätte man hingegen gerne mehr erfahren.

Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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Es gibt 56 Rezensionen von Wolfgang Klug.

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ISSN 2190-9245