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Bernhard Strauß, Swetlana Philipp (Hrsg.): Wilde Erdbeeren auf Wolke Neun. Ältere Menschen im Film

Rezensiert von Michael Christopher, 05.10.2017

Cover Bernhard Strauß, Swetlana Philipp (Hrsg.): Wilde Erdbeeren auf Wolke Neun. Ältere Menschen im Film ISBN 978-3-662-50487-1

Bernhard Strauß, Swetlana Philipp (Hrsg.): Wilde Erdbeeren auf Wolke Neun. Ältere Menschen im Film. Springer (Berlin) 2017. 362 Seiten. ISBN 978-3-662-50487-1. D: 39,99 EUR, A: 41,11 EUR, CH: 42,50 sFr.

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Thema

Die Darstellung des Alterns im Film ist spätestens seit der Veröffentlichung von „Wolke Neun“ (D 2008, Dresen) Thema in der öffentlichen und fachlichen Diskussion. Dabei ist die Repräsentation alter Menschen im deutschen Fernsehen bereits mit „Der Große Bellheim“ (D 1992, Wedel) mit Mario Adorf in der Hauptrolle in den Fokus gerückt [1].

Nun liegt mit „Wilde Erdbeeren auf Wolke Neun“ ein Werk vor, dass die psychotherapeutische Seite der Thematik beleuchtet. Der Sammelband ist im medizinischen Springer-Verlag erschienen, der bereits ähnlich angelegte Sammelbände (über Schurken, Liebe, psychische Störungen, Psychotherapeuten und Sexualität) veröffentlicht hat, ohne sie einer Reihe zuzuordnen.

AutorInnen und HerausgeberInnen

Das Buch „Wilde Erdbeeren auf Wolke Neun“ ist ein Sammelband, der Beschreibungen von neunundzwanzig Filmen, die sich jeweils mit der Thematik Alter(n) befassen, von insgesamt 35 AutorInnen beinhaltet. Die meisten AutorInnen sind hauptsächlich Psychologen und Mediziner, mit einem psychotherapeutischen Hintergrund.

Die Herausgeberin Swetlana Philipp ist am Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie an der Universität Jena Wissenschaftliche Mitarbeiterin und der Herausgeber Bernhard Strauß Professor am gleichen Institut. Strauß hat Veröffentlichungen zu der Thematik Bindungen und allgemein zur Psychotherapie verfasst. Philipp schrieb Fachartikel u.a. zu den Themen Kommunikation und Schauspielerpatienten.

Aufbau

„Wilde Erdbeeren auf Wolke Neun“ ist in vier Abschnitte unterteilt:

  1. Zonen des Übergangs – Lebensbilanz und Identitätsfindung
  2. There is always tomorrow oder Etwas Besseres als den Tod findest du überall
  3. Liebe(n) im Alter – Liebe(n) hat kein Alter
  4. Alles was mal war im Leben – Krankheit Demenz und Tod

Zu 1.

Der zentrale Film dieses Abschnittes ist „Wilde Erdbeeren“ (Schweden 1957, Bergmann), der vom Mitherausgeber Bernhard Strauß psychoanalytisch besprochen wird. Der Narzissmus der Hauptfigur wird der Theorie des Lebenszyklus gegenübergestellt und mit psychologischen Fragen konfrontiert, um seine These zu untermauern, der Film sei eine filmische Inszenierung eines Lebensrückblickes (13) und damit ein wichtiges Instrument für Diskurse, in denen es um die Verbesserung von Lebensqualität älterer Menschen gehe.

Löwer-Hirsch blickt kurz auf den Film „The Straight Story“ (USA 1999, Lynch) als Beschreibung einer Lebensreise.

Pinquart betrachtet mit „Das Beste kommt zum Schluss“ (USA 207, Reiner) einen Film über den letzten Lebensabschnitt, in dem eine Lebensbilanz gezogen wird und fragt sich, ob ein populärer Film Menschen zu einer Veränderung ihrer Einstellung zu Leben und Tod führen könne.

Gudrun Schneider blickt auf das individuelle Problem des Älterwerdens und den darin enthaltenden Entwicklungsaufgaben in „Was das Herz begehrt“ (USA 2003, Myers).

Psychoedukativ gehen Eichenberg und Hampl an den Film „Giulias Verschwinden“ (Schweiz 2009, Schaub) heran und blicken mithilfe des Films auf das Entwicklungsmodell von Erikson.

Einen Klassiker der deutschen Filmgeschichte untersucht Boothe mit dem Film „Der letzte Mann“ (D 1924, Murnau) und entdeckt die Problematik des Statusverlustes durch das Alter des Protagonisten, die am Ende jedoch märchenhaft aufgelöst werde.

Ähnlich ist das Thema in „Papa Ante Portas“ (D 1991, Loriot), mit dem Peters den Übergang des Protagonisten in den Ruhestand schildert.

In „Another Year“ (GB 2010, Leigh) geht es um die Umbruchsituation des Alters. Wollnik sieht hier die Spannung zwischen Zukunftsentwurf und dem Kreisen im Erreichen.

Der letzte Artikel des Kapitels ist der von Hirsch besprochene Film „Tod in Venedig“ (Italien 1971 Visconti) zum Thema Frieden mit dem eigenen Leben finden.

Zu 2.

Das zweite Kapitel blickt positiver auf das Altern.

In „The best exotic Marigold Hotel“ (GB 2011, Madden) sieht Piegler, ähnlich wie die Autoren im vorangegangenen Kapitel, auf den Film im Rahmen der Entwicklungsschritte im Alter. Auch er verweist ähnlich wie Boothe beim „Letzten Mann“ auf Analogien zu dem Märchen über die Bremer Stadtmusikanten.

In „Quartett“ (GB 2012, Hoffmann) beschreibt Leppert die Bedeutung des Musizierens in diesem sogenannten Wohlfühlfilm.

Ähnliches beleuchtet der Dokumetarfilm „Young @ Heart“ (USA 2007, Walker), in dem die verschiedenen Mitglieder eines Chors aus älteren Sängern vorgestellt werden, Musik als ein Element einer Selbstverwirklichung im Alter. Philipp und Rockenbauch blicken, als wenige der Autoren hier, auch auf die sozial-kulturelle Ebene des Umgangs des Publikums mit dem Alter.

Maercker und Horn beschreiben ebenfalls einen Film, in dem Musik eine wichtige Rolle spielt. In „Song for Marion“ (GB 2012, Williams) geht es in der Form eines Sozialdramas ebenfalls um die Probleme, die das Altern mit sich bringt und die Möglichkeit durch das Singen im Chor diese abzufedern.

Der Dokumentarfilm „Herbstgold“ (D 2010, Tenhaven) handelt von Seniorensportlern, die ihren Weg im Sport gefunden haben. Gawlytta und Rosendahl sehen darin in einer alternden Gesellschaft ein positives Beispiel sich im Alter nicht aufzugeben.

Zu 3.

Das dritte Kapitel hat einen Blick auf die Liebe im Alter geworfen, die in Bezug auf den Film bereits häufig beschrieben worden ist.

Storck beschreibt den Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ (USA2008, Fincher) in dem die Lebensuhr rückwärts zu laufen scheint als Liebesfilm mit auseinander laufenden Vitas.

Hamburger und Pramataroff-Hamburger versuchen die Wirkung der Handlung des Gesehenen auf das Unbewusste des Zuschauers im Film „Amour“ (F 2012, Haneke) psychoanalytisch aufzudecken.

Heuft und Heuft sehen in „Kirschblüten – Hanami“ (D 2008, Dörrie) die Aspekte von Familie, Altern und Tod.

Der Klassiker „Harold and Maude“ (USA 1971, Ashby) wurde von Fabry unter den Aspekten „Sorge Dich nicht, lebe“ und den Themen der Generationen übergreifenden Liebe sowie den Suizid von Maude angesehen.

Freyberger betrachtet kurz den Film „Angst essen Seele auf“ (D 1974, Fassbinder) um das inhärente Statement für mehr Toleranz herauszustellen.

Wolke 9“ (D 2008, Dresen) ist einer der aktuell am häufigsten mit Thema Alter im Film analysierten Werke, in dem es um Sexualität im Alter geht. Richter-Appelt richtet seinen Blick auf eben dieses Thema.

Fäh beschreibt den italienischen Film „Ginger e Fred“ (Italien 1986 Fellini) anhand psychoanalytischer Begriffe.

Ein sehr psychoanalytischer Film per se ist „Mahler auf der Couch“ (AU, D 2011, Adlon & Adlon), der ebenfalls von Richter-Appelt besprochen worden ist.

Zu 4.

Der erste besprochene Film in diesem Abschnitt ist der rumänische Film „Der Tod des Herrn Lazarescu“ (RUM 2005, Puiu). Eder sieht neben dem radikalen Realismus in der medizinischen Versorgung in Rumänien, einen Wert des Films im medizinpsychologischen Unterricht zum Thema „Würde der Behandlung alter Menschen im Krankenhaus“.

Rauchfleisch bespricht den Film „Satte Farben vor Schwarz“ (D, SUI 2011, Heldmann), der Fragen zum selbstbestimmten Lebensende im Alter aufwirft.

Rehmann und Rehmann-Sutter sehen im schwarz-weiß gedrehten Film „Nebraska“ (USA 2013 Payne) die Grauzonen des Alterns und die Aufgabe, dass die Jüngeren sich mit den Älteren auseinandersetzen müssten.

Wilz und Auclair stellen den Film „Still Alice“ (USA 2014, Glatzer & Westmoreland) als einen der ersten Filme, der sich mit Alzheimer auseinandersetzt, vor.

Ähnlich ist der mit Didi Hallervorden besetzte Film „Honig im Kopf“ (D2014, Schweiger), der die Demenz des Protagonisten behandelt, in dem Themengebiet ein wichtiger Beitrag. Töpfer und Wirz fühlen die verschiedenen Diskussionsebenen im Umgang mit Alzheimer im Film nach und sehen in „Honig im Kopf“ einen wertvollen Film im sozialen Diskurs zu der Erkrankung.

Vergiss mein nicht“ (D2012, Sieveking) wird von Peng-Keller als ein Zukunftsfilm betrachtet, der die Probleme, die auf die Gesellschaft mit der Demenz zukommen werden, mit interessanten Ansätzen begleitet.

Die letzte Filmbeschreibung stammt von Auchter, der in

Marias letzte Reise“ (D 2005, Kaufmann) das Thema des würdevollen Sterbens herausarbeitet.

Diskussion

Die Filmbeschreibungen sind psychoanalytisch dominiert. Es geht weniger darum, wie die Gesellschaft mit dem Thema Altern in den Filmen umgeht, beziehungsweise, welchen Stellenwert diese Filme in der filmwissenschaftlichen Diskussion haben. Es ist eher eine Innensicht, eine Besinnung auf die Protagonisten, wie diese im Film mit dem Altern klar kommen. Daher sind die Artikel der Autoren eher Filmbeschreibungen als tiefgehende Filmanalysen. Die Autoren kehren häufig in die Realität zurück und vergleichen das Filmgeschehen mit dem individuellen Erleben von Betroffenen (vgl. u.a. 33).

Es ist oftmals eine sehr persönliche Auseinandersetzung der Autoren mit dem Film.

Deutlich ist eine zu geringe Beschäftigung mit den Gegebenheiten des Films jenseits der psychoanalytischen Interpretation.

So geht es u.a. in dem Artikel „Wahrheit ist, dass derjenige, der nichts riskiert, nichts tut, nichts hat“ (Piegler) um den Film „The Best Exotic Marigold Hotel“. Hier gebe es, zum Beispiel, die Möglichkeit, eine breite Grundlage anderer Einflüsse, wie zum Beispiel das Post-Koloniale (Koloniale Vergangenheit der Protagonisten), mit einzubinden. Ein Blick auf eine britische Thematik des Alterns, als letzte Vertreter des untergegangenen Empires, wäre ebenfalls ein wichtiger Aspekt im Verstehen des Filmes gewesen. Dies hätte auch wieder auf die gesellschaftliche Psyche in den Zeiten des Brexits und dem Traum zu alter Größe zurückzukehren, verwiesen. Der vom Autor als fantasievoll kurz interpretierte Name des Hotels ist im Grunde in der Realität mehr eine Verballhornung des indischen Englisch und des Superlativismus indischer Touristenhotels. Das Humorvolle begleitet den Zuschauer auf mehreren Ebenen, ebenso wie das Satirische über das Verhältnis von indischer und britischer Kultur. Darin sind die Protagonisten prototypisch hineingesetzt.

Eichenberg und Hampl versuchen den Film „Guilias Verschwinden“ mit Hilfe einer dokumentarischen Methode zu untersuchen, wobei sich die Frage stellt, inwiefern sich diese Methodik für die Analyse von fiktiven Filmen eignet, da sie doch eher der qualitativen Sozialforschung entstammt.

Die Einordnung von Philipp, inwiefern sich „Song for Marion“, obwohl ein Meisterwerk, in seinen Augen nicht für ein Seminar für Psychopathologie im Alter eignet, erschließt sich nicht. Offenbar wird jedoch hier der Blick auf Filme, die dringend Botschaften, wenn möglich brauchbare Fallanalysen für die Psychologie geben müsse, gehegt. Es ist ein anderer Zugang zu Film, der das Fiktive des Mediums, seine primäre Aufgabe zwischen Profitabilität und Kunstwerk ausblendet und ihn alleine in der Welt der psychologischen Couch wirken lassen will.

Im Grunde darf man diesen Sammelband aber nicht als filmwissenschaftliches Werk sehen, wenn auch sich die Filmwissenschaft in ihrer Geschichte intensiv mit der Psychotherapie (insbesondere mithilfe von Jacques Lacan) auseinandergesetzt hat. Das fehlende Aufgreifen dieser Stränge ist Schade und hätte den Autoren weitere Hilfen für eine Analyse der Filme geben können.

Fazit

Das Buch ist ästhetisch sehr ansprechend und gibt einen guten Überblick zu wichtigen Filmen, die sich bis heute mit dem Thema Altern auseinandergesetzt haben. Durch seine klare Struktur und einer guten Herausgeberschaft wirkt das Buch rund. Schön wäre es gewesen, die Kapitel nicht nur im Inhaltsverzeichnis, sondern auch im Buch selber zu finden. Der Fokus des Buches liegt aber sowieso in den Filmbesprechungen und weniger einer übergeordneten Thematik.

Man muss bedenken, dass die Filmbeschreibungen psychoanalytisch geprägt sind und sich weniger filmwissenschaftlich mit den Werken auseinandersetzen. Die Einbindung der Filmplakate vor dem Text, gut ausgewählte und qualitativ gut abgedruckte Screenshots sowie eine ausführliche Filmangabe zum Schluss runden das positive Bild ab. Eventuell hätte ein Tausch der ersten (Inhaltsangabe) und zweiten Seite (Filmplakat) eines jeden Artikels mehr sehr wertvoll gewesen.

Jedoch befinden sich die Filme hauptsächlich auf der psychoanalytischen Couch. Daher ist dieses Buch hauptsächlich für Leser, die den Theorien von Freud über Erikson usw. maßgebliche Bedeutung für das Verständnis von Film geben. Der Sammelband gibt einen guten Einblick in das Thema für Psychotherapeuten, die den Film als Spiegel der Seele in ihre Arbeit (Lehre) mit aufnehmen möchten.


[1]  Vgl. Der Spiegel, Nr. 53, 28. Dezember 1992, S. 172.

Rezension von
Michael Christopher
Filmwissenschaftler, Theaterwissenschaftler und Mitherausgeber der Zeitschrift manycinemas
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Es gibt 35 Rezensionen von Michael Christopher.

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ISSN 2190-9245