Claudia Starke, Thomas Hess: Patchwork-Familien
Rezensiert von Monika Pietsch, 18.12.2017

Claudia Starke, Thomas Hess: Patchwork-Familien. Beratung und Therapie. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2017. 290 Seiten. ISBN 978-3-17-024299-9. D: 29,00 EUR, A: 29,90 EUR.
Thema
Das Buch greift die Frage nach den Besonderheiten von Patchwork-Familien auf und was als HelferIn zu beachten ist. Hess und Starke beschreiben die Dynamiken der verschiedenen Familien-, Stieffamilien- und Patchworkfamilien- Konstellationen und stellen beraterische Leitlinien vor.
Autorin und Autor
Dr. Claudia Starke ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. Thomas Hess ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Beide sind Lehrtherapeuten in mehreren Instituten für Systemische Therapie und arbeiten in einer Praxisgemeinschaft.
Entstehungshintergrund
In der praktischen Arbeit wurden Hess/Starke deutlich, dass mehr als die Hälfte des Klientels aus Stief- und Patchwork-Familien kamen. Hess/Starke wollen darauf hinweisen, dass bei Beratungsanliegen häufig eine solche Problematik zugrunde liegt. Diese Buch richtet sich an das Fachpublikum vom Arzt über Jugendbetreuer, Familienbegleiter und Beratungsstellen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch hat fünf Teile, einen Prolog, einen Epilog, Autorenvorstellung und Kurzvitae, Glossar, Literatur- und Stichwortverzeichnis.
Im Prolog wird eine Patchwork- Familie und deren Probleme vorgestellt. Diese Beispielfamilie taucht nun als roter Faden immer wieder im Buch auf und verdeutlicht die einzelnen Kapitel.
1 Patchworks sind anders
Hess/Starke beschreiben die Situation rund um Patchwork-Familien. Unterschieden wird zwischen den Konstellationen von Familien mit Kindern und Stiefvater oder Stiefmutter:
- eineR bringt Kinder mit
- zzgl. von mindestens einem gemeinsamen Kind
- beide bringen Kinder mit
- zzgl. von mindestens einem gemeinsamen Kind.
Es wird kurz der historischen Frage nach der Kernfamilie und dem Liebesideal nachgegangen, nach den unterschiedlichen Erwartungen, die an Stiefväter und Stiefmütter gestellt werden und wie sich dies auf die Situation des Einzelnen, der Familie und auch der Großeltern und Verwandten auswirken kann. Hess und Starke erklären hier die Patchwork- Diagnostik, in der nicht Einzelne diagnostiziert werden, sondern das gesamte System betrachtet wird.
2 Tanz mit Perspektiven, Arbeit mit Patchworks
Anhand der Beispiel- Familie verdeutlichen Hess/Starke verschiedene Sichtweisen auf eine Familie und wie sie ein neues, anderes Bild auf die Familiensituation ermöglichen.
In diesem Kapitel geht es um die konkrete Planung von Therapiesitzungen, den Methoden der therapeutischen Arbeit, aber auch dem Rüstzeug für Therapeuten. Die Basis bildet der diagnostische Kreisprozess unter dem Hess/Starke die Wechselwirkung von Informationsgewinnung, Hypothesenbildung, Diagnose und Therapie verstehen.
3 Ringen mit Rangfolgen, Therapiebeispiele
In diesem Kapitel kommt die Beispiel- Familie wieder zu Wort. Unter der Prämisse, dass sich die Familie frühzeitig auf einen intensiven Therapieprozess eingelassen hätte, werden 7 hypothetische Sitzungen nachgezeichnet. Dabei werden die Aussagen der handelnden Personen, Antworten des Therapeuten und seine Hypothesen nebeneinander gestellt. Nach jeder Phase verdeutlicht ein Kommentar das Erlebte und beschreibt auf der Meta-Ebene den Prozess. Ein Genogramm verdeutlicht im Bild, um welche Personenkonstellation es jeweils geht.
4 Diskurs
Für dieses Kapitel wurden 10 Interviews mit externen Fachleuten (A. Aichinger, Ch. Bauer, H. Classen, H. Gündel, J. Küchenhoff, M. Krummeich, N.Omalar, E. Popa, G. Schmidt und S. Sulz) via Skype, Telefon, persönlich oder schriftlich geführt. Die beruflichen Kontexte sind ganz verschieden: z.B. psychoanalytisch, psychosomatisch, verhaltenstherapeutisch, systemisch, kindertherapeutisch, Kinder- Erziehungsberatung und Jugendhilfe. Alle haben das Protokoll der Beispielfamilie gelesen und beziehen sich darauf. Die Interviews sind dann nach Fragen/ Themen gegliedert und aus den verschiedenen beriflichen Blickwinkeln wird geantwortet und erläutert. Die Stichpunkte sind:
- Kommentar zum Fallbeispiel
- Einbezug aller Beteiligten im Mehrpersonensetting
- Einzeltherapeuten für die Arbeit im Mehrpersonensetting gewinnen
- Einbezug des extern lebenden Elternteils
- Bezahlung von Familientherapien
- Familientherapie als Domäne der Beratungsstellen
Die Antworten zeigen Kommentare und auch Kontroversen auf. Einige Interviewpartner weisen auf andere mögliche Weichenstellungen innerhalb des Prozesses hin und erläutern ihr Vorgehen und dessen mögliche Ergebnisse.
5 Tipps für die Praxis
Hier werden einzelne Aspekte vertieft. Zu den Problemsituationen von Müttern, Vätern, Stiefmüttern, Stiefvätern, Stiefelternpaar, Kinder und Jugendliche, Großeltern werden Hypothesen aufgestellt und mögliche Hintergründe erörtert. Im 2. Abschnitt „Settingentscheidungen“ bieten Hess und Starke verschiedene Fragen an, um das nötige Setting fest zu legen. Der 3. Abschnitt handelt vom Mehrpersonensetting mit vielerlei Tipps zur Gesprächsmoderation und Gesprächsführung etc. Im 4. Abschnitt geht es um „Interventionen für bestimmte Ausgangslagen oder Ziele“. Hier werden „Sonderthemen“ angesprochen, z.B. Ausgeschlossene einbeziehen, Grenzen ziehen. Im 5. Abschnitt stellen A. Aichinger und Ch. Prior ergänzend ihre eigenen methodischen Ansätze vor.
Der abschließende Epilog bietet einen Blick in die Zukunft, in der sich die Beispielfamilie und die Berater/ Therapeuten wiedersehen.
Diskussion und Fazit
Das Buch ist wirklich eine Bereicherung. Es ist sehr flüssig geschrieben und damit auch für therapeutische Laien gut zu verstehen. Die einfache Ausdrucksweise macht es leicht, die Inhalte und Schlussfolgerungen nachzuvollziehen.
Patchwork- Familien in den Fokus zu nehmen, deren Besonderheiten heraus zu stellen und sich von dem traditionellen Familienbild zu lösen, scheint zwar heute selbstverständlich, ist aber auch neu. Hess/Starke zeigen selbstkritisch wie sie sich mit einem realistischen Bild von heutigen Familien befassen. Dabei werden ganz konkret Tipps, Fragen, Methoden, Sichtweisen, Problemfelder und Ressourcen vorgestellt, die bei der beruflichen Tätigkeit unterstützen können. Das vorgestellte Mehrpersonensetting ermöglicht dann die Therapie von mehreren Personen gleichzeitig. Welche Schwierigkeiten und Entscheidungen hier nötig sind, werden ausführlich geschildert.
Die Beispielfamilie zeigt lebhaft einen möglichen Verlauf, hier werden sowohl Probleme als auch die Lösungsansätze deutlich gemacht. Beim Leser entsteht ein Bild und die anschließend vorgestellten Methoden und Diskussionen zeigen den Verlauf einer möglichen Therapie. Die Interviews aus Teil 4 helfen auch andere Schlüsse aus dem Gelesenen zu ziehen und kritisch zu hinterfragen.
Das Buch ist gut strukturiert, die Anmerkungen am Textrand erleichtern das Wiederfinden anhand von Stichworten, gleichzeitig ist hier auch Platz für eigene Notizen.
Rezension von
Monika Pietsch
Training und Konstruktives Lernen
selbständige Trainerin und Beraterin, Schwerpunkt: Team- und Führungskompetenzen mit den Methoden des konstruktiven Lernens
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