Jasmin Passet-Wittig: Unerfüllte Kinderwünsche und Reproduktionsmedizin
Rezensiert von Dr. med. Judith Zimmermann, 26.06.2017

Jasmin Passet-Wittig: Unerfüllte Kinderwünsche und Reproduktionsmedizin. Eine sozialwissenschaftliche Analyse von Paaren in Kinderwunschbehandlung. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2017. 249 Seiten. ISBN 978-3-8474-2080-4. D: 46,00 EUR, A: 47,30 EUR.
Thema
Dach Buch gibt die Dissertationsschrift der Autorin wieder. Dargestellt wird eine Studie zur Typologie von Paaren in Kinderwunschbehandlung und zu den Entscheidungsprozessen für eine reproduktionsmedizinische Behandlung.
Autorin
Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt sind soziologische Fragestellungen rund um das Thema Kinderwunsch und ungewollte Kinderlosigkeit.
Aufbau
Das Buch folgt in seinem Aufbau dem für Promotionen üblichen Konzept und stellt zunächst den Stand der Forschung dar. Danach wird der theoretische Rahmen zum Studienkonzept entwickelt, die empirischen Fragen und Hypothesen werden hergeleitet. Schließlich wird die Methodik sowie die eigentliche Studie dargestellt. Die erhobenen Daten werden ausgewertet und diskutiert und schließlich ein Fazit gezogen.
Inhalt
Im ersten Teil des Buches erfolgt eine sehr gründliche Darstellung des bisherigen insbesondere sozialwissenschaftlichen Forschungsstandes zum Thema Infertilität und Nutzung von medizinischer Hilfe bei Unfruchtbarkeit. Hierbei geht es vor allem um die demografische Entwicklung in Deutschland, die Veränderung von Partnerschaft und Lebensformen, die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten bei Infertilität, sowie die Regulierung der Reproduktionsmedizin in Deutschland.
Schließlich entwickelt die Autorin aus verschiedenen bereits vorhandenen Theorien ein eigenes Mehrebenenmodell infertilitätsbezogenen generativen Handelns im Partnerschaftskontext.
In einem weiteren Schritt werden die empirischen Forschungsfragen dargestellt. Es soll vor allem untersucht werden, welche Paare eine Kinderwunschbehandlung in Anspruch nehmen, wie sich diese in deren Lebensverläufe einbettet und welche Faktoren die Dauer des Entscheidungsprozesses beeinflussen.
Nach dem üblichen statistischen Teil erfolgt schließlich die Darstellung der Studienergebnisse und deren Diskussion.
Die Autorin identifiziert fünf Gruppen von Kinderwunschpaaren, die sich in ihrer Typologie unterscheiden:
- Gutsituierte in stabilen Partnerschaften (25%)
- Neu/Spätstarter (25%)
- Aufschieber (13%)
- Junge Familienorientierte (28%)
- Eltern (9%)
Die Autorin zeigt, dass die Gruppe der Paare, die eine Kinderwunschbehandlung in Anspruch nehmen, sehr heterogen ist und zu einem großen Teil auch aus relativ jungen, ökonomisch eher schwachen Paaren besteht.
Im Durchschnitt dauert die Phase von den ersten Sorgen um das Ausbleiben einer Schwangerschaft bis zum ersten Besuch im Kinderwunschzentrum etwa anderthalb Jahre. Die Dauer der Entscheidung für eine Kinderwunschbehandlung wird dabei auch signifikant von ökonomischen Motiven beeinflusst.
Nicht verheiratete Paare heiraten häufig vor dem ersten Besuch im Kinderwunschzentrum – möglicherweise, um in den Genuss der vollen Kostenübernahme zu kommen, und ökonomisch schlechter situierte Paare schieben eine Behandlung über längere Zeit auf.
Weiterhin zeigt die Autorin verschiedene andere Einflussfaktoren (Wahrnehmung von Stigma, weitere gewünschte Kinder und Geschlechterrollenvorstellung, Paarinteraktionen) auf die Dauer des Entscheidungsprozesses.
Ein Hauptergebnis der Autorin ist, dass die staatliche Regulierung der Inanspruchnahme reproduktionsmedizinischer Maßnahme (Kostenübernahme nur zu 50% und nur für Verheiratete innerhalb bestimmter Altersgrenzen) dazu führt, dass Paare, die sonst eher eine andere Lebensform gewählt hätten heiraten und ökonomisch schwächere jüngere Paare eine Behandlung aufschieben.
Diskussion
Es handelt sich bei der vorgelegten Arbeit von Jasmin Passet-Wittig um eine gut gemachte Studie mit interessanten Ergebnissen und einer sehr solide recherchierten Darstellung des Forschungsstandes. Da es sich um den Originalabdruck der Dissertationsschrift handelt, hat die Autorin naturgemäß ihren Schwerpunkt eher darauf gelegt, eine wissenschaftlich valide Arbeit abzuliefern. Dies geht deutlich auf Kosten der Lesbarkeit. Leser, die eine Einführung in sozialwissenschaftliche Aspekte der unerfüllten Kinderwünsche und ihrer Therapie erwarten werden enttäuscht werden, da auch der Stand der Forschung – wie bei Dissertationsschriften üblich – nicht im Hinblick auf die praktische Arbeit dargestellt wird, sondern eine stringente Entwicklung der Forschungsthemen ermöglichen soll.
Fazit
Es handelt sich um eine hochwertige Dissertationsschrift mit einer gut gemachten Studie und interessanten Forschungsergebnissen. Das Buch ist insbesondere für Fachkräfte interessant, die wissenschaftlich zum Thema Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin arbeiten. Als sozialwissenschaftliche Einführung in das Thema oder für Fachkräfte, die nach praktischen Implikationen suchen, ist es eher nicht geeignet.
Rezension von
Dr. med. Judith Zimmermann
Fachärztin für Innere und Allgemeinmedizin, Systemische Therapeutin, Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch (BKiD)
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