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Max Fuchs: Bildung und kulturelle Entwicklung des Menschen

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 24.05.2017

Cover Max Fuchs: Bildung und kulturelle Entwicklung des Menschen ISBN 978-3-7799-3644-2

Max Fuchs: Bildung und kulturelle Entwicklung des Menschen. Zur Genese und Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen in pädagogischer Perspektive. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2017. 304 Seiten. ISBN 978-3-7799-3644-2. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 51,90 sFr.

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Die Deduktion und das Dilemma im Verhältnis des Menschen zur Natur und Kultur

In der Individual-, Gesellschafts- und Kulturkritik wird darauf hingewiesen, dass der moderne Mensch in seinen Jetzt-, Sofort- und Alles-Machbarkeitsempfindungen zu vergessen droht, dass der anthrôpos ein mit Vernunft ausgestattetes, zur Bildung von Allgemeinurteilen befähigtes, zwischen Gut und Böse unterscheidungsfähiges, verantwortungsbewusstes Natur- und Kulturwesen ist. Diese anthropologische und humane Betrachtung des individuellen und kollektiven menschlichen Daseins in der Welt freilich setzt ein Bewusstsein voraus, dass menschlicher Geist sich evolutionär entwickelt hat und nicht als das Alleinstellungsmerkmal des Humanum verstanden werden kann: „Der Mensch ist ein welthaftes Lebewesen (vgl. dazu: Wolfgang Welsch, Homo mundanus. Jenseits der anthropischen Denkform der Moderne, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/14323.php). Es geht also darum, die Verbundenheit und Abhängigkeit des Menschen mit der Natur und Kultur zu begreifen und in seinem Denken und Tun grundzulegen.

Entstehungshintergrund und Autor

Diese Fähigkeit freilich ist dem Menschen weder in die Gene gelegt, noch fällt sie vom Himmel, und darf erst recht nicht von Mächten und Ideologien verordnet werden. Es kommt vielmehr darauf an zu verstehen, dass „alles Natürliche als in sich zweckhaft angesehen werden kann“ (Kant), wie auch Kultur in der Definition der UNESCO „in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden (kann), die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“. So ist die Entwicklung und das Werden des Menschen immer auch kulturelle Bildung und damit grundlegende, allgemeinbildende Aufgabe, die „den Gesamtprozess des sozialen Lebens (umfasst), innerhalb dessen Einzelpersonen und gesellschaftliche Gruppen es lernen, in ihrer eigenen Gesellschaft und im Rahmen der gesamten Weltgemeinschaft ihre persönlichen Fähigkeiten und Einstellungen, ihr Können und ihr Wissen bewusst und bestmöglich zu entfalten“ (Empfehlung zur „internationalen Erziehung“, Deutsche UNESCO-Kommission, 2. Auflage, Bonn 1990, S. 16).

Der ehemalige Direktor der Akademie Remscheid und Präsident des Deutschen Kulturrats, der Kulturwissenschaftler der Universitäten Duisburg-Essen und Basel, Max Fuchs, setzt sich immer wieder dafür ein, in der schulischen (Max Fuchs / Tom Braun, Hrsg., Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung. Grundlagen, Analysen und Kritik, Band 2: Zur ästhetischen Dimension von Schule, 2016, www.socialnet.de/rezensionen/20555.php) und außerschulischen Bildung ein Bewusstsein zu entwickeln, dass der Mensch ein kulturell verfasstes, auf den natürlichen und kulturellen, humanen Grundlagen des menschlichen Daseins basierenden guten und gelingenden Lebens ist. Die intellektuelle (Bildungs-)

Herausforderung besteht somit darin, die „Dialektik zwischen Naturverbundenheit und Gestaltungsmacht zu verstehen“ und in das Bildungsbewusstsein zu bringen.

Aufbau und Inhalt

Seine curricular-didaktische, pädagogische Perspektive gliedert Max Fuchs in drei Teile und 13 Kapitel. Im ersten Kapitel thematisiert er die Voraussetzungen und Möglichkeiten, wie ein gutes, gelingendes Leben in einer wohlgeordneten Gesellschaft aussehen könnte.

  1. In Teil I setzt er sich mit der historischen Aspekten auseinander, wie sie sich in der Naturgeschichte des Menschen entwickelt haben (Kap. 2), wie in der menschlichen Sozial- und Kulturgeschichte des wissenschaftlichen Denkens Kultur(bewusst)sein sich gebildet hat (Kap. 3) hat und sich in welchen Subjektformen und Entwicklungstheorien ausdrückt (Kap. 4).

  2. Im systematischen II. Teil wird der Mensch als „animal symbolicum“ und „zoon politikon“ betrachtet (Kap. 5), das Subjekt und seine Bildung aufgezeigt (Kap. 6), mit den Ausdrucksformen „Wahrnehmen, Denken, Sprechen“ erläutert (Kap. 7), die emotionalen Zugangsformen und Probleme aufgezeigt (Kap. 8), die naturgeschichtlichen Grundlagen von Ethik und Moral verdeutlicht (Kap. 9) und mit der ästhetischen Praxis verglichen (Kap. 10).

  3. Im III. Teil schließlich geht es um den „pädagogischen Ertrag“. Dabei reflektiert der Autor die „Grundlagen der Pädagogik“ (Kap. 11), analysiert die Zusammenhänge von „Pädagogik und Gefühle“ (Kap. 12) und zieht im Schlusskapitel (/13) Folgerungen aus der ästhetischen Praxis und Emotionen.

Der anthropologische Anspruch, dass jeder Mensch auf der Erde das Recht hat und die Möglichkeit erhalten muss, ein gutes, gelingendes Leben führen zu können, ist ja in der allgemeinverbindlichen und -gültigen „globalen Ethik“ formuliert, wie sie in der nichtrelativierbaren Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum Ausdruck kommt. Sie drückt sich in der „Ambivalenz des Guten“ aus (Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern“, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17721.php), und verdeutlicht sich in den Forderungen nach Selbständigkeit, Selbstbild, Selbsterkenntnis, Selbstbewusstsein, Selbstverantwortung … im Bewusstsein des individuellem und kollektivem Humanum (vgl. dazu z. B. auch: Volker Gerhardt, Clemens Kauffmann, Hans-Christof Kraus, Reinhard Mehring, Henning Ottmann, Hrsg., Politisches Denken. Jahrbuch 2013, www.socialnet.de/rezensionen/16731.php). Es sind die kooperativen und kommunikativen Herausforderungen, die in den Zeiten der (neoliberalen) Globalisierung ein aktives Verständnis von Selbstbestimmung notwendig und die erstrebenswerten Ziele wie Autonomie, Emanzipation und Empowerment in den pädagogischen Prozessen möglich machen.

Dazu bedarf es eines Perspektivenwechsels bei der Betrachtung des homo oeconomicus hin zum homo empathicus und zum zôon politikon. „Als wichtiger Motor in all diesen Entwicklungsprozessen gilt das sozial-kooperative Verhalten der Menschen. Zusammenarbeit, Kooperation, Koordination und damit eng verbunden Kommunikation haben sich als evolutionärer Vorteil herausgestellt“. Nur Bildung und Aufklärung vermögen humane Selbst- und Weltverhältnisse herstellen. Im philosophischen Diskurs wird dabei auf den substanziellen Zusammenhang von Körper und Geist des Menschseins verwiesen, der sich im rationalen und emotionalen Denken und Handeln des Menschen artikuliert und in institutionalisierten und überkommenen Bildungs- und (Lern-)Prozessen wirksam wird. Bedeutsam für die strukturelle und curriculare Theorie- und Praxisbildung ist dabei, dass dem gefühlsbetonten, emotionalen Lernen zur Erlangung eines guten Lebens eine besondere Aufmerksamkeit zukommt (Martha Craven Nussbaum, Politische Emotionen. Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17720.php).

Es wird immer wieder deutlich, dass es notwendig ist darüber nachzudenken, wie es gelingen kann, den Menschen ein Bewusstsein zu vermitteln, dass sie gebildet und aufgeklärt sein wollen, und nur diese Fähigkeit es ihnen ermöglicht, ein gutes, gelingendes, humanes Leben führen zu können. Es sind ethische und moralische Prämissen, die als Bollwerke gegen ideologische, fundamentalistische, ethnozentrierte, egoistische und populistische Verführungen und Fake-News dienen und Lebensformen ermöglichen, die sich als „kulturelle und soziale Reproduktion menschlichen Lebens“ darstellen.

Fazit

Kulturelle Bildung in der sich immer interdependenter und entgrenzender entwickelnden (Einen?) Welt ist nur als inter- und transkulturelle Bewusstseinsbildung möglich, als „Entwicklung und Transformation von Welt- und Selbstverständnissen des Subjekts“. Dazu ist die gleichwertige Betrachtung und Handhabe von rationalem und emotionalem Denken und Handeln erforderlich. So lässt sich aufzeigen, dass menschliche „Bildung … ein bewusstes Verhältnis zu sich, zu seiner sozialen und natürlichen Umgebung, zu seiner Geschichte und seiner Zukunft (ermöglichen soll)… und die Kompetenz… für eine bewusste Lebensführung (schafft)“. Fuchs´ Plädoyer, bei den familialen und institutionalisierten Erziehungs- und Bildungsprozessen insbesondere auf Emotionalität zu achten und der deutlichen Dominanz des Kognitiven das Emotionale entgegen zu setzen und gleichwertig zuzuordnen, soll ja darauf aufmerksam machen, dass „euzôia“ (Aristoteles), „buen vivir“ (Alberto Acosta, Buen Vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben, 2015, www.socialnet.de/rezensionen/20598.php) Menschwerdung ausmacht, weil dadurch „alle Dimensionen der Persönlichkeit in jeder einzelnen Form gebraucht und auch entwickelt werden“. Max Fuchs´ Beitrag zur Genese und Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen in pädagogischer Perspektive ist als ein wichtiger und bedeutsamer, didaktischer und curricularer Baustein für ein lokales und globales Lern- und Bildungsbewusstsein einzuordnen.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1706 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245