Ekkehard Nuissl: Keine lange Weile
Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 30.08.2017

Ekkehard Nuissl: Keine lange Weile. Texte zur Erwachsenenbildung aus fünf Jahrzehnten. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2017. 228 Seiten. ISBN 978-3-7639-5764-4. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR.
Entstehungshintergrund und Thema
Prof. Dr. Ekkehard Nuissl wurde im Jahr 2011 anlässlich des Ausscheidens aus dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) von Rolf Arnold der Sammelband „Entgrenzungen des Lernens. Internationale Perspektiven für die Erwachsenenbildung“ zugeeignet. Zum 60. Geburtstag 2006 erschien unter der Herausgeberschaft von Klaus Meisel und Christiane Schiersmann der Band „Zukunftsfeld Weiterbildung“. Zum 70. Geburtstag veröffentlicht das DIE Miszellen, die – vom Verfasser selbst ausgewählt – zum großen Teil als Editorials der „DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung“ oder vereinzelt in anderen Zeitschriften erschienen sind, aus Sammel- und Symposienbänden oder Infobriefen stammen.
Mit den Texten kommt zum Ausdruck, wie wichtig Ekkehard Nuissl der „Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis der Erwachsenenbildung“ (S. 9) in den vier Jahrzehnten war, wie Josef Schrader, der Nachfolger als wissenschaftlicher Leiter des DIE in den „Vorbemerkungen“ schreibt.
Autor
Prof. Dr. habil. Dr. h.c. mult. Ekkehard Nuissl war in den Jahren 1991 bis 2003 Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Marburg, seit 2003 Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Duisburg-Essen. Von 1991 bis 2011 war Nuissl wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. (DIE). Prof. Dr. Nuissl hat zahlreiche Honorarprofessuren inne. Er ist als Gastdozent und Inhaber von Ehrenämtern sehr gefragt und engagiert. Der Verfasser hat ein Volontariat zum Redakteur absolviert und war als Pressereferent an der Universität Heidelberg tätig, bevor er in die Wissenschaft wechselte, von 1989 bis 1991 war er als Direktor der Hamburger Volkshochschule in der erwachsenenbildnerischen Praxis. Aus der Feder von Prof. Dr. Nuissl stammen um die 700 Publikationen.
Aufbau
Der Band enthält 89 Texte des Autors von 1972 bis 2016. Aus der Zeit bis zum Jahrtausendwechsel stammen nur etwa ein Viertel der Texte, die überwiegende Mehrheit repräsentieren die 2000er Jahre bis 2006.
Von Prof. Dr. Josef Schrader stammen die „Vorbemerkungen“ (S. 9-10) zum Ziel der Zusammenstellung der Miszellen.
Ekkehard Nuissl stellt in seiner „Editorischen Notiz“ die Kriterien der Textauswahl vor (S. 11-12) „Gegenstand, Frage und Problem“ (S. 11) sollten genannt, eine eigene Position, Perspektiven und Handlungen enthalten sein. Schließlich sollte an den Texten die historische Dimension aktueller Fragen erkennbar sein (vgl. S. 11). Die Miszellen sind ausschließlich chronologisch angeordnet. Dem „Quellenverzeichnis“ (S. 222-226) sind die genauen Fundorte der Texte zu entnehmen. Der Absatz „Über den Autor“ (S. 227-228) beschließt das Buch.
Ausgewählte Inhalte
Aufgrund der Vielzahl der in diesem Band komprimierten Miszellen sei es erlaubt, im Folgenden einige Themenschwerpunkte zu bilden – die Reihenfolge der Auflistung impliziert keine Gewichtung. Die Priorisierung der Texte hat der Autor mit der Aufnahme in den Band selbst gesetzt.
Sprache, Fremdsprachen und Erwachsenenbildung: Selbst ein Meister der Sprache und Liebhaber gekonnter sprachlicher Ausdrucksweise nimmt der Autor zwei Texte (S. 75-80, S. 101-102) in die Anthologie auf, die sich explizit mit dem Sprachenlernen auseinandersetzen. Es geht um die unterschiedlichen Motive des Erlernens der Fremdsprache in Schule und Erwachsenenbildung, Sprachendidaktik als Aufgabe von Erwachsenenbildung und die Verfügbarkeit von Sprachkursen über öffentliche Förderung. Implizit spielt das Thema in Miszellen zur Migration, zum europäischen Hochschulraum (S. 191-193, S. 194-196) und zur Internationalisierung eine weitere wichtige Rolle.
An welchen Orten und in welchen Räumen und Regionen wird gelernt? Diese Frage zieht sich in verschiedenen Facetten durch die Texte (z.B. S. 43-47, S. 89-91, S. 108-110, S. 165-166, S. 188-191, S. 197-199): Da geht es zum einen tatsächlich um den realen oder virtuellen Ort (Seminarraum), zum anderen aber auch um die sozial konstruierten und den Eindruck von Nähe vermittelnden Räume wie z.B. die „lernenden Regionen“ oder den „Lernort Alltagsleben“ (S. 43), an dem sich aus der Nähe zur vertrauten sozio-kulturellen Umwelt insbesondere für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Formen von Bildung in Handlungszusammenhängen ergeben und diese in bestimmte Formate gegossen werden. Zum dritten sind Netzwerke von verschiedenen oder ähnlichen Partnern zum Zwecke von Kooperation oder aber auch zur Nutzenoptimierung und Profilierung gemeint. Solche Zusammenschlüsse haben sich auch über nationale und europäische Grenzen hinweg etabliert, sie spielen für den Vergleich von Bildungssystemen eine Rolle, aber auch wenn es darum geht, Erwachsenenbildung als gesellschaftliche Aufgabe zu legitimieren oder Synergieeffekte zu erzielen. Die beiden Topoi „Lernarchitekturen“ (S. 89) und „Bildungslandschaft“ (S. 188) werden in je einem eigenem Beitrag fokussiert. Fremd- oder selbstgesteuertes Lernen werde architektonisch betrachtet und bedeute Didaktik auf Seite der Lehrenden und „Stil und Kunst“ (S. 90) auf Seitenden der Lernenden. 15 Jahre später weitet sich der Blick auf das „ökologische Zusammenwirken“ (S. 188) lebensphasenspezifischer und allgemeiner Bildungsinstitutionen, die Trennung von Leben, Lernen und Arbeiten verschwindet zunehmend.
Wann haben Bildung und Weiterbildung Qualität? Der Verfasser äußert in mehreren Beiträgen (u.a. S. 54-58, S. 58-64, S. 112-113, S. 184-185) sein Unbehagen darüber, wenn bewertet wird, ohne genau zu kennen worum es geht (z.B. pädagogische Qualität) und ohne die Kriterien zu nennen, woran die Qualität gemessen wird und gegebenenfalls womit national oder international verglichen wird. Er wehrt sich gegen eine simplifizierte Betrachtung und verweist auf die verschiedenen Interessen, die hinter der Frage nach Qualität stehen (aus Anbieter-, Kunden-, Lehrenden-, Lernenden, institutioneller, politischer oder Finanzgeber-Sicht). Ebenso wichtig ist ihm, verschiedene Akteure bei der Beurteilung miteinzubeziehen, also einen Diskurs anzustoßen. Wurde in der ersten Zeit hauptsächlich zu klären versucht, ob Qualität überhaupt außer-subjektiv zu erfassen ist, so ist die Debatte mit der Einführung von Qualitätsmanagement in Einrichtungen eher abgeflaut; Aspekte davon flammen wieder auf, wenn im Zuge von Evaluation und Akkreditierung Dimensionen zur Beurteilung von Inhalten definiert werden.
Lernen umfasst den ganzen Menschen: Bewegung, Emotion, Verstand, Haptik und Sozialität. Ekkehard Nuissl schreibt mehrfach dagegen an (S. 120-121, S. 121-123, S. 169-170), das Lernen nur auf die Kognition zu reduzieren. Schon die Beschreibungen der Lernvorgänge (wie z.B. be-greifen, er-fahren u.a.m.) würden den „physischen Zugang“ (S. 120) zum Ausdruck bringen. „Lernen in Bewegung“ lauten die Überschriften zweier Beiträge, womit er verdeutlicht, wie auch beim Tun Gedanken entstehen können, andernorts (S. 129-130, S. 49-53) geht er darauf ein, wie der Anlass für Lernen, nämlich ein Problem zu lösen, zu „Dopaminen“ (S. 129) führen kann, gelingendes Lernen glücklich macht, Verlernen erleichtert, neue soziale Rollen zugänglich werden lässt und nicht weh tun muss. Wenn allerdings mit dem Lernen individuell und strukturell außer Anpassung an etwas Aufgezwungenes kein eigener Sinn und kein erstrebenswertes Ziel verbunden wird, komme es zu Widerständen und Blockaden (S. 93-95), die zu untersuchen Aufgabe der didaktischen Kompetenz der Lehrenden sei.
Zuwanderung / Migration und Weiterbildung: Im Jahr 2002 resümiert der Verfasser seinen Text (S. 113-115): „Die Frage der Zuwanderung wird die Weiterbildung zukünftig eher noch mehr beschäftigen. Nicht nur für sie, sondern auch die Sozialarbeit, die Arbeitsmarktpolitik (…) ist sie eine wachsende und immer wichtiger werdende Aufgabe“ (S. 115). Wie Recht er doch hatte. Er kann 2015 (S. 212-214) vieles aufgreifen, was schon 2002 thematisiert wurde, z.B. dass mit dem Erlernen der Sprache einhergeht, den Code zur Kultur und Gesellschaft sukzessive zu entschlüsseln. Bildung muss sich auch an die Menschen richten, die vor Ort Angst haben, in Kontakt zu treten oder fürchten, vernachlässigt zu werden. Um für die Zukunft etwas zu lernen, appelliert der Verfasser, eine Instanz damit zu beauftragen, die z.T. rasch entstandenen, sicher gut gemeinten, aber insgesamt ungesteuerten Aktivitäten der verschiedensten Akteure zu koordinieren.
Der „schwierige“ Gegenstand der Lehr-Lern- und Weiterbildungsforschung! Dieses Thema durchzieht den Band wie ein roter Faden. Bereits im zweiten (S. 16-21 und im dritten (S. 21-23) Beitrag aus den Jahren 1979 und 1980 weist der Verfasser auf Lücken in der Erforschung von z.B. teilnehmerseitigen Motivationen und Erwartungen und deren Korrelationen mit strukturellen und vielen anderen Faktoren. Durchgängig bewegt ihn, wie ein pädagogischer Prozess, wie Interaktionsstrukturen zwischen Lernenden und Lehrenden oder deren Settings „objektiv“ erhoben werden können, welches Forschungsdesign und welche Methodik sich dafür eignet, ob und wenn ja wie Neutralität der Forschung gewährleistet werden könne u.a.m. Nuissl lässt keine Option aus, die Reflexion des methodischen Instrumentariums kontinuierlich anzumahnen. In diesem Kontext weitere Aspekte sind der Praxisbezug der Forschung und die Praxisrelevanz deren Resultate, die in den Miszellen immer wieder diskutiert werden (S. 24-22, S. 27-33). Selbst wenn Wissenschaft nicht mehr allein im Elfenbeinturm stattfinde (S. 110-111) und wissenschaftliches Wissen als Ressource für praktisches Handeln erkannt sei, kann es nicht angehen, dass Wissenschaftler Handlungsempfehlungen für die Praktiker vorgeben könnten. Der Autor wird nicht müde darin, mehr öffentliche Finanzierung für die Forschung in der Weiterbildung in Deutschland und Europa einzufordern (S. 194-196, S. 209-211). Die Beteiligung an den large-scale-Studien steht zwischenzeitlich nicht mehr in Zweifel, nur aus den Erkenntnissen werden keine Schlüsse gezogen (S. 203-205). Der Bildungspolitik, so ein eher nüchternes Urteil des Verfassers, würden kontinuierlich evidenzbasierte Daten geliefert, die in nationalen, europäischen und internationalen Studien gewonnen werden. Bisher sei die Bildungspolitik jedoch nur dann evidenzbasiert, „wenn es denn politisch opportun ist“ (S. 211).
Erwachsenen- und Weiterbildung in organisierter Form im Kräftefeld von Angebot, Nachfrage und Bedarf: Der Autor – selbst Leiter einer VHS – nimmt mehrfach (S. 39-42) Bezug auf die Situation des Weiterbildungsmarkts, auf dem sich die staatlich gesteuerten Träger befinden und auf Subsidiarität, später Support angewiesen sind (S. 95-97). Er ringt um praktikable Optionen, „Weiterbildung zu veranstalten, die im Interesse der Menschen liegt“ (S. 42) und fordert eine besondere politikbeeinflussende Gewerkschaftspolitik. Einige Jahre nach seinem Ausscheiden aus seiner leitenden Position, stellt Nuissl fest, dass Erwachsenenbildung gegenüber ihrer Organisationsform ignorant gewesen sei (S. 64-66). In diese Lücke seien andere Disziplinen gestoßen, allen voran die Betriebswirtschaft, die mit ihrer immanenten Terminologie, aber auch den impliziten Kategorien die „Erwachsenenbildungs-Betriebe“ (S. 64) neu gedacht hätten. Folglich wurden Organisationsanalysen und -veränderungsprozesse systematisch auch in den Erwachsenen- und Weiterbildungsorganisationen durchgeführt (S. 107-108). Entsprechend der Entwicklung des Weiterbildungsmarkts haben sich die Einrichtungen neben der Teilnehmergewinnung auch mit der Profilierung auf dem Markt befasst (S. 146-148). Es ist nicht zu vermeiden, dass der Autor mehrfach auf die unterschiedlichen Quellen der Bildungsfinanzierung eingeht (S. 91-93, S. 118-119), das weitgehende Ausblenden der Finanzierungsfrage im Konzept des „lebenslangen Lernens“ konstatiert.
Unklares und ungeklärtes im europäischen Hochschulraum: Messerscharf analysiert der Autor in einigen Beiträgen, was mit der Initiative des Europäischen und in Folge mit sog. Nationalen Qualifikationsrahmen (z.B. der Deutsche Qualifikationsrahmen) losgetreten wurde, aber noch nicht stringent aufeinander abgestimmt ist: Hierzu zählt z.B. die Anerkennung von Abschlüssen, mit denen eine Kompetenzdiagnose verbunden ist (S. 196-197), die im europäischen Hochschulraum wechselseitige Anerkennung von an anderen Hochschulen erbrachten Leistungen (S. 219-221), die Feststellung und Anerkennung non-formaler und informeller Lernprozesse (S. 207-208), der Zugang zum Studium ohne Abitur über eine ausreichende berufliche Qualifikation (S. 201-202), die Outcome-Orientierung des Studiums, insgesamt die höhere Transparenz und der modulare Aufbau des Studiums (S. 216-217). Was in der Absicht geschaffen wurde, zu vereinheitlichen und damit student- und staff-Mobilität zu fördern, stößt an manchen Stellen noch auf Hindernisse, die z.T. in den jeweiligen Bildungssystemen verankert sind (z.B. Mehraufwand durch Wechsel, der nicht honoriert wird). Nuissl erinnert an mehreren Stellen daran, dass die Bologna-Reform mit einem Kalt-Start eingefädelt und implementiert wurde. Während sich andere Reformen auf Studienergebnisse stützen würden, seien vor oder begleitend zur Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem keinerlei Erhebungen geschweige denn Erprobungen durchgeführt worden (S. 142-143). Er verweist auf Beispiele aus anderen Bildungsbereichen, aus denen man lernen könne, dass Innovation „kein Wert an sich“ (S. 218) sei, insbesondere, wenn dabei Bewährtes zerschlagen werde. Süffisant vermerkt er in einer Miszelle, dass Visitenkarten statt des Titels einer Person künftig das Niveau des Qualifikationsrahmens erwähnen könnten. Die Systemanforderung der Transparenz wäre damit erfüllt.
Bildung braucht Zeit, Muße und „Köpfchen“: Die Anthologie enthält nachdenkliche und letztlich auf die „Außer-Zweckmäßigkeit“ von Lernen und Bildung verweisende Miszellen. Ihr Inhalt ist mit Blick auf eine von Indikatoren und Kennzahlen getriebene Quantifizierung deshalb so lesenswert, weil hier auf das Qualitative verwiesen wird, auf den einzelnen Analphabeten, der seine Illiteralität überwindet (S. 168-169), auf die Bedeutung kultureller Äußerungsformen beim Lernen (S. 166-168), auf das „Wagnis“ (S. 49) von Leben und Lernen für die Identitätsbildung (S. 49-53), auf die Bedeutung der zeitgeschichtlichen Ereignisse für die jeweiligen Generationen, die sie erleben (S. 145-146, S. 126-127), auf das subjektive Zeitempfinden beim Lernen (S. 148-149), auf den Faktor des Genusses bei der Bildung (S. 119-120) und auf das „Innehalten in der Stille“ (S. 209) als Zeit, um den nächsten Gedanken zu fassen (S. 208-209).
„Making lifelong learning a reality“ (S. 181): Hinter diesem Satz müsste auch heute noch – nach vielen Beteuerungen von bildungspolitischen Programmen unterschiedlicher Akteure – ein dickes Ausrufezeichen stehen. Der Verfasser ist nimmer müde, zu erwähnen wie weit die Realität bei der Implementierung der Vision des „lebenslangen Lernens“ noch entfernt ist (S. 80-85, S. 97-99, S. 102-106, S. 152-154, S. 181-183). Stark kritisiert er, dass bei der Neuentwicklung entsprechender „Verlautbarungen“ nicht zugleich ein Zeitplan für die Umsetzung mitgeliefert werden muss und viele der ambitionierten Ziele bisher im Sand verlaufen sind. Da es ihm selbst sehr wichtig ist, die nationalen Grenzen in Fragen von Bildung zu überschreiten, liegen ihm die europäischen Anstrengungen besonders am Herzen. Hier verweist er sowohl auf funktionierende Ansätze, wie auch auf Lücken, die es noch zu schließen gibt und dies in allen Segmenten von Bildung, d.h. insbesondere auch in der Hochschulbildung (S. 123-124, S. 170-172, S. 177-179, S. 179-181, S. 181-183, S. 219-221).
Diskussion …
Die Miszellen sind – zunächst abgesehen vom Inhalt – ein Resultat von jemandem, der Schreiben gelernt hat und der mit Sprache jonglieren kann, sie selbst bei komplexen Inhalten kreativ nutzen, mit Worten spielen kann. Die für diese Anthologie ausgewählten Miszellen bescheinigen eine Kompetenz, der Leserin oder dem Leser einen Einblick zu verschaffen, ihr oder ihm ein zu bearbeitendes Feld zu umreißen und verschiedene Perspektiven anzudeuten. Genau diese kurz gefassten Draufblicke, die Einordnung einzelner Teilaspekte in bildungs- und gesellschaftspolitische Themen verleihen den Texten teilweise eine zeitstabile Relevanz.
Würde man das Entstehungsjahr nicht kennen, würden manche Miszellen als aktueller datiert werden als sie tatsächlich sind. Diese „altersunabhängige“ Relevanz gewisser Themen kann auch als Indiz gedeutet werden, wie wenig sich über die Jahre verändert hat – so gibt es eben gewisse „Dauerbrenner“, bei denen engagierte Bildungsexperten nicht locker lassen können. Andere Themen tauchen auf, weil die europäische Bildungspolitik z.B. gewisse Rahmenbedingungen gesetzt oder Ziele ausgerufen hat (exemplarisch z.B. der europäische Hochschulraum). An anderen Miszellen (S. 58-64) ist zu erkennen, welch nachhaltige Wirkung z.B. vom Adolf-Grimme-Preis ausgehen kann, der im Jahr 2017 zum 53.ten Mal verliehen wurde. Schon 1994 wurde er als letztes „Bindeglied zwischen Bildungs- und Medienbereich“ (S. 59) tituliert, da war er gerade 30 Jahre alt. Das Thema Fernsehen, oder im weiteren Kontext Medien wird im Band nicht weiter aufgegriffen – das ist schade.
Autobiografische Einblicke gibt die Miszelle von 1995 „Expansionsbereich der Zukunft – Erwachsenenbildung“ (S. 69-74). In ihr offenbart der Verfasser selbst, welche bis dahin bedeutenden Felder der Erwachsenenbildung sich herauskristallisiert haben. Einige Miszellen, wie z.B. über Männer- oder Familienbildung (S. 66-69, S. 199-201) wurden oben nicht erwähnt, sind aber ebenso lesenswert. Persönlichen Gefallen finde ich an denjenigen Texten, in denen der Autor seine sprachliche Fähigkeit ausspielt, hoch brisante Themen zu formulieren (z.B. 99-100, S. 117-118, S. 125-126, S. 127-128), damit manchmal einen ironischen, manchmal einen kritischen, manchmal einen entspannend-milden Ton trifft, der heute wohl mit Emoticons zum Ausdruck gebracht würde.
… und Fazit
Der Band gibt nicht nur einen Überblick über erwachsenenbildnerische Themen aus „fünf Jahrzehnten“ (Untertitel), sondern gibt auch vieles über den Autor und seine Entwicklung preis. Es lohnt sich, die Anthologie zu lesen: für solche, die selbst eine längere Geschichte in der Erwachsenenbildung hinter sich haben, kommen Erinnerungen oder „déjá-vu-Momente“. Getreu einer Sentenz, die Nuissl bemüht – „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“ (S. 47) – bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Geworden-Sein immer, das Verständnis für das Gegenwärtige zu intensivieren. Insofern liefert der Band viele Gelegenheiten – auch in der Lehre – auf diese Miszellen zu rekurrieren.
Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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