Michael Opielka: Welche Zukunft hat der Sozialstaat? Eine Prognose
Rezensiert von Prof. Dr. Bettina Schmidt, 26.07.2017

Michael Opielka: Welche Zukunft hat der Sozialstaat? Eine Prognose.
Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2017.
60 Seiten.
ISBN 978-3-7841-3001-9.
D: 7,50 EUR,
A: 7,80 EUR.
Reihe Soziale Arbeit kontrovers, Soziale Arbeit kontrovers, 17, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Hrsg.) .
Thema
Das Buch von Michael Opielka geht vornehmlich der Frage nach, ob und unter welchen Voraussetzungen das bedingungslose Grundeinkommen eine Antwort sein kann auf die aktuellen – realen und herbeigeredeten – Probleme des modernen Sozialstaats. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass ein belastbarer Wohlfahrtsstaat unabdingbares Element einer wünschenswerten Zukunft ist, in der ein Grundeinkommen für alle sein Platz haben soll und wird.
Autor
Prof. Dr. Michael Opielka ist Diplom-Pädagoge und Professor für Sozialpolitik an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena am Fachbereich Sozialwesen, außerdem leitet er das Institut für Sozialökologie (ISO) in Siegburg.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch ist Teil der Reihe „Soziale Arbeit kontrovers“, die gemeinsam vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge sowie vom Deutschen Caritas-Verband bzw. vom Lambertus-Verlag (der Caritas-Verband ist Gesellschafter des Lambertus-Verlags) herausgegeben wird. Ziel der Reihe ist es, prägnante Orientierungshilfen für komplexe Gegenwartsprobleme bereitzustellen und einen kritischen Diskurs über gängige Gewissheiten anzuregen. Die Autoren der Reihe sind darum gebeten, ihren umfänglichen wissenschaftlichen Erkenntnisstand in pointierter Weise darzulegen und so für ein breiteres Publikum zu öffnen.
Aufbau
Das Buch von Michael Opielka ist in acht Kapitel gegliedert.
Nach den einführenden Abschnitten zum Thema „Wie werden bzw. sollen der Sozialstaat und die Sozialpolitik in Zukunft aussehen?“ wird in den folgenden Kapiteln die Idee des Grundeinkommens dargelegt und unter dem Blickwinkel von vier unterschiedlichen Gerechtigkeitsprinzipien (Leistungsgerechtigkeit, Gleichheit, Bedarfsgerechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit) sowie von vier unterschiedlichen Wohlfahrtsstaatstypen (liberaler, sozialdemokratischer, konservativer, garantistischer Wohlfahrtsstaat) analysiert.
Das sechste und das siebte Kapitel skizzieren alternative Wohlstandsideen – Zeitwohlstand und Qualitätswachstum –, und das letzte Kapitel entfaltet die Möglichkeiten der Sozialen Arbeit bei der Mitgestaltung nachhaltiger Sozialstaatlichkeit.
Inhalt
Das erste Kapitel „Better times ahead“ beschreibt die aktuelle Erosion der lange geltenden Gewissheit, dass es Kindern meist besser gehen wird als ihren Eltern, also dass die Zukunft in der Regel besser ist als die Gegenwart, und dass diese bessere Zukunft u.a. durch den Wohlfahrtsstaat gewährleistet wird.
Das zweite Kapitel „Sozialpolitik im 21. Jahrhundert“ geht der Frage nach, wie unter den gegebenen Globalisierungsbedingungen innovative Entwicklungen der Sozialpolitik entfaltet und umgesetzt werden können, die hinausweisen über die gegenwärtige Fokussierung auf Finanzierbarkeit und Verwaltbarkeit, und die nicht unverbrüchlich gebunden sind an die Erwerbsarbeit.
Im dritten Kapitel „Gesellschaft für alle – durch Grundeinkommen!“ skizziert Michael Opielka die „konkrete Utopie“ (S. 16) des Grundeinkommens als Garant für eine demokratische Gesellschaft für alle, die durch einen belastbaren Wohlfahrtsstaat getragen wird. Dazu bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung, in der sowohl ExpertInnen für das Grundeinkommen streiten als auch BürgerInnen sich an der Umsetzung beteiligen.
Im vierten Kapitel „Vier Gerechtigkeitsprinzipien: Leistung, Gleichheit, Bedarf, Teilhabe“ betrachtet Michael Opielka das Grundeinkommen unter unterschiedlichen Gerechtigkeitsperspektiven. Der Autor untersucht in diesem Kapitel, ob und wie sich das Grundeinkommen rechtfertigen lässt z.B. unter der Prämisse der Leistungsgerechtigkeit oder der Bedarfsgerechtigkeit. Da dieses Kapitel die womöglich umkämpftesten Elemente des Grundeinkommens thematisiert, wäre hier u.U. eine etwas ausdifferenzierte Darlegung hilfreich – beispielsweise versteht man nicht ohne weitere Erläuterungen, warum Michael Opielka einerseits mit Erich Fromm argumentiert und seinen Vorstellungen von der positiven Bedeutung des Überflusses (S. 18) und andererseits mit Wilkinson und Pickett (S. 22), die eher dafür stehen, dass Gleichheit statt Reichtum gutes Leben gewährleistet.
Im fünften Kapitel „Das Grundeinkommen in den vier Typen des Wohlfahrtsregime“ analysiert der Autor die Idee des Grundeinkommens vor dem Hintergrund der klassischen Typologie von Esping-Andersen, der den liberalen, sozialdemokratischen und konservativen Wohlfahrtsstaat unterscheidet. Opielka ergänzt diese Typologie um einen vierten, den garantistischen Wohlfahrtsstaat, der vornehmlich auf Grundrechtegewährleistung und Teilhabegerechtigkeit abzielt und die Existenzsicherung der BürgerInnen unabhängiger vom Arbeitsmarkt stellt.
Im sechsten Kapitel „Die Zukunft der Arbeit und Zeitwohlstand“ wird die Frage debattiert, ob und auf welche Weise Menschen zeitsouveräner werden können, wenn sie unabhängiger werden von Erwerbsarbeit. Kurz angerissen werden hier u.a. die frühen Utopien der 3-Stunden-Tage, die informelle Ökonomie, die unbezahlte Sorgearbeit sowie die Verteilung von erwünschten und unerwünschten Arbeiten.
Das siebte Kapitel „Der Wohlfahrtsstaat in der Postwachstumsgesellschaft“ beschäftigt sich mit der Frage, ob ein tragfähiger Wohlfahrtsstaat gebunden ist an Wirtschaftswachstum, und wie dies zu beurteilen ist vor dem Hintergrund der damit einhergehenden Verwerfungen etwa bezogen auf die Umweltzerstörung.
Im achten Kapitel „Sozialpolitikgestaltung mit Sozialer Arbeit“ erörtert der Autor die Möglichkeiten der Sozialen Arbeit als „kleine Schwester der Sozialpolitik“ (S. 49) bei der Mitgestaltung einer gerechten Sozialpolitik. Partizipation ist naturgemäß zentral, und Michael Opielka setzt auf die doppelte Partizipation sowohl der SozialarbeiterInnen selbst als auch ihrer KlientInnen als substanzielle Akteure der Gestaltung einer lebbaren Zukunft, für die der Wohlfahrtsstaat unabdingbar ist und das Grundeinkommen vermutlich auch.
Diskussion
Das 60-seitige Buch bietet eine gute Einführung in das Thema Grundeinkommen, es erörtert die Chancen des Grundeinkommens für die Gesellschaft als Ganzes sowie für den Einzelnen. Konturiert wird diese Erörterung vor dem Hintergrund aktueller und zukünftiger Herausforderungen des modernen Sozialstaats.
Man muss sich ein bisschen einfinden in die Argumentationsweise von Michael Opielka, nicht immer lässt sich die inhaltliche Logik des Buchs zweifelsfrei erfassen. Natürlich kann man von LeserInnen erwarten, dass sie sich Mühe beim Lesen und Verstehen geben, doch SozialarbeiterInnen und andere Profis, die Laien in diesem Spezialthema sind, wären vermutlich für eine einfacher nachvollziehbare Strukturierung dankbar.
Der Text hat gelegentlich den Charakter eines flanierenden Essays, in dem gerne Abzweigungen beschritten werden, weil sie wichtig sind für den Gesamtkontext. Das ist charmant, aufgrund der Fülle ist es gleichsam recht anspruchsvoll, sich durchgängig zurechtzufinden.
Fazit
Michael Opielka hat ein interessantes Buch vorgelegt, das die Idee des Grundeinkommens vor dem Hintergrund aktueller Wohlfahrtspolitiken und künftiger Sozialstaatsherausforderungen entfaltet und bewertet. Nach der Lektüre kann man besser beurteilen, ob und wie das Grundeinkommen zentralen Gerechtigkeitskriterien, z.B. dem Bedarfsgerechtigkeitskriterium, genügen kann. Man kann auch besser beurteilen, ob und wie das Grundeinkommen eingepasst werden kann in unterschiedliche Sozialstaatsformen, z.B. den liberalen Staat. Das Buch entfaltet ein fundiertes Zukunftsszenario, das im günstigen Falle geprägt ist von qualitativem statt quantitativem Wohlstand, und es liefert Ideen für SozialarbeiterInnen, sich an dieser Entwicklung zu beteiligen.
Rezension von
Prof. Dr. Bettina Schmidt
Evangelische Hochschule Rheinland – Westfalen – Lippe; Professorin für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen
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