Gerald B. Hörhan: Der stille Raub (digitale Revolution)
Rezensiert von Tatjana van de Kamp, 06.10.2017
Gerald B. Hörhan: Der stille Raub. Wie das Internet die Mittelschicht zerstört und was Gewinner der digitalen Revolution anders machen. edition a GmbH (Wien) 2017. 204 Seiten. ISBN 978-3-99001-212-3. D: 21,90 EUR, A: 21,90 EUR, CH: 23,90 sFr.
Thema
Das Thema Digitalisierung zieht seine Kreise in die Politik, die Presse, die Schule, das Arbeitsleben und unser Privatleben. Immer mehr Prozesse (Kommunikation, Informationssuche, Buchungen, Einkäufe, Bankgeschäfte, Vermietungen, (Aus-)Bildung und viele mehr) finden über das Internet statt. Auf der anderen Seite steigt die Sorge vor Cyber-Angriffen auf Daten und Privatsphäre. Wie intensiv müssen wir uns mit dem Internet und seinen Möglichkeiten auseinandersetzen und mitmachen? Oder ist es vielleicht doch klüger, die Finger davon zu lassen? Gerald Hörhan bezieht in seinem Buch klar Stellung zu diesen Fragen und warnt eindringlich davor, die digitale Entwicklung zu ignorieren, herunterzuspielen oder sich ihr zu verschließen.
Autor
Der Österreicher Gerhard Hörhan ist Eigentümer und Vorstand eines international tätigen Corporate Finance Unternehmens, Immobilien-Investor und betreibt eine Online-Akademie für Wirtschaftsthemen. Davor studierte er angewandte Mathematik in Harvard, arbeitete für McKinsey & Co in Frankfurt und sammelte bei JP Morgan Wallstreet-Erfahrung.
Aufbau und Inhalt
In 15 Kapiteln erläutert Hörhan seine These, warum das Internet die Mittelschicht zerstört und was die Gewinner der digitalen Revolution anders machen. Den Anstoß dazu bekam er auf einem Seminar zu „Business Mastery“ in Florida, wo er hörte, wie die digitale Wirtschaft und fortschreitende Technologie ganze Branchen und die dazugehörigen Berufe radikal neu erfindet und etablierte Arbeitsprozesse ineffizient und damit obsolet werden lässt.
Ein Beispiel ist das Hotelgewerbe: Hotels mit digitalen Direktbuchungssystemen, ansprechenden transparenten und einfach zu benutzenden Websites, die zusätzlich zu den üblichen Informationen und Links, auch Vorschläge und Buchungsmöglichkeiten für das Freizeitprogramm bieten, sparen nicht nur eine Menge Geld (Administration, Vermittler), sie haben auch einen Wettbewerbsvorteil, allerdings nur dann, wenn sie im Internet und über Social Media leicht auffindbar sind. Beim Einchecken kann das Smartphone nicht nur die administrative Abwicklung, sondern auch per Code die Türöffnung übernehmen. Die digitale Plattform Airbnb für die Vermittlung von Privatunterkünften macht etablierten Hotelketten zu schaffen und hat heute eine höhere Markbewertung als Hilton oder Accor.
Der Autor beschreibt seinen Weg zu weiteren Einsichten und Handlungsoptionen, die er sich unter anderem von Vertretern der digitalen Elite holt. Der Tenor ist: erfolgreich wird man mit einem digitalen Geschäft, erfolgreich bleibt man mit der Digitalisierung seines Geschäfts und dem Aufbau einer digitalen Identität, die den direkten Kontakt zur Zielgruppe herstellt. Dabei geht es zum einen um die Digitalisierung von Vorgängen, die intelligente Computer übernehmen können, wie beispielsweise einfache Recherchen in Anwaltsbüros, zum anderen auch darum, potentielle Kunden im Internet durch einen attraktiven Auftritt und ein überzeugendes digitales Profil sowie eine effektive Kommunikation über Social Media anzusprechen. Dabei ist es unabdingbar, dass man ein gutes Produkt oder eine attraktive Dienstleistung anbietet und in dem, was man tut, Experte ist und hervorragende Arbeit leistet. Die Transparenz und die Bewertungsmöglichkeiten im Internet lässt Mittelmäßigkeit schnell untergehen. Dies gilt für die Selbständigen und freien Berufe ebenso, wie für alle Arbeitssuchenden. Wer dass beherzigt, kann laut Hörhan zu den Gewinnern der digitalen Revolution gehören. Digitale Analphabeten und Verweigerer, die diese Entwicklung verdrängen, leugnen oder verweigern, das technisch Machbare nur als Konsumenten nutzen und deren Jobs sich in naher Zukunft durch digitale Routinen ersetzen lassen, werden hingegen zu den Verlierern zählen.
Als Faktoren, die dabei insbesondere der Mittelschicht zu schaffen machen, nennt er:
- Unser traditionelles Bildungssystem, das digitale Bildung nicht hinreichend berücksichtigt und die jungen Leute in falscher Sicherheit wiegt
- Technologische Veränderungen (selbstfahrende Fahrzeuge aller Art, digitale Bürokratie, Dienstleistungen durch Roboter etc.), die Millionen von Arbeitsplätzen vernichten werden, davon zwei Drittel typische Mittelstandsjobs
- Das Olympia Prinzip: „The winner takes it all“, gemäß der Beispiele Amazon, Google, Spotify etc. die sich zu Oligopolen oder Monopolen entwickeln, wobei alles nach Platz 3 dem breiten Publikum praktisch unbekannt bleibt
- Offshore-Versteuerung internationaler Giganten und das Unvermögen, Besteuerungsgrundlagen für digitale Produkte zu finden, werden die Steuereinnahmen mindern. Dadurch wird das Angebot an kostenlosen Leistungen in Bildung, Gesundheit und Kultur, von dem vor allem die Mittelschicht profitiert, immer schwerer zu finanzieren.
- Der wirtschaftliche Wohlstand eines Landes wird zunehmend auf der Ansiedlung digitaler Unternehmen basieren, die Arbeitskräfte anziehen und Steuern generieren. Dazu braucht es Eliteuniversitäten und ein wirtschaftsfreundliches, für Jungunternehmer attraktives Klima. Bürokratie, Überregulierung und hohe Steuern vertreiben digitale Unternehmer und das Land wird ärmer.
Auch mit der Politik geht er ins Gericht:
- Politische Apparate schwächen sich selbst durch Regulierungen, populistische Reflexe, Austritt aus der EU.
- Die Politik hat nur unzureichende Antworten auf rechtliche und ethische Fragen, stattdessen verbreiten viele Angst vor der digitalen Elite.
- Politische Institutionen ziehen Bürokraten an, Talente werden in der freien Wirtschaft besser bezahlt.
- Die Politik versäumt es, sich und die Gesellschaft auf die digitale Herausforderung und die drohende Massenarbeitslosigkeit vorzubereiten.
Gerald Hörhan wünscht sich politische Leitfiguren mit einer positiven Vision der digitalen Welt, die uns auf die anstehenden Veränderungen vorbereiten. Dafür schlägt er vier Sofortmaßnahmen vor:
- Anpassung und Anwendung der Gesetze gegen Monopolbildung
- Abfangen der drohenden Arbeitslosigkeit (z.B. durch Umschulungen, Standortförderung)
- Thinktanks der Digitalisierung
- Einsetzen einer Ethikkommission
Der Autor ermutigt aber auch mit der positiven Aussicht für den Einzelnen, sich durch den Erwerb digitaler Kompetenz, Expertise im Fach, sowie mit viel Fleiß und Hartnäckigkeit eine erfolgreiche Zukunft erarbeiten zu können. Dazu zählt er im Schlusswort auch die positiven Seiten der Digitalisierung auf, wie Spaß, Flexibilität, größere Zugänglichkeit und Durchlässigkeit. Für die Willigen und Fleißigen herrsche noch Goldgräberstimmung.
Diskussion
Zunächst dachte ich mir beim Lesen, das Thema ist ja nicht mehr neu. Dennoch zeigten mir einige Gespräche im Kollegen- und Bekanntenkreis recht schnell, dass die von Hörhan beschriebenen Verdrängungsmechanismen tatsächlich noch in vielen unserer Köpfe zumindest in Teilen vorhanden sind. Die Konsequenzen der digitalen Revolution und die Herausforderungen für Individuen und Institutionen werden noch immer unterschätzt oder nicht erkannt. Sie werden unser Leben aber mehr verändern, als sich viele von uns heute eingestehen möchten.
Dazu lesen wir viele Beispiele und Tipps aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern, nicht erschöpfend, aber kurzweilig und pointiert, auch illustriert mit den eigenen Erfahrungen und Lernprozessen des Autors. Daneben betont dieser aber auch, dass viele unserer traditionellen Werte mit der Digitalisierung keineswegs ausgedient haben: Fachkompetenz, harte Arbeit, Beharrlichkeit und Fleiß, kontinuierlich an der technischen Entwicklung dranbleiben, investieren statt hemmungslos zu konsumieren, etc. Sie sind nach wie vor notwendige Voraussetzungen für den Erfolg, nur sehr bald eben nicht mehr hinreichend.
Das Buch versteht sich als Weckruf, sich schleunigst auf die sich ändernde Arbeitswelt einzustellen. Damit steht Gerald Hörhan nicht mehr alleine da, das Thema rückt weiter in die Öffentlichkeit vor, und immer mehr Leute haben die Herausforderung auch schon verstanden und angenommen, sind aktiv und teilweise auch schon erfolgreich geworden, wie der Autor selbst. Wer sich noch nicht damit beschäftigt hat, wird in diesem Buch einen guten Einblick dazu finden, was auf uns zukommt. Mit der Thematik der Risiken durch die Digitalisierung setzt sich der Autor an dieser Stelle nicht intensiv auseinander, sondern verweist auf die Politik und die Notwendigkeit einen wirtschaftspolitischen und rechtlichen Rahmen zu schaffen sowie eine Ethikkommission einzusetzen.
Fazit
Gerald Hörhan verdeutlicht in seinem Buch mit vielen Beispielen, welche tiefgreifenden Änderungen klassische Arbeitsbereiche wir durch die digitale Revolution in den kommenden Jahren erfahren werden und welche Herausforderungen und Chancen sich daraus insbesondere für die Mittelschicht ergeben – ein eindringlicher Weckruf, sich den digitalen Herausforderungen zu stellen.
Rezension von
Tatjana van de Kamp
Dipl. Kauffr., MA (Arbeits- und Organisationspsychologie)
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Zitiervorschlag
Tatjana van de Kamp. Rezension vom 06.10.2017 zu:
Gerald B. Hörhan: Der stille Raub. Wie das Internet die Mittelschicht zerstört und was Gewinner der digitalen Revolution anders machen. edition a GmbH
(Wien) 2017.
ISBN 978-3-99001-212-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/22805.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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