Heino Stöver, Anna Dichtl et al. (Hrsg.): Crystal Meth
Rezensiert von Prof. Dr. Maike Wagenaar, 09.11.2017

Heino Stöver, Anna Dichtl, Niels Graf (Hrsg.): Crystal Meth. Prävention, Beratung und Behandlung. Fachhochschulverlag (Frankfurt am Main) 2017. 260 Seiten. ISBN 978-3-943787-84-9. D: 21,00 EUR, A: 21,60 EUR.
Thema
Thematisiert werden, neben der aktuellen Situation und Verbreitung von Crystal Meth, Möglichkeiten der Prävention und niedrigschwelligen Beratung. Dabei werden sowohl Fakten zur Verbreitung als auch Modelle zur Prävention und Behandlung aus Deutschland und aus der Tschechischen Republik vorgestellt.
Herausgeber und Herausgeberin
Das Werk wird inhaltlich von 39 Autor*innen verantwortet. Heino Stöver, Anna Dichtl und Niels Graf sind Herausgeber*innen des Werkes.
Entstehungshintergrund
Die Veröffentlichung besteht aus zahlreichen Aufsätzen, die anlässlich eines deutsch-tschechischen Symposiums im Dezember 2016 vorgetragen wurden.
Das Werk bildet somit eine destillierte Auswahl an Ausleuchtungen des Themenkomplexes Crystal Meth aus der jeweiligen fachspezifischen Sicht der Beteiligten.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in die Abschnitte
- Epidemiologie,
- Mythen und Medien,
- Behandlung,
- Beratung und Prävention sowie
- Methamphetamin im Kontext von Elternschaft und Sexualität.
Inhalt
Im Abschnitt Einleitung (S. 7) findet sich zunächst ein Geleitwort der Drogenbeauftragten Mortler. Darin macht sie auf die drei Prioritäten aufmerksam, die ihr politisches Handeln in diesem Feld bestimmen sollen: „Erstens: Prävention stärken. […] Zweitens: Behandlungsstandards schaffen. […] Drittens: Kooperation ausbauen.“ (S. 8)
Im darauffolgenden Vorwort machen Stöver, Dichtl und Graf den Rahmen des Expert*innenaustausches deutlich, der dem Band zugrunde liegt und umreißen das länderübergreifende Problemfeld Crystal Meth.
Im inhaltlich einführenden Artikel: „Zur Crystal Meth Diskussion in Deutschland“ (S. 13) gibt Michels einen ersten, einleitenden Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Phänomens sowie die aktuelle Prävalenzen. Überdies werden Handlungsansätze kurz skizziert.
Im Abschnitt Epidemiologie (S. 19) geben Mravčík, Chomynová, Janíková und Grohmannová einen Einblick in die Lage in der Tschechischen Republik. Im historischen Abriss über die Herstellung und Verbreitung wird die lange Tradition des Cristal Meth in Tschechien eindrucksvoll deutlich. Im Weiteren wird die gegenwärtige Situation mit den gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen sowie den darauf folgenden therapeutischen Interventionen beschrieben.
Im Abschnitt Mythen und Medien (S. 49) geht Härtel-Petri zunächst eher allgemein den Mythen im Zusammenhang mit Crystal Meth nach. Dabei verzichtet er vollständig auf wissenschaftliche Nachweise und schöpft seine Erkenntnisse vor allem aus seiner langjährigen eigenen Berufspraxis als klinischer Psychiater.
Scheibe und Werse beschäftigen sich mit der „medialen Darstellung von Crystal Meth“ (S. 57). Sie machen die Konsequenzen der Mediendarstellungen für die (potentiellen) Nutzer*innen als auch für die Mehrheitsgesellschaft deutlich. Als Analysebeispiele ziehen sie sowohl eine amerikanische Anti-Drogen-Kampagne als auch einen Tatort-Krimi, der sich mit dieser Thematik befasst, heran.
Dem Abschnitt Behandlung sind vier Artikel zugeordnet.
- Zunächst stellen Gouzoulis- Mayfrank et.al. die S3- Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung Methamphetamin-bezogener Störungen (S. 71) vor und machen deutlich, dass im Feld der Behandlung weiterer Forschungsbedarf besteht.
- Orlíková stellt im zweiten Artikel die aktuelle Lage des Methamphetaminkonsums in der Tschechischen Republik, „der Welt und Europa“ (S. 87) dar. Wobei der Schwerpunkt hier eher auf den Zahlen der Tschechischen Republik liegt. Diese Darstellung überschneidet sich teilweise mit dem Bereich der Epidemiologie und ist an dem Punkt für den Artikel schlüssig, für die Gesamtschau des Buches aber eher redundant. Im Weiteren (und dies ist der eigentliche Gewinn des Artikels) macht sie Prädikatoren des Behandlungserfolges auf Seiten der Klient*innen und auf Seiten der Therapie aus und resümiert die verschiedenen Einflussfaktoren.
- Ferse legt als Suchtbeauftragte der Stadt Dresden in der Überschrift des Artikels einen Fokus auf den Konsum von Crystal Meth in dieser Stadt und stellt das Vorgehen der beteiligen Akteur*innen zur Erfassung des Unterstützungsbedarfs dar. Im Weiteren kommt sie zu der Erkenntnis, dass Alkohol immer noch die größte Rolle unter den Suchtmitteln in der Stadt spielt. Sie widmet sich ausführlicher dem Thema Drogenkonsum und Mutterschaft. Hierbei beschreibt sie kenntnisreich, neben den eingeleiteten Strategien und Maßnahmen, auch die strukturierte Erhebung von Auffälligkeiten bei (neugeborenen) Kindern, deren Mütter verschiedenste Suchtmittel konsumieren.
- Klein-Isberner beschließt den Abschnitt der Behandlungen mit seinem Artikel über die stationäre Behandlung von Methamphetaminabhängigkeit am Beispiel der Fontane Klinik in Motzen. Dabei legt er den Schwerpunt auf die Darstellung der Entwicklung und der praktischen Durchführung des Angebots für die Zielgruppe.
Der Abschnitt Beratung und Prävention (S. 132) bietet mit neun Artikeln und fast 100 Seiten Umfang das Herzstück des Buches. Hierin werden zahlreiche konkrete Präventionsprojekte und die dahinterliegenden Überlegungen vorgestellt.
- Im ersten Artikel des Abschnittes stellen Barsch und Jeschke ein mehrstufiges Projekt der Hochschule Merseburg mit der „Ostdeutschen Arbeitsgemeinschaft Suchtmedizin“ für Crystal Meth Konsumierende vor. Dieses Projekt umfasst neben der Erfassung des Problembereichs und der Entwicklung einer anonymen Sprechstunde auch die Entwicklung einer App für Konsumierende. Im Weiteren wird die App dargestellt sowie deren Inhalte und Nutzen erläutert.
- Der zweite Artikel, ebenfalls von Barsch und Jeschke befasst sich mit dem Pilotprojekt „Check Point-C: Eine anonyme Crystal-Sprechstunde für (H)alle“ (S. 147). Dieses Projekt der Hochschule Merseburg, der Arbeitsgemeinschaft Suchtmedizin und der Universität Halle beschäftigt sich mit der Frage, wie mehr Klient*innen erreicht werden könnten. Die dafür notwendigen Überlegungen und die daraufhin eingerichtete niedrigschwellige Sprechstunde werden ebenso dargestellt wie die daraus gewonnenen Erkenntnisse.
- Krones stellt die grenzübergreifende Präventionsinitiative „Need NO Speed“ (S. 162) im dritten Artikel vor. Dabei geht es um Fachdialoge und konkrete Präventionsangebote zwischen den Akteuren der Tschechischen Republik und Deutschland. Näher erläutert wird anschließend ein Theaterprojekt.
- Röhlinger und Kießling stellen das Projekt „Über den Berg“ (S. 169) der Drogenhilfe mudra e.V. aus Nürnberg vor. Dies soll jungen Drogenkonsumierenden die Möglichkeit bieten, durch eine Alpenüberquerung auf andere Weise Grenzerfahrungen zu erleben. Durch das Projekt sind weitere Produkte entstanden, die anschließend erläutert werden. Insbesondere wurde ein Verein gegründet, in dem ehemals Betroffene als Peers aktuell Konsumierende durch Angebote körperlicher Aktivität unter dem Motto: „Klettern statt Drogen“ (S. 170) unterstützen.
- Der darauffolgende Artikel von Vesely widmet sich einem Präventionsangebot innerhalb des tschechischen Nachtlebens. Dabei handelt es sich um ein aufsuchendes Angebot in der Partyszene. Dabei sollen die Risikofaktoren des Konsums durch „Safer Clubbing“ ( S. 189) gesenkt werden. Kritisch eingegangen wird in dem Artikel auch auf die Einstellung des „Drug Check“ (S. 188) im Jahr 2010.
- Auch bei dem Projekt „MINDZONE“ (S. 194) handelt es sich um ein akzeptanzorientiertes Angebot der Prävention im Bereich der Partyszene. Das von Nunes vorgestellte Angebot aus Bayern ist lebensweltorientiert ausgerichtet. Es will mit dem Peer to Peer Ansatz niedrigschwellig Informationen über Partydrogen, den Konsum und die Risiken direkt in den Nachtclubs oder auf Festivals bieten. Neben allgemeinen Angaben zum Projekt bietet der Artikel noch Informationen über eine „Studie zum Substanzkonsum in der jungen Ausgehszene“ (S. 207).
- Als weiteres niedrigschwelliges Präventionsprojekt stellt Franke kurz ein Musikszeneprojekt in Thüringen vor. Dabei dienen Informationsmaterialien und Safer-Use Utensilien als Möglichkeiten der Suchtprävention und Drogenaufklärung.
- Schütz stellt anhand der Koordinierungszentren des deutsch-tschechischen Jugendaustausches die „[g]renzübergreifende Zusammenarbeit von Präventionsfachkräften in der Jugendarbeit“ (S. 215) dar. Dabei geht sie sowohl auf den Fachdialog der beteiligten Akteur*innen ein als auch auf die Maßnahmen der Primärprävention, die von diesen umgesetzt werden.
- Im letzten Artikel aus dem Bereich Beratung und Prävention befassen sich Mühlig, Paulick und Schwarzbach mit den Möglichkeiten und Grenzen der externen Suchtberatung im Strafvollzug. Sie legen den Fokus auf den sächsischen Strafvollzug und ziehen Vergleiche zu bundesweiten Ergebnissen. Dabei stellen sie fest, dass „Crystal bzgl. der Inanspruchnahme des Suchthilfesystems in den sächsischen Beratungs- und Behandlungsstellen unter den illegalen Drogen mit über 70 %“ (S. 226) dominieren.
Im letzten Abschnitt Methamphetamin im Kontext von Elternschaft und Sexualität (S. 234) werden abschließend drei Schlaglichter auf dieses Themenfeld gesetzt.
- Zunächst thematisiert Friedrich die Auswirkungen des Crystal Meth Konsums der werdenden Mutter auf den Verlauf von Schwangerschaft und Geburt sowie die pränatale Entwicklung des Kindes. Dabei schildert sie einerseits die aktuelle Situation und die bisher bekannten suchtmittelspezifischen Auswirkungen und stellt andererseits, hier jedoch, im Gegensatz zu den Praxisprojekten im vorhergehenden Abschnitt, eher abstrakt, Unterstützungsmöglichkeiten anhand der S3-Leitlinie dar.
- Moesgen, Dyba und Klein widmen sich dem Themenbereich elterlicher Abhängigkeit von Crystal Meth vonseiten des Kindes. Sie geben einen Überblick über die vorhandenen Untersuchungen im Feld und skizzieren die vorhandenen Unterstützungsangebote für Kinder und Eltern.
- Im letzten Kapitel widmen sich Deimel, Dichtl und Graf dem Phänomen des Konsums von Crystal Meth zum Zwecke der sexuellen Leistungssteigerung, der Entgrenzung oder des stärkeren sexuellen Erlebens beim Sex unter Männern (vgl. S. 255). Dabei widmen sie sich dem Phänomen des sog. „Chemsex“ (S. 253) einerseits in der Beschreibung und Darstellung der Prävalenz, andererseits stellen sie Überlegungen für die vorhandenen Hilfesysteme Suchthilfe und Aidshilfe an in Bezug auf deren Handlungsnotwendigkeiten in dem wachsenden Feld.
Diskussion
Die Beiträge sind in der Regel gut aufeinander abgestimmt und ergänzen sich. Kleinere Redundanzen sind bei der Ausgangslage in Bezug auf statistische Daten im Zusammenhang mit Crystal Meth vorhanden, aber wohl auch nicht vollständig vermeidbar. Neben Teilen, die sich eher der Prävalenz des Phänomens widmen, stehen Teile, die eher aus praktischer Sicht Präventionsangebote beschreiben.
Fazit
Das Buch vermittelt, unter Beteiligung zahlreicher Fachleute aus Deutschland und der Tschechischen Republik, einen kenntnisreichen Gesamtüberblick über das Themenfeld Crystal Meth. Dabei wird neben der Epidemiologie, der Wirkung und Beschreibung des Phänomens in den Medien und verschiedenen Ansätzen der Behandlung dem Bereich Beratung und Prävention ein großer, praxisorientierter Anteil eingeräumt, um das Werk mit den Spezialthemen Mutterschaft und Konsum sowie Cemsex abzurunden.
Insgesamt eine lohnenswerte Information für Fachleute und versierte Laien, die sich in diesem Themenbereich einen breiten Überblick verschaffen wollen oder sich inspirieren lassen wollen, um eigene Ideen zur Prävention zu entwickeln.
Rezension von
Prof. Dr. Maike Wagenaar
Professur für Gesundheitsbezogene Soziale Arbeit mit den Schwerpunkten Sozialpsychiatrie und Suchthilfe, Hochschule Hannover
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