Marc Bekoff, Jessica Pierce: Sind Tiere die besseren Menschen?
Rezensiert von Dr. Barbara Mahmoud, 04.12.2017

Marc Bekoff, Jessica Pierce: Sind Tiere die besseren Menschen? Fairness & Empathie im Tierreich. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG (Stuttgart) 2017. 224 Seiten. ISBN 978-3-440-15651-3. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 25,00 sFr.
Thema
Die Autoren dieses Buches stellen eine Vielzahl von aktuellen wissenschaftlichen Forschungen mit deskriptiven und mit empirischen Daten vor, die moralische Verhaltensweisen bei Tieren beschreiben. Besonders intensiv untersucht wurden innerhalb dieser Thematik Primaten, soziale Fleischfresser wie Wölfe, Kojoten und Hyänen, Meeressäuger, Elefanten und einige Nagetiere wie Ratten und Mäuse.
Autor und Autorin
Marc Bekoff war Professor der Ökologie und Evolutionsbiologie an der Universität von Colorado (USA).
Jessica Pierce ist an der Universität von Colorado Professorin im Bereich Gesundheit und Bioethik.
Aufbau und Inhalt
Im Vorwort berichten die Autoren Beispiele für altruistisches Verhalten und Beispiele für die kognitiven Fähigkeiten von Tieren. Sie erläutern den Begriff der evolutionären Kontinuität, der besagt, dass die Unterschiede hinsichtlich der kognitiven und der emotionalen Fähigkeiten zwischen den einzelnen Tierarten eher quantitativ als qualitativ sind.
1. Moral im Tierreich. Nach dem Verständnis der Autoren wird Moral als eine Sammlung von miteinander verbundenen soziopositiven Verhaltensweisen definiert, die komplexe Interaktionen innerhalb einer sozialen Gruppe regulieren und beeinflussen. Diese Verhaltensweisen stehen in enger Verbindung mit Wohlbefinden und Leiden und lassen sich als gut oder schlecht, als richtig oder falsch bezeichnen. Da die einzelnen Tierarten aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebensvoraussetzungen hinsichtlich ihrer moralischen Verhaltensweisen nur selten miteinander verglichen werden können, sollten sie speziesspezifisch betrachtet werden.
2. Grundlagen für Gerechtigkeit im Tierreich. Die Grundlagen, auf welchen die Aussagen über moralische Verhaltensweisen im Tierreich basieren, stammen aus der kognitiven Ethologie, aus den sozialen Neurowissenschaften, aus der Psychologie und aus der Philosophie der Moral. Voraussetzung für die Entwicklung von Moral sind Sozialität und Intelligenz. Sozialität bedeutet die Neigung von Tieren, sich mit anderen in stabilen sozialen Gruppen zusammenzuschließen. Die Autoren diskutieren eine Reihe von Theorien, die Erklärungsansätze für die Entwicklung moralischer Verhaltensweisen bei Tieren bieten.
3. Kooperation. Zu den Merkmalen, die Kooperation beschreiben, zählen die Autoren Altruismus, Gegenseitigkeit, Ehrlichkeit, Vertrauen, Strafe und Vergeltung. Sie berichten von einer Untersuchung, in der bei Ratten eine Form generalisierter Gegenseitigkeit festgestellt wurde. Die Ratten halfen mit größerer Wahrscheinlichkeit einer ihnen unbekannten und nichtverwandten Ratte, an Futter zu gelangen, wenn ihnen selbst zuvor eine andere ihnen unbekannte Ratte geholfen hatte. Als Vorteile der Kooperation werden beispielsweise der gegenseitige Schutz vor Eindringlingen in das Territorium oder der Schutz vor Fressfeinden genannt. Eine Folge der Kooperation stellt die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Spezialisierungen bei den Individuen innerhalb einer Gruppe dar. Sie verhilft zur Förderung der biologischen Diversität dieser Gruppe. Theoretisch wird Kooperation durch Verwandtschaftsselektion, durch Gegenseitigkeit, durch reziproken Altruismus und durch Gruppenselektion erklärt. Die Autoren illustrieren durch verschiedene Beispiele diese theoretischen Erklärungsansätze. Als eine der wichtigsten Emotionen, die Kooperation zugrunde liegen, kann das Bindungs- oder Zugehörigkeitsgefühl gesehen werden.
4. Empathie. Empathie bedeutet die Fähigkeit, Gefühle anderer zu erfahren und nachzuempfinden. Sie beinhaltet die Merkmale Sympathie, Mitgefühl, Fürsorglichkeit, Helfen, Trauern und Trösten. Die Kosten, die durch Empathie verursacht werden, beziehen sich auf die dafür notwendige Aufmerksamkeit und die dazu benötigte Energie. Diese Aufmerksamkeit und diese Energie werden als Konsequenz der empfundenen Empathie von anderen wichtigen Dingen abgezogen. Aus diesem Grund ist zu viel Empathie kontraproduktiv. Als neuronale Grundlagen von Empathie werden die Spiegelneuronen und die Spindeln genannt.
5. Gerechtigkeit. Gerechtigkeit beinhaltet die Merkmale Teilen, Fairness, den Sinn für Gleichbehandlung und die Erwartung dessen, was man verdient und wie man behandelt werden sollte. Als Reaktionen auf Ungerechtigkeit können Entrüstung, Vergeltung und Vergebung auftreten, als Reaktionen auf Gerechtigkeit Freude, Dankbarkeit und Vertrauen. Die Autoren weisen besonders auf die Funktion der Freude als Belohnung für ein adaptives Verhalten hin. Freude spielt eine bedeutsame Schlüsselrolle für Moral. Zur Illustrierung der Reaktion auf Ungerechtigkeit erwähnen Marc Bekoff und Jessica Pierce eine Studie, in der Kapuzineraffen, die stark auf faires Miteinander und Gleichbehandlung achten, infolge des Erhalts einer vergleichsweise geringerwertigen Futtergabe die Kooperation mit den sie betreuenden Wissenschaftlern verweigerten, d.h. sie streikten.
6. Das Unbehagen mit der tierischen Moral. Die Autoren diskutieren die Voraussetzungen von Moral und die ethische Verantwortung für Tiere in Verbindung mit deren Einsatz in der Forschung und mit der industriellen Tierhaltung.
Service. Unter dem Begriff Service stellen die Autoren ihre Danksagungen, verweisen auf das Quellenverzeichnis auf der Homepage des Verlages, stellen eine Auswahl von Büchern vor, die sie zum Weiterlesen empfehlen und schließen diesen Punkt mit dem Register.
Diskussion
Marc Bekoff und Jessica Pierce geben in ihrem Buch einen Überblick über moralische Verhaltensweisen bei Tieren, die sie in die drei Erlebens- und Verhaltensbereiche Kooperation, Empathie und Gerechtigkeit untergliedern. Eine Auswahl von Fotos veranschaulicht die im Text beschriebenen Beispiele. Die Angaben zu den Quellen der genutzten Beispiele befinden sich auf der Homepage des Verlages.
Fazit
Die Autoren greifen auf Erkenntnisse aus der kognitiven Ethologie, aus den Neurowissenschaften, aus der Psychologie und aus der Philosophie zurück, um eine gut lesbare und verständlich geschriebene Einführung in die Thematik vorzustellen. Das unterhaltsame und informative Buch ist gut dazu geeignet, um dem interessierten Leser einen Einstieg in diesen Themenbereich zu geben.
Rezension von
Dr. Barbara Mahmoud
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