Insoo Kim Berg, Scott D. Miller: Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen
Rezensiert von Prof. lic. phil. Urs Gerber, 22.01.2008

Insoo Kim Berg, Scott D. Miller: Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen. Ein lösungsorientierter Ansatz.
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2007.
6., korrigierte Auflage.
254 Seiten.
ISBN 978-3-89670-581-5.
D: 24,95 EUR,
A: 25,70 EUR,
CH: 44,00 sFr.
Originaltitel: Working with the problem drinker.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-8497-0235-9 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Autorin und Autor
- Insoo Kim Berg, M.S.W, war Leiterin des Brief Family Therapy Center in Milwaukee, Wisconsin. Sie entwickelte mit ihrem Mann, Steve de Shazer, die lösungsorientierte Kurztherapie. Sie ist 2007 verstorben.
- Scott D. Miller, Therapeut, ist Ausbildner und Kodirektor des Institute for the Study of Therapeutic Change (ISTC) in Chicago.
Thema
Die Autorin und der Autor verfassten ein eigentliches Lehrbuch zur Behandlung von Menschen, die aufgrund ihrer Probleme trinken. Sie verfolgen dabei konsequent den Ansatz der systemischen, lösungsorientierten Kurzzeittherapie. Neben ihren eigenen, jahrzehntelangen Erfahrungen fliessen auch die Ideen ihres Teams, von Ausbildungsgruppen, aber auch von anderen Therapeuten wie Milton Erickson etc. ein. Sie fordern von den Behandelnden ein radikales Umdenken: Weg von der Problemorientierung hin zur Lösungsorientierung. Sie beschreiben gut nachvollziehbar mit kurzen und einprägsamen Beispielen, wie das geht. Ihnen ist nämlich aufgefallen, wie viel Zeit jeweils in Supervisionen aufgewendet wird, um die Probleme der Klienten zu beschreiben und wie wenig Zeit bleibt für die Analyse der Interaktionen zwischen Klienten und Therapeuten, respektive für die adäquate Vorgehensweise.
Ihre Haltung ihren Klienten gegenüber ist geprägt von Respekt. Dem humanistischen Menschenbild verpflichtet glauben sie, dass die Klienten im Grunde fähig sind, ihre eigenen Entwicklungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Der Therapeut ist in diesem Bild nicht der Experte, sondern der Lehrling oder der Studierende. Gemeinsam versuchen Klienten und Behandelnde mögliche Lösungswege herauszufinden. Kooperation und Aushandeln sind für diese Vorgehensweise zentral. Die Verantwortung für das Begehen des Weges liegt schlussendlich beim Klienten: Es ist seine Selbstverantwortung, den eingeschlagen Weg auch zu begehen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in neun Kapitel gegliedert.
- In der Einführung werden acht Prinzipien und Annahmen vorgestellt: Die erste betont die geistig-seelische Gesundheit: Weg von der Pathologie hin zur Gesundheit. Was geht eigentlich gut und wie könnte man das noch fördern? Die zweite, Utilisation, versucht zu nutzen, was schon vorhanden ist: Ressourcen, Fertigkeiten, Wissen, Überzeugungen, Motivation, Verhalten, Symptome, soziales Netzwerk, Umstände und persönliche Idiosynkrasien. Die dritte Annahme bezieht sich auf eine atheoretische, nichtnormative, klientenbestimmte Sichtweise: Für jede Klientin, für jeden Klienten ist eine eigene Lösung und ein eigenes Vorgehen zu entwickeln. Nicht der Klient muss der Theorie angepasst werden, sondern die Theorie dem Klienten. Das vierte Prinzip bezieht sich auf Sparsamkeit: Nach Milton Erickson sollte die Therapie wirken, wie das Antippen eines ersten Dominosteins. Die fünfte Annahme bezieht sich darauf, dass Veränderungen eigentlich unvermeidlich sind: Die Kunst ist Veränderungen, welche in die richtige Richtung weisen zu erkennen und die Klienten zu ermutigen, diese Veränderungen zu stabilisieren und auszubauen. Das sechste Prinzip heisst Gegenwarts- und Zukunftsorientierung. Am besten wird diese Vorgehensweise durch die Wunderfrage illustriert. Das siebte Prinzip heisst Kooperation: Kooperation muss vorgelebt werden auch vom Therapeuten als Modell. Und als letzte Annahme wird die zentrale Philosophie in drei einfachen Merksätzen zusammengefasst (S. 32): "1. Wenn etwas nicht kaputt ist, mache es nicht ganz! 2. Wenn Du einmal weißt, was funktioniert, mache mehr vom Selben! 3. Wenn es nicht funktioniert, lass es sein, mache etwas anderes!"
- Im zweiten Kapitel, die Entwicklung kooperativer Klient-Therapeut-Beziehungen, werden drei Typen von Beziehungen dargestellt: Der Besucher, der Klagende und der Kunde. Beratende gehen meistens davon aus, dass die Klienten im Beziehungstypus Kunde ihnen gegenübertreten. Sie sind dann oftmals herb enttäuscht, wenn sie realisieren, dass die Klienten keine der gewünschten Fortschritte machen. Oft liegt das daran, dass der Beziehungstypus falsch eingeschätzt wurde und sich der Behandelnde nicht zuerst der Kooperation versichert hatte.
- Im dritten Kapitel, wohlgestaltete Behandlungsziele, werden sieben Eigenschaften der Ziele aufgezählt. Ziele sollen/müssen bedeutsam für den Klienten sein. Sie sollen/müssen klein, konkret, präzise und verhaltensbezogen sein. Ziele müssen/sollen eher das Vorhandensein als die Abwesenheit von etwas zum Ausdruck bringen und sie müssen/sollen eher einen Anfang als ein Ende beschreiben. Sie müssen/sollen im Lebenskontext des Klienten realistisch und erreichbar sein und Ziele erreichen, ist harte Arbeit.
- Im vierten Kapitel, Aushandeln und Kooperieren: Ziele und Klient-Therapeut-Beziehungen, wird dargestellt, wie je nach Beziehungstypen eine andere Vorgehensweise zur Zieleruierung vorgenommen werden sollte. Die Hauptsache dabei ist, wie der Therapeut eine Kooperation mit widerständigen oder unfreiwillig geschickten Klienten eingehen kann. Aushandeln ist dabei wichtig.
- Im fünften Kapitel, die Lösungsorientierung: Wie man Interviews führt, um Veränderungen zu erreichen, wird verraten, wie ein zweckgerichtetes Interview zu führen ist. Dabei werden fünf nützliche Fragen eingeführt: (1) Fragen, die vor Sitzungsbeginn eingetretenen Veränderungen beleuchten. (2) Fragen, die nach Ausnahmen suchen, um aktuelle und vergangene Erfolge zu verbessern. (3) Die Wunderfrage (4) Skalenfragen und (5) Stützende Fragen
- Im sechsten Kapitel, Bestandteile, Typen und Anwendung der therapeutischen Intervention, behandeln die Autoren Fragen der Individualisierung der Therapie, die Macht von Komplimenten und Interventionen in schwierigen und verfahrenen Situationen. Dazu beschreiben sie ihr Vorgehen mit einem Team hinter einem Einwegspiegel.
- Das siebte Kapitel, Strategien, um Fortschritte aufrechtzuerhalten und zu fördern, widmet sich beispielsweise der Frage, wie mit Rückfällen umzugehen ist. Auch hier bleiben sie ihren Grundsätzen treu und fokussieren nicht auf die auslösenden Momente wie Marlatt und Gordon. Sie untersuchen die Bedingungen, unter denen die Menschen mit Trinken wieder aufgehört haben, was hat ihnen das ermöglicht.
- Das achte und neunte Kapitel, der Wundertag des Herrn Meeks und die Quadratur des Kreises, behandeln zwei Klientenbeispiele ausführlicher, so dass die Arbeitsweise der Gruppe um Insoo Kim Berg verständlich und nachvollziehbar wird.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich anBeraterinnen, Berater, Therapeutinnen und Therapeuten, die mit Problemtrinker arbeiten. Es zeigt aber nicht nur erfahrenen Fachleuten neue Wege, sondern es ist auch geeignet für Beschäftigte im psychosozialen Bereich. Alkoholprobleme sind in fast allen Arbeitsbereichen der Sozialen Arbeit anzutreffen. So ist es nur gut, wenn möglichst viele sich bei der Behandlung und Beratung dieser Klientel kompetent beteiligen. Dieses Buch motiviert vielleicht einige, die bis jetzt nicht den Mut hatten Problemtrinker zu beraten, damit zu beginnen. Es zeigt auf, dass die Arbeit mit Problemtrinkern nicht nur mühselig und langwierig sein muss, sondern auch kurz und knapp ist und dazu noch Freude bereiten kann.
Diskussion
Das Buch bietet einen reichen Erfahrungsschatz für beraterisch und therapeutisch Behandelnde. Es gibt klare Anweisungen und beschreibt detailliert das Vorgehen bei Vorliegen eines Alkoholproblems. Darüber hinaus zeigt es eine Vorgehensweise, die nicht nur bei Alkoholproblemen angewendet werden kann.
Besonders geeignet ist dieses Vorgehen im ambulanten Bereich und in öffentlich-rechtlichen Beratungsstellen. Aufgrund der knappen Ressourcen können oft nur wenige Beratungstermine angeboten werden oder die Klienten sind nicht bereit häufiger zu kommen.
Für viele Behandelnde mag dieses atheoretische, ahistorische und am Erfolg orientierte Vorgehen, ein Gräuel sein. Biographiearbeit und Diagnosestellung interessieren beispielsweise wenig. Offen bleibt auch für welche Klientengruppe dies das richtige Vorgehen ist: Wahrscheinlich ist, dass es für chronische Patientinnen und Patienten weniger geeignet ist, als für Missbrauchende, die noch über einige Ressourcen verfügen.
In der Psychotherapieforschung hat man Abschied davon genommen, dass ein Ansatz für alle Klienten der richtige ist. Die Stärke dieses Ansatzes liegt darin, dass die Klienten wieder Hoffnung schöpfen, dass Veränderungen zum Besseren durch sie selber möglich sind. Allerdings kann dies nur durch einen Behandler vermittelt werden, der selber konsequent auf die Kraft der Autonomieförderung setzt.
Neben den technischen Fragen wird ein Menschenbild vermittelt, das Würde und Respekt vor den Klienten in den Mittelpunkt stellt. Vielleicht würden die im Sozialbereich Wirkenden auch weniger ausbrennen, könnten sie sich immer wieder von neuem auf dieses Menschenbild zurückbesinnen.
Fazit
Das Buch ist ein empfehlenswertes Standardwerk für den Ansatz der lösungsorientierten Kurzzeittherapie für alle im Sozialbereich Arbeitenden.
Rezension von
Prof. lic. phil. Urs Gerber
Psychologe und Psychotherapeut in Zürich, ehemals Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz
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