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Rolf Piotrowski: Bent11. Benedict Mandelbaum im Dänenland

Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 08.09.2017

Cover Rolf Piotrowski: Bent11. Benedict Mandelbaum im Dänenland ISBN 978-3-9524056-6-6

Rolf Piotrowski: Bent11. Benedict Mandelbaum im Dänenland. Kirja Verlag (Gelterkinden) 2017. 140 Seiten. ISBN 978-3-9524056-6-6. D: 18,65 EUR, A: 18,65 EUR, CH: 19,90 sFr.

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Thema

Der neunzehnjährige Sören und sein elfjähriger Bruder Benedict, der unter den Bedingungen von Asperger Autismus lebt, verbringen eine Urlaubswoche im elterlichen Ferienhaus im Küstenort Broager/Dänemark. Ohne Eltern. Benedict verlässt zunehmend seinen eigenen Kosmos und die Brüder finden immer mehr zusammen. Es wird eine mitunter turbulente Woche in Broager, während der die Brüder ein Menschenleben retten. Vermutlich sogar zwei. (Klappentext)

Autor

Rolf Piotrowski ist Jahrgang 1956 und lebt im Kreis Aachen. Er ist Autor von mehreren Büchern und Heilpraktiker für Psychotherapie (HPG). Er selbst lebt unter den Bedingungen des Asperger-Syndroms, einer Normvariante des Menschseins. Diese Realität ermöglichte es ihm beim Schreiben zwischen seinen Romanfiguren Bent und seinem 19jährigen Bruder hin- und her zu schalten, um die verschiedenen Denk- und Lebensweisen zu verdeutlichen. Sein Protagonist Bent agiert so, wie er selbst in Bents Alter war. Als Sören übernimmt er die Rolle eines älteren Bruders, wie er ihn sich gewünscht hat. Das Verfassen der Bent – Romane stellt nach Aussage des Autors eine Gratwanderung dar, die oft emotional war, da die damit verbundene Konfrontation mit seiner eigenen Biografie für ihn selber immer wieder aufschlussreich war.

Wer mehr über den Autor Rolf Piotrowski erfahren möchte dem empfehle ich dessen website www.rolf-piotrowski.net, die sehr informativ ist und zahlreiche Informationen und Hinweise zu weiteren Projekten des Autors bereit hält.

Entstehungshintergrund

Der Kirja-Verlag wurde 2012 von dem Ehepaar Ramona und Stephan Zettel in Gelterkinden (Schweiz) gegründet. Der Verlag hat sich zur Aufgabe gemacht, Bücher, Broschüren und Multimedia-Produkte herauszugeben und per Online-Shop zu verkaufen. Anliegen ist das Thema „Asperger Syndrom“ und das Wissen darüber in der Öffentlichkeit bekannter zu machen, das Verständnis für betroffene Menschen und die Akzeptanz für ihre andere Denkweise zu vergrößern, sodass das Potenzial autistischer Menschen von der Gesellschaft erkannt wird (Quelle: www.kirjaverlag.ch). Zusätzlich werden auch pädagogische Hilfsmittel angeboten wie z.B. Time Timer.

Einer der Söhne erhielt im Jahr 2008 nach einigen Fehldiagnosen die Diagnose Asperger-Autismus. Das war eine riesige Erleichterung, da das Verhalten des Sohnes, welches vor allem in der Schule sichtbar wurde, endlich einen Namen bekam. 2009 gründete sich eine Elterngruppe, um den Austausch zwischen Eltern mit dem gleichen „Schicksal“ zu ermöglichen. 2011 gründete diese Gruppe gemeinsam mit einem Kinderpsychiater den Verein Asperger-Hilfe Nordwestschweiz. Im Namen des Vereins werden pro Jahr mehrere Seminare angeboten und Ferien für Familien organisiert. Es werden auch Infoveranstaltungen oder Klassenstunden für die Schulen/Eltern oder Mitschüler*nnen zum Thema Asperger Autismus angeboten. Den Namen des Verlages und das Verlags-Logos wurde von dem 12-jährigen Sohn des Ehepaars Zettel ausgetüftelt.

Der Kirja Verlag nimmt auch gerne Anfragen oder Mitteilungen entgegen z.B. wenn man ein (Buch)-Projekt passend zum Hauptthema realisieren möchten und dazu einen Verlag braucht oder wenn man den noch jungen Verlag finanziell unterstützen möchten.

Bei dem hier vorgelegten Buch, es ist die 7. Eigenproduktion des Verlages, handelt es sich um die in sich abgeschlossene Fortsetzung von „Bent10“, deren überarbeitete Neuauflage 2018 ebenfalls im Kirja-Verlag erscheinen wird. Dem Verlag gelingt es, mit viel Fingerspitzengefühl Bücher auszuwählen, die aufschlussreich sind und dabei unter die Haut gehen. So ist es auch mit diesem Buch, in dem ehrlich und oft humorvoll über das Anderssein, über Bruderliebe und über gegenseitigen Respekt und Wertschätzung geschrieben wird.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist im DIN A5 Hardcover Format erschienen. Es hat einen Umfang von 140 Seiten, die sich in sieben Kapitel untergliedern. Von der Machart her ist es hochwertig verarbeitet und liegt sehr gut in der Hand. Das Buch kostet unter 20€, das ist ein ausgesprochen gutes Preis-Leistungsverhältnis.

  • Einleitung
  • Montag: Alt + 155, Gule aerte und ein blauer Zeh
  • Dienstag: Osmathus, Freya und der rote Riese
  • Mittwoch: Frau Ohlsen, Melanie und der Goldkobe
  • Donnerstag: Francesca und 5556
  • Freitag: Ein roter Volvo V50 Kombi, ein Sondereinsatz und ein neuer Mensch
  • Samstag: ein Paar Klinik Clogs, Zimmer 311, das Treffen
  • Dank

Der neunzehnjährige Sören und sein elfjähriger Bruder Benedict verbringen ohne die Eltern eine Urlaubswoche im elterlichen Ferienhaus im Küstenort Broager/Dänemark. Benedict, genannt Bent, verlässt zunehmend seinen eigenen Kosmos und die Brüder finden immer mehr zusammen. Es wird eine zeitweilig turbulente Woche in Broager. Bent ist gerade 11 geworden, deshalb nennt er sich Bent 11. Bent hat das Asperger-Syndroms, eine leichtere Form von Autismus. Deshalb wirkt er auf seine Mitmenschen oft sonderbar wie ein Außenseiter oder Eigenbrötler, der die Welt mit seinen eigenen Augen sieht und sich in ihr auf seine Art zurechtfinden möchte. Bent hat eine unerschütterliche Logik, auf die Sören oft zurückgreift, selbst, wenn Bents Lösungsstrategien für Sören auf den ersten Blick nicht immer zielführend erscheinen. Auf den zweiten Blick sind sie es z.B. wenn es darum geht, sich eine Pizza zu bestellen. Im Laufe der Geschichte überwinden die Brüder zunehmend ihr distanziertes Verhältnis zueinander und lernen, mit ihrem Anderssein umzugehen, es zu akzeptieren und zu respektieren.

Diese Entwicklung erweist sich für beide, Bent und Sören gleichermaßen als wertvolle Bereicherung. In witzigen Dialogen werden Alltagssituationen beschrieben, die neurotypische und autistische Denk- und Wahrnehmungsweisen aufzeigen, unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen werden anhand kleiner Szenen verdeutlicht. Im Verlauf der Geschichte werden verschiedene Themen angesprochen, die für Jugendliche im Allgemeinen von Bedeutung sind z.B. wie man ein Mädchen kennenlernt oder wie es ist, sich zu verlieben und was es heißt, wenn man dies das erste Mal erlebt.

Diskussion

Mittlerweile gibt es zahlreiche Fachbücher über Autismus, aber mir sind nur wenige belletristische Romane bekannt, die es interessierten Leserinnen und Lesern ermöglichen, einen unbefangenen Einblick auf das Leben unter den Bedingungen des Asperger-Syndroms zu erhalten. In diesem Roman steht nicht das Syndrom im Mittelpunkt, sondern ein Romanheld, der ungewöhnlich denkt, entscheidet und handelt, aber genau diese Eigenschaften machen Bent zu Bent, für ihn ist das nicht besonderes. Er ist wie er ist, nimmt das „Asberg-Ding“ als gegeben hin wie in dieser Szene: „Hunger!, brachte Bent11 seine aktuelle Befindlichkeit auf den Punkt. Vor zwei Wochen hatte mein Bruder Geburtstag. Aus Bent10 war Bent11 geworden. Wie heisst das, was ich habe?, fragte Bent 11. Kohldampf!, gab ich zurück. Nee, ich meine das Asberg-Ding! Asperger-Syndrom, mit p. Seit wann? Schon immer. Aha! Und schon tippte er wieder drauf los“ (Klappentext).

Damit zeichnet das Buch ein anderes Bild, als jenes Bild, das oft in den Medien gezeichnet wird, das Bild eines Freaks bzw. Nerds. Das Buch vermittelt es einfach wie es ist: Bent ist so wie er ist in Ordnung!

Man erfährt viel über Bent und den Bedingungen unter denen er lebt: Bent mag auf seine Mitmenschen oft sonderbar wirken, wie ein Außenseiter oder Eigenbrötler, der die Welt mit seinen eigenen Augen sieht und sich in ihr auf seine Art zurechtfinden möchte, wer sich unvoreingenommen öffnen kann, sieht einen Jungen, der intelligent ist und gut logisch denken kann und mit seiner pragmatischen Art letztendlich zum Happy End der Geschichte beiträgt.

Man erfährt einiges über Bents Schwierigkeiten z.B. wenn es darum geht, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Er zeigt Interesse am Gegenüber, kann aber nicht ermitteln, wann es dem Anderen nicht gut geht und es fällt ihm dann auch nicht ein, was er tun soll oder was der Andere von ihm erwartet. Doch sein Bruder Sören weiß Bescheid und baut ihm Brücken, indem er ihm klare Ansagen gibt, was von außen manchmal befremdlich empfunden werden könnte, weil man davon ausgeht, dass Bent die nonverbalen Signale des anderen doch lesen können müsste.

Bent mag es, wenn alles seinen gewohnten Verlauf nimmt und Rituale geben ihm Sicherheit. Wenn es nach ihm ginge würde jeder Tag wie der andere verlaufen, es würde jeden Tag um die gleiche Uhrzeit das Gleiche zu essen geben, er könnte immer die gleichen Sachen anziehen. Er mag eben Dinge, die berechenbar sind, er mag Dinge, die sich zählen, wiegen oder messen lassen, er mag Dinge, die für ihn logisch sind. Dieser Wunsch nach Gleichförmigkeit spiegelt sich in der Geschichte um Bent und lädt zum Nachdenken ein: ist das wirklich ein autismus-typischer Wunsch oder nicht eigentlich ein ganz universeller Wunsch nach Gleichförmigkeit, weil sie Sicherheit gibt und es einfach macht, weil man sich nicht immer wieder neu entscheiden muss?

Interessant fand ich, dass der Autor die Geschichte in Dänemark ansiedelt. Durch diesen Ortswechsel wird schnell klar, dass es Sören im Urlaub im Ausland wie Bent im Alltag zuhause geht. Oft ergeben sich Situation, in denen man nicht versteht bzw. nicht verstanden wird. Durch solche Szenen wird eindrucksvoll dargestellt, dass es Übersetzungshilfen braucht, um zurecht zu kommen. Gelingt die Verständigung nicht, kommt es unweigerlich zu Missverständnissen, wiederum ein Umstand, den Bent tagtäglich erlebt, weil er seine eigene Sprache spricht und seine eigene Logik hat, die auf den ersten Blick unverständlich wirkt. Die Szenen zeigen aber auch sehr schön, dass auch Sören sich unklar ausdrückt, Methapern benutzt oder Sätze unvollendet lässt, ein Sprachgebrauch, der neurotypischen Menschen nicht unbedingt auffällt, weil sie davon ausgehen, dass das Gegenüber den Kontext mitdenkt und im Zweifelsfall das Unausgesprochene gedanklich ergänzt. An diesen Stellen wurde sehr gut herausgearbeitet, dass die Sprachbarrieren in der Geschichte also nicht einzig bei Bent zu verorten sind, sondern das auch Sören dazu beiträgt, dass Missverständnisse entstehen.

Das Buch transportiert eindrücklich, dass es kein Defizit ist unter den Bedingungen des Asperger – Syndroms zu leben. Es beschreibt den Alltag, so wie er ist, sowohl für Sören als auch für Bent. Über die Wortschöpfungen und den Wortwitz von Bent habe ich oft geschmunzelt, denn sie sind treffend. Ich finde sogar, dass seine Begriffe oftmals viel besser zu verstehen sind als herkömmliche Bezeichnungen. An diesen Stellen hat sich bei mir wieder diese Faszination und dies Gefühl einer magischen Anziehungskraft eingestellt, der ich mich nicht entziehen kann. Zum Beispiel der Begriff „Musikmaschine“ für einen MP3 Player, „Mobilquatsche“ für ein Smartphone oder das „Dänenland“ für Dänemark, um nur einige zu nennen.

Kennzeichen des Romans ist eine wirkungsvolle Authentizität wie sie wahrscheinlich nur einem Autor gelingen, der selbst unter den Bedingungen des Asperger – Syndrom lebt. Rolf Piotrowski schreibt auf seiner Website: „Diese Tatsache ermöglicht es mir beim Schreiben, zwischen Bent und seinem 18jährigen Bruder Sören hin- und her zu schalten. Als Bent agiere ich als ich selbst, so wie ich in Bents Alter war. Als Sören übernehme ich die Rolle eines älteren Bruders, wie ich ihn mir gewünscht habe und der so mit mir umgegangen wäre, wie Sören es mit Bent praktiziert. Insofern ist das Verfassen der Bent-Romane für mich eine oft emotionale Gratwanderung. Die damit verbundene Konfrontation mit meiner eigenen Biografie ist immer wieder aufschlussreich.“ (Quelle: www.rolf-piotrowski.net, Zugriff 20.08.2017, 12.00 Uhr). Das hier vorgelegte Buch ist die in sich abgeschlossene Fortsetzung von „Bent10“, deren überarbeitete Neuauflage 2018 ebenfalls im Kirja-Verlag, Schweiz als 7. Eigenproduktion erscheinen wird – ich bin gespannt!

Rolf Piotrowski ist neben dem Schreiben Heilpraktiker für Psychotherapie, ein Kollege sozusagen, dem es mit dem hier vorgelegten Buch gelungen ist, ein positives, gleichwohl heilsames Bild zu zeichnen, ohne zu stigmatisieren. Er zeigt auf, wie es gelingen kann, wenn unterschiedliche Welten aufeinandertreffen, sich berühren, einfach so wie es ist. Die Freude der beiden Jungen überträgt sich auf den Lesenden und macht Spaß, viele Momente sind einfach lustig und ließen mich oft schmunzeln. Der Autor stellt mit dem Roman Bent 11 einen gelungenen Gegenentwurf zu den oftmals einseitigen defizitorientierten Sichtweisen auf das Erscheinungsbild Autismus dar. Mehr davon! So wie das Lesen der Dummheit schadet, schaden solche Bücher Vorurteilen!

Fazit

Der neunzehnjährige Sören und sein elfjähriger Bruder Benedict, genannt Bent, verbringen eine Urlaubswoche im elterlichen Ferienhaus im Küstenort Broager/Dänemark. Ohne Eltern. Benedict verlässt zunehmend seinen eigenen Kosmos und die Brüder finden immer mehr zusammen. Es wird eine mitunter turbulente Woche in Broager, während der die Brüder ein Menschenleben retten. Vermutlich sogar zwei (Klappentext). In der Geschichte der beiden Brüder werden zwei Varianten des Menschseins beschreiben, die sog. neurotypische Variante Mensch Sören und die Asperger Variante Mensch Bent. Sie unterscheiden sich und sie sind sich gleich. Wer sich auf diese Gleichzeitigkeit einlassen kann, erlebt eine Magie, der man sich nicht verschließen kann. Das Buch ist für Leser von 10-99 Jahren geeignet, zum Selberlesen, aber auch zum Vorlesen. Es ist hochwertig verarbeitet und liegt sehr gut in der Hand. Es kostet unter 20€, das ist ein ausgesprochen gutes Preis-Leistungsverhältnis. Das Buch ist Fachbuch und Unterhaltungsroman zugleich, die Anschaffung lohnt sich!

Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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ISSN 2190-9245