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Anna Fangmeyer, Johanna Mierendorff (Hrsg.): Kindheit und Erwachsenheit in sozial­wissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung

Rezensiert von Prof. Dr. Tanja Mühling, 18.04.2018

Cover Anna Fangmeyer, Johanna Mierendorff (Hrsg.): Kindheit und Erwachsenheit in sozial­wissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung ISBN 978-3-7799-1559-1

Anna Fangmeyer, Johanna Mierendorff (Hrsg.): Kindheit und Erwachsenheit in sozialwissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2017. 200 Seiten. ISBN 978-3-7799-1559-1. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,10 sFr.

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Thema

Der Sammelband geht vom aktuellen Stand der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung aus und rückt die Differenzkonstruktion Erwachsenheit in den Fokus. Aus verschiedenen soziologischen und pädagogischen Perspektiven werden die relationalen Kategorien Kindheit/Kinder und Erwachsenheit/Erwachsene untersucht und ihre Verbundenheit kritisch reflektiert.

Herausgeberinnen

Johanna Mierendorff arbeitet als Professorin für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Pädagogik der frühen Kindheit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Anna Fangmeyer ist Diplom-Pädagogin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Sozialpädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig.

Entstehungshintergrund

Der Sammelband basiert auf Beiträgen, die im Jahr 2015 anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Sektion Soziologie der Kindheit in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) bei der Jubiläumstagung in Halle an der Saale vorgestellt wurden.

Aufbau und Inhalt

Anna Fangmeyer und Johanna Mierendorff weisen in ihrer Einleitung auf das vielfach reflektierte methodologische Problem hin, dass in der Kindheitsforschung Erwachsene einen Gegenstand untersuchen, der ihnen „konstitutiv – d.h. gerade auch durch seine Erforschung – fremd ist und bleibt“ (S. 11). Annahmen über das Erwachsensein im Sinne eines Nicht-mehr-Kindseins werden in der Kindheitsforschung seit jeher implizit als Unterscheidungsfolie mitgeführt, jedoch nicht umfassend ausgeführt. Vor diesem Hintergrund war es Ausgangspunkt der Buchkonzeption, diesmal explizit das Verhältnis von Kindheit und Erwachsenheit in den Fokus zu stellen und damit eine problematisierende differenztheoretische Perspektive einzunehmen.

Der Sammelband umfasst die folgenden zehn Beiträge:

  1. Das Kind als (Menschen-)Rechtssubjekt. Zur Form der Kinderrechte (Teresa Behrends)
  2. Emotionen als Kompetenz. Über das Regieren der kindlichen (und erwachsenen) Seele in der Spätmoderne (Christoph T. Burmeister)
  3. Kindheitskonstrukteure auf frischer Tat ertappen? Ein kindheitssoziologischer Selbstversuch (Torsten Eckermann)
  4. Die „neue“ Neue Sozialwissenschaftliche Kindheitsforschung. Relationale Zugänge als Paradigmenwechsel? (Florian Eßer)
  5. „… bei uns gibt es erst einmal keine andere Differenz außer Erwachsene und Kinder.“ Zu den Möglichkeitsbedingungen einer Aussage in und durch die Gemeinschaft Neue soziologische Kindheitsforschung (Anna Fangmeyer)
  6. Das Leben der Anderen. Erwachsenheit und soziologische Kindheitsforschung (Heinz Hengst)
  7. Weder Reifizierung noch Negierung der Differenz Kinder – Erwachsene. Über ethnographische Gratwanderungen und ihre methodologische Reflexion (Helga Kelle und Anna Schweda-Möller)
  8. Gegenstandstheoretische Überlegungen zu einer Verbindung von Kindheitsforschung und der Akteur-Netzwerk-Theorie Bruno Latours (Markus Kluge)
  9. Die andere Seite der Unterscheidung. Versuch einer empirischen Revision der Erwachsenen/Kind-Differenz (Sascha Neumann)
  10. Schrift und generationales Ordnen. Ein Beitrag zur Ethnografie grafischer Praktiken (Oliver Schnoor und Claudia Seele).

Die aufgelisteten Beiträge setzen sich mit unterschiedlichen Fragestellungen auseinander und wählen hierfür verschiedene Forschungs- und Theoriezugänge. Die theoretischen Ansätze reichen von Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (Markus Kluge) über Foucaults Konzept der Genealogie (Christoph T. Burmeister) bis hin zu doing difference-Ansätzen (Torsten Eckermann; Helga Kelle und Anna Schweda-Möller).

Mehrere Autorinnen und Autoren greifen auch auf Beispiele aus ihrer qualitativen empirischen Forschung zurück: So zeigt Torsten Eckermann anhand einer kurzen Beobachtungssequenz aus einer Stadtteilbegehung mit Kindern auf, welche Chancen durch ein „doing difference“ in der Forschungspraxis entstehen.

Helga Kelle und Anna Schweda-Möller verdeutlichen durch empirische Sequenzen aus eignungsdiagnostischen Überprüfungen im Rahmen eines Einschulungsverfahrens, dass es erhellend ist, sich von der binären Zuordnung Kinder – Erwachsene zu lösen und dadurch „die Vielfalt der situierten Rahmungen und Interdependenzen zwischen und innerhalb von Kategorien angemessen analytisch“ (S. 135) erschließen zu können.

Auch Sascha Neumann spricht sich für eine empirische Revision der Erwachsenen/Kind-Unterscheidung aus und belegt dies am Beispiel von ethnographischen Sequenzen aus einem frühpädagogischen Forschungsprojekt.

Oliver Schnoor und Claudia Seele ergänzen ihre Reflexionen über das generationing mittels Schreib- und Schriftpraktiken durch eine Gegenüberstellung von klassischen ethnologischen Situationsberichten und zeitgenössischen Beobachtungsprotokollen aus frühpädagogischen Settings.

Diskussion und Fazit

Dem Band „Kindheit und Erwachsenheit in sozialwissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung“ gelingt es, den aktuellen Forschungsstand der Neuen sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung differenziert und kritisch zu reflektieren und wertvolle Anregungen für die Weiterentwicklung zu geben. Die Beiträge sind theoretisch gut fundiert und berücksichtigen sowohl den internationalen Diskurs im Theorie- und Forschungsfeld der „new social studies of childhood“ als auch Ansätze und Konzeptionalisierungen aus angrenzenden wissenschaftlichen Feldern (wie der Ungleichheits- oder der Genderforschung). Die Zielsetzung, die Erwachsenheit als Kategorie bzw. Konstrukt stärker explizit zu berücksichtigen und die Potenziale dieser Vorgehensweise für die Kindheitsforschung auszuloten, wird aus Sicht der Rezensentin erfüllt.

Das Lesen des Bandes ist aufgrund der Vielfalt der genutzten theoretischen Zugänge anspruchsvoll, abwechslungsreich und inspirierend. Anhand von exemplarischen ethnographischen Sequenzen wird insbesondere deutlich, dass die stärkere Berücksichtigung der Erwachsenheit für die qualitative Kindheitsforschung fruchtbringend sein kann.

Vor diesem Hintergrund ist das Lesen dieses Sammelbands allen zu empfehlen, die sich fundiert und kritisch mit der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung auseinandersetzen möchten.

Rezension von
Prof. Dr. Tanja Mühling
Professorin für angewandte Sozialwissenschaften, Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS)
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Es gibt 1 Rezension von Tanja Mühling.

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ISSN 2190-9245