Gerd Macke, Ulrike Hanke et al.: Kompetenzorientierte Hochschuldidaktik
Rezensiert von Dr. Julia Weitzel, 02.11.2017

Gerd Macke, Ulrike Hanke, Pauline Viehmann, Wulf Raether: Kompetenzorientierte Hochschuldidaktik. Lehren – vortragen – prüfen – beraten : mit überarbeiteter Methodensammlung "Besser lehren", auch als Download. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2016. 3., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. 319 Seiten. ISBN 978-3-407-25764-2.
Entstehungshintergrund und Autorenschaft
Das Lehrbuch erscheint inzwischen in dritter Auflage (1. Auflage 2008) und ist von einem Kompetenzteam aus Erziehungswissenschaftler_innen und Hochschuldidaktiker_innen verfasst. In die Veröffentlichung fließen auch die Erfahrung aus der Entwicklung überregionaler hochschuldidaktischer Weiterbildungsangebote und eine in diesem Kontext entstandene Methodensammlung ein.
Aufbau und Konzept
Das Buch gliedert sich in drei Hauptteile mit jeweils umfangreichen Unterpunkten.
- Im ersten Teil werden die Grundlagen kompetenzorientierten Lehrens über eine Annäherung an das Konstrukt Handeln vorgestellt.
- Der zweite Teil widmet sich dem didaktischen Handeln mit den Dimensionen Lehren, Vortragen, Prüfen und Beraten. Zu jeder Dimension gibt einen Leitfaden mit konkreten Empfehlungen.
- Im dritten Teil sind in Form eines Kompendiums über 50 Methoden für die Hochschullehre zusammengestellt.
Jedes Kapitel des Grundlagenteils schließt mit einer Coachingbox, also Fragen, die zu Reflexion und Transfer, letztlich also zu Handlung, anregen sollen.
Diskussion
Allgemein
„Individuell handeln“, „gemeinsam handeln“, „didaktisch handeln“, „kompetenzorientiert didaktisch handeln“ – so baut sich der Grundlagenteil Schritt für Schritt auf und nimmt dadurch auch fachfremde Leser_innen gut mit. Für die Erörterungen wird auf umfangreiche Literatur zurückgegriffen (leider im Text selbst eher selten direkt ausgewiesen), viele einschlägigen Veröffentlichungen aus der Schulforschung finden sich im Literaturverzeichnis (z.B. Gudjons: Handlungsorientiert lehren und lernen; Weinert: Leistungsmessung in der Schule; Wellenreuther: Lehren und Lernen – aber wie? Empirisch-experimentelle Forschung zum Lehren und Lernen im Unterricht). Der nächste logische Schritt im Aufbau wäre „kompetenzorientiert hochschuldidaktisch handeln“, zumindest dann, wenn Hochschuldidaktik als eigenständiges Forschungs- und Betätigungsfeld angesehen wird. Dieser Dreh von der Allgemeinen (Schul-)Didaktik hin zur Hochschuldidaktik könnte expliziter und ausführlicher dargelegt werden: Was muss für Lehre an Hochschulen – auch bereits in der Theorielegung – besonders bedacht werden? Auf praktischer Ebene werden entsprechende Besonderheiten im akademischen Feld aufgegriffen, zum Beispiel durch die Reflexion spezifischer Beratungsbedarfe und -herausforderungen.
Grundlagen
Handeln ist in dem vorliegenden kompetenzorientierten Zugang zur Hochschuldidaktik der zentrale Schüsselbegriff. Handeln wird dabei v.a. durch seine Intentionalität charakterisiert (S. 25) und aufgrund begrifflicher Vielschichtigkeit mit einem Eisbergmodell vorgestellt (Abb. 2). Offen bleibt dabei, welche Bedeutung Habitus (im „Eisberg Handeln“ mit aufgenommenen) zugeschrieben wird. Dieses Phänomen kennzeichnet sich ja gerade dadurch nicht vollständig bewusst, aber durchaus handlungsleitend zu sein.
Wissen wird als individuell verstandene und kommunikativ validierte Information im Anschluss an den Philosophen und Physiker C. F. von Weizäcker eingeführt (S. 30ff). Mit dieser Wissensdefinition wird auch die Relevanz interaktiver Lernformen (Wissen erklären können) betont. Nah liegende Theoreme und Modelle wie beispielsweise konstruktivistische Didaktik oder transformative Bildungsbegriffe spielen bei dieser lerntheoretischen sowie didaktischen Grundlegung zwar keine Rolle. Die Argumentation erweist sich aber als schlüssig, – die Argumentationsstränge und Begrifflichkeiten bauen zunehmend aufeinander auf und bilden ein immer dichter werdendes Netz –, sodass sich dieser etwas kleinschrittig anmutende Erörterung insgesamt lohnt zu folgen.
Verständigung über diejenigen Aspekte des Eisberg Handelns, die nicht sichtbar sind („Wir müssen über uns Ankunft geben, aussprechen, was uns als Handelnde antreibt und bewegt, wie wir uns, die anderen und die gemeinsame Situation erleben die subjektive Basis unseres Handelns und unsere subjektive Sicht – zumindest ein Stück weit – verständlich machen und zu Geltung bringen, Widerspruch einlegen, wenn wir etwas anders sehen. Kurzum: Wir müssen uns als Subjekt einbringen (.).“, S. 47), wird von der Autorenschaft als produktive Grundlage für gemeinsames Alltagshandeln, miteinander reden und miteinander tätig sein, erachtet. Um zu antizipierenden (Verständigungs-)Problemen begegnen zu können, werden Grundlagen der Kommunikationspsychologie, namentlich das Nachrichtenquadrat nach Schulz von Thun, aufgegriffen und partiell weiterentwickelt. Dies ist stringent abgeleitet, im Ergebnis etwas normativ (es werden konkrete Botschaften formuliert, die „die Beteiligten sich durch ihr Handeln, ihre Körpersprache und ihr explizites Sprechen wechselseitig übermitteln sollten, damit sie über ihr individuelles Verstehen intersubjektive Verständigung erzielen und so die Grundlagen für gemeinsames Handeln legen“, S. 54), in der Darstellung jedoch eine sehr gelungene Form der komprimierten und leicht verständlichen Zusammenfassung, die im Lehrbuch wiederholt genutzt wird (siehe z.B. Abb. 18 ff.).
„Lernende müssen bereit sein, die von ihnen erwarteten Veränderungen zu ihren eigenen Handlungszielen zu machen. Didaktisches Handeln als auf Veränderung der handelnden Subjekte zielendes gemeinsames Handeln erweist sich deshalb nicht nur als höchst komplex, sondern auch in seinem Ausgang als offen, weil die Lernenden als Subjekte ihres Handelns mit dem angebotenen Fachwissen autonom und höchst subjektiv umgehen müssen und auch werden.“ (S. 58). Aus dieser partiellen Fremdbestimmung leiten die Autoren_innen auch das Erfordernis ab, didaktisches Handeln zu begründen, transparent und nachvollziehbar zu machen. Dass Transparenz hinsichtlich Leistungsanforderungen und Bewertungskriterien zur Motivation der Studierenden beiträgt, lässt sich in der Lehrpraxis gut beobachten. Dass das Herstellen von Transparenz aber auch als verantwortungsvoller Umgang mit dem Aspekt der Fremdbestimmung angesehen werden kann, ist eine sinnvolle Perspektiverweiterung.
Die Autoren_innen zielen auf einer Erweiterung des Kompetenzbegriffs u.a. nach Weinert, nach dem Kompetenzen „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernten kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten (sind), um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, S. 27f, zit. nach Macke et al 2016, S. 67). Hierfür fokussieren sie neben dem Handelnkönnen auch das Dürfen (Darf ich handeln? Frage nach Zuständigkeiten und rechtlichen Rahmenbedingungen) und Wollen (Will ich handeln? Frage nach Motivationen und Wertvorstellungen) sowie das Sollen/Müssen (Soll/muss ich handeln? Frage nach gesellschaftlichen Normen und Verpflichtungen), um zweckfreie Bildung und zweckgebundene Ausbildung besser auszubalancieren und nicht nur künftige, sondern auch gegenwärtige Anforderungen einzubeziehen. Dieses Verständnis klingt je nach Lesart bereits bei Weinert an, der von Verantwortung und diversen Bereitschaften spricht.
Lehrpraxis
Die Autoren_innen beginnen bei der Frage, wie sich kompetenzorientierte Lehre konkret umsetzen lässt, nicht erst bei Planungsfragen oder der Ausgestaltung von Prüfungen, sondern setzen weitaus früher etwa bei der Klärung des Selbstverständnisses des Lehrenden und der Gestaltung einer förderlichen Arbeitskultur an. Diese umfängliche Perspektive auf Einflussgrößen didaktischen Handelns ist sehr positiv und sachdienlich. Bei den zentralen, enggefassten Bereichen kompetenzorientierten Lehrens – also der kompetenzorientierten Veranstaltungsplanung mit Lernzielformulierung sowie der Formulierung von nach Kompetenzstufen differenzierten Prüfungsfragen und deren Bewertung – sind die Ausführungen hingegen recht voraussetzungsvoll und teilweise eingeschränkt umsetzbar, wie die Autoren_innen selbst einräumen („Ohne einen Bezug zu einer Konzeption, die eine geeignete Begrifflichkeit bereitstellt und die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen internen Handlungsvoraussetzungen und den beobachtbaren Anteilen des Handelns klärt, sind Kompetenzfacetten kaum angemessen zu formulieren.“, S. 90). Eine gute praktische Unterstützung für eine selbstgesteuerte Anwendung sind z.B. die exemplarischen Prüfungsfragen (Abb. 50), bei den nach Kompetenzstufen und -facetten unterschieden wird.
Methoden
Sehr gelungen und für viele Lehrende sicher allein schon ein Gewinn der Lektüre ist die Methodensammlung (Kap. 3). Die Sammlung ist sehr übersichtlich aufgebaut, besonders gelungen sind dabei die Verweise auf methodische Alternativen und Vorschläge für Methodenkombination. Hilfreich wären teilweise exemplarische Aufgabenstellungen für die Methodenanwendung, wobei dies den Rahmen dieser Veröffentlichung sicher gesprengt hätte. Insgesamt ist diese Sammlung auch sehr gut eingebettet in die didaktischen Ausführungen im Leitfadenteil (Kap. 2), beispielsweise wenn konkrete Fragen zur eigenen Methodenreflexion im Planungskapitel vorgeschlagen werden (S. 114 ff.).
Layout und Sonstiges
Das Layout der Veröffentlichung ist übersichtlich, Abbildungen und Tabellen sind für das Leseverständnis sehr förderlich. Etwas weniger übersichtlich ist die Strukturierung des Inhaltsverzeichnisses mit teilweise sehr vielen Unterpunkten. Eine geschlechtergerechte Schreibweise wäre wünschenswert.
Fazit
Das Lehrbuch ist sehr umfangreich. Die Autoren_innen zielen sichtbar auf ein tieferes Verstehen einer auch fachfremden Leserschaft von handlungstheoretischen Prozessen bei der Aneignung von Wissen, beispielsweise wenn die Prozesse von der Information zum Wissen genau dargelegt werden oder intensiv die Metapher „Ball des Wissens“ eingeführt wird. Während der Grundlagenteil den Lesenden einiges an Geduld und Hingabe für die teilweise etwas kleinschrittigen Erläuterungen des Handlungskonstrukts abverlangen, erschließen sich die anwendungsorientierten Kapitel, die Leitfäden (Teil II) und die Methodensammlung (Teil III), unmittelbar. Allein diese machen die Lektüre bereits sehr lohnend.
Rezension von
Dr. Julia Weitzel
Erziehungswissenschaftlerin, DGfC-Coach, Hochschuldidaktikerin (dghd)
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