Sebastian Barsch, Nina Glutsch et al. (Hrsg.): Diversity in der LehrerInnenbildung
Rezensiert von Prof. Dr. Wilhelm Schwendemann, 02.04.2019
Sebastian Barsch, Nina Glutsch, Mona Massumi (Hrsg.): Diversity in der LehrerInnenbildung. Internationale Dimensionen der Vielfalt in Forschung und Praxis.
Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2017.
344 Seiten.
ISBN 978-3-8309-3444-8.
D: 29,90 EUR,
A: 30,80 EUR.
LehrerInnenbildung gestalten, Band 9.
Entstehungshintergrund und Thema
Vom 17. bis 18. September 2015 fand an der Universität zu Köln eine Fachtagung zum Thema des Buches statt („Blickwechsel / Diversity“), die vom Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln organisiert war; die Dimensionen sozialer und kultureller Diversität sollten in einem intersektionalen Ansatz zusammengebracht werden. Das Resultat dieser Bemühungen liegt nun mit diesem Tagungsband vor. Die Universität zu Köln hat in den letzten Jahren vielfach im Bereich Diversity geforscht (Codis, GSSC, Ceres, SINTER heißen die entsprechenden Forschungsprogramme und -projekte). Der vorliegende Band erweitert diese Studien um internationale, theoretische Dimensionen der Schulforschung und Lehrer*innenbildungstheorie (S. 9f).
Herausgebende
- Dr. Sebastian Barsch ist Professor für Didaktik der Geschichte an der Universität Kiel; davor stellvertretender Geschäftsführer des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln.
- Nina Glutsch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt PlanvoLL-D an der Universität zu Köln.
- Mona Massumi ist abgeordnete Lehrerin (Lehrerin für Deutsch und Deutsch als Fremdsprache, Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaften) am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln und leitet das Projekt „Prompt! Deutsch lernen“.
Aufbau
Das Buch gliedert sich nach einem Vorwort von Manuela Günter und einer Einleitung von Sebastian Barsch; Nina Glutsch & Mona Massumi wie folgt:
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Teil I: Schule gestalten heißt mit Vielfalt arbeiten: Theoretische Grundlagen
- Alfred Holzbrecher: Pädagogische Professionalität in der diversitätsbewussten Schule entwickeln (S. 17-33)
- Jürgen Budde: Professionalisierung und Differenzkonstruktionen im Lehramtsstudium durch begleitete Praktika. Möglichkeiten – Notwendigkeiten – Grenzen (S. 34-50)
- Mona Massumi & Karim Fereidooni: Die rassismuskritische Professionalisierung von (angehenden) Lehrkräften – Die Notwendigkeit einer Kompetenzerweiterung (S. 51-76)
- Sebastian Barsch: Vielfalt reflektiert wahrnehmen (S. 77-83) Teil II: Dimensionen der Vielfalt in Forschung und Praxis: Inklusion
- Stefanie Morgenroth & Michael Grosche: Inklusion durch interdisziplinäre Kooperation. Erweiterung des Modells „response-to-intervention“ um Aspekte von Ko-Konstruktion und Co-Teaching (S. 87-107)
- Meike Kricke: Finnlands „Schule für alle“- Eine inklusive Lernumgebung? Das finnische Schulsystem unter einer inklusiven Lupe (S. 10-120)
- Miili Mero & Matti Meri: Inklusive Schule – Einblicke in das finnische Bildungssystem und seine Lehramtsausbildung. Ein Bericht (S. 121-129)
- Svenja Jaster: Inklusion: Querschnittsthema am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln (S. 130-145) Teil III: Dimensionen der Vielfalt in Forschung und Praxis: Migration
- Tim Wolfgarten & Hans-Joachim Roth mit Sandra Aßmann: Migration in den Neuen Medien – Bildgeschichten und Bildungsprozesse. Ein Lehrforschungsprojekt der Universität zu Köln (S. 149-161)
- Marwah Reza-Jakubi & Faik Korkmaz: Potenziale von Bildungsangeboten für Geflüchtete in der LehrerInnenbildung am Beispiel von „PROMPT! Deutsch lernen“ (S. 162-174)
- Sonja Bischoff & Doris Edelmann: „Ich habe zwar den Schweizerpass, bin aber türkisch, und dann kommt halt diese Religionsfrage…“ Einblicke in das qualitative Forschungsprojekt „DIVAL_transition zur beruflichen Einmündung von Lehramtsstudierenden in der Migrationsgesellschaft“ (S. 175-188)
- Carlos Barrasa: Studierendennetzwerke als Vehikel der Professionalisierung im Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität in der universitären LehrerInnenbildung (S. 189-202)
- Marie Charlotte Boegen; Johannes Häffner & Miguel Salgado: MICADOS – das Netzwerk zur interkulturellen Öffnung des Lehramts (S. 203-215)
- Yasemin Karakaşoğlu; Mona Massumi & Sabine Jacobsen: Interkulturelle Öffnung im Spiegel von Schulkultur. Überlegungen aus einem Theorie-Praxis-Dialog (S. 217-236) Teil IV: Dimensionen und Vielfalt in Forschung und Praxis: Mehrsprachigkeit
- Jan Springob & Christiane Bongartz: Every Student Succeeds? Going to school in the USA & Germany. Individuelle Förderung an der Waddell Language Academy in Charlotte, USA & dem Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim, Deutschland (S. 239-254)
- Bernd Nuss & Ynez Olshausen: Meeting the Needs of All Students in a Language Immersion Environment. Challenges and Practice (S. 255-272)
- Julia Egbers & Dieudonné Quédraogo: Mehrsprachigkeit im internationalen Vergleich. Zum Umgang mit Heterogenität in Deutschland und Burkina Faso (S. 273-288) Teil V: Zukunft Vielfalt: Neue Themen, neue Dimensionen, neue Praktiken
- Miriam Yildiz & Raphael Bak: Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt – k(ein) Thema in Schule und LehrerInnenausbildung? (S. 291-307)
- Mary Kalantzis & Bill Cope: New Media and Productive Diversity in Learning (S. 308-323)
- Nina Glutsch: Internationalisierung in der LehrerInnenbildung – Auslandsaufenthalte mit benefits? (S. 324-333)
- Jonathan Rothgenger: Ausblick – Ein Kommentar (S. 334-337)
Das Buch schließt mit Informationen zu den AutorInnen.
Inhalt
Ad Einleitung: Diversity als Handlungs- und Forschungsgegenstand fokussiert „die Vielfältigkeit des menschlichen Zusammenlebens, gesellschaftlicher Normen und Regeln und individueller Überzeugungen“ (S. 11) und soll dabei helfen, „individuelle Diskriminierung und Chancenungerechtigkeiten“ abzubauen, Mechanismen der Exklusion sollen zuerst wahrgenommen und dann auch aufgehoben werden. Die Ergebnisse der Tagung liegen mit diesem Band vor (S. 12).
Ad 1: Für die professionelle Lehrer*innenbildung sei die Spannung von Nähe und Distanz, so Alfred Holzbrecher, Teil der professionellen Identität und des professionellen Ethos (S. 17). Weiter sei die Orientierung am lernenden Subjekt und der Sach-/ Aufgabenorientierung der Lehrenden wichtig, was wiederum einen hohen Professionalisierungsgrad der Lehrenden voraussetze (S. 18). In der Schule existiere noch eine weitere Spannung zwischen Kulturrelativismus und Universalismus – in einer inklusiven diversitätssensiblen Schule gehe es im Kern um die Perspektive der Akteur*innen als Ausdruck der jeweiligen Professionalisierung (S. 18). Aber, wie immer komme es auf den Lehrenden an: „Die Lehrperson ist das wirkungsvollste Medium im Lehr-Lern-Prozess, möglicherweise bedeutsamer als ausgeklügelte didaktisch-methodische Arrangements.“ (S. 18) Aber es komme auch auf den Schüler / die Schülerin als lernendes Subjekt an, denn jeder Mensch habe eine Lerngeschichte und altersspezifische Entwicklungsaufgaben und Aufgaben der Selbstwirksamkeit bzw. Ausbildung von Resilienz (S. 19). Wichtig seien zudem auch formale Kontexte und die jeweiligen Peers (S. 19). Abstand sei auf jeden Fall von überkommenen, einfachen Kulturmodellen zu nehmen, die Grenzüberschreitungen zwischen sozialen Milieus nicht in den Blick nehmen und zudem ahistorisch sind (S. 21). Sinnvoller sei es, so Alfred Holzbrecher, von einem sozialen Gewebe zu sprechen (S. 21), was bedeutet, „dass Pädagogische Professionalität im differenzsensiblen Unterricht (im Original fett) im Kern eine differenzierende Reflexion unterschiedlicher Perspektiven bzw. ‚Lesarten‘ einer komplexen Situation beinhaltet. Ein Denken in Spannungsfeldern erfasst diese Komplexität, vor allem aber befreit es aus dem Käfig normativer Setzungen …“ (S. 22). Lehren müsse von der diversen Situation der Lernenden her entwickelt werden; verabschieden müsse man sich, so Holzbrecher, vom Paradigma der Belehrung und sich hin entwickeln zu einem Paradigma der Aneignung. Vier Haltungen seien deswegen wichtig und zu benennen: „1. die vielfältigen Lernvoraussetzungen, Lernzugänge und -wege der SchülerInnen bei entsprechend modellierten Lernaufgaben; 2. die didaktisch relevanten Differenzlinien und ihre ‚Dramatisierung‘ bzw. ‚Entdramatisierung‘; 3. die Wirkungen des eigenen Unterrichts bei einer Verknüpfung von instruktionsorientierten, individualisierenden und kooperativen Unterrichtsphasen; 4. neue Formen des Lehrens, der Lernstandsdiagnose, der Leistungsbeurteilung und des Feedbacks.“ (S. 23) Die jeweiligen Lernumgebungen differenzierend zu gestalten, erfordere beim Lehrenden sowohl eine diagnostische als auch didaktische Kompetenz (S. 23) und auch eine Kompetenz, Lernstände zu evaluieren (S. 24). Auf der Seite der Lernenden seien folgende Aspekte bedeutsam:
- Leistungsfähigkeit
- Motivation, Interesse, Lern- und Leistungsbereitschaft
- Vorwissen, Sprachkenntnisse, Lernvoraussetzungen
- Lernstil (S. 25)
- Lerntempo
- Lebenswelt und soziokulturelle Herkunft
- Zuwanderungsgeschichte und Sprachregister
Die These lautet daher: „Differenzsensibel unterrichten (kursiv im Original) beinhaltet also eine reflektierte, professionelle Planung im Horizont der Zielperspektive einer optimalen Lern- und Entwicklungsförderung der SchülerInnen.“ (S. 26) Letztlich gehe es um den „Habitus der Annäherung“, der ein spezifisches Verstehenskonzept beinhaltet (S. 31), was bedeutet, dass bei den verschiedenen Menschen in einer Lerngruppe Lebenswelten und Werte zunächst einmal verstanden werden müssen (S. 31), d.h. in Kontakt kommen mit dem Lernenden und ihn verstehen zu suchen (S. 31).
Ad 2: Jürgen Budde referiert die Chancen und Grenzen von Professionalisierung und Differenzkonstruktion in studienbegleitenden Praktika des Lehramtsstudiums (S. 34). Professionalisierung wird dabei als Aufbau eines Habitus und dessen kontinuierliche Transformation verstanden (S. 35). Gage und Berliner (1998) haben dieses Professionalisierungsmodell in fünf Schritten beschrieben, wobei der Prozesscharakter des Kompetenzaufbaus zu beachten ist. Der Autor nimmt in seinen Ausführungen Bezug auf die Habitustheorie nach Pierre Bourdieu (S. 36); in der Lehrer*innenausbildung habe man jedoch damit zu rechnen, dass Lehramtsstudierende einen in der eigenen Schullaufbahn erworbenen sekundären Habitus im Umgang mit Fremdheit bzw. Diversität mitbringen, der jedoch auf dem zu professionellen Habitus im Lehrberuf hinderlich sein dürfte (S. 37). Dieser sekundäre Habitus müsse, so Budde, in einen professionellen Habitus transformiert werden, was Aufgabe der Lehrer*innenbildung sei (S. 38), die immer wieder selbstreflexive Möglichkeiten bereithalten müsse (S. 47).
Ad 3: Mona Massumi und Karim Fereidooni fokussieren in ihrem Beitrag eine rassismuskritische Lehrer*innenbildung und damit auch den Aufbau interkultureller Kompetenz (S. 51), die jedoch in verschiedenen kultusministeriellen Erklärungen als zu unscharf charakterisiert werde (S. 53). Zudem suggeriere dieser Begriff („interkulturelle Kompetenz“) eine Haltung, die es Lehrenden erleichtere, mit heterogenen Lerngruppen auch umzugehen (S. 54). Als Problem wird formuliert: „Nicht allein die Differenzbeschreibung“, sondern die damit reproduzierten Dominanzverhältnisse, die „in Kategorien der Über- und Unterordnung gefaßt sind“ …, beinhalten die Gefahr, aufgrund einer „einseitigen und eindimensionalen Auffassung ohne Berücksichtigung der Machtunterschiede, bestimmte SchülerInnen(gruppen) zu problematisieren…“ (S. 55). Zu fordern sei also ein hohes Maß an Reflexivität in der Lehrer*innenbildung (S. 56), weil der Alltagsrassismus weitverbreitet ist (S. 59): „Individueller Rassismus wird von Einzelpersonen oder Personengruppen geäußert und durchgesetzt. Beispielsweise wenn weiße Deutsche Schwarze Deutsche und Deutsche of Color als ‚nichtdeutsch‘ konstruieren, beschimpfen, beleidigen oder die beiden letztgenannten Gruppen aufgrund ihrer sozial konstruierten Rasse Angst um ihre körperliche Unversehrtheit haben müssen.“ (S. 61) Defizite im deutschen Sprachgebrauch seien verbunden mit negativen „ethnisch-kulturellen Zuschreibungen“, so das Autor*inteam, die dazu führten, dass bestimmten Lernenden ein Förderschulbedarf angelastet wird (S. 63): „Erfahren Kinder ‚mit Migrationshintergrund‘, dass sie aufgrund migrationsbedingt-konstruierter Differenzen nicht als Individuen anerkannt werden, kann das maßgebliche Folgen für die Identitätsentwicklung nach sich ziehen.“ (S. 65) Theoretisch werde also das „Othering“-Problem bedeutsam. Rassismus sei ein Teil der Lebenswirklichkeit aller, „weil jede Person sozialisationsbedingt rassistisches Wissen besitzt.“ (S. 69)
Ad 4: Reflexionskompetenz sei eine Teilkompetenz der Lehrprofessionalität, so Sebastian Barsch (S. 77): „Reflexion kommt in diesem Kontext die Aufgabe zu, praxisrelevanten Fragestellungen mit einem theoretisch fundierten und empirisch abgesicherten Repertoire zu begegnen, um die eigenen Haltungen, aber auch das eigene methodische Tun in schulischen Praxisfeldern zu analysieren und zu bewerten. Reflexionskompetenz soll damit auch dazu dienen, das eigene professionelle Handeln auf den permanenten Wandel, dem das System Schule sowohl hinsichtlich der SchülerInnenschaft als auch der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen unterliegt, abzustimmen.“ (S. 77) Sebastian Barsch geht dann in seinem Artikel weiter der Frage nach, wie professionelle Einstellungen, vor allem in Bezug auf Diversity und Heterogenität entstehen und wie sie sich verändern ließen (S. 78). In einem Blended-Learning Kurs „Heterogenität“ (entwickelt von Sebastian Barsch und Jan Springob) werden Studierenden über Irritation durch Dissonanzen Instrumente an die Hand gegeben, um sich für Diversity zu sensibilisieren (S. 80) – die Settings dieses elektronischen Moduls sind so gewählt, dass in der virtuellen Situation tatsächliche Einstellungen zum Tragen kommen (S. 81).
Ad 5: Stefanie Morgenroth und Michael Grosche thematisieren in ihrem Beitrag die Dimensionen inklusiven Unterrichts; folgende Überlegungen sind hierbei wichtig:
- Inklusiver Unterricht sei präventiver und lernförderlicher Unterricht (S. 87).
- Inklusiver Unterricht sei als gemeinsamer Unterricht angelegt.
- Inklusiver Unterricht sei barrierefreier Unterricht.
Lehrkräfte müssten grundsätzlich von einer heterogenen Lerngruppe ausgehen, in der aber individuelle und soziale Bedürfnisse ihre Geltung haben. Für einen inklusiven Unterricht seien sowohl allgemeinpädagogische als auch sonderpädagogische Lehrkräfte notwendig (S. 89). Die Autorin und der Autor beschreiben im Folgenden dann das Modell „response – to – intervention“, das wesentlich von früherer Prävention ausgeht: „Frühzeitige Interventionen sollen späteren Lernschwierigkeiten vorbeugen.“ (S. 90) Wenig vorhandene gemeinsame Lernzeit diene der ko-konstruktiven Weiterentwicklung des inklusiven Unterrichts (S. 91), wobei hier die Kooperation im Vordergrund steht: „Kooperation ist gekennzeichnet durch den Bezug auf andere, auf gemeinsam zu erreichende Ziele bzw. Aufgaben, sie ist intentional, kommunikativ und bedarf des Vertrauens. Sie setzt eine gewisse Autonomie voraus und ist der Norm von Reziprozität verpflichtet.“ (S. 92; Spieß 2004, S. 199) Das Modell hat also zwei Brennpunkte: Co-Teaching und Ko-Konstruktion. Im Folgenden werden dann Ergebnisse eines 2015 an einer Grundschule durchgeführten Projekts vorgestellt (S. 97). Vorannahme ist die pädagogische Autonomie als Bedingung interdisziplinärer Ko-Konstruktion (S. 100).
Ad 6: Meike Kricke (S. 108) diskutiert in ihrem Beitrag die Vorzüge des finnischen Bildungssystems in Bezug auf Inklusion. Schlüsselbegriffe wie educational, equality, individually, lifelong learning, cooperation beziehen sich allesamt auf den finnischen Basic Educational Act von 1998, der das finnische Schulsystem insgesamt auf Inklusion ausgerichtet hat. Hierin sei die erste Intention, eine gute Schulbildung für alle Lernenden zu entwickeln (S. 109) und allen Lernenden gleichermaßen Chancen und Zugänge zur Bildung zu eröffnen, was gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll. Bildung, so die Autorin, werde in Finnland als „kulturelles Gut“ angesehen (S. 110): „Ein strukturell verankertes Fördersystem ermöglicht allen Lernenden unabhängig von sozialer und kultureller Herkunft, die Chance auf einen erfolgreichen Bildungsabschluss.“ (S. 110) Die Inklusionsdefinition von Tony Booth / Mel Ainscow (2011, S. 9) wird von der Autorin übernommen: „Inclusion is about increasing participation for all children and adults, supporting schools to become more responsive to the diversity of children's backgrounds, interests, experience, knowledge and skills.“ (S. 112, kursiv im Original) 2010 wurden 30 finnische Expert*innen befragt, wie sie die Inklusionsanstrengungen in Finnland wahrnehmen, wobei Inklusion als Gegenbegriff zur Integration verstanden wurde (S. 113). Wichtig waren für die Lehrkräfte die Arbeit in multiprofessionellen Teams und die Förderung basaler Schlüsselqualifikationen (S. 114); strukturell verankert ist ein mehrstufiges Förderprogramm (S. 115), das an die Bedürfnisse kontinuierlich angepasst werde. Die Autorin zielt in der Diskussion oben genannter Befragungsergebnisse auf die Änderung der Haltung der Akteur*innen in den Schulen (S. 117).
Ad 7: Auch dieser Beitrag von Miili Mero und Matti Meri fokussiert Inklusion im Bereich des finnischen Schulwesens mit folgender Zielsetzung für Schüler und Schülerinnen: „Auf ihrem Bildungsweg sollen sie Offenheit gegenüber Neuem sowie Respekt und Toleranz gegenüber ihren Mitmenschen entwickeln und zunehmend Verantwortung für ihr eigenes Lernen und ihre Rolle innerhalb der finnischen Gesellschaft übernehmen.“ (S. 121) Als Grundprinzip der Inklusion gilt, von den Lernenden auszugehen, was nichts anderes bedeutet, als mit Heterogenität in der Lerngruppe als Lehrender professionell umgehen zu lernen. Überforderung und Unterforderung seien gleichermaßen Skylla und Charybdis des Lernprozesses (S. 122), d.h. es komme in der Praxis darauf an, sensibel für die jeweilige Individualität der Lernenden zu werden: „Die SchülerInnen sollen darüber hinaus Selbstvertrauen entwickeln und durch die Grundhaltung, der sie in der Schule begegnen, selbst ein entsprechendes Sozialverhalten entwickeln, anderen mit der gleichen Achtung begegnen und eine heterogene Gemeinschaft annehmen.“ (S. 122) Um aber eine wirkliche inklusive Schule aufzubauen, bedürfe es grundsätzlicher Überlegungen zu Haltungen und Überzeugungen bei allen Mitgliedern einer Schulgemeinschaft (S. 123), d.h. sowohl Lehrende als auch Lernende seien aktive Subjekte bei der Gestaltung von Lern- und Unterrichtsprozessen (S. 123). Das Autor*inteam empfiehlt darüber hinaus auch Teamteaching (S. 125), um einzelnen Schülerinnen und Schülern intensive Förderung zukommen zu lassen (S. 126).
Ad 8: Svenja Jaster thematisiert Inklusion in der Lehramtsausbildung am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln (S. 130). Das universitäre Zentrum für die Lehramtsausbildung rezipiere dabei die Vorgaben der Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz für die „Schule der Vielfalt“ (S. 131) Das Inklusionsverständnis in der Hochschullehre basiere auf einem weiten Begriff von Inklusion, so die Autorin, der in ein gesellschaftliches Verständnis von Heterogenität und Diversität eingebunden ist (S. 132). In den Curricula sei Inklusion mit einer bestimmten Anzahl von zu erwerbenden ECTS verbunden, sodass Studierende angehalten sind, entsprechende Seminare zu besuchen und Themen der Inklusion zu bedenken (S. 135). In den begleitenden Schulpraktika würden bestimmte Inklusionsthemen vorgehalten (S. 136) – die Praxissemester würden begleitet und auch evaluiert (S. 138).
Ad 9: Kulturelle Vielfalt, Integration und Migration in Bildungsmedien sind die Schlüsselbegriffe dieses Aufsatzes von Tim Wolfgarten, Hans-Joachim Roth und Sandra Aßmann (S. 149). Nach Auffassung der Kultusministerkonferenz vermitteln Bildungsmedien nicht nur Inhalte, sondern auch Werte und Normen und sie thematisieren auch Aspekte der Anerkennung und Teilhabe (S. 149). Das Autorenteam untersuchte das Lehrforschungsprojekt „Migration in den Neuen Medien – Bildgeschichten und Bildungsprozesse“ (ab Oktober 2015). Migrationsnarrative und Zeugnisse transnationaler Mobilität (S. 151) wurden auf der Präsentationsplattform PREZI gesammelt und dort auch ausgewertet (S. 153). Aufschlussreich waren dann individuelle Erfahrungskontexte und die sich daraus ergebenden Ordnungsstrukturen. Die Teilnehmenden zeigten dabei Sinnstrukturen und Antworten auf richtig und falsch (S. 153) und erarbeiteten Text-Bild-Kombinationen in bestimmten Korpusfeldern. Die angewandten Methoden waren (a) Verdichtung mittels aktueller Nacherhebung von Onlinebeiträgen und (b) Verdichtung mittels zeitlicher Rückgriffe auf Erfahrungswissen (S. 156). Diversität sei so über ein Ensemble von Differenzdimensionen darstellbar, die Ungleichheit herstellen: Alter, Behinderung, Ethnisierung, Geschlecht, Heteronormativität, Migration, Religion, sexuelle Orientierung und soziale Herkunft (S. 157). Die sozialen Zuschreibungen und Festlegungen können dann reflektiert und möglicherweise in Richtung Chancengleichheit aufgelöst werden (S. 158).
Ad 10: Der Aufsatz von Marwah Reza-Jakuti und Faik Korkmaz beschäftigt sich mit Bildungsangeboten für Geflüchtete in der Lehrer*innenbildung am Beispiel des Sprachprojekts „Prompt! Deutsch lernen“. (S. 162). Als Problem wird aufgezeigt, dass viele Lehrkräfte auf den Zuzug von anderssprachigen Schülern und Schülerinnen nur unzulänglich vorbereitet seien, andererseits diese Schüler*innen aber ein Recht auf Bildung haben (S. 162). Das Bildungsangebot des Projekts wurde im Rahmen des Berufsfeldpraktikums für Lehramtsstudierende an der Universität zu Köln angeboten (S. 163). Ausgehend von Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention aus 2008 und Art. 3 GG wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen abgesteckt. Die Teilnehmenden des Projekts begannen 2016 in Zweierteams in Notunterkünften für Geflüchtete zu unterrichten (S. 165) und besuchten dann Vorbereitungsseminare mit den Schwerpunkten (S. 165):
- Selbst- und Rollenreflexion
- Situation von Geflüchteten in Deutschland
- Umgang mit belastenden Lebenssituationen
- Spracherwerb und -förderung
- Didaktisch-methodische Grundlagen und Transfer (S. 165)
Danach wurde unterrichtet und die Studierenden entwickelten ihr eigenes Unterrichtsmaterial, wobei aber versucht wurde, die verschiedenen Lernstände der Kinder zu berücksichtigen (S. 167). Eine weitere Bedingung für die Studierenden war, dass sie einen Termin zur Gruppen- und Rollenreflexion bei einer Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und mindestens einen Peer-Beratungstermin bei den studentischen Mitarbeitenden des Projekts wahrzunehmen hatten (S. 168). Am Ende des Projekts wurde eine schriftliche Praxisreflexion verfasst. Ergebnis des Projekts war u.a., dass Ressourcen und Lernpotenziale miteinander in Beziehung gebracht wurden, was für die Kompetenzentwicklung der zukünftigen Lehrkräfte von wesentlicher Bedeutung gewesen sein dürfte (S. 171): „Die im Zuge des interdisziplinären Vorbereitungsseminars beförderte Sensibilität, vor allem auf Grundlage einer rassismuskritischen Auseinandersetzung mit Blick auf den Sprachgebrauch, dürfte auch im Unterrichtsalltag präventiv dem Entstehen von stigmatisierender Zuschreibungen und Bildungsbenachteiligungen entgegenwirken.“ (S. 172) So konnten eingefahrene Denkschablonen unter rassismuskritischen Auseinandersetzungen reflektiert werden (S. 173).
Ad 11: Die Bildungssysteme können den Migrationsphänomenen nicht mehr ausweichen, wie die beiden Autorinnen, Sonja Bischoff und Doris Edelmann, in ihrem Artikel betonen (S. 175); für Schweizer Verhältnisse wird dann im Folgenden noch reflektiert, dass es zu wenig Lehrkräfte mit Migrationshintergrund gäbe (S. 176). Weiter wird das qualitativ-empirische Forschungsprojekt „DIVAL transition“ beschrieben, in dem ein Differenzmerkmal von den Teilnehmenden bewusst wahrgenommen und so erforscht werden konnte (S. 177). Das Projekt wurde nach der problemzentrierten Interviewmethode nach Andreas Witzel vom Institut Bildung und Gesellschaft der Pädagogischen Hochschule St. Gallen durchgeführt (S. 179) und auch ausgewertet. Die Forschungsfragen des Projekts lauteten: Inwiefern ist ein Migrationshintergrund von Studierenden der Pädagogischen Hochschule St. Gallen im Rahmen ihres Bewerbungsprozesses auf eine Stelle als Lehrkraft der öffentlichen Volksschule von Bedeutung (S. 179)? Welche migrationsbezogenen Selbst- und Fremdzuschreibungen werden von Bewerber*innen erfahren und wie wird die Fremdzuschreibung gedeutet (S. 180)? Die Fragen wurden an einem Fallbeispiel einer Studierenden türkischer Herkunft und muslimischen Glaubens diskutiert und auch beantwortet (S. 181). Nach zwei Interviews mit dieser Studierenden konnten folgende migrationsbezogenen Selbstzuschreibungen herausgearbeitet werden (S. 182):
- „Lehrperson mit hohen Kompetenzen im Umgang mit migrationsbezogener Diversität aufgrund eines eigenen Migrationshintergrundes,
- Städterin mit Migrationshintergrund, die eine Stelle in einer ‚multikulturellen‘, städtischen Schule sucht und
- Bewerberin, die von sich aus keine Angaben über ihre Konfession macht (nachfolgend als ‚konfessionelle Nicht-Thematisierung‘ bezeichnet).“ (S. 182)
Die Studentin machte ihre Religionszugehörigkeit von sich aus nicht zum Thema. Auf Nachfrage des Schulpräsidenten hatte sie sich dann doch zu ihrem muslimischen Glauben bekannt (S. 183). Während eines zweiten Bewerbungsgesprächs in einer Schulgemeinde wurde sie dann gefragt, ob sie auch mit ihren Lernenden Weihnachten feiere (S. 183). Als Fazit lässt sich festhalten: „Die von der Studentin bewusst getroffene Entscheidung zur ‚konfessionellen Nicht-Thematisierung‘ wurde in zwei Fällen durch Fremdzuschreibung von den am Bewerbungsprozess involvierten Akteurinnen und Akteuren übergangen.“ Die Zugehörigkeit zum Islam stellt also für die Studentin ein folgenreiches Differenzmerkmal dar (S. 184), was in der Fortbildung von Lehrkräften unbedingt thematisiert werden müsste (S. 185).
Ad 12: Carlos Barrasa untersucht in seinem Aufsatz die Wirkung von Studierendennetzwerken an verschiedenen Universitäten in Nordrhein-Westfalen (TU in Dortmund, Universität zu Köln, Universität Paderborn) in Bezug auf die Lehramtsausbildung, die sich kultursensibel weiterentwickeln sollte. Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte machten an verschiedenen Universitätsstandorten Angebote, was aber zeigte, dass diese Lehrer*innengruppe in der Schule bislang eine eher untergeordnete Rolle spiele (S. 190). Das Problem, das sich dabei stellt, sei Folgendes: „Eine immer heterogenere SchülerInnenschaft, die als Spiegelbild der zunehmend globalisierten deutschen Gesellschaft fungierte, wurde von einem Kollegium unterrichtet, das nicht nur in seiner sozialen und ethnisch-kulturellen Ausprägung sehr homogen war, sondern auch sehr homogenisierend auftrat…“(S. 190). Die neu gegründeten Studierendennetzwerke sollen genau in diese Richtung sensibilisieren (S. 191). Im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ wurden diese Ansätze professionell weiterentwickelt, was aber auf alle schulischen Felder und Fächer ausgedehnt werden müsste (S. 193). Zudem müssten Lehrkräfte in der Fort- und Weiterbildung für die spezifischen Probleme einer Migrationsgesellschaft sensibilisiert werden: „Interkulturelle Kompetenz soll also nicht als die Fähigkeit, mit kulturell fremden Menschen erfolgreich umzugehen, verstanden werden, denn in der Migrationsgesellschaft wird dadurch das Fremdsein der ‚Anderen‘, die vor dem Hintergrund eines Wissens um ‚Andersheit zu behandeln sind‘“ … verstetigt. Vielmehr ist die „soziokulturelle Zugehörigkeit eines Individuums immer im Rahmen ihrer individuellen Einzigartigkeit zu erfassen.“ (S. 193) Interkultureller Kompetenzerwerb bei Lehrkräften müsse einerseits befähigen, mit unterschiedlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft umzugehen und andererseits praktisches Wissen auch anzuwenden (S. 196).
Ad 13: Marie Charlotte Boegen; Johannes Häffner und Miguel Salgado zeigen in ihrem Beitrag die Relevanz von Studierendennetzwerken an der Universität zu Köln am Beispiel von „MICADOS – Netzwerk zur interkulturellen Öffnung des Lehramtes“ auf (S. 203). Die theoretische Basis des Projekts ist Pierre Bourdieus Kapitaltheorie, die Zugehörigkeiten und Produktion sozialen Kapitals annimmt (S. 205). Dieses soziale Kapital äußere sich „in den Beziehungsstrukturen zwischen Personen, aus denen Vertrauen und gegenseitige Verpflichtungen entstehen, die zu Ressourcen führen, durch welche Interessen durchgesetzt und somit Ziele erreicht werden können …“ (S. 205). MICADOS bietet Mitgliedern Zugang zu Ressourcen und damit zu stärkerer Professionalisierung (S. 206). Die Studierenden sehen in MICADOS eine Chance, für Diversität und interkulturelle Bildung sensibilisiert zu werden (S. 208). Befähigt würden heutige Lehramtsstudierende auch, rassismuskritisches Bewusstsein zu entwickeln und zu integrieren (S. 209): „Die Mitglieder der MICADOS-Hochschulgruppe sehen in dem Netzwerk zu einen eine persönliche Bereicherung für ihr Studium. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass die Mitglieder die Schule als Institution verändern wollen. Die Motive Interkulturalität und Diversity würden als positive gesellschaftliche Werte wahrgenommen, welche gefördert werden sollen. Dabei scheinen sich die Mitglieder der Hochschulgruppe darüber bewusst zu sein, dass sie als zukünftige Lehrkräfte einen gesellschaftlichen Einfluss auf zukünftige Generationen haben werden …“ (S. 214).
Ad 14: Yasemin Karakaşoğlu; Mona Massumi und Sabine Jacobsen referieren die Bremer Plattform „Enkulturation, Migration und Bildung“ (EMiBi) (S. 216), das eine interkulturelle Öffnung von Schulen begleitet und somit eine inklusive Perspektive bei den beteiligten Personen anbietet (S. 217). Dabei sind vier Ebenen der interkulturellen Organisationsentwicklung zu beachten: strukturelle, inhaltliche, soziale und personale Ebene. Die vier Parameter schlüsseln sich wie folgt auf: „Inhaltlich: Entwicklung von bildungsübergreifenden Bildungsplänen, mit denen alle Lernenden auf das Leben in einer pluralen, demokratisch verfassten Gesellschaft vorbereitet werden. Dies gilt unter Berücksichtigung von Vielfalt … Inhaltlich: Etablierung einer übergreifenden Sprachbildungsarbeit, die separierende Mechanismen und damit auch die Trennung zwischen additiven Fördermaßnahmen und situativer Sprachförderung überwindet … Strukturell und sozial: Etablierung eines breit vernetzten Equality-Managements mit Anreizen, Unterstützungs- und Kontrollsystemen, um eine interkulturelle, inklusive Organisationsentwicklung zu institutionalisieren. Strukturell und sozial: Einbindung der Strategie in Initiativen gegen institutionelle Diskriminierung, … Strukturell und personal: Systemisch aufeinander aufbauende Kompetenzvermittlung im Umgang mit Heterogenität in der Ausbildung des pädagogischen Personals…“ (S. 218, fett im Original). Ziel dieser Maßnahmen sei, die Pädagogik der Vielfalt nach Annedore Prengel (2006) hin zu einer Diversity Education zu entwickeln: Diversity Education habe als Basis die Individualität der einzelnen Person im Blick und nehme damit Diversity positiv auf (S. 219). Die Gefahr bei Differenzannahmen als Konstruktion von Wirklichkeit bestehe darin, negative Zuschreibungen zu verinnerlichen (S. 219). Die Kultusministerkonferenz habe mit ihrem Beschluss „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“ (5. 12.2013) die Schule insgesamt als lernende Institution verstanden (S. 220) und beziehe interkulturelle Bildung auf alle in der Schule tätigen Akteure und Akteurinnen mit dem Ziel der vollumfänglichen Teilhabe an der Schule (S. 220). Folgende Grundsätze sollen hierbei beachtet werden: „Schule nimmt Vielfalt zugleich als Normalität und als Potenzial für alle wahr… Schule trägt zum Erwerb interkultureller Kompetenzen im Unterricht aller Fächer und durch außerunterrichtliche Aktivitäten bei … Schule ist zentraler Ort für den Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen … Schule gestaltet aktiv Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Eltern…“ (S. 221). Die Grundsätze bilden den Rahmen von fünf Handlungsdimensionen: Sprachentwicklung, Berufsorientierung, interkulturelle Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte, interkulturelle Elternbeteiligung, Bildung im Sozialraum (S. 222).
Ad 15: Der Aufsatz von Jan Springob und Christiane Bongartz vergleicht Orientierung an Lernenden, Umgang mit Diversity und Inklusion zwischen der Waddell Language Academy in Charlotte North Carolina, USA und dem Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim, Deutschland (S. 239). (S. 239). Übereinstimmung zwischen den beiden Schulen finde man in der individuellen Förderung der Lernenden, um einen abwechslungsreichen Unterricht zu erreichen, der die Lernenden aktiviert. Wichtig dabei sei die Befähigung der Lehrenden, die tatsächliche Lernsituation der Lernenden wahrzunehmen. Die amerikanische Vergleichsschule habe in ihrem Sprachprogramm Chinesisch, Deutsch, Französisch und Japanisch und erreiche ca. 1400 Schüler*innen, wovon 91 einen diagnostizierten sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf hätten (S. 241): „Das Ziel der Schule ist die umfangreiche Ausbildung von SchülerInnen, die kompetent in einer Fremdsprache hören, sprechen, lesen und schreiben können.“ (S. 241) Die deutsche Vergleichsschule habe sechs bis sieben Züge; den Lernenden werde ein breit gefächertes fachliches und überfachliches Lernangebot zur Verfügung gestellt. Von den 1600 Schülern und Schülerinnen hätten 21 einen diagnostizierten sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf (S. 241). Beide Schulen verbinde der Leitsatz: „Kein Lernender soll auf der Strecke bleiben bzw. zurückbleiben“: „Individuelle Förderung hat eine Vision: Schule schöpft die Lernpotenziale aller Schülerinnen und Schüler voll aus und trägt den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen aller Kinder und Jugendlichen Rechnung.“ (S. 244) Sprachliche Bildung gelte beiden Schulen als Türöffner für Bildung überhaupt (S. 248) – beide Schulen seien auf Unterstützung durch die vorangegangenen Schulen im Elementar- bzw. Primarbereich angewiesen und es sollten kontinuierliche und qualifizierte Fördermaßnahmen am Anfang der Schullaufbahn bereits in den Blick genommen worden sein (S. 248). Gleichzeitig sollte jedoch auch der Klassenunterricht systematisch-sprachförderlich aufgebaut sein (S. 250). Die dritte Basisthese zielt auf eine multiprofessionelle Kooperation aller am Schulleben Beteiligten (S. 252). Das Fazit lautet, dass Schüler*innen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf gemeinsam mit den anderen Schülern und Schülerinnen lernen, aber nicht immer mit ihnen zusammen seien (S. 252).
Ad 16: Unter language immersion verstehen Bernd Nuss und Ynez Olshausen in Anlehnung an den allgemeinen Diskurs hierzu ein Spracherwerbstraining, das in die Sprache eintauche (S. 255) und Lernende in eine für sie fremde Sprachumgebung versetze, was vergleichbar mit den Verhältnissen im Mutterspracherwerb sein dürfte. Autor und Autorin untersuchen die Bedingungen der E.E. Waddell Language Academy in North Carolina, wo in den Charlotte Mecklenburg Schools / North Carolina in den 1990ern Jahren das erwähnte Programm begann, angeboten waren verschiedene Fremdsprachen, aber schon ab dem Kindergartenbereich. Die Ziele dieses speziellen Erziehungsprogramms seien u.a., die Sprache in Wort und Schrift zu beherrschen, gleichzeitig mit den Gleichaltrigen in der (englischen) Landessprache kommunizieren zu können und die jeweiligen kulturellen Kompetenzen zu erwerben. Sowohl der muttersprachliche als auch der fremdsprachliche Unterricht stellten für Lehrende und Lernende besondere Herausforderungen dar und forderten nicht nur sprachlich-didaktische Kompetenzen auf der Seite der Lehrenden, sondern auch eine spezielle Wahrnehmungskompetenz, um die individuellen Bedürfnisse der Lernenden aufnehmen zu können (S. 257), was zugleich auch eine Ressourcenverteilung sowohl bei den Lernenden als auch bei den Lehrenden berücksichtige. Entwickelt wurden dann spezielle Bildungsstandards und auch Testverfahren, um das Lernen in der gewählten Sprache zu gewährleisten (S. 263), welche große Ähnlichkeit zu den internationalen Inklusionsstandards hätten (S. 265).
Ad 17: Julia Egbers und Dieudonné Ouédraogo stellen einen Vergleich mehrsprachiger Unterrichtsprogramme in Deutschland und Burkina Faso an, weil die globale Migrationsbewegung die Bildungssysteme vor ganz neue und andere Herausforderungen stelle (S. 273). In den Schulen komme es darauf an, für kulturelle Vielfalt zu sensibilisieren und mehrsprachige Kompetenzen zu erwerben.Ca. 30 % der Lernenden in deutschen Klassenzimmern hätten eine Migrationsgeschichte und eine andere Erstsprache als Deutsch (S. 275). Deswegen gelte: „Sprache ist Macht, Sprachbeherrschung ist Grundlage für soziale Handlungsfähigkeit, Sprachenlernen wird zum Charakteristikum für Bildungserfolg.“ (S. 275) Letztlich sei von der gesellschaftlichen Illusion Abschied zu nehmen, dass es nur eine Sprache geben könne – Mehrsprachigkeit werde in Zukunft der Normalfall sein (S. 276). Menschen müssten also schon im Kindesalter beginnen, mehrere Sprachen zu lernen, wozu das menschliche Gehirn ohne Weiteres in der Lage sei. Aber: „Ein erfolgreiches Sprachenlernen, das ein Beherrschen der Schriftsprache inkludiert, ist hingegen abhängig von mehreren individuellen sowie institutionellen bzw. gesellschaftlichen Faktoren.“ (S. 276) Zwar sei das Erlernen des Deutschen in Wort und Schrift unumgänglich für Integration und Bildungswege, daneben haben sich aber weitere Sprachen etabliert (S. 277): „Es wird eine Sensibilisierung für die sprachlichen Lernbedürfnisse der SchülerInnen geschaffen, die über die fachliche Wissensvermittlung hinausgeht.“ (S. 277) Um aber auch die Lehrerschaft zu sensibilisieren, müssten sowohl Rahmenbedingungen als auch Bedingungen an den Schulen verändert werden, die tatsächlich für Sprachbildung, Spracherwerb und Sprachförderung befähigen (S. 279). In Burkina Faso, einem afrikanischen Land mit ca. 18 Millionen Einwohnern, einer Alphabetisierungsquote von 35 % (Deutschland 95 %) (S. 280), existieren 68 verschiedene Nationalsprachen. Um sich überhaupt verständigen zu können, müssen die Menschen mehrere Sprachen beherrschen und dazu noch die Unterrichts- und Bildungssprache Französisch lernen. Die Schule sei hierbei die wesentliche Institution des Landes: „Schule gilt als Ort, an dem SchülerInnen zusammenkommen, die unterschiedlichen Ethnien angehören, die unterschiedliche Sprachen sprechen, die unterschiedlichen Werte vertreten.“ (S. 281) Aber die Schulen hätten mit der kolonialen Vergangenheit Burkina Fasos und ihrem Erbe zu kämpfen und insgesamt seien die Lehr- und Lernbedingungen schlecht (S. 283). Dagegen stehe jedoch das Bemühen seit Mitte der 1990er Jahre, Multilingualität als gesellschaftliche Ressource anzusehen und entsprechend zu fördern (S. 289). Dazu gehören in den ersten drei Schuljahren: Alphabetisierung in der Nationalsprache des Kindes und mündliches Französisch (1. Klasse); Transkribieren der Nationalsprache, Rechnen, Lesen und Schreiben in Französisch (2. Klasse); Lesen und Schreiben in der Muttersprache und Verstärkung des Französischen (3. Klasse) (S. 284).
Ad 18: Miriam Yildiz und Raphael Bak beschäftigen sich mit dem Problem der sexuellen Diversität in der Lehrer*innenausbildung, was bislang nicht systematisiert sei und nicht grundsätzlich in der Lehrer*innenausbildung vorkomme. Schule habe aber den Auftrag, „Kinder und Jugendliche unabhängig ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, sexuellen oder geschlechtlichen Identität oder persönlichen Präferenzen und Besonderheiten, gleichermaßen“ (S. 291) zu fördern. Miriam Yildiz und Raphael Bak beschäftigen sich also in ihrem Beitrag mit einem „antidiskriminierungspädagogischen Ausbildungsmoduls für (angehende) Lehrkräfte“ (S. 291). Im Umgang mit Diversität in Bezug auf Sexualität und sozialem Geschlecht komme es auf Sensibilität gegenüber Diskriminierung und Ausgrenzung an (S. 293) und um die Verabschiedung von einer „heteronormativen Schulkultur“ (S. 293). In Lehrmaterialien, so Autorin und Autor, werde zu wenig differenziert und eher heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit priorisiert. Diskriminierung fange aber in der Sprache an und solange Begriffe wie „schwul“, „Lesbe“, „Schwuchtel“ usw. auf dem Schulhof als Beschimpfung gebraucht würden, setze die „heteronormative Schulkultur“ Maßstäbe für Diskriminierung und Ausgrenzung (S. 294). Das Autor*inteam zitiert als positives Beispiel im Umgang mit Vielfalt den ersten Paragraphen des Schulgesetzes von Rheinland-Pfalz: „Der Auftrag der Schule bestimmt sich aus dem Recht des jungen Menschen auf Förderung seiner Anlagen und Erweiterung seiner Fähigkeiten, unabhängig von seiner Religion, Weltanschauung, Rasse oder ethnischen Herkunft, einer Behinderung, seinem Geschlecht oder seiner sexuellen Identität sowie aus dem Anspruch von Staat und Gesellschaft an Bürgerinnen und Bürger, zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten hinreichend vorbereitet zu sein.“ (S. 297, im Original kursiv). Im vierten Abschnitt des Artikels werden best of practice Beispiele erwähnt, die Mut machen und letztlich Zivilcourage einfordern (S. 298). Eine diversitätssensible Fortbildung von Lehrkräften müsse für die Thematik öffnen, Wissen vermitteln, Perspektiven wechseln und Handlungskompetenz bei Akteur*innen aufbauen (S. 304).
Ad 19: Mary Kalantzis und Bill Cope thematisieren die nordamerikanische Perspektive auf neue Medien (S. 308) und ihre Eigenlogik, die sich gegen traditionelle Vermittlungsformen der Schule sperrt; Autor und Autorin propagieren einen reflexiven, inklusiven Umgang mit den neuen Medien. Die neuen Medien seien seit dem Aufkommen des Internets und vielfacher Digitalisierung dabei, die Gesellschaft völlig umzukrempeln (S. 309). Probleme entstünden täglich, weil Facebook, Instagram, Twitter u.a. keine moralischen Grenzen kennen und jeder auch mitmachen könne: „Everyone is a media person now.“ (S. 309) Ein Panoptikum von Sinneseindrücken, Meinungen usw. stürme hier auf den sog. „User“ ein (S. 310). In dieser Hinsicht unterscheiden sich alte Medien von den neuen grundsätzlich. Schulen können und müssen Lernende befähigen, verantwortungsvoll, moralisch reflektiert mit dem neuen medialen Angebot umzugehen (S. 311). Es komme darauf an, die neuen Medien im Kampf um Gleichheit und Inklusion und gegen Diskriminierung zu nutzen (S. 312). Mary Kalantzis und Bill Cope fordern eine „produktive Diversiy“ mit den Mitteln der neuen Medien (S. 314).
Ad 20: Nina Glutsch diskutiert in ihrem Beitrag die Bedeutung von Auslandsaufenthalten für Lehramtsstudierende (S. 324f). Die Autorin geht von der empirisch untermauerten Erkenntnis aus, dass Lehramtsstudierende seltener ins Ausland gingen als Studierende anderer Fächer (S. 326). Zwar hätten sich die Mobilitätseffekte bei Lehramtsstudierenden erhöht, diese hinkten jedoch im Schnitt weit hinter anderen Studierendengruppen her (S. 326). Studierende wollten „im Ausland vor allem eine aufregende, spannende Zeit und etwas Besonderes erleben, eine andere Kultur kennenlernen und Kenntnisse der Landessprache vertiefen“ (S. 327). Lehramtsstudierende wollten hingegen mehr eine Vorbereitung auf die „zukünftige berufliche Tätigkeit“ (S. 327). Zukünftige Lehrer*innen sollen, so Nina Glutsch, aber auch global denken und mit Vielfalt umgehen lernen (S. 328): „Auch für eine internationale LehrerInnenbildung ist eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen und Haltungen gegenüber bekannten und anderen, noch unbekannten gesellschaftlichen und politischen Strukturen, Schulsystemen und Überzeugungen unabdingbar.“ (S. 329)
Ad 21: Jonathan Rothgenger geht von der Überzeugung aus, dass Konflikte „nicht kulturalisiert werden sollten und dass Lehrkräfte einen Blickwechsel vollziehen müssen, um neue Haltungen und Perspektiven einnehmen zu können.“ (S. 334) Auch Praxisbezüge seien entscheidend genauso wie das Einüben reflexiver Haltungen. Die verschiedenen Dimensionen von Heterogenität wie Behinderung, Migration, Geschlecht, Sprache usw. wirken auf die Lehrerbildung ein, die sich mit diesen Dimensionen so beschäftigen müsse, dass diese Teil einer professionellen Lehrerhaltung würden. Im Bildungsraum Schule mit ihren selektiven Prozessen wirkten die Dimensionen von Diversität wie Sprengstoff (S. 335), sodass die Herausforderungen für Lehrende blieben und sich sogar verstärkten: „In der Praxis ist entscheidend, dass Lehrkräfte sich für Unterschiedlichkeit nicht nur sensibilisieren und diese reflektieren, sondern vor allem Denkmuster, Umgangsformen und Handlungen verändern.“ (S. 336)
Fazit
Das Buch macht mit seiner Breite darauf aufmerksam, dass das Erwerben von Diversity Kompetenzen zur Professionsethik und dem Selbstverständnis heutiger Lehrkräfte notwendigerweise hinzugehört und keineswegs weder in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden noch in der Weiterbildung von Lehrern und Lehrerinnen vernachlässigt werden darf. Die Autorinnen und Autoren beleuchten sehr verschiedene theoretische Hintergründe von Diversity und machen so Lust auf weitere Forschung in diesem Bereich.
Rezension von
Prof. Dr. Wilhelm Schwendemann
Professor für Evangelische Theologie, Schulpädagogik und Religionsdidaktik an der Evangelischen Hochschule Freiburg im Fachbereich II (Theologische Bildungs- und Diakoniewissenschaft)
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Es gibt 71 Rezensionen von Wilhelm Schwendemann.
Zitiervorschlag
Wilhelm Schwendemann. Rezension vom 02.04.2019 zu:
Sebastian Barsch, Nina Glutsch, Mona Massumi (Hrsg.): Diversity in der LehrerInnenbildung. Internationale Dimensionen der Vielfalt in Forschung und Praxis. Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2017.
ISBN 978-3-8309-3444-8.
LehrerInnenbildung gestalten, Band 9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/22986.php, Datum des Zugriffs 09.11.2024.
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