Lydia Halbhuber-Gassner, Barbara Kappenberg (Hrsg.): Mit Kunst Brücken bauen (Straffälligenhilfe)
Rezensiert von Dipl. Sozialarbeiter Bernhard Lehr, 01.08.2018

Lydia Halbhuber-Gassner, Barbara Kappenberg (Hrsg.): Mit Kunst Brücken bauen. Die Bedeutung von Kunst(projekten) in der Arbeit mit Straffälligen. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2017. 100 Seiten. ISBN 978-3-7841-2962-4. D: 17,00 EUR, A: 17,50 EUR, CH: 21,00 sFr.
Herausgeberinnen
Die Herausgeberinnen sind in Theorie und Praxis mit der Straffälligenhilfe bewandert: Lydia Halbhuber-Gassner ist Vorsitzende der Katholischen Bundes-Arbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe, Dr. Barbara Kappenberg ist Dozentin an der Katholischen Akademie Stapelfeld, Cloppenburg.
Entstehungshintergrund und Thema
Die katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe KAGS organisierte 2015 in Meißen eine Fachwoche unter dem Titel des vorliegenden Buches: „Mit Kunst Brücken bauen – Die Bedeutung von Kunst(projekten) in der Arbeit mit Straffälligen“. Die Herausgeberinnen betonen im Vorwort die Besonderheit des Zusammentreffens von Kunst, die nach Friedrich Schiller „eine Tochter der Freiheit ist“, mit der freiheitsentziehenden Institution Gefängnis; auch dass Kunst in der Arbeit mit straffälligen Menschen Brücken zur Gesellschaft baut und gleichzeitig auch Potenzial schafft für die unterschiedlichsten Beteiligten in diesem Bereich. Sie stellen zwölf AutorInnen vor, die an der Tagung beteiligt waren und in diesem Buch ihre Vorträge und/oder auch Projektbeschreibungen einbringen.
Den Herausgeberinnen und auch den vielen Fachwochen-TeilnehmerInnen war es wohl ein Bedürfnis, die wertvollen Beiträge in dieser Tagungswoche nicht verloren gehen zu lassen. Zwölf AutorInnen stellen ihre Texte und auch Bilder zur Verfügung. Die Beiträge wurden bewusst in ihrer Einzigartigkeit übernommen.
Aufbau und Inhalt
Der Gastvortrag der Tagungswoche von Harald Nicolas Stazol, Journalist und Autor aus Hamburg, bildet auch das erste von elf Kapiteln des zirka 100 Seiten umfassenden Buchs. In seinem Text ist eine sehr einladende Rhetorik spürbar, die den Zuhörenden die wohl überwältigende Geschichte der Entstehung von Kunst aus der Urzeit der Menschen bis zu Diego Velazquez vermittelt. Mit dem Ende beim spanischen Künstler stellt er eine Pointierung in den Raum, die für die Tagungswoche wohl maßgeblich war: Die letztendlich entstandene „Demokratisierung von Kunst“ und Kunst als Mittel auf die Umwelt einzuwirken und nicht nur, sich mit Schönheit zu umgeben.
Professorin Diemut Schilling von der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter, nimmt mit ihrem Thema „Die Kunst der Teilhabe“ im zweiten Kapitel auf ihre Art die Frage auf, inwiefern „Nicht-Künstler“, einfache Menschen aus dem Volk, also auch straffällige Menschen, Kunst schaffen können oder dieses Schaffen als solches bewertet wird. Dass Kunst tatsächlich Wirkung auf den Alltag in einem Gefängnis hat, zeigt sie in ihrem Bericht über Projekte der Alanus Hochschule mit der JVA Köln. Eines davon befasste sich mit der Thematik „Kinder Inhaftierter als Besucher einer JVA“. Fotos von der Gestaltung eines Wartehäuschens vor der JVA, von Ausgestaltung von Besucherräumen und von der Herstellung von Plüschtieren, geben Eindruck über das intensive Zusammenwirken aller beteiligten Gruppen.
Maja Wolff, Schauspielerin und Theatertherapeutin aus Frankfurt, bietet im dritten Kapitel Einblick in ein Theaterprojekt, das sie mit Studierenden und Insassen der Jugendstrafanstalt Rockenberg leitete. In Form von Zeitungsartikel aus der Gefängniszeitung „Die Welt im Knast“ werden Aus- und Wechselwirkungen des vorhergehenden Theaterprojekts „Romeo und Julia“ von Shakespeare auf die Beteiligten, Schauspieler und ZuschauerInnen aufgezeigt.
Einen sehr ausführlichen Beitrag über Kunst als Medium zur Selbst-Ermächtigung und Teilhabe bringt im vierten Kapitel Professor Dr. Beate Blank ein. Als Dipl. Pädagogin und Dipl. Sozialarbeiterin (FH) und Professorin an der Duale Hochschule Baden-Württemberg, VS-Schwenningen, ist eines ihrer Hauptthemen, dass wichtigste Aufgabe der Sozialen Arbeit die Umkehr der Ressourcenverlustspirale sei, also die Herstellung von Reziprozität. Kunst in Interaktion zwischen Individuum und Umwelt sei damit ein wesentliches Medium um neue Möglichkeiten im Hilfesystem zu schaffen. Sie spricht von Schlüsselressourcen der Kunst und Kreativität für Empowerment.
Mit den folgenden drei Kapiteln werden Kunsttherapeutische Perspektiven eingebracht:
- Der Dipl. Kunsttherapeut und Dipl.-Kulturpädagoge aus der JVA Zeithain, Alfred Haberkorn spricht über den Beitrag der Kunsttherapie im Justizvollzug als einen mit großem Potenzial und über die nötige Kooperation zwischen Therapeuten, Inhaftierten und dem Vollzug.
- Wie berührend Maltherapie sein kann und wirkt, zeigt Bärbel Marbach-Kliem als Dipl.Soz.-Päd.(FH), tätig in der Beratungsstelle „InBeLa“ in Augsburg durch Erzählungen über Frauen aus ihrer Malgruppe.
- Diakon und Seelsorger an der JVA München-Stadelheim, Richard Strodel, auch Gestalttherapeut, bietet einen kurzen aber prägnanten Einblick in die kunsttherapeutische Arbeit mit Sexualstraftätern. Im achten Kapitel berichten die Dipl.
Pädagogin Inge Roy und Frank Lennartz als Projektkoordinator der JVA Aachen über „Podknast“ (ein Name in Anlehnung an Podcast und Knast), ein Modellprojekt, in dem jugendliche Inhaftierte Medienkompetenz erlernen können. Kurze Video- und Audiosequenzen sollen selbstständig von den Jugendlichen erstellt werden, die dann auf einer eigenen Podknast-Website präsentiert werden. Dieses Projekt hat hohe Öffentlichkeitswirksamkeit.
Im neunten Kapitel stellt Petra Huckemeyer die stellvertretende Anstaltsleiterin der JVA für Frauen in Vechta, ein seit 1993 bestehendes erfolgreiches Projekt vor: „ARTi.G.-Kunst im Gefängnis“, das pro Jahr vier Ausstellungen mit Malerei, Fotografie und Bildhauerei ermöglicht – Objekte, die von dort inhaftierten Frauen entworfen und gestaltet und erarbeitet wurden.
Der Titel des zehnten Kapitels ist auch zum Titel des Buchs geworden: Mit Kunst Brücken bauen – diese Erfahrung hat Diplom-Sozialpädagogin Michaela Strang-Kempen gemacht, die als Ausbildungsteilnehmerin an einem Kunsttherapie-Lehrgang diese Fachwoche als große Bereicherung erlebte. In ihrem kurzen Text ist die Begeisterung und Freude darüber spürbar, was aus ihrer Sicht Kunsttherapie bewirken kann.
Der langjährige Gefängnisseelsorger in Wien, Hofrat Dr. Christian Kuhn beschließt die Reihe der Kapitel mit den Berichten über tiefgehende Erfahrungen der Kunstwettbewerbe der internationalen katholischen Gefängnisseelsorgerkommission.
Diskussion
Es ist ein großes Verdienst, dass verschiedene Einblicke über die Bedeutung von Kunst im Justizvollzug durch dieses Buch festgehalten wurden. Die Beiträge der AutorInnen bieten sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene sehr viel Anregung.
Wenn auch beim ersten Durchblättern der Seiten der Eindruck entsteht, es fehle ein roter Faden, so entwickelt sich beim genauen Hinschauen (das Buch ist auch gut illustriert) und Lesen ein breiter Blick auf viele Zusammenhänge. Die Entscheidung der Herausgeberinnen, nicht in die Gestaltung der Artikel einzugreifen, stellt sich hier als richtig heraus. Die einzelnen Texte wirken wie „Kunstwerke“ einzeln und als Ganzes sehr informativ.
Fazit
Lydia Halbhuber-Gassner und Barbara Kappenberg haben als Herausgeberinnen mit zwölf AutorInnen nicht nur geschafft, dass eine Fachwoche zum Thema der Bedeutung der Kunst in der Straffälligenhilfe nicht in Vergessenheit gerät, sondern auch erreicht, dass durch die Thematisierung von Anwendung von künstlerischer Tätigkeit in einem nicht gern beachteten Bereich, in der Strafjustiz, die Kunst als Medium zur Förderung von Interaktionen, von Ressourcenfindung und der Entdeckung von Freiheit dienen kann.
Rezension von
Dipl. Sozialarbeiter Bernhard Lehr
Dipl. Sozialarbeiter, in Lehre und Forschung an der FH Campus Wien Department Soziale Arbeit, besonders auch mit Bereichen der Straffälligenhilfe und Methoden im Zwangskontext befasst.
Langjährige Praxiserfahrung in der Sozialer Arbeit in Zwangskontexten.
Freiberuflich in Supervision und Fortbildung tätig. Vorstandsmitglied bei ASYS, Arbeitskreis für systemische Sozialarbeit, Beratung und Supervision
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Zitiervorschlag
Bernhard Lehr. Rezension vom 01.08.2018 zu:
Lydia Halbhuber-Gassner, Barbara Kappenberg (Hrsg.): Mit Kunst Brücken bauen. Die Bedeutung von Kunst(projekten) in der Arbeit mit Straffälligen. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2017.
ISBN 978-3-7841-2962-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23001.php, Datum des Zugriffs 10.12.2023.
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