Andreas Ziemann: Das Bordell. Historische und soziologische Beobachtungen
Rezensiert von Prof. Dr. Richard Utz, 27.03.2018

Andreas Ziemann: Das Bordell. Historische und soziologische Beobachtungen. Velbrück GmbH Bücher & Medien (Weilerswist) 2017. 178 Seiten. ISBN 978-3-95832-118-2. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Thema
Die letzten Jahre befasste sich die Forschung im Bereich der Prostitution mit Fragen der Gesetzgebung und ihrer Novellierung vom Prostitutionsgesetz 2002 hin zum Prostitutionsschutzgesetz (erlassen 1.10.2016, in Kraft getreten 1.7.2017) sowie ihrer Wirkungsweise auf Situation und Handeln der betroffenen Frauen in ihrem Arbeitsfeld. Studien zur gesellschaftlichen Regulierung durch die so genannte Moralpolitik flankierten die Forschung und leuchteten den Zusammenhang von Wertorientierungen politischer Parteien, ihrer Grundeinstellungen zur Prostitution und der daraus resultierenden Prostitutionsregime aus, wie sie sich europaweit in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben – von strikt abolitionistischen Positionen wie etwa in Schweden bis hin zu der liberalen Politik wie etwa in den Niederlanden und Deutschland. Diese auf aktuelle Entwicklungen fokussierte Forschung musste die historische Dimension der Prostitution vernachlässigen und verlor dabei die beeindruckende Kontinuität der „Diskurse zum Umgang mit Prostitution und Prostituierten“ (Ziemann: 7) aus dem Blick, deren Argumentationen „bis in die heutige Zeit überdauern.“(ebd.)
Der Weimarer Mediensoziologe Andreas Ziemann hat sich unlängst am Beispiel des Bordells an dem anspruchsvollen Projekt versucht, die historische Dimension der Prostitution von der Antike bis zum Prostitutionsschutzgesetz in ihrer beachtlichen Vielfalt einzuholen, ohne dabei die Analyse zu vergessen. In der Einleitung formuliert Ziemann sein Untersuchungsprogramm:
„Mein Anliegen besteht erstens darin, diskursanalytisch inspiriert die Semantiken, Metaphern und Argumentationsstrukturen unterschiedlicher historischer Quellen und entsprechender Sprecherpositionen aufzudecken. Es besteht zweitens darin, verschiedene geschichtliche Stationen der Einrichtung wie auch der Abschaffung von Bordellen in ihrem soziokulturellen Kontext zu rekonstruieren, die räumlichen Strukturen und soziale Praxis des Bordells und insbesondere den heterotopischen Charakter dieser Institution auszulegen. Und es besteht drittens schließlich darin, dem gegenwärtigen Prostitutions- und Bordelldiskurs eine Pluralität und Multiperspektivität antagonistischer Sprecherpositionen, moralischer Einstellungen und politisch-juridischer-medizinischer Argumentationsführungen gegenüberzustellen beziehungsweise zu offerieren.“(ebd.: 9)
Inhalte
In der Tat: Das ist ein anspruchsvoller Versuch, der Prostitution und ihrer öffentlichen Verhäuslichung im Bordell gerecht werden zu wollen – das Bordell als Ort der Prostitution im öffentlichen Raum, den ihr die Politiker und Gesetzgeber in der Geschichte menschlicher Hochkulturen aus Gründen der sozialen Kontrolle mit den immer wieder gleichen Argumentationen über die Zeitläufte hinweg mal toleranter und stadttopographisch zentraler, mal repressiver und stadttopographisch peripherer zugewiesen haben, wie der Autor zeigen kann. Als Mediensoziologe ist der Autor auf die öffentliche Rede spezialisiert und für die Nuancen sensibilisiert, mit der Befürworter und Gegner der Bordellprostitution ihre Begründungen in Sprache setzen.
So erweisen sich die Gegner der Prostitution immer auch als Gegner des Bordells, dessen Einrichtung ihrer prostitutionsverneinenden Position entgegensetzt ist, weil sie die Prostitution als semi-totale Institution entwickelt, ihr ein abgeschlossenes Zuhause gewährt und sie auf diese Weise territorial stabilisiert statt sie zu schwächen und ihr schließlich mit der Vorenthaltung eines Eigenraumes auch den Boden unter den Füßen wegzuziehen. In prohibitionistisch-abolitionistischen Augen verstärkt dagegen das Bordell die grundsätzliche Bedrohung der öffentlichen Ordnung durch die Prostitution noch, die sie mit dem hygienischen Argument unterdrückt sehen wollen, dass die Ausbreitung venerischer Krankheiten und den dadurch bedingten moralischen Sittenverfall auf das Konto der berufsmäßig betriebenen Wollust gehe, die nur durch rigorose Verbote aus der Welt geschafft werden könne.
Wie schwach wirken dagegen die Argumente der Bordellbefürworter, der Protest der liberalen, aufgeklärten Philanthropen wie die de Mandevilles, die sowohl Tugend als auch Laster zum Menschsein dazu zählen und so auch die sich aus Not prostituierenden Frauen in ihre Menschenliebe einschließen, wenngleich mit Blick auf ihre Besteuerung nicht ganz uneigennützig. Es ist der immer gleiche Konflikt zwischen den konservativ-reaktionären Sittenwächtern einerseits und den liberal-libertären Menschenfreunden andererseits, die auf der öffentlichen Bühne um die Deutungshoheit und den Umgang mit der Prostitution kämpfen.
Dies machen die Diskursanalysen des historisch informierten Mediensoziologen deutlich, die in drei Kapiteln über die gesamte Untersuchung hinweg diejenigen Entscheidungssituationen aufsuchen und auf ihre semantischen Strategien hin behorchen, welche von der Antike bis auf die Gegenwart die Einstellung und den Umgang mit der Bordellprostitution bestimmt haben. Dabei bezieht der Autor die semantischen Regime der Medizin wie die Reaktionsformen der Juristen mit ein, die die Bordellprostitution durch ihre Diskurse als wertgeladenen Gegenstand konstituieren, über den im öffentlichen Bewusstsein nie werturteilsfrei debattiert wird. Der soziologische Grund ist die institutionelle Indienstnahme menschlicher Sexualität für die biologische Reproduktion der Gesellschaften über die Generationenfolge hinweg, die hier auf dem Spiele steht, und über deren soziale Regulierung sich der Streit der politischen Orientierungen um die richtige Verfahrensweise entzündet. Es ist die alte Berührungsangst der Konservativen, die hier in Sozialekel umschlägt und, die drohende Zersetzung des gesellschaftlichen Sittenkörpers durch die Sprengkraft des Eros befürchtend, sich nur mit strengsten Verboten zu beruhigen weiß. Dem tritt der Realismus und der Mut der Philanthropie in der öffentlichen Arena gegenüber, der der Prostitution und ihrem Elend in die Augen sieht, um ihr durch Linderung ihrer Leiden zu helfen und sie als etwas Menschliches anzuerkennen. Der Autor geht diesen Auseinandersetzungen anhand von epochalen Beispielen nach und referiert
- den griechischen und römischen Umgang mit der Bordell-Prostitution,
- den der spätmittelalterlichen Frauenhäuser und der Freudenhäuser der englischen Aufklärung,
- den der deutschen Diskussionen im 18ten, 19ten und
- der nazistischen Einrichtung von „KZ-Bordellen“ bis hin
- zu den Debatten der Gegenwart um das Prostitutionsgesetz und das neue Prostitutionsschutzgesetz.
Dabei bringt Ziemann viel Wissenswertes über den religiös-geistlichen Diskurs, über die Idee der Ventil-Institution „Bordell“ im Zuge eines „sozialhygienischen“ oder gar „rassenhygienischen“ Ansatzes und vieles andere mehr.
In einem Kapitel über das „Bordell als heterotope Institution“ greift Ziemann die analytischen Dimensionen des bekannten Foucault´schen Raum-Modells auf und empirifiziert es mit Blick auf die reale Arbeit sexueller Dienstleistungen. Eine Diskussion der „Bordellfrage“ im „Prostituiertenschutzgesetz“ schließt die Arbeit ab.
Fazit
Der Autor hat eine profunde und zugleich äußerst kompakte Studie zur Bordell-Politik erarbeitet, die ihren Lesern eine seltene Fülle von Material bieten kann. Dabei verliert der Autor nie das Ganze seiner Untersuchung aus dem Blick, die die Prostitution in ihrer historischen Dimension in Verbindung mit ihrer Gegenwart zu bringen vermag, auch wenn tatsächlich nicht wirklich Überraschendes zu Tage gefördert wurde, es sei denn, man nimmt die Kontinuität einer stets gleich bleibenden Konstellation über die historischen Epochen hinweg dafür, in der sich Befürworter und Gegner gegenüber stehen.
Als mehr grundsätzlichen Kritikpunkt ist anzumerken, dass die Lesbarkeit des Textes mitunter durch die doch eher assoziativ gebrauchten Analysetheoreme leidet, die nicht in einen systematischen Bezug zueinander gebracht werden. Ein sehr ambitionierter Text, in dem sich die Fülle an Information und die Eleganz ihrer sprachlichen Auslegungen manchmal im Wege stehen, die Lektüre anstrengend macht und eher weniger Anregungen zum Weiterdenken geben. Schon Oscar Wilde hielt dem Hang zur Perfektion entgegen: „Oh! I hope I´am not that (i.e. perfect; R.U.). It would leave no room for developments, and I tend to develop in many directions.“
Rezension von
Prof. Dr. Richard Utz
Hochschule Mannheim, Fakultät für Sozialwesen
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