Heinz Messmer (Hrsg.): Fallwissen. Wissensgebrauch in Praxiskontexten (...)
Rezensiert von Prof. Dr. Martin Albert, Julia Wege, 31.08.2018

Heinz Messmer (Hrsg.): Fallwissen. Wissensgebrauch in Praxiskontexten der Sozialen Arbeit. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2017. 200 Seiten. ISBN 978-3-8474-0782-9. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.
Thema
Die Beschreibung von Fällen benötigt den Rückgriff auf Wissensbestände, um eine professionelle Diagnostik, Klassifikation und Bearbeitung durchführen zu können. Die Autor*innen gehen der Frage nach, wie Wissen im Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe der Sozialen Arbeit produziert wird und welchen Einfluss dies für berufliche Praxis hat.
Entstehungshintergrund
Die Beiträge des Sammelbandes gehen auf einen Forschungsworkshop mit dem Thema „Fallwissen – Wissensgebrauch in Kontexten der Sozialen Arbeit“ zurück, welcher von der Schweizerischen Gesellschaft für Soziale Arbeit im Jahr 2014 durchgeführt wurde.
Herausgeber
Prof. Dr. habil. Heinz Messmer ist Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz, Institut Kinder- und Jugendhilfe, Basel/Olten Schweiz
Aufbau
Der Sammelband umfasst insgesamt sieben Beiträge, welche folgenden Schwerpunkte thematisieren:
- Annäherung an die Themenfelder Fall und Wissen
- Wissensproduktion in Vormundschaftsbehörden im Kanton Zürich in den 1950er und 1960er Jahren
- Standardisierte Wissensbildung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
- Fallverstehen im Kontext von Fremdplatzierung
- Intuition als Kompetenz des Fallverstehens
- Bedeutung von nicht-standardisiertem Wissen in der Diagnostik Sozialer Arbeit
- Interaktive Herstellung des Falles im Feld der Kinder- und Jugendhilfe
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Heinz Messmer geht in seinem einführenden Beitrag „Fallwissen – eine Annäherung“ davon aus, dass Wissen für die soziapädagogische Intervention eine hohe Bedeutung beigemessen werden muss. Die dazu benötigten Wissensbestände und deren Aneignung stehen jedoch in der sozialarbeiterischen Praxis kaum im Fokus einer fundierten Analyse. Wissen wird für die Diagnostik und die Bearbeitung von Problemlagen wie auch für den Einsatz von Hilfeleistungen verwendet. Eine gesellschaftliche Inklusion benötigt nicht nur Wissen über Voraussetzungen und Kenntnisse von staatlichen Leistungen, sondern beinhaltet auch berufsethische Normen von sozialer Gerechtigkeit. Wissen wird transparent, wenn Fälle in Form von Fallbearbeitungen kollegial besprochen und entschieden werden bzw. schriftlich in Akten bzw. Dokumenten vorliegen. Weniger transparent ist die Wissensproduktion im Kontext von Habitus und Organisation. Bereits der Begriff „Fall“ bleibt jedoch unbestimmt und klärungsbedürftig. Dabei ist der Prozess der Fallgenerierung eine zentrale institutionelle Voraussetzung, damit Personen mit ihren spezifischen Lebenslagen zu Fällen werden. In Bezug auf Luhmann stellt Wissen eine kondensierte Form von Beobachtung dar und wird durch Personen und Gruppen bestimmt. In diesem Kontext ist Wissen fluide und somit auch fragil in ihrer Gültigkeit. Zwar gibt es Standards in Bezug auf den Erwerb eines Grundlagenwissens im Rahmen der Ausbildung, gleichwohl sind Zweifel angebracht, ob überhaupt eine umfassende Struktur der Wissensbestände im Bereich der Sozialen Arbeit erkennbar ist. Dies korrespondiert mit der Vorstellung, dass die Person des Professionellen und dessen Kompetenz der entscheidende Faktor in der Fallbearbeitung darstellt. Besonders im deutschsprachigen Raum besteht eine Skepsis gegenüber technologischen Wissensbeständen. Im Bereich der Sozialen Arbeit wird insofern mehr Wert darauf gelegt, die unterschiedlichen Wissenstypen kreativ und flexibel zu nutzen. Dabei wird jedoch unterschätzt, dass Alltagswissen im Handlungsfeld sich als Erfahrungswissen verdichtet, welches wiederum in Abhängigkeit von den organisatorischen Rahmenbedingungen entsteht. Bei allen Einschränkungen bietet jedoch die Komplexität der Wissensbearbeitung Ermessenspielräume in der Fallbearbeitung, welche Soziale Arbeit von anderen Berufen unterscheidet.
Susanne Businger und Nadja Ramsauer stellen in ihrem Beitrag „‚Sie ist verschwenderisch und kann nicht sparen‘ – Begründungen und Wissensproduktion in Vormundschaftsbehörden im Kanton Zürich in den 1950er und 1960er Jahren“ die ersten Ergebnisse des Forschungsprojektes „Heimplatzierungen im Kanton Zürich 1950-1990“ vor. Ein wesentlicher Untersuchungsaspekt sind die Begründungen für Fremdplatzierungen und wie sich diese im historischen Kontext verändert haben. Dabei beziehen sich die Autorinnen auf Akten der Stadtarchive in Zürich und Winterthur im Zeitraum 1954–1964 und werten zusätzlich Zeitschriftenbeiträge und Publikationen über Debatten zum Thema Kindeswohl aus. Die gesellschaftlichen Veränderungen in Bezug auf die Modernisierung der Wirtschaft und die Zuwanderung von Migrant*innen in der Schweiz der 1950er Jahre veränderte auch das Rollenverständnis von Frauen. Der Anstieg von berufstätigen Frauen ging mit der Befürchtung einher, dass Kinder aufgrund dieser Entwicklung nicht mehr adäquat versorgt werden können. In den vorgestellten Fallanalysen spiegelt sich das rigide Wertesystem wieder und stellt eine wesentliche Grundlage für die Produktion von Fallwissen dar. Als Ausgangspunkt für behördliche Fälle dienen Hinweise aus dem Umfeld des Betroffenen. Hinweise über Suchtverhalten, sexuelle Gefährdung und Vernachlässigung der Kinder verdichten sich zu einem Begründungszusammenhang, der oftmals zu einer Fremdplatzierung von Personen und Kinder geführt hat. Die Einweisungen in Psychiatrien, Heimen bis hin zu Gefängnis weisen auf Bestrebungen hin, dass die gesellschaftliche Ordnung aufrechterhalten werden muss. Selbst Hinweise auf Beziehungen zu Ausländern und auf Prostitution hatten Einfluss auf eine Entscheidungspraxis, die ein abweichendes Verhalten und eine damit verbundenen Gefährdung eher willkürlich festlegte. Die Internierungspraxis wurde untermauert durch gesetzliche Regelungen, in der je nach Kanton „asoziale Personen“ zu deren Schutz eingewiesen werden konnten. Die moralischen Vorstellungen waren geprägt durch eine Orientierung an der Mittelschicht, wobei Abweichungen von dieser Normalbiographie eine Dynamik in Gang setzen konnten, welche durch eine Fremdplatzierung sanktioniert wurde.
Der Beitrag von Caroline Grosser „Fragmentierung statt Zusammenführung – Standardisierte Wissensbildung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ analysiert Dokumentationsinstrumente im stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich im Kontext von Fallwissen. Unterschiedliche Berufsgruppen weisen eigen strukturierte Zugänge und Bewertungen zur Falldokumentation auf. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind unter anderem Mediziner*innen, Psycholog*innen, Pflegekräfte, Pädagog*innen, Physio- und Ergotherapeut*innen und Lehrer*innen in einem Fall involviert. In der Regel werden die unterschiedlichen Vorgehensweisen, Diagnosen und Einschätzungen in einer für alle einsehbaren elektronischen Patientendokumentation festgehalten. Dies wäre eine Basis für eine gemeinsame Wissensproduktion bzw. für weiterführende Fallbesprechungen. Mittels einer Sequenzanalyse von acht standardisierten Dokumenten wurde jedoch festgestellt, dass die festgelegten Strukturierungsmerkmale der elektronischen Falldokumentation zu Verzerrungen und Widersprüche und zu informellem Austauschstrukturen innerhalb des Organisationssystems führen können. In der Analyse der Begrifflichkeiten und Merkmale kommen die Autor*innen zum dem Schluss, dass derartige Dokumentationssysteme eher der intendierten Fallführung von Ärzt*innen und Psycholog*innen gerecht werden. Das Pflegepersonal und die Pädagog*innen haben aufgrund der unklaren Strukturierungslogik dagegen nur eingeschränkte Möglichkeiten, ihr professionelles Wissen adäquat abrufen bzw. dokumentieren zu können.
Im Fokus des Beitrag von Stefan Eberitzsch, Thomas Gabriel und Samuel Keller „Fallverstehen in der Fremdplatzierung – Wie kann im Dialog zwischen Praxis und Theorie neues Reflexionswissen entstehen?“ stehen die Professionalisierungsbestrebungen, in welcher Form wissenschaftliches Wissen und Praxiswissen vernetzt werden kann, um damit einen dialogischen Wissensbildungsprozess zu ermöglichen. Insbesondere der zunehmende Bedarf nach Fallwissen hat dazu geführt, dass die ZHAW Zürich in Kooperation mit dem Fachverband für Sozial- und Sonderpädagogik ein Projekt zum Aufbau einer „Wissenslandschaft Fremdplatzierung“ initiiert hat. Mit diesem Projekt soll ein Beitrag zur Professionalisierung im Kontext der schweizerischen Fremdplatzierungsdebatte geleistet werden. Dabei gehen die Autoren der Fragestellungen nach, welches Wissen für das Fallverstehen von Bedeutung ist und in welcher Form Praxiswissen und wissenschaftliches Wissen erschlossen werden kann. Die Spannung zwischen einem konkreten Fallverstehen in seinem spezifischen Alltagsverständnis und einer technokratischen und objektivierten Fallbewertung löst in der Praxis Skepsis aus und wird kontrovers diskutiert. In gewisser Weise geht es in diesem Konflikt um die Deutungshoheit einer quantitativ-psychiatrischen bzw. qualitativ sozialwissenschaftlichen Sichtweise. Entscheidungsprozesse werden durch unterschiedliche diagnostische Verfahren, durch zunehmende Ökonomisierungstendenzen und durch Wissensbestände, welche zunehmend über Social Media vermittelt werden, erschwert. Die Entwicklung eines fundierten Professionswissens bietet jedoch die Möglichkeit, praktisches Handlungswissen und systematisches Wissenschaftswissen miteinander zu verbinden. Das Projekt „Wif – Wissenslandschaft Fremdplatzierung“ versucht in einem dialogischen Prozess, Phasen, Methoden und Haltungen, welche im Prozess der Fremdplatzierung erkennbar sind, mit empirischen Befunden und handlungsbezogenen Wissensbeständen zu einem Kompendium zu vereinen und stellt diese Form der Wissensaneignung öffentlich zur Verfügung. Ziel in diesem Projekt ist es, einen Beitrag zu einer reflexiven Professionalisierung der Sozialen Arbeit zu leisten und konkrete empirische Ergebnisse für die praktische Arbeit zur Verfügung zu stellen.
Stephan Kösel versteht in seinem Beitrag „Intuition – eine notwendige und meist wirksame Kompetenz in der Fallbearbeitung in der Sozialen Arbeit“ den Begriff Intuition nicht als eine eigenständige Wissensform, sondern vielmehr als ein professioneller Umgang mit der Fallbearbeitung und mit situativen Entscheidungsprozessen. Er bezieht sich dabei auf Erkenntnisse aus der Kybernetik, bei der komplexe Handlungsvorgänge sich auch durch Unüberschaubarkeit und Intransparenz auszeichnen. Den rationalen Prozessen der Organisationen steht eine Handlungspraxis gegenüber, in denen in bestimmten Situationen unter enormen Zeitdruck schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen. Diese basieren auf Informationen, die nicht vorhersehbar und planbar sind, aber dennoch effektiv und zielführend wirken können. Das schier unerschöpfliche Wissen, welches Professionellen zur Verfügung steht, bedeutet eben nicht ein allumfassendes Fallwissen, sondern im Gegenteil wird dadurch auch ein Nicht-Wissen produziert. Insbesondere erfahrungsorientierte Musterbildungen bilden die Möglichkeit für schnelle Entscheidungsprozesse, bei der Intuition eine besondere Bedeutung beikommt. Die Zugänglichkeit von unterschiedlichen Intuitionsformen können eine Abkehr von bestehenden kognitiven Mustern beinhalten und ermöglichen Räume für Kreativität bzw. für eine Neuinterpretation der vorgefundenen Wirklichkeit. Insbesondere Affekte wie Wut, Trauer, Freude wirken wie Filter auf Wissensbestände und sind somit reduzierend und selektierend in Bezug auf die Fallkomplexität. Das damit verbundene implizierte Wissen ist nicht immer erklärbar, weil es an das aktive Situationserleben gebunden ist. Es wird aber durch Rekonstruktionswissen nachträglich deutbar und kann sehr wohl in eine Fallbearbeitung miteinfließen.
Die Autor*innen Roland Becker-Lenz, Joel Gautschi und Cornelia Rüegger gehen in ihrem Beitrag „Die Bedeutung von nicht-standardisiertem Wissen in der Diagnostik Sozialer Arbeit – Eine Fallanalyse zu ‚Erfahrungswissen‘ und ‚Spüren‘ in einem Fall aus dem Kinderschutz“ davon aus, dass es unterschiedliche Bedeutungen in der Wissensproduktion im professionelles Handeln gibt. Fachwissen bezieht sich mehr auf die Vergangenheit und erzeugt Standardisierungen, die sich zwar bewährt haben, aber nicht vollständig dem situativen Handeln gerecht werden. Faktoren wie Sensibilität, Kreativität und Empathie erzeugen ein „lebendiges“ Wissen, welches immer wieder neu gebildet wird. Dieses Wissen hat ihren Kern in einem sich ständig weiter entwickelten beruflichem Erfahrungswissen und ist nach Einschätzung der Autor*innen noch kaum wissenschaftlich untersucht. Zur weiteren Klärung stellen sie eine Fallanalyse aus dem Bereich Kinderschutz einer Fachkraft in der deutschsprachigen Schweiz vor. In der Fallanalyse wird deutlich, dass der Falldokumentation ein individuelles Fallverständnis vorausgeht, in dessen Verlauf den Werthaltungen der Fachkraft, die Beziehungsgestaltung zum Klienten, das außerberufliche Erfahrungswissen und die Atmosphäre der Gesprächsgestaltung eine wichtige Rolle beikommt. Dies kann für die Fallbearbeitung sowohl förderlich als auch hinderlich sein. Eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung zum Klienten kann eventuell dazu führen, dass erforderliche Fragen zur weiteren diagnostischen Klärung vermieden werden. Auch wird außerberufliches Erfahrungswissen dazu verwendet, um schnelle Einschätzungen vorzunehmen, damit der Aufwand der Fallabklärung minimiert werden kann.
Der Beitrag von Cornelia Rüegger „Die interaktive Herstellung des Falles und seiner Problematik in Gesprächen der Sozialen Arbeit – Erste Ergebnisse einer empirischen Studie zu Prozessen der Fallkonstitution im Feld der Kinder- und Jugendhilfe“ basiert auf einem Dissertationsprojekt aus dem Bereich der schweizerischen Kinder- und Jugendhilfe. Grundlage sind sieben Fälle mit Tonbandaufzeichnungen, teilnehmenden Beobachtungen und einer entsprechenden Aktenanalyse. In der Fallanalyse wird deutlich, dass bereits vor dem Eröffnungsgespräch durch die Auswahl bestimmter Informationen ein Fallzuschnitt hergestellt wird. Sozialarbeiter*innen konstruieren den Fall aufgrund eines „inneren“ Bildes zu einem Erklärungszusammenhang, der für den weiteren Verlauf bzw. für die professionelle Problembearbeitung bedeutsam sein kann. Zumindest wird bereits am Anfang erkennbar, dass die Deutung und Bewertung des Falles von Seiten des Sozialarbeiters beansprucht wird und dem Klienten teilweise das Recht der Wissensdeutung abgesprochen wird. Die Erstposition der Gesprächseröffnung ermöglicht, dass Fallwissen eingeführt und damit auch als relevant festgelegt wird. Das Expertenwissen des Professionellen überwiegt damit in verdeckter Form gegenüber dem Deutungswissen des Klienten und verhindert in letzter Konsequenz eine dialogische Begegnung. Die Ergebnisse der Falldeutung unterliegen unter diesen Gesichtspunkten einer spezifischen Intransparenz.
Diskussion
Der Sammelband ermöglicht interessante Zugänge zur Wissensproduktion in der Sozialen Arbeit und beleuchtet ein bisher wenig beachtetes Feld. Es bleibt unbestritten, dass Soziale Arbeit über einen hohen Fundus an Expertenwissen verfügt, um zu fachlichen Einschätzungen insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe zu gelangen. Die Ebene, wie dieses Wissen jedoch eingesetzt wird und inwieweit das berufliche Wissen in die Fallbearbeitung miteinfließen, wird in den fundierten Analysen anschaulich dargestellt und verdeutlicht umso mehr die Notwendigkeit wissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich. Besonders deutlich wird dies, wenn Sozialarbeiter*innen auf ihre berufliche Erfahrungsinhalte zurückgreifen und in deren Folge Wissensbestände entsprechend konstruieren, damit sie im Kontext ihres beruflichen Auftrags bestehen können. Die damit aufgeworfenen Fragen können zwar nicht abschließend beantwortet werden, sie weisen jedoch darauf hin, dass Wissensbestände, insbesondere bei Betrachtung der historischen Entwicklung im Kinder- und Jugendhilfebereich, immer kritisch hinterfragt werden müssen. Besonders interessant erscheint der Aspekt, welche Person unter welchen Bedingungen und zu welchem Zeitpunkt Wissen in der Sozialen Arbeit produziert und welchen Einschränkungen dies unterliegt.
Das reflexive Wissen, unter welchen Voraussetzungen professionelle Wissensbestände immer wieder neu entstehen können, erscheint aufgrund der Komplexität der Berufsfelder für die Zukunft von zentraler Bedeutung zu sein. Die weiter voranschreitende Ökonomisierung und Digitalisierung der Sozialen Arbeit erzeugt neue Spannungsfelder gegenüber gesellschaftlichen und funktionalen Ansprüchen, denen sich die Profession stellen muss. Es wäre eine weitere interessante Fragestellung, inwieweit auch die Zielsetzungen der Organisationen wie auch der Finanzierungsträger Einfluss auf die Konstruktion professioneller Wissensbestände haben. Mit diesen Aspekten wird sich in Zukunft die hoffentlich wachsende Anzahl von entsprechenden Forschungsprojekten beschäftigen müssen. Besonders interessant wären auch Studien, welchen Einfluss Merkmale wie Dauer der Berufszugehörigkeit, Genderaspekte, Zugehörigkeit zu einer Alterskohorte und professionelle Ausbildungsformen in der Sozialen Arbeit eine Rolle zur Wissensproduktion spielen.
Fazit
Dem Sammelband gelingt es explizit, den Einsatz von Wissensbeständen differenziert zu untersuchen und auf die damit verbundenen Widersprüche im Berufsfeld der Kinder- und Jugendhilfe hinzuweisen. Derartige Ansätze, welche insbesondere in der Sozialarbeitswissenschaft der Schweiz zunehmend Beachtung finden, stellen einen hohen Professionsgewinn für den gesamten deutschsprachigen Raum dar. Es wäre zu wünschen, dass weitere Forschungen auch für andere Berufsfelder in der Sozialen Arbeit folgen werden. Das Buch ist sowohl im Rahmen des Studiums der Sozialen Arbeit wie auch für Berufspraktiker*innen besonders zu empfehlen.
Rezension von
Prof. Dr. Martin Albert
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Julia Wege
M.A., SRH Hochschulen Heidelberg, Lehrbeauftragte für Methoden Soziale Arbeit
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