Anna Schnepper: Strafvollzug und Partnerschaften
Rezensiert von Prof. Dr. phil. Sigrid Haunberger, 29.01.2018

Anna Schnepper: Strafvollzug und Partnerschaften. Eine kriminologische und juristische Analyse zur Förderung der Partnerschaften von Strafgefangenen. Felix-Verlag (Holzkirchen) 2017. 135 Seiten. ISBN 978-3-86293-536-9. D: 29,00 EUR, A: 29,90 EUR.
Autor und Entstehungshintergrund
Das besprochene Buch ist die Dissertation der Autorin, die im Jahr 2016 an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum angenommen und in der Reihe „Bochumer Schriften zur Rechtsdogmatik und Kriminalpolitik“ veröffentlicht wurde. Zum Zeitpunkt der Rezension ist Anna Schnepper als Justitiarin, stellv. Datenschutzbeauftragte und Stellvertreterin der Dezernentin für Studium und Akademisches an der Hochschule für Gesundheit in Bochum tätig. Die Inhaftierung von Straftätern und Straftäterinnen betrifft nicht nur diese selbst, sondern stellt gerade in den Fällen, in denen die Straftäter und Straftäterinnen bei Vollzugsbeginn verheiratet sind oder sich in einer festen Partnerschaft befinden, einen gravierenden Einschnitt dar. Je nach Vollzugsform könne ein persönlicher Austausch nur noch eingeschränkt wahrgenommen werden. Obwohl dies eine aus rechtsstaatlicher Situation bedenkliche Situation sei, „spielen Partnerinnen und Partner im strafvollzugsrechtlichen Diskurs nur eine untergeordnete Rolle“, so Schnepper (S. 2). Bisherige Angebote (Stichwort Langzeitbesuche LZB) seien Einzelfälle, „die weder flächendeckend noch systematisch eingesetzt werden“ (S. 2). Da es den Justizvollzugsanstalten in Deutschland im Rahmen ihrer Ermessensausübung weitgehend selbst überlassen ist, ob und welche Kontaktmöglichkeiten für betroffene Paare angeboten werden sollen, vermutet die Autorin, dass die Angebote von Bundesland zu Bundesland stark differieren und sich die Situation in den jeweiligen Anstalten stark unterscheidet (S. 2-3). Die vorliegende Arbeit unterstützt die Argumentation der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e.V. (BAG-S) und der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge, indem sie aus kriminologischer und juristischer Sicht darlegt, warum eine familiensensiblere und partnerschaftsfreundlichere Vollzugsgestaltung dringend geboten ist.
Aufbau und Inhalte
Das vorliegende Buch gliedert sich in fünf aufeinander aufbauende Kapitel, wobei der Schwerpunkt auf Kapitel B „Strafvollzug und Partnerschaft aus kriminologischer Sicht“, Kapitel C „Strafvollzug und Partnerschaft aus rechtlicher Sicht“ und Kapitel D „Empirische Erhebung zur Umsetzung einer partnerschaftsfreundlichen Vollzugsgestaltung in Nordrhein-Westfalen“ liegt.
In Kapitel B werden kriminologische, sozialwissenschaftliche und psychologische Forschungsergebnisse zum Themenbereich Strafvollzug und Partnerschaft zusammengefasst und vor allem die Auswirkungen der Inhaftierung auf die nicht-inhaftierten Partnerinnen bzw. die betroffenen Partnerschaften ausführlich diskutiert (S. 7-47). Es ist davon auszugehen, dass Partnerinnen und Partner von Straftätern eine besondere Rolle spielen, da sie ihr künftiges Legalverhalten entscheidend beeinflussen können. Der Zusammenhang zwischen Ehe und nachlassender Kriminalität sei hinreichend empirisch belegt, die veränderte soziale Einbindung sei ursächlich für den Abbruch delinquenten Verhaltens (S. 9). Im weiteren Verlauf wird der Schwerpunkt auf die Rolle und Funktion der Familie von Strafgefangenen im Wiedereingliederungsprozess nach der Haftentlassung gelegt. Ebenso wird auf die sogenannten Kontrolltheorien eingegangen, die unter anderem die informelle soziale Kontrolle betonen, die Straftäterinnen und Straftäter durch ihre Partner erhalten. Es sei weitgehend anerkannt, dass „stabile familiäre Beziehungen Gefangenen nach Haftentlassung dabei helfen, nicht wieder rückfällig zu werden“ (S. 13), so Schnepper. In zahlreichen Rückfallstudien konnte die These bestätigt werden, dass insbesondere verheiratete Inhaftierte in einer festen Partnerschaft, eine größere Chance hätten, nicht rückfällig zu werden. Für Schnepper ist damit klar, dass es logische Konsequenz einer effektiven Kriminalprävention sei, „Partnerinnen und Partner systematischer in die staatliche Wiedereingliederungs- bzw. Bewährungshilfe einzubinden und auch bereits während der Inhaftierung zu beraten und zu unterstützen“ (S. 17). Im Weiteren wird von der Autorin der internationale Forschungsstand zu den Folgen der Inhaftierung für die betroffenen Paare vorgestellt und analysiert. Zu den am häufigsten auftauchenden Folgen der Inhaftierung für die Partnerschaft zählen folgende Faktoren (S. 25-47): Unmittelbar auf das Leben der Partnerin in Freiheit wirkt: das Schockerlebnis aufgrund der unerwarteten Festnahme bzw. des belastenden Ermittlungsverfahrens, die finanzielle Situation, die Arbeitsbelastung, die antizipierten Negativreaktionen durch das Umfeld. Zu den nachteiligen Veränderungen der Paarbeziehung zählen: eingeschränkter Kontakt, Kommunikationsdefizite und Entfremdung, fehlendes bzw. eingeschränktes Sexualleben, physische und psychische Probleme. Aus Sicht der Autorin zeigen die Folgen dieser „Mitbestrafung Dritter“ oder auch der „sekundären Prisonierung“ deutlich, dass durch die Inhaftierung des männlichen Partners nachteilige Folgen für deren Partnerinnen auftreten (S. 45). Diesen nachteiligen Folgen könnte am besten durch eine Unterbringung im offenen Vollzug wie Gewährung von Vollzugslockerungen entgegengewirkt werden. Dies setzt einen nicht zu erwartenden Bewusstseinswandel in der Vollzugspraxis voraus; ebenso existieren auch Inhaftierte, die sich tatsächlich nicht für den offenen Vollzug eignen. Aus menschenrechtlichen Gesichtspunkten sei eine familienfreundliche und partnerschaftsförderliche Gestaltung des geschlossenen Vollzugs dringend geboten (S. 46), so die Autorin.
In Kapitel C wird zusammenfassend dargestellt, durch welche internationalen und insbesondere rechtlichen Regelungen in Deutschland Partnerschaften von Inhaftierten gefördert und geschützt werden (S. 49-92). Die Bedeutung der Außenkontakte von Inhaftierten, in erster Linie zu ihren Familien, wird sowohl in den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen als auch in den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen besonders betont. Hervorgehoben wird die Verpflichtung der Vollzugsbehörde, die Inhaftierten bei der Aufrechterhaltung angemessener Außenkontakte zu unterstützen. Allerdings handelt es sich hierbei um Grundsatzempfehlungen, die keine bindende Wirkung für die nationale Gesetzgebung oder Vollzugspraxis entfalten, so die Autorin (S. 51). Mit Blick auf die Förderung der Partnerschaft durch nationales Recht in Art. 6 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Grundrecht „Schutz von Ehe und Familie“) fällt in kriminologischer und juristischer Forschung sowie Rechtsprechung und Strafvollzugspraxis auf, dass „die Beeinträchtigungen der Grundrechte von Partnerinnen und Partner aufgrund der Inhaftierung weitgehend unberücksichtigt“ bleiben (S. 53). Bei den Partnerinnen und Partnern würde durch die Inhaftierung des Straftäters eine sogenannte Drittbetroffenheit vorliegen. Schnepper arbeitet heraus, dass die Inhaftierung „auch einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG der nicht-inhaftierten Partnerinnen und Partner“ darstellt (S. 61) und das Grundrecht auf „Schutz von Ehe und Familie“ eine ehe- und familienfreundliche Ausgestaltung des Strafvollzugs gebietet. Zwar könne die Funktionsfähigkeit und die geordnete Durchführung des Strafvollzugs weitere Einschränkungen im Vollzug (z.B. Besuche regulieren) legitimieren, dennoch scheint es aus Sicht der Autorin angebracht zu überprüfen, inwiefern konkrete Einschränkungen, wie die Überwachung von Besuchen, tatsächlich unerlässlich sind, um die Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs zu garantieren. Angebracht sei eine Einzelfallprüfung, indem Interessen des Strafvollzugs und die schutzbedürftigen Rechte aus Art. 6 Abs. 1 GG abgewogen werden (S. 63). Weiterhin regeln nationale Strafvollzugsgesetze konkret die Rechte der Gefangenen auf Außenkontakte, die im Wesentlichen den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen zur Behandlung von Gefangenen sowie den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entsprechen. Obwohl die Resozialisierung im Anwendungsbereich des Strafvollzugsgesetzes des Bundes das primäre Vollzugsziel darstellt, ordnen die bisher in Kraft getretenen Landesstrafvollzugsgesetze die Resozialisierung insbesondere im Verhältnis zum Schutz der Allgemeinheit zum Teil unterschiedlich ein (S. 68). Schnepper hält fest, dass die damit verbundene Herabsetzung der Resozialisierung durch Aufwertung des Allgemeinheitsschutzes in den Formulierungen der Länder Niedersachsen, Hamburg, Hessen und Bayern den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen humanen Strafvollzug widerspricht und eine fragwürdige „symbolische Kriminalpolitik“ darstellt (S. 69). Im Weiteren argumentiert die Autorin, inwiefern sich ein familiengerechter und partnerschaftsorientierter Strafvollzug, der den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG gerecht wird, aus den Gestaltungsprinzipien des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) des Bundes ableiten lässt. Zu den Gestaltungsprinzipien gehören der Angleichungsgrundsatz, der Gegensteuerungsgrundsatz, sowie der Integrationsgrundsatz. Erfreulich sei die Einführung eines weiteren Gestaltungsprinzips in den Ländervollzugsgesetzen, der Öffnungsgrundsatz. Hier soll der Bezug der Inhaftierten zum gesellschaftlichen Leben gewahrt und gefördert werden und auch die Bevölkerung stärker an den Aufgaben des Strafvollzugs teilhaben zu lassen. Laut Schnepper bleibt abzuwarten, „inwiefern der Grundsatz tatsächlich umgesetzt wird und ob die gewünschten Effekte eintreten“ (S. 78). Resümierend ist festzuhalten, dass die Förderung von Partnerschaften durch einfachgesetzliche Regelungen insbesondere dadurch geschieht, indem Außenkontakte der Inhaftierten in den Strafvollzugsgesetzen geregelt sind. Allerdings stellt dieses Recht für Inhaftierte im geschlossenen Vollzug oder nicht lockerungsgeeignete Straftäter lediglich eine Minimalvoraussetzung für eine qualitative Beziehungsführung dar. Gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt seien Beratungs- und Therapieangebote für Paare (S. 91).
Kapitel D zeigt auf, inwiefern die einzelnen Justizvollzugsanstalten im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) das Gebot einer partnerschaftsfreundlichen Vollzugsgestaltung tatsächlich fördern und umsetzen (S. 93-119). In die Studie wurden nur geschlossene Anstalten im Erwachsenenvollzug einbezogen, in denen die Inhaftierten Freiheitsstrafen von mindestens 3 Monaten verbüßen. Ebenfalls wurden nur Partnerschaften einbezogen, die bereits vor der Inhaftierung bestanden. Um einen umfassenden Überblick über Angebote einer partnerschaftlichen Vollzugsgestaltung in Erfahrung zu bringen und auch, ob die Bedingungen in den einzelnen Anstalten variieren, wurde ein standardisierter Fragebogen an die Anstaltsleitungen verschickt. Von 24 Justizvollzugsanstalten haben sich 21 an der Befragung beteiligt, was einer Rücklaufquote von 87,5 % entspricht. Zusammenfassend hat die Bestandsaufnahme gezeigt, dass die Anstalten im Bundesland NRW über ihre gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehen und grundsätzlich ein vielfältiges Bild an Kontakt- und Beratungsmöglichkeiten herrscht. Allerdings fehlt es zu sehr „an Einheitlichkeit und strukturiert eingesetzten Angeboten, die sich am individuellen Bedarf der Gefangenen orientieren“ (S. 118). Das sei deshalb wichtig, da die einzelnen Maßnahmen bezüglich ihrer Wertigkeit nicht verglichen werden können (regelmäßige Langzeitbesuche versus Einladung zu einem Familienfest). Vor dem Hintergrund der erläuterten verfassungs- und strafvollzugsrechtlicher Grundsätze sei bedenklich, dass der Ausweitung von Angeboten vor allem strukturelle Gründe (fehlendes Personal, fehlende Räume, fehlende finanzielle Mittel) entgegenstehen (S. 118). Dies obwohl die Anstalten, die Langzeitbesuche durchführen, zahlreiche positive Auswirkungen auf die Sozialprognose der Inhaftierten sehen.
Diskussion
Schnepper stellt deutlich dar, dass eine partnerschaftsfreundliche Vollzugsgestaltung, insbesondere aus verfassungsrechtlicher Sicht, dringend geboten ist, da durch die Inhaftierung die Schutzbereiche wesentlicher Grundrechte der Paare tangiert werden (besonders Art. 6 Abs. 1 GG) (S. 89). Auch vor dem Hintergrund der eigenen empirischen Ergebnisse der Autorin, nämlich, dass die Regelungen der Strafvollzugsgesetze den Anstalten insgesamt einen großen Ermessensspielraum einräumen, wären vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung der betroffenen Paare verbindlichere gesetzliche Normierungen erforderlich (S. 92). Gemäß Schnepper haben besonders die Bundesländer die Chance verpasst, in den Landesvollzugsgesetzen grundlegende Strukturen für einen partnerschaftsfreundlichen Strafvollzug zu schaffen (S. 122). Neben der rechtlichen Verpflichtung und finanziellen Stärkung der Anstalten sei besonders zu gewährleisten, dass die Träger der Freien Straffälligenhilfe ihren wesentlichen Beitrag zur partnerschaftlichen Vollzugsgestaltung wie auch Angehörigenarbeit außerhalb der Anstalt fortsetzen und ausbauen können, so die Autorin (S. 124). Obwohl das Buch viele fundierte konkrete Ansatzpunkte für eine partnerschaftsfreundliche Vollzugsgestaltung liefert, bleibt es eine vergleichende Perspektive schuldig, die gerade im föderalistisch geprägten Deutschland interessant wäre. Da der Fragebogen nur in einem Bundesland eingesetzt wurde, bleibt eine empirische Antwort auf die Frage, ob sich die Angebote von Bundesland zu Bundesland stark unterscheiden, offen. Leider bleibt die empirische Umfrage auf einem deskriptiven Niveau, Erklärungen für die unterschiedliche Handhabung des Themas in den einzelnen Anstalten fehlen. Ebenso unberücksichtigt bleibt, wer den Fragebogen beantwortet. So könnten Anstaltsleitungen manche Punkte anders sehen, als die Leitung des Sozialdienstes oder der Bewährungshilfe oder als die Inhaftierten selbst.
Fazit
Schneppers Arbeit liefert grundlegende kriminologische und juristische Argumente, warum eine familiensensiblere und partnerschaftsfreundliche Vollzugsgestaltung dringend geboten ist. Das Buch ist für diejenigen lesenswert, die sich aktiv damit beschäftigen, den Vollzug zu gestalten oder auch für diejenigen, die sich für das Thema Menschenrechte im Strafvollzug interessieren.
Rezension von
Prof. Dr. phil. Sigrid Haunberger
Dozentin und Projektleiterin Institut für Sozialmanagement, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)
Website
Mailformular
Es gibt 11 Rezensionen von Sigrid Haunberger.