Claude-Hélène Mayer: The Life and Creative Works of Paulo Coelho
Rezensiert von Thomas Reinhardt, 11.01.2018
Claude-Hélène Mayer: The Life and Creative Works of Paulo Coelho. A Psychobiography from a Positive Psychology Perspective. Springer International Publishing AG (Cham/Heidelberg/New York/Dordrecht/London) 2017. 501 Seiten. ISBN 978-3-319-59637-2. D: 149,79 EUR, A: 137,49 EUR, CH: 137,50 sFr.
Thema
Claude-Hélène Mayer stellt in ihrer im Springer International Publishing Verlag erschienenen wissenschaftlichen Werk „The Life and Creative Works of Paulo Coelho“ eine psychobiographische Fallstudie von Paulo Coelho vor. Coelho scheint der Autorin geeignet, die Perspektive der Positiven Psychologie im Hinblick auf die Entwicklung von Vertrauen in das Leben, von Berufung, von der Beziehung zu Gott sowie die Bedeutung der Entwicklung von Sinnhaftigkeit während des Schreibprozesses in Verbindung mit Lebenslauf und Werk zu untersuchen.
Entstehungshintergrund
Das in Englisch verfasste Buch entstand mit dem Institut für therapeutische Kommunikation und Sprachgebrauch und wird von folgenden Universitäten herausgegeben: Europa University Viadrina in Frankfurt (Oder) und vom Departement of Pretoria, South Africa. Mayer stellt diese Studie in den Rahmen von Dilthey, der mit seiner Hermeneutik versucht, die Lebenswirklichkeit in der entsprechenden Zeit zu interpretieren. Sie stiess mit der Methode der zielgerichteten Stichprobensuche („Purposive sampling“, Seite 7, auf Paulo Coelho als Subjekt der Studie um die Perspektive der Positiven Psychologie zu unterlegen. Die Studie unterscheidet zwischen „first-person and third-person documents“ (siehe Allport, 1961).
Autorin
Prof. Dr. Dr. Mayer ist jetzt Professorin an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und Arbeits-, Organisations- und Kulturpsychologin, sowie promovierte Ethnologin und verfügt über einen Phd in Management. Sie arbeitet als Mediatorin und Ausbilderin für Mediation (BM), Systemische Beraterin und systemische Familientherapeutin (SG), Hyponosetherapeutin (TIM), Integrierte Lerntherapeutin (ILT) und Systemaufstellerin (KI).
Aufbau
Das voluminöse über 500 Seiten umfassende Werk wird von Michel Foucault auf Seite ix emblematisch eröffnet: „But couldn´t everyone´s life become a work of art? Why should the lamp or the house be an art object, but not your life?“
Zunächst liefert die Autorin einen Überblick und widmet sich ausführlich der Methodik Psychobiographischer Forschung um dann chronologisch Leben und Werk von Paulo Coelhovorzustellen. Um die Perspektive der Positiven Psychologie im Leben von Paulo Coelho zu untersuchen nutzt sie zwei Modelle: „The Holistic Wellness Model, HWM“ und „Stages of Faith Development, FDT“, in die sie ausführlich im vierten und fünften Kapitel einführt.
Das sechste Kapitel ist dem Untersuchungsdesign gewidmet. Im siebten Kapitel geht Mayer ausführlich auf die Fundstellen im Leben von Paulo Coelho ein, die für ihre Untersuchungsmethode utilisierbar sind. Diese werden einer kritischen Diskussion unterzogen.
Die Studie dringt dann im Kapitel 8 zum zweiten Kern vor: „Holistic Wellness and Faith Development in Selected Creative Works of Paulo Coelho“. Von Seite 427 – 480 zieht die Autorin dann ihre Schlussfolgerungen und überprüft einzelne Aspekte und endet mit Empfehlungen für zukünftige psychobiographische Studien.
Inhalt
Folgendes überragende Ziel verfolgt Mayer: die Ausforschung des Lebens von Paulo Coelho auf der Basis der Modelle HWM und FDT. Die weiteren 6 Ziele, die sie auf Seite 11 auflistet münden schliesslich in der Frage: „How can the life oft he writer Paulo Coelho be described in terms oft he holistic wellness model and the stages of faith development?“
Als die Autorin 2012 ihr Interesse an Psychobiographie entwickelte, hatte sie zwei Personen im Fokus einer Untersuchung: Angela Merkel oder Paulo Coelho und sie beschreibt die Gemeinsamkeit von beiden folgendermassen: „Both of them are famous, are world leaders in one or another way, connected to masses of people who listen to their ideas and thoughts. Both have strong spiritual and religious roots and both are global players, beeing looked up to by many people and being criticised by many others. Both appear healthy and well to me, both seem to be strong, have coping mechanisms to deal with challenges and both seem to have found their vocation in life.“(Seite 30). Dieses Zitat beschreibt auch das Interesse der Forscherin an ihrem Gegenstand, die Neugier der Frage nachzugehen, was zur Gesundheit, zum Wohlbefinden und auch zum Erfolg beiträgt. Sie entschied sich für Paulo Coelho und schreibt: „I wanted to increase my ‚Verstehen‘, my understanding, of this individual in terms of Dilthey (2002)“(S.?31). Darum bemüht sie sich auf den folgenden über 500 Seiten. Das Leben des weltbekannten Bestseller-Autors von Büchern, wie z.B.: „The Alchemist (1988)“, „By the River Piedro I Sat Down and Wept (1994)“, „Veronica Decides to Die (1998)“.Die Autorin erkannte, dass sie sich als etablierte Wissenschaftlerin auch zur Welt des Schreibens hingezogen fühlt und zog wohl daraus auch eine heftige Motivation für dieses grosse Buch. Die Verbindung von Wissenschaft und Kunst fand sie in folgendem Zitat: „To write psychobiography one acts not like a scientist but an artist“ (Seite 32). Sie war geradezu „thrilled“ (ebda.) von diesem Zitat von Schultz (2005), wie sie beschreibt.
Paulo Coelho Leben
Das Leben dieses mittlerweile reich gewordenen brasilianischen Autors, dessen Buch „The Alchemist“ in 80 Sprachen erschienen ist und sich rund 83 Millionen Mal verkauft hat, der heute mit seiner zweiten Frau in Genf lebt, ist gekennzeichnet durch den starken Wunsch, Schriftsteller zu werden. 1947 in Rio de Janeiro als Sohn eines Ingenieurs in eine gutbürgerliche Familie hinein geboren, wurde er von klein auf stark religiös geprägt. Später besuchte er eine Jesuitenschule. Gegen den Widerstand seiner Eltern studierte er Rechtswissenschaften. Das Studium brach er ab, zog als Hippie zwei Jahre durch die Welt, konsumierte Drogen und begann sich politisch zu betätigen. Seine streng religiösen und konservativen Eltern liessen ihn, um seine Rebellion zu unterbinden, mehrmals in die Psychiatrie einweisen. Dort wurde er auch mit der Elektrokrampftherapie behandelt. Seine biographischen Erfahrungen wob er in seine Bücher ein, so z.B. die Psychiatrieerfahrung in das Buch „Veronica Decides to Die (1998)“.In den 70 er Jahren wurde er von der Militärjunta ins Gefängnis gesteckt. Er war Aktivist der antikapitalistischen Gruppe „Alternative Gesellschaft“, die neben der politischen Aktion auch magische Rituale praktizierte. Als Schriftsteller erfolgreich wurde er Anfang der 90er Jahre zunächst in den USA. Mittlerweile unterhält er eine eigene Stiftung, die beispielsweise hilfsbedürftige Kinder in den Favellas unterstützt. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon berief ihn 2007 zum Friedensbotschafter.
Seine Geburt als Schriftsteller bringt Coelho mit spirituellen Erlebnissen während und vor allem auch nach einem Besuch des Konzentrationslagers in Dachau in Verbindung. Kurz nach diesem Besuch in Dachau lernt er einen Mann in Amsterdam kennen, von dem er vermutet, ihn bereits in Dachau gesehen zu haben. Dies stellt sich jedoch als unrichtig heraus. Der Mann erklärt ihm, dass er wohl eine Projektion seines Astralkörpers in Dachau bemerkt habe. Dieser Mann, der später in den Werken Coelhos als „the Master“, „M“, „J“ oder „Jean“ auftaucht, wurde zu seinem spirituellen Meister. Jean, eine französisch-jüdisch stämmige ehemalige Führungskraft beim holländischen Philipskonzern in Paris war aktives Mitglied des 1492 gegründeten Ordens Regnus Agnus Mundi („Regnus, das Lamm der Welt“=R.A.M.). Jean veranlasste Coelho dazu, zum Katholizismus zurückzufinden. Daraufhin verbrachte Coelho die Jahre von 1980 – 1985 zurückgezogen in Spanien und befolgte die strengen Rituale des Ordens (Siehe S.?49 f).
The Holistic Wellness Modell, HWM
Im Zuge der wachsenden Forschung zu Gesundheit, Wohlbefinden und Wellness entwickelten u.a. Myers et al (2000) das HWM. Im Zentrum dieses Modells steht die Spiritualität, eingebettet in die „Selbststeuerung (Self-Direction)“ die 12 Aufgaben beinhaltet: Werte, Kontrolle, Realistische Überzeugungen, Emotionale Achtsamkeit, Anpassungsfähigkeit („Coping“), Problemlösungskompetenz, Kreativität, Humor, Übung, Ernährungsweise, Selbstfürsorge, Stress-Management, „Gender identity“, „cultural identity“. Weitere Lebensaufgaben sind nach diesem Modell: „Work & Leisure“, Freundschaft, Liebe. Hinzu kommen die sogenannten „life forces“, also die Lebensbelastungen vermittelt durch: Regierung, Familie, Religion, Erziehung, Gemeinschaft, Geschäftswelt und Industrie. Darüber hinaus wirken Ereignisse auf die internen und externen Quellen des Individuums ein.
Stages of Faith Development, FDT
Die FDT Theorie von Fowler wendet Mayer als eine der geprüften psychologischen Theorien auf die vorliegende Psychobiographie an. Im Folgenden verwende ich den englischen Begriff „faith“, da er sowohl Vertrauen als auch Glauben umfasst. Mayer betont, dass diese Theorie sowohl für die Theologie als auch für die Sozialwissenschaften von Bedeutung ist. Fowlers Theorie hat seine Ursprünge in den 68er Jahren, wurde weiterentwickelt und 1981 in die „Stages of Faith“ ausgearbeitet. Er steht in der wissenschaftlichen Tradition der Entwicklungspsychologie („structural stage theory of development“) die zeigt, wie fundamentale Strukturen schliesslich die individuelle lebenslange Entwicklung begründen (als Rezensent erlaube ich mir an dieser Stelle auf Piaget,1976, zu verweisen). Fowler, Sohn eines methodistischen Pastors, beschreibt 6 Stufen der Entwicklung von Faith und ordnet diese bestimmten Lebensphasen zu. Kurz zusammengefasst können diese Stufen so beschrieben werden: Entwicklung des Grundvertrauens (2-7 Jahre), des wörtlichen Glaubens (das Kind beschreibt seinen Glauben bildhaft), der„Synthetic-Conventional Stage“(Orientierung an der sozialen Umwelt, eine Phase, die in der frühen Pubertät beginnt und über die auch viele Erwachsene nicht rauswachsen), das „Paradoxial-Conjunctive“ Stadium (gehört zur Individuation, der Glaube wird reflektiert) und schliesslich „Universalising Faith“ (Hier gewinnt der Glaube an Weite, auch hier erlaube ich mir als Rezensent auf meine Assoziation mit der Ring Parabel bei „Nathan der Weise“von Lessing zu verweisen).
Die Untersuchung
Mayer beschreibt in Kapitel 6 „Research Design and Methodolgy“vertieft und ausführlich die Methodologie und das Untersuchungsdesign, reflektiert im Kapitel 6.3 das wissenschaftliche Paradigma der Hermeneutik und grenzt sich u.a. von der Hermeneutik z.b. von Heidegger oderGadamer ab (siehe Seite 145), da deren Fokus nicht im Rahmen einer psychobiographischen Studie angebracht sei. Die Datensammlung unterliegt folgenden Prozessen:
- Entscheidung, welches Individuum sich für eine psychobiographische Forschung eignet
- Sammlung der „First- and third-person documents.“
An dieser Stelle sei daraufhin gewiesen, dass Mayer keinen direkten Kontakt mit Coelho hatte, was sie auf Seite 471 im Kapitel „Limitations of this study“ bemerkt.
Untersuchungsergebnisse und Diskussion bezogen auf das Leben von Coelho
Die Methode und vor allem die beiden Modelle HWM und FDT werden zunächst auf das Leben von Coelho angewandt und in Kapitel 7 die Ergebnisse systematisch und chronologisch dargestellt. Zunächst werden die unterschiedlichen Herausforderungen, die das HWM formuliert, über den bisherigen Lebensweg Coelhos gelegt. Mayer nutzt die fünf Hauptkategorien des HWM und deren Unterkategorien um die jeweiligen Aufgaben, die an das Leben gestellt werden, zu prüfen. Viele sehr persönliche Lebensereignisse liefern den Stoff zu dieser Analyse. Die Lebensabschnitte werden auch hier in folgende Entwicklungsphasen gegliedert und das HWM jeweils in ihnen durchdekliniert:
- Frühe Kindheit (1947-1953),
- Kindheit und Schulzeit (1953-1961),
- Teenager Jahre (1962-1966),
- die Tweensjahre (1967-1976) und dann
- jeweils in 10- Jahresschritten gegliedert bis ins Alter von 60 im Jahre 2016.
Den jeweiligen Lebensphasen werden historische, globale Ereignisse zugeordnet, sofern sie eine Bedeutung für die Entwicklung Coelhos als Schriftsteller haben. Dabei beweist Mayer die enge Verbindung der Entwicklung von Faith, Spiritualität und die Entwicklung zum Schriftsteller und meint: „The search for spirituality during his young adulthood prepared him to become a writer in middle adulthood and to develop spirituality during his middle and late adulthood“(Seite 322).
In einer Grafik (siehe Seite 323, Table 7.34) listet sie diese Entwicklung in drei Spalten auf:
- Berufung, Gott und Umwelt,
- Berufung, Gott und rechtsgemässe Regierungsführung und schliesslich
- Berufung, Gott und Befreiung von ideologischen Grenzen.
Die einzelnen Kategorien sind jeweils mit Handlungen Coelhos unterlegt, wie beispielsweise einem Brief an Präsident Bush zur Unrechtmässigkeit des Kriegs gegen den Irak oder auch die kostenlose zur Verfügung Stellung seiner Werke, damit diese grenzenlos zugänglich sind.
Resümierend stellt Mayer fest, dass in Bezug auf die FDT Coelho den von Fowler (1981) beschriebenen Entwicklungsstadien zwar folgt, jedoch gibt es zwei Ausnahmen:
- Er fühlte sich nicht an Normen und Werte des Mainstreams gebunden und liess sich in seiner Entwicklung oder auch im Gefühl, „Nicht-dazu zu gehören“ nicht einschränken.
- Coelho wand sich im jungen Teenageralter von Gott ab (er beschreibt die Jahre in der jesuitischen Internatsschule St. Ignatius in einem Interview mit Arias (2001, p.33) diese Zeit als „horror of religion“).
Anstatt sich Gott wieder zuzuwenden bevorzugte er lieber okkultes und teuflisches. Mayer: „This kind of extreme development towards evil is not included at any stage of the faith development stages. Coelho´s interest in Satan can therefore be interpreted as an extreme and atypical develeopment with regard to the FDT.“ (S.?324).
Abschliessend legt Mayer dar, dass Coelho das 6. Stadium „Universalising Faith“bisher noch nicht erreicht hat, da er auf Grund der Selbstbezogenheit gehindert wird, diese Universalität zu erreichen., Jedoch hat seine Selbstbezogenheit ihm dazu verholfen, Schriftsteller zu werden.
HWM und FDT im Werk von Coelho
Im dritten Kapitel wurden sämtliche Werke vorgestellt, doch nun richtet Mayer ihre Untersuchungsmethode mikroskopisch vor allem ausführlich auf folgende Werke: „Auf dem Jakobsweg“ („The Pilgrimage“, 1987) und dem 20 Jahre später geschriebenem Buch „Aleph“ (2011). „Auf dem Jakobsweg“ beschreibt die Erfahrungen, die er auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela und die Riten des R.A.M. gemacht hat. Auch „Aleph“ ist ein vor allem autobiografisch geprägtes Buch und es beschreibt die abenteuerliche Reise des Erzählers von Moskau nach Vladivostok mit der transsibirischen Eisenbahn, dessen schriftstellerischer Protagonist sich auf der Suche nach spiritueller Tiefe und Selbstentwicklung befindet.
Mayer nutzt ausgewählte Indikatoren von Irving Alexander (1988,1990), nämlich die „Primary indicators of psychological saliency“, dies hilft der Untersuchung, um im Text folgende Kriterien aufzuspüren: Isolation, Einmaligkeit, Unvollständigkeit, Irrungen, Verzerrungen und Auslassungen.
Der Abschnitt 8.5. zeigt die Entwicklung zwischen den beiden Werken auf (siehe S.?400 – 426).
Überarbeitungen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Im letzten 9. Kapitel schliesslich folgen die Zusammenfassungen, die die Autorin mit weiteren Tabellen und vor allem auch Grafiken unterfüttert. Sie versucht im Abschnitt 9.5.3 auf Seite 438 f Coelhos Wellness und Faith zu rekonstruieren und sie beweist: „The life and works of Paulo Coelho are based on a strong holisitc wellness and faith development throughout his life span. Coelho is a highly spiritual, self-directed individual who build his holistic wellness on a strong concept of spirituality, love, his family and family background and his lived religion. The fulfilment of his dream to becoming a writer – which is the same time his vocation in life defined by a personal legend and latter a calling of God – contributes to his holistic wellness.“ (Seite 439 f).
Ab Seite 470 diskutiert Mayer die Grenzen der Studie und führt an, dass sich die Studie freilich nur auf eine einzige Person bezieht, die zudem noch lebt. Auch hatte sie nie direkten Kontakt mit Coelho. Von daher ist die Studie „uncompleted“ (Seite 471). Des Weiteren gibt es Beschränkungen auf Grund kultureller und disziplinärer Voreingenommenheit. Sie reflektiert im Abschnitt 9.9 ihre eigene Rolle und meint, dass sie mit dieser psychobiografischen Forschungsarbeit einige sehr einfache Dinge wieder gelernt hat, die in ihrem Unbewussten verschwunden waren, wie beispielsweise: dass ein Mensch eine zu vielfältige Konstruktion seiner selbst ist, um mit einer solchen Studie ganzheitlich erfasst werden zu können. Jedoch ist sie dankbar dafür, sich die Zeit genommen zu haben solch eine aussergewöhnliche Persönlichkeit in dieser Tiefe erkundet und damit das starke kreative Potenzial erfahren zu haben, dass diese über die Lebensspanne begleitet hat. Dies habe für ihr eigenes Leben eine grosse Bedeutung: für ihre eigenen Möglichkeiten, Grenzen und Begrenzungen, sowie für die persönliche Berufung und für die Ziele, die sie sich selber setzen möchte.
Diskussion
Die psychobiografische Studie des Lebens von Paulo Coelho ist quasi eine Untersuchung am lebenden Objekt. Mayer ist sich der ethischen Tragweite dieses Unterfangens bewusst und hebt im Geleitwort auf Seite vii hervor: „Ethical considerations were taken into account in this research study.“ Sie nutzt vor allem zwei theoretische Modelle, um die besondere Perspektive der Positiven Psychologie, wie sie sehr klar von Seligman beschrieben wird, auf die Untersuchung des Lebens dieses umstrittenen, aber äusserst erfolgreichen und auch zivilbürgerlich hoch engagierten Autors anzuwenden. Sie verfolgt damit auch folgende Fragen, die sich mir nach der Lektüre „through new lenses“(Klappentext Buchrückseite) stellen:
Welche Bedeutung haben radikale Veränderungen auf Spiritualität, Selbstlenkung, Selbstbestimmung, Liebe und Vertrauen? Welcher innere Kompass hilft und unterstützt die Verfolgung einer persönlichen Vision oder ist diese Vision der Kompass selber? Welche Rolle spielt die Entwicklung von Spiritualität und welche Grenzen werden sichtbar? Welche Bedeutung hat „Gott“ in der Entwicklung der „Weltenseele“? Kann ein selbstbezogener Mensch schliesslich die höchste Stufe im Rahmen der FDT erreichen, nämlich der Stufe, in der das Selbst seine Bedeutung verliert? Wie entsteht Empathie und soziales Engagement?
Fazit
Bislang gehörte ich zu den (wenigen?) Menschen, die Coelho nicht kannten. Dank dieser monumentalen, akribisch ausgeführten Studie habe ich mit vielen Leuten über ihn gesprochen und auch ein erstes Buch von ihm gelesen („Die Spionin“, eine Biografie zu Mata Hari). Coelho fasziniert die Einen, Andere stehen ihm eher gleichgültig gegenüber. Unabhängig davon ist diese Psychobiographie ungemein spannend, wird doch der Versuch unternommen, zu schauen, welche Herausforderungen in einem Leben auftauchen und was helfen kann, diese zu bewältigen. Zudem bietet der Einblick in das grosse kreative Werk einen Spiegel eines einzigen Lebenslaufs. Der Einblick zeigt, wie sehr das Schreiben Coelho vermutlich half, zu überleben. Diese Kraft spüren wohl viele seiner Leserinnen und Leser.
Für alle, die forschend – sei es aus wissenschaftlichem oder aus persönlich psychologischem oder aus spirituellem Impetus heraus – unterwegs sind, kann dieses Buch auch als Nachschlagewerk dienen für die Frage, wie grosse Herausforderungen im Lebenslauf kognitiv, geistig und seelisch „gemeistert“ werden können. Die rein wissenschaftliche Leserschaft, die vermutlich die Mehrheit dieses Buches bildet, ist das Werk auf Grund der Systematik, der Genauigkeit, der Vollständigkeit zu empfehlen. Allerdings gibt es viele Redundanzen, die vielleicht auf Grund der Wissenschaftlichkeit unumgänglich sind Das mögen andere beurteilen, aber diese können auch überlesen werden und man sollte den eigenen Fragen folgen, die sich bei der Lektüre stellen.
Rezension von
Thomas Reinhardt
Diplomierter Berater für Organisationsentwicklung. Arbeitet als interner Coach im Universitätsspital Basel und freiberuflich in den Bereichen Organisationsentwicklung, Gesundheitsmanagement, Konfliktmoderation, Coaching für Führungsverantwortliche, Teamentwicklung und Supervision. Schwerpunkte: Gesundheit und Führung, Change Management, Leadership, Kommunikation, Psychohygiene und Glück.
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Es gibt 33 Rezensionen von Thomas Reinhardt.
Zitiervorschlag
Thomas Reinhardt. Rezension vom 11.01.2018 zu:
Claude-Hélène Mayer: The Life and Creative Works of Paulo Coelho. A Psychobiography from a Positive Psychology Perspective. Springer International Publishing AG
(Cham/Heidelberg/New York/Dordrecht/London) 2017.
ISBN 978-3-319-59637-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23141.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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