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Winfried Möller: Praxiskommentar SGB VIII - Kinder und Jugendhilfe

Rezensiert von Prof. Dr. Renate Oxenknecht-Witzsch, 23.01.2018

Cover Winfried Möller: Praxiskommentar SGB VIII - Kinder und Jugendhilfe ISBN 978-3-8462-0543-3

Winfried Möller: Praxiskommentar SGB VIII - Kinder und Jugendhilfe. Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft (Köln) 2017. 2. aktualisierte Auflage. 982 Seiten. ISBN 978-3-8462-0543-3. 76,00 EUR.

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Herausgeber

Der Herausgeber und Autor Dr. jur. Winfried Möller ist Professor für Sozial-, Verwaltungs- und Strafrecht an der Hochschule Hannover,

Autorinnen und Autoren

Die weiteren zwölf Autorinnen und Autoren sind Hochschullehrer/innen und Praktiker/innen aus dem Bereich des Rechts, der Pädagogik und der Sozialen Arbeit.

Thema

Das Sozialgesetzbuch VIII – Kinder- und Jugendhilfe regelt die Leistungen der öffentlichen Jugendhilfe für Familien und Kinder und regelt die Aufgaben des Jugendamts gegenüber Eltern und Kindern, insbesondere auch im Fall von Kindeswohlgefährdungen.

Aufbau

Das Buch ist nach über zehn Jahren die zweite Auflage des damals noch als „Kurzkommentar“ erschienen Werkes, das nun als Praxiskommentar bezeichnet wird. Die Bezeichnung „Praxiskommentar“ soll signalisieren, dass Antworten auf praktische Fragen gegeben werden.

Die Literaturform Kommentar bedeutet, dass die einzelnen Regelungen – hier: 106 Paragrafen – jeweils erläutert werden. In der 2. Auflage wurde das Buch völlig neu bearbeitet und erweitert.

Von der Gesetzeslage her sind seither mehrere Änderungen des SGB VIII zu berücksichtigen, insbesondere das Bundeskinderschutzgesetz zum 1. Januar 2012 und das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher vom 28.10.2015. Außerdem werden das Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz (KJVVG) vom 29.08.2013 (BGBl. I S. 3464) sowie das Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 31.01.2013 (BGBl. I, S. 795) kommentiert.

Ein ausführliches Literaturverzeichnis, das nach Büchern und Zeitschriften untergliedert ist, gibt weiterführende Hinweise. Außerdem gibt es ein detailliertes Stichwortverzeichnis.

Inhaltliche Schwerpunkte

Aus der Fülle der Regelungsbereiche werden nachfolgend exemplarisch verschiedene Themen der gesetzlichen Neuregelungen seit der ersten Auflage sowie punktuell einzelne Regelungsbereiche näher beleuchtet:

Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

Eine wesentliche gesetzliche Neuerung ist das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) vom 22.11.2011 (BGBl. I 2875), das am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist. Mit Art. 1 BKiSchG ist das nur vier Paragrafen umfassende Gesetz zur Kooperation und Information zum Kinderschutz (KKG) geschaffen worden. Art. 2 enthält Änderungen des SGB VIII, insbesondere zum Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung. Die im Jahre 2005 neu eingeführte Regelung des § 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung wurde konkretisiert und um den neuen § 8b erweitert. Weitere Ergänzungen sind die Sicherstellung der Partizipation in stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen (§ 45 Abs. 2 Nr. 3), Konkretisierung des Tätigkeitsausschlusses einschlägig vorbestrafter Personen (§ 72a) und Erweiterung der Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen (§ 81). Außerdem werden die zunächst als politisches Projekt des Bundes eingeführten Frühen Hilfen gesetzlich verankert (§ 3 KKG).

In dem Buch werden die Neuregelungen detailliert erläutert. Das neue KKG wird teilweise in die Kommentierung des SGB VIII integriert. § 4 KKG wird im Zusammenhang mit § 8b und § 2 KKG wird in Zusammenhang mit § 16 erläutert.

Die Konkretisierung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a hinsichtlich der Verpflichtung des Jugendamts wird in den Abs. 1-3 differenziert und kritisch bewertet. Der Begriff „gewichtige Anhaltspunkte“ wird erläutert. Für die in der Praxis entwickelten diversen Indikatorenlisten wird gefordert, dass sie auf transparenten und wissenschaftlichen Grundlagen beruhen (§ 8a Rn. 9). Die Vorgabe des Gesetzes, wonach die Einschätzung des Gefährdungsrisikos „im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte zu erfolgen hat“, wird differenziert interpretiert. Gefordert wird, dass das „Beratungssetting“ als Mindeststandard

aus zwei Fachkräften bestehen muss, dass aber Erfahrungen aus der Praxis belegten, dass mehr als drei Fachkräfte zu empfehlen seien (§ 8a Rn. 13). Daraus ergibt sich, dass das in der Praxis häufig genannte „vier Augen Prinzip“ dem gesetzlichen Auftrag nur unzureichend nachkommt.

Die im Gesetz neu formulierte Verpflichtung des Jugendamts, „sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen“, die auch als Verpflichtung zum Hausbesuch verstanden wird, wird sehr zurückhaltend kommentiert mit genauen Vorgaben für einen unangekündigten Hausbesuch. Allerdings ist zu beachten, dass eine Kindeswohlgefährdung tatsächlich nur durch einen persönlichen Eindruck von dem Kind und seiner Umgebung ausgeschlossen werden kann. Der Gesetzgeber hat die Regelung nicht ohne Grund nun ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen.

Die Neuregelung des § 8b, die einen Beratungsanspruch bei der Einschätzung des Gefährdungsrisikos an das Jugendamt beinhaltet für Personen, die beruflich in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen stehen, erfasst vor allem die in § 4 Abs. 1 Nr. 1-7 KKG genannten Berufsgeheimnisträger, wie Ärzte, Hebammen, Berufspsychologen, Lehrerinnen und Lehrer

und Fachkräfte verschiedener Beratungsstellen, die außerhalb der Jugendhilfe tätig werden.

Im Anschluss an § 8b erfolgt die Erläuterung zu § 4 KKG. Zunächst werden verfassungsrechtliche Bedenken der Gesetzgebungskompetenz des Bundes erörtert, die im Ergebnis verneint werden. Auf Überschneidungen zu landesgesetzlichen Regelungen wird hingewiesen. Danach wird die Vorschrift detailliert hinsichtlich des Personenkreises, deren Pflichten und der Vorgehensweise praxisorientiert dargestellt. Fragestellungen, wie der Umfang der Übermittlungsbefugnis der Berufsgeheimnisträger, der Erforderlichkeit einer Aussagegenehmigung, der strafrechtlichen Garantenstellung und auch der Dokumentation werden mit Beispielen beantwortet.

Information und Beratung von Eltern und werdenden Eltern, § 16 Abs. 3 und 4 SGB VIII und § 2 KKG

§ 16 Abs. 3 und 4 mit der Öffnung für landesrechtliche Regelungen stellt eine präventive Ergänzung des Schutzauftrags der Jugendhilfe zur Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen dar. Die Vorschrift wird durch § 2 KKG ergänzt, die die zuständigen Stellen befugt, den Eltern ein persönliches Gespräch anzubieten. Die Kommentierung erörtert die Rechtqualität der Regelung und kommt hinsichtlich des Gesprächsangebots zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Befugnisnorm und nicht um einen Rechtsanspruch handelt, die aber als überflüssig angesehen wird. Auf die Beachtung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) wird hingewiesen.

Frühe Hilfen

Die Gesetzliche Verankerung der sog. Frühen Hilfen in Form von Rahmenbedingungen für verbindliche Netzwerkstrukturen, die in § 3 KKG ausdrücklich aufgenommen wurde, wird in der Kommentierung zu § 14 Rn. 22 erwähnt unter Hinweis auf das „Nationale Zentrum Frühe Hilfen“ und auf www.fruehehilfen.de. Der Freistaat Bayern hat zum Ausbau der Netzwerkstrukturen sog. Kokis (Koordinierende Kinderschutzstellen) bei den Jugendämtern eingerichtet, die diverse Hilfsangebote außerhalb der Hilfe zur Erziehung und der anderen Erziehungshilfen des SGB VIII zur Verfügung gestellt werden können, u.a. sollen bundesweit Ombudsstellen eingerichtet werden und ein niedrigschwelliges Beratungsangebot sei bereitzuhalten, deren Bildungsorientierung stärker gefördert werden müsse. Eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung Jugendlicher, z.B durch Nichtanrechnung von Hinzuverdiensten wäre ebenso dringend erforderlich.

Vorläufige Inobhutnahme von ausländischen Kindern und Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise, §§ 42a – 42f

Eine weitere Ergänzung des SGB VIII war die Ende 2015 erfolgte Neuregelung der §§ 42 a bis 42f zur Bewältigung der immens angestiegenen Zahlen der Einreise von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen und der damit gebotenen Inobhutnahme durch das Jugendamt. Die §§ 42a – 42f werden umfassend dargestellt und kommentiert. Zunächst wird die Entstehung der Neureglung referiert und die Systematik wird im Hinblick auf das neu geschaffene Institut der vorläufigen Inobhutnahme erläutert. Möller kritisiert die deutlich eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten. Mit den Erläuterungen zur vorläufigen Inobhutnahme und des Verteilungsverfahrens nach § 42b sowie des behördlichen Verfahrens zur Altersfeststellung nach § 42f wird das Werk seinem Anspruch auf Praxisorientierung voll und ganz gerecht.

Die Neuregelung steht im Zusammenhang mit der bisherigen Regelung der Inobhutnahmepflicht nach § 42, wonach in Abs. 1 Nr. 3 für ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen, das oder der unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Die Kommentierung erläutert das Zusammenwirken der beiden Regelungen. Es wird festgestellt, dass § 42a SGB VIII als speziellere Norm § 42 Abs. 1 Nr. 3 vorgehe.

Im Rahmen der Kommentierung von § 42 (Inobhutnahme) wird die inzwischen wohl durch die Rechtsprechung bestätigte herrschende Rechtsauffassung vertreten, dass ein/e Minderjähriger/e bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Inobhutnahme hat (§ 42 Rn. 13).

Gesetz zur Regelung der vertraulichen Geburt

Im Rahmen der Erläuterung der „Inobhutnahme“ nach § 42 wird auch das am 1. 5.2014 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung der vertraulichen Geburt als Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 dargestellt. Die Ausführungen werden ergänzt in der Erläuterung zu § 55 (Beistandschaft, Amtspflegschaft und Vormundschaft). Hier wird das Verfahren der Durchführung der vertraulichen Geburt mit Hinweis auf die Regelungen im Abschnitt 6, §§ 25ff des Schwangerschaftskonfliktgesetzes erläutert (§ 55 Rn. 15).

Mitwirkung des Jugendamts im Verfahren vor dem Familiengericht

Die Mitwirkung des Jugendamts im familiengerichtlichen Verfahren wird mit Hinweis auf die Neuregelung durch das FamFG erläutert. Das Verhältnis von Jugendamt und Gericht wird u.a. als „Verhandlungspartner auf Augenhöhe“ bezeichnet, in dem das Jugendamt seine sozialpädagogische Kompetenz einbringe. Es leiste „sachverständige Amtshilfe“. Es wird deutlich gemacht, dass Jugendamt nicht „Hilfsorgan des Gerichts“ ist (§ 50, Rn. 10). Danach werden einige Gerichtsentscheidungen zitiert, die die Aufgabe des Jugendamts konkretisieren und auf weiterführende Literatur hingewiesen.

Care Leaver

Im Rahmen der Kommentierung von § 41 (Hilfe für junge Volljährige) wird die seit einigen Jahren unter dem Begriff „Care Leaver“ diskutierte Herausforderung, den Übergang von jungen Menschen aus stationären Einrichtungen der Jugendhilfe in ein selbstständiges Leben zu ermöglichen. Die Diskussion und die Forderungen an den Gesetzgeber werden dargestellt.

Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz

Das Gesetz wird an den jeweiligen Stellen erläutert. Ausführlich werden in § 93 Abs. 4 die Neuregelung bei der Berechnung des Einkommens im Rahmen der Heranziehung zu den Kosten mit Hinweisen auf die Gründe für die Änderung dargestellt. Die Neuregelung in § 94 Abs. 6 Sätze 2 und 3, die es dem öffentlichen Leistungsträger erstmals ermöglichen, vom Leistungsempfänger einen geringeren Kostenbeitrag zu erheben oder von dessen Erhebung abzusehen, wenn das Einkommen aus einer dem Leistungszweck dienenden Tätigkeit stammt, wird hinsichtlich ihrer Bedeutung für junge Menschen ausgeführt. Für die zu treffende Ermessensentscheidung des Trägers wird betont, Jugendlichen zu raten, dafür sprechende Belange umfassend vorzubringen (§ 94 Rn. 12).

Zielgruppen

Der Praxiskommentar zum SGB VIII richtet sich an alle, die in der Praxis das Kinder- und Jugendhilferecht zu beachten und vor allem anzuwenden haben. Das sind vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jugendämtern sowie freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe und ihre Fachkräfte. Der Kommentar richtet sich aber auch an Studierende der Studiengänge BA-Soziale Arbeit sowie für BA-Studiengänge für Kindheitspädagogen.

Fazit

Die zweite aktualisierte und deutlich erweiterte Kommentierung des SGB VIII als sog. Praxiskommentar wird seinem Anspruch gerecht, das SGB VIII mit Blick auf die Anwendung in der Praxis zu erläutern. Die Kommentierungen sind gut strukturiert und die Erläuterungen sind verständlich geschrieben. Hilfreich sind zahlreiche Bezüge zur Handhabung in der Praxis, zu Studien und Konzepten, wie auch die vielen ergänzenden Hinweise auf weiterführende Rechtsprechung und Literatur am Ende einer Kommentierung.

Rezension von
Prof. Dr. Renate Oxenknecht-Witzsch
Em. Professorin für Recht mit Schwerpunkt im Arbeits-, Sozial- und Familienrecht an der Fakultät für Soziale Arbeit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Es gibt 44 Rezensionen von Renate Oxenknecht-Witzsch.

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Zitiervorschlag
Renate Oxenknecht-Witzsch. Rezension vom 23.01.2018 zu: Winfried Möller: Praxiskommentar SGB VIII - Kinder und Jugendhilfe. Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft (Köln) 2017. 2. aktualisierte Auflage. ISBN 978-3-8462-0543-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23180.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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