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Ursula Kremer-Preiß, Thorsten Mehnert: Handreichung Quartiers­entwicklung

Rezensiert von Julia Raspel, 19.12.2017

Cover Ursula Kremer-Preiß, Thorsten Mehnert: Handreichung Quartiers­entwicklung ISBN 978-3-86216-373-1

Ursula Kremer-Preiß, Thorsten Mehnert: Handreichung Quartiersentwicklung. Praktische Umsetzung sozialraumorientierter Ansätze in der Altenhilfe. medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2017. 134 Seiten. ISBN 978-3-86216-373-1. 19,99 EUR.

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Autor*innen

Thorsten Mehnert arbeitet als Referent im Bereich Wohnen und Quartier beim Kuratorium Deutsche Altershilfe.

Ursula Kremer-Preiß ist Leiterin des Bereichs Wohnen und Quartier beim Kuratorium Deutsche Altershilfe.

Thema

Die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten einer Orientierung sozialer Dienste, Einzelfälle nicht mehr isoliert zu betrachten, sondern im Kontext des jeweiligen sozialräumlichen Geschehens, sind Thema der Handreichung Quartierentwicklung von Thorsten Mehnert und Ursula Kremer-Preiß.

Zugrunde liegt dem Buch eine veränderte Blickrichtung in der Altenhilfeplanung: Der vorherigen Segmentierung der Leistungsmodule für Senior*innen folgt ein dahingehendes Umdenken, „die sozialen Nahräume vom Menschen mit Unterstützungsbedarf ganzheitlich anzupassen und die Bewohner sowie die Akteure vor Ort in die Bedarfsermittlung und die Gestaltungsprozesse einzubeziehen“ (8).

Quartiersorientierung wird an dieser Stelle als Ansatz präsentiert, der zum Ziel hat „das Lebensumfeld so zu gestalten, dass ältere Menschen und Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf möglichst lange selbstständig in ihrem vertrauten Wohnumfeld verbleiben können“ (Vorwort; 7), der zugleich generationenübergreifende Synergieeffekte verspricht und allen Bewohner*innen eines Quartiers zu Gute kommen kann. Hintergrund ist aber auch die Enttraditionalisierung von Familie sowie ein Mangel an Fachkräften in der Pflege; Umstände, die eine Stärkung von Eigeninitiative und gemeinschaftlicher Sorge im Gemeinwesen forcieren.

Aufbau und Inhalt

Die Handreichung ist in die folgenden Kapitel unterteilt, die jeweils notwendige Bausteine einer gelungenen Quartierentwicklung umfassen:

  1. Ist-Analyse
  2. Projektmanagement
  3. Kooperation und Vernetzung
  4. Partizipation
  5. Nachhaltigkeit und Finanzierung

Nachdem in der Einleitung die Grundprinzipien der Quartiersorientierung – ‚Raumbezug und Kleinteiligkeit‘, ‚Ganzheitlich und prozesshaft‘ sowie ‚Beteiligungsorientiert und vernetzt‘ – vorgestellt werden, beschreiben die Autor*innen die zu Beginn eines Quartierentwicklungsprozesses stehende Ist-Analyse. Erläutert werden die Schwierigkeiten, eine geeignete Sozialraumgröße zu identifizieren, innerhalb der sich die Entwicklungsarbeit vollziehen soll. Bei Schwierigkeiten mit der Eingrenzung werden daher die Wahlbezirke als „kleinräumigste kommunale Untergliederung“ (11) als geeignetes Quartier empfohlen. Es werden flankierend zwei Methoden vorgestellt, mit denen positiv oder negativ bedeutende Orte der Bewohner*innen identifiziert werden können. Des Weiteren diskutiert wird, welche subjektiven und objektiven Daten für eine Analyse des Quartiers relevant sind und wie diese erhoben werden können oder über welche Stellen man Einsicht in die Statistiken gewinnt. Für das von den Autor*innen vorgestellte Konzept zur Quartierentwicklung bieten sich aus ihrer Sicht weniger große aufwendig zusammengetragene Datenmengen, sondern eine an den mit der Arbeit verbundenen Zielen ausgerichtete kompakte Datensammlung an. Hierfür bieten Mehnert und Cremer-Preiß jeweils spezifische Checklisten, etwa für das potentielle Ziel einer „tragende[n] soziale[n] Infrastruktur“ (22). Deutlich hervorgehoben wird auch, dass bereits bei der Datensammlung der Einbezug der Sichtweisen der Bewohner*innen wesentlich ist, wenn die Quartierentwicklung gelingen soll. Auch hierfür werden Methoden und ein Fragebogen vorgestellt.

Dem Projektmanagement widmet sich das zweite Kapitel, aufgeteilt in die vier Phasen Projektvorbereitung, -planung, -durchführung und -abschluss. So streben die Verfasser*innen in der ersten Phase eine Erhebung von Ist- und Soll-Zuständen an und weisen auf die Notwendigkeit realistischer, dem SMART-Schema folgende Zielformulierungen hin. Gleichzeitig können vielfältige (externe) Einflussfaktoren die Projektgestaltung positiv oder negativ bedingen. Leser*innen, die sich gerade in diesem vorbereitenden Prozess bewegen, werden mehrere strukturvermittelnde Checklisten zur Verfügung gestellt. Nach dem zweiten Schritt, der Projektplanung, in der unter anderem Meilensteine des Projekts formuliert werden sollten, beginnt die Phase der Durchführung. Als geeignet wird eine „Kick-Off-Veranstaltung“ (57) beschrieben – „als ideale Plattform, den Bürgern zu zeigen, dass sie als Fachkundige im Quartier begriffen und ihre Bedürfnisse ernst genommen werden“ (57). Erfolgversprechend ist im Rahmen der Umsetzung der formulierten Projektziele zudem die Erstellung regelmäßiger Statusberichte. Wert sollte zum Ende eines Projekts auf einen strukturierten Abschluss gelegt werden, der unter anderem eine Evaluation zur „rückblickenden Wirkungskontrolle“ (59) beinhaltet. Hingewiesen wird dabei auf die Möglichkeiten zur Selbstevaluation, die dabei jedoch denselben Gütekriterien wie denen externer Evaluationen unterliegen sollte. Ein gelungener Abschluss beinhaltet auch eine gut vorbereitete Abschlussveranstaltung sowie ein Abschlussbericht. Auch hierfür halten die Autoren Checklisten zur Unterstützung vor.

Das dritte Kapitel Kooperation und Vernetzung „informiert darüber, wie Kooperation und Netzwerkarbeit erfolgreich gestaltet werden können“ (63), da sie inhärentes Merkmal des Quartierentwicklungsansatzes sind. Dazu werden in einem ersten Schritt Kooperation und Vernetzung (als ihre Voraussetzung) nach von Kardoff, Baitsch, Schubert und Birkhölzer definiert, um dann vertiefend unterschiedliche Netzwerkarten, die im Rahmen von Quartiersentwicklungansätzen eine Rolle spielen, vorzustellen. Unterschieden wird zwischen Verbundnetzwerken mit stark räumlicher Ausrichtung, Versorgungsnetzwerken mit dem Ziel der Angebotsverbesserung sowie projektbezogenen/Sozialen Netzwerken zur Verbesserung der Lebensqualität vor Ort. Im weiteren Verlauf des Kapitels werden Erfolgsfaktoren von Netzwerken skizziert, etwa das Festlegen der Netzwerkgröße, um dann den Aufbau eines solchen Konstrukts (unter Berücksichtigung der sozialräumlichen Spezifika des Quartiers – beispielsweise der örtlichen Machtverhältnisse) anzuleiten. Zu professioneller Netzwerkarbeit zählt auch hier eine (Selbst-)Evaluation. Als weiterer Gelingensfaktor wird abschließend auf eine möglichst flexibel zu gestaltende Netzwerkarbeit hingewiesen, in deren Rahmen kritisch-reflexiv die eigene Sinnhaftigkeit beleuchtet und Nachhaltigkeit gesichert wird.

Als tragende Säule der Quartierentwicklung beschrieben, befasst sich das vierte Kapitel umfassend mit Partizipation. Ziel einer beteiligungsorientierten Herangehensweise soll sein, „auf diese Weise nachfrageorientierte und bedarfsgerechte Strukturen zu entwickeln, die von der Quartiersbevölkerung mitgetragen werden“ (83). Im Verlauf des Kapitels werden auf die Trennung von bürgerschaftlichem und freiwilligen Engagement sowie Ehrenamt eingegangen, anschließend partizipationsförderliche Voraussetzungen genannt. Für die praktische Umsetzung wird ein an den jeweiligen Phasen der Quartierentwicklung orientiertes umfangreiches Methodenset vorgestellt, abschließend bieten unterschiedliche Praxisbeispiele Orientierung.

Das Buch schließt mit dem Kapitel Nachhaltigkeit und Finanzierung. Hier machen die Autor*innen deutlich, dass für gelungene Quartierentwicklung Verantwortliche identifiziert und eine tragfähige Finanzierung geschaffen werden müssen. Erwähnung findet auch die Sonderrolle des Programms „Soziale Stadt“, in dessen Rahmen häufig ein Quartiermanagement installiert wird. Weitere Formen der Ausgestaltung mit ihren Vor- und Nachteilen werden aufgeführt, um danach einen Überblick über die personalen Anforderungen von Quartiermanagement zu bieten. Beschrieben werden Möglichkeiten der Besetzung oder Teamzusammensetzung, ergänzt durch die fachlichen Anforderungen an das Profil einer/eines Quartiermanagers/Quartiermanagerin. Deutlich wird in diesem Kapitel auch die Herausforderung einer stabilen Finanzierung von Quartierprojekten, insbesondere, „weil es im Rahmen der Finanzierungsmöglichkeiten der bestehenden sozialen Sicherungssysteme dafür bisher keine Regelfinanzierung gibt“ (119). Mehnert und Kremer-Preiß stellen abschließend unterschiedliche Finanzierungsmodelle vor, auch hier illustriert von unterschiedlichen Praxisbeispielen.

Diskussion

Sehr positiv hervorzuheben sind die vielen Praxisbeispiele, in welchen Kommunen, wie und durch wen Quartierentwicklung im Sinne der Autor*innen umgesetzt werden kann, ebenso sind mindestens für Einsteiger*innen die Möglichkeiten, quartierbezogene Daten zu beschaffen hilfreich. Zu nennen sind auch die vielen skizzierten Methoden, um z.B. Beteiligung überhaupt zu ermöglichen.

Als weiterer positiver Aspekt fällt auch auf, dass sich die Vertreter*innen des „Fachkonzepts der Quartierentwicklung“ hier einen Ansatz vertreten, der unabhängig von der quartierspezifischen Sozialstruktur Wirkung entfalten kann und keinesfalls nur als Notfallhilfe für besonders benachteiligte Gebiete gelten muss.

Bei der Quartierentwicklung handelt sich um ein hoch anspruchsvolles mehrjähriges Vorgehen in Quartieren mit häufig heterogener Bewohnerschaft, für das es z.B. einen politischen Willen und viele weitere begünstigende Rahmenbedingungen braucht. Die Autor*innen weisen zwar auf die Vielschichtigkeit des Begriffs Quartiersmanagement hin und zählen einige Umsetzungsarten auf. Auf die Schwierigkeit, als Quartiermanager*innen vor dem Hintergrund häufig divergierender Ansprüche „einer neutralen Moderatorenfunktion entsprechen zu müssen“ (113) wird jedoch nur vereinzelt eingegangen. Eine hilfreiche Ergänzung wäre an dieser Stelle die Erwähnung eines Quartiermanagements gewesen, wie es von weiteren Protagonist*innen entwickelt und beschrieben wurde. Dabei wird die Besonderheit und Funktionalität einer intermediären Instanz im Gesamtmodell Quartiermanagement unterstrichen, der die (relativ) unabhängige Moderation, Mediation und Vernetzung der unterschiedlichen Beteiligten obliegt.

Gehört auch das Benennen kritischer Aspekte dazu, kann man auf die vereinzelte Ungenauigkeit bei der Verwendung von Begrifflichkeiten verweisen, so wird die Methode der aktivierenden Beratung unter dem Begriff der aktivierenden Befragung beschrieben. Bei beiden Herangehensweisen handelt es sich um gute Möglichkeiten, Partizipation zu befördern. Eine aktivierende Befragung unterscheidet sich jedoch von der Beratung durch einen wesentlich höheren Umfang und Ressourcenaufwand. Feinheiten in der Formulierung können möglicherweise einen Unterschied in der praktischen Herangehensweise bedeuten – beispielsweise die Aktivität der Bewohner*innen nicht einzufordern (116), sondern Aktivitätsbereitschaft zu erkunden – und so auch den Willen derer zu akzeptieren, die nicht an Beteiligung interessiert sind.

Die beiden Autor*innen verzichten auf einen umfassenden theoretischen Überbau, in dem beispielsweise eine Kontextsetzung mit den Einflüssen einer veränderten Sozialstaatlichkeit hin zu mehr Eigenverantwortung oder der Debatte um soziales Kapital erfolgt, deren Einfluss auf die Konjunktur beteiligungsorientierter Ansätze diskutabel ist. Das muss jedoch kein Manko sein, die Qualität des Bandes, der ja eine praktische Orientierungshilfe sein will, liegt auch in seiner Kompaktheit. Interessierte Leser*innen finden zudem im Anschluss an jedes Kapitel vertiefende Literaturhinweise.

Fazit

Mit der Handreichung Quartierentwicklung ist das im Vorwort formulierte Ziel, „hilfreiche Praxisanleitungen“ für an einer sozialraum- und beteiligungsorientierten Herangehensweise interessierte Akteure unterschiedlicher Fachbereiche umfassend erreicht. Der Band zeichnet sich durch seine hohe Anwendungsorientierung aus. Dabei besonders hilfreich sind die vielen Checklisten zu den verschiedenen Phasen der Quartierentwicklung, die eine wertvolle Unterstützung bei der Arbeitsorganisation bieten und helfen können, hier Routinen zu entwickeln. Unterstrichen wird die benutzerfreundliche Handhabung des Buches durch das Layout, an vielen Stellen werden eben jene Listen, aber auch bildliche Darstellungen verwendet.

Es handelt sich um ein Werk, das zum Machen anregt. Wer an Quartierentwicklung mit sozialraumorientiertem Fokus interessiert ist, findet in der Handreichung ein Buch, das zu einer an den Anliegen der Betroffenen orientierten Arbeitsweise einlädt und hilfreiche praktische Tipps vermittelt.

Rezension von
Julia Raspel
M.A., Universität Duisburg-Essen, Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB)
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Es gibt 2 Rezensionen von Julia Raspel.

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Zitiervorschlag
Julia Raspel. Rezension vom 19.12.2017 zu: Ursula Kremer-Preiß, Thorsten Mehnert: Handreichung Quartiersentwicklung. Praktische Umsetzung sozialraumorientierter Ansätze in der Altenhilfe. medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2017. ISBN 978-3-86216-373-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/23196.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.


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