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Fabian König, Georg Rainer Hofmann: Die Kostenstellen der Barmherzigkeit. Caritative Dienstleistung (...)

Rezensiert von Prof. Dr. Ralf Hoburg, 09.02.2018

Cover Fabian König, Georg Rainer Hofmann: Die Kostenstellen der Barmherzigkeit. Caritative Dienstleistung (...) ISBN 978-3-7841-2955-6

Fabian König, Georg Rainer Hofmann: Die Kostenstellen der Barmherzigkeit. Caritative Dienstleistung im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit, Professionalität und Finanzierbarkeit. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2017. 176 Seiten. ISBN 978-3-7841-2955-6. 21,00 EUR.

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Entstehungshintergrund und Thema

Bereits im Titel der hier zur Rezension vorliegenden Arbeit steckt die These, nämlich die zwischen Ökonomie und Theologie versteckte Frage, ob denn Barmherzigkeit immer und auf jeden Fall kostendeckend sein kann und muss. Offensichtlich – so die Analyse der Autoren – sieht die Realität anders aus und sind immer wieder kirchlich-diakonische Einrichtungen von Insolvenz bedroht. Und wie verhalten sich die Wohlfahrtsverbände resp. die Caritas zu diesem Faktum scheinbar zu geringer Wirtschaftlichkeit in manchen Sparten ihres sozialstaatlichen Handelns? Hinter dem Titel „Die Kostenstellen der Barmherzigkeit“ steht eine Reflexion über die Wirtschaftlichkeit bzw. über das Prinzip der Kostendeckung in kirchlichen Organisationen. Der im Geleitwort und im Vorwort benannte Ausgangspunkt defizitär wirtschaftender Sozialstationen wird durch eine empirische Studie untersucht, deren Ergebnisse dann in Handlungsempfehlungen einmünden.

Der Hintergrund der Studie bildet die Ausgangsbeobachtung defizitärer Wirtschaftlichkeit von Sozialstationen der Caritas in der Diözese Würzburg und der Frage, ob „defizitäre Sozialstationen mit Kirchensteuermitteln quasi subventioniert werden“ sollen. (S. 11) Die Basis der Untersuchung bildet eine Masterarbeit, die an der Hochschule Aschaffenburg eingereicht wurde. Mit Hilfe quantitativer und qualitativer Sozialforschung wurden die Sozialstationen der Diözese besucht und deren betriebswirtschaftliche Situation erfasst. Begleitet wurde dies durch eine breit angelegte Expertenbefragung, deren Ergebnisse in der vorliegenden Publikation dargestellt werden.

Aufbau und Inhalt

In einem ersten Teil der Studie wird eine Exegese der Erzählung vom barmherzigen Samariter aus LK 10 unter einem betriebswirtschaftlichen Focus darstellt. Die Kernfrage lautet, ob und wie von der biblischen Erzählung aus eigentlich die Wirtschaftlichkeit begründet werden kann? Das Ziel besteht in der auf S. 24 beschriebenen „Zusicherung der Refinanzierung der defizitären Pflege“, d.h. in der Auffassung der Autoren legitimiert der Bibeltext u.a. auch eine Defizit-Finanzierung, obwohl in der Darstellung deutlich gemacht wird, dass ein gewisses Restrisiko für das pflegerische Handeln des Wirtes bestehen bleibt.

Der Hauptaspekt der Studie liegt in der Erforschung der Ursachen für defizitäres ökonomisches Handeln vor dem Hintergrund christlicher Unternehmensmotivation und der Suche nach deren möglicher Behebung. Es geht demnach um die Entwicklung eines Referenzmodells zur „verlustminimierenden Organisation von Sozialstationen“ (S. 46) mit dem Ziel festzustellen, „ob die vorgefundenen operativen Defizite von Caritas-Sozialstationen überwiegend aus der Erbringung unternehmerisch motivierter Dienstleistungen (caritative Leistungen) entstanden sind [.].“ (S. 46) Hierfür führt die Untersuchung den programmatischen Begriff der „Kostenstelle Barmherzigkeit“ (S. 48) ein. Hierunter verstehen die Verfasser unternehmensethisch bedingte Leistungen, d.h. Kosten, die nicht durch eine Refinanzierung von Kostenträgern im weitesten Sinne geleistet werden können, sondern sich de facto aus dem caritativen Profil des Unternehmens heraus ergeben. Als Fazit wird vermutet, dass „lediglich die Erfüllung trägerspezifischer Aufgaben zur operativen Kostenunterdeckung“ beiträgt (S. 51). Hier wird letztlich auf ein entscheidendes Merkmal christlich motivierter sozialer Dienstleistungen aufmerksam gemacht, nämlich auf die Tatsache, dass im sozialstaatlichen System lediglich formal operationalisierte Dienstleistungen egalitär refinanziert werden und keine, sich aus dem spezifischen christlichen Markenprofil ableitenden Dienstleistungen ökonomisch darüber hinaus berücksichtigt werden können.

Was eine gewisse innovative Idee des Buches darstellt ist nun der betriebswirtschaftliche Versuch, „eine kostenmäßige Abgrenzung der spezifischen caritativen Dienstleistungen vom originären Pflegebetrieb“ (S. 53) zu versuchen. Eine besondere Schwierigkeit – und dies beschreibt die Publikation durchaus – ist die Tatsache, dass im Feld des „Mehrwert Caritas“ sich „soziale wie religiöse Motive der haupt- und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen und Leitungskräfte“ mischen und als eine klare Grenze zu ziehen sehr schwer sein wird. Dies stellt vor allem für die „interne Kostenkalkulation“ eine besondere Schwierigkeit dar. Auch eine genaue Leistungsbeschreibung dessen, was die Kostenstelle des „Caritas-Mehrwertes“ anbetrifft, scheint kaum möglich. So ist es das Ergebnis der Expertenbefragung, dass diese den „Mehrwert Caritas“ primär als Freundlichkeit im Kundenverhältnis beschrieben. Die betriebswirtschaftliche Differenzierung der Kostenstelle Barmherzigkeit wird in der Untersuchung aber nicht weiter aufgeschlüsselt. Als Ergebnis kommt die Untersuchung dann am Ende doch wieder zu dem Schluss, dass nicht die Erbringung caritativer Leistungen den wirtschaftlichen Defizitfaktor ausmacht, sondern letztlich doch die Heterogenität der Professionalisierung der betriebwirtschaftlichen Herausforderungen Ursache für defizitäres Wirtschaften bildet(S. 75).

Die „Kostenstelle Barmherzigkeit“

Den inhaltlichen Kern des Bandes stellt die empirische Untersuchung dar, die qualitativ durch Experteninterviews und quantitativ durch die Befragung der Caritas-Stationen der Diözese Würzburg durchgeführt wurde. Als Extrakt der Untersuchung wird das sog. „Würzburger Modell“ vorgestellt. Obwohl das Modell nicht explizit mit seinen Kriterien und Bestandteilen beschrieben wird, geht es dem Grunde nach um den Ansatz der Positionierung von Caritas-Sozialstationen. Der Ansatz des Modells besteht in der Bemühung, den caritativen Mehrwert zu erfassen. Dies bedeutet im Rahmen des Würzburger Modells: „Eine betriebswirtschaftlich nachhaltige Betriebssteuerung setzt die Trennung von refinanzierbaren Leistungen des Kernbetriebs der ambulanten Pflege und nicht refinanzierbaren Leistungen, die den caritativen Mehrwert der Caritas darstellen sollen, voraus.“ (S. 83) Das führt zu der „Notwendigkeit eines Erfassungssystems für caritative Leistungen“ (S. 111), was sowohl eine Vereinheitlichung und bessere Datenerfassung notwendig macht. Gleichzeitig gestaltet sich eine Definition caritativer Leistungen als problematisch (S. 115). Leider führt der Band die Idee einer „Case-based-Evidence“ (S. 90) nicht weiter fort.

Diskussion

Neben guten Aspekten, die weiterführend sind, bleiben bei der Lektüre des Bandes beim Lesenden auch Fragen offen. So ist schon am Anfang der Studie kritisch anzumerken, dass aus theologischer Sicht und vor allem auch aus der bibelwissenschaftlichen Fachperspektive die in dem Band vorgelegte Exegese jenseits der Fachexegese bleib, die seit Gerd Theissens fundamentalem Aufsatz genau zu dieser Erzählung ein differenzierteres Bild entwickelt hat. Konsens innerhalb der Theologie – katholischer wie evangelischer Seite – besteht gerade darin, dass eine Übertragbarkeit der biblischen Handlung auf moderne ökonomische Prozesse nicht unmittelbar möglich ist.

Auch bei dem Kerngedanken, nämlich der Vermeidung von defizitärem ökonomischem Handeln bleibt die Publikation stecken, wenn statt einer ökonomischen Handlungsweise dann doch kirchliche Subventionierung angestrebt wird. Mitgliedsbeiträge, Spenden und Zuschüssen sollen die Defizite ausgleichen. Insgesamt stellt sich die Publikation nicht so richtig als betriebswirtschaftliche Untersuchung dar und bleibt auch gleichzeitig hinter der diakonie- und caritaswissenschaftlich erreichten Diskussion und deren Ergebnissen betriebswirtschaftlichen Denkens zurück. Es lohnt sich aber in jedem Fall, den Gedanken einer betriebswirtschaftlich genaueren Erfassung der „nicht-refinanzierten“ Anteile in der Dienstleitungserbringung weiter zu verfolgen. Dazu bedarf es sowohl klarer Kriterien als auch einer klaren empirischen Untersuchung.

Fazit

Der Gedanke einer Trennung der Kostenstellen ist gut und sollte weiter entwickelt werden, da die generelle Unterfinanzierung sozialer Dienstleistungen eine Strukturfolge sozialstaatlicher Budgetierung und Kostendeckelung darstellt. M.E. sind christliche Sozialunternehmen, sofern sie ihrer Corporate Identity oder ihrem Markenkern entsprechend einen christlichen Mehrwert leisten wollen, immer strukturell in der Gefahr defizitär wirtschaften zu müssen.

Dennoch – so ist mein Eindruck nach der Lektüre – bleibt das Würzburger Modell der nicht-refinanzierbaren Anteile in der Erbringung sozialer Dienstleistungen und der Trennung der Kostenstellen im Ansatz stecken. Wie könnte es weiter gehen? Nimmt man die Qualitätsdebatte hinzu, wonach gerne aus der Unternehmensidentität christlicher Leistungserbringer wie Caritas und Diakonie eine postulierte Differenz zu nicht-konfessionellen bzw. privaten Anbietern abgeleitet wird, bietet sich hier betriebswirtschaftlich nur eine Chance, das Postulat weiter empirisch zu untermauern und d.h. die defizitäre Kostenstelle „Barmherzigkeit“ muss klarer eingegrenzt und evaluiert werden. Eine Erfassung nicht-refinanzierbarer „barmherziger“ Leistungen und ihrer Sichtbarmachung im Rechnungswesen und Controlling würde ein entscheidendes Argument in der Qualitätsdiskussion in der Freien Wohlfahrtspflege sein und quantitativ deutlich machen können, was alle bisher qualitativ ins Feld führen, aber nicht beweisen können, dass christliche Sozialunternehmen sich qualitativ von privaten bzw. nichtkonfessionellen Trägern unterscheiden.

Rezension von
Prof. Dr. Ralf Hoburg
Hochschule Hannover, Lehrgebiet Sozialwirtschaft und Theorie des Sozialstaats
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Es gibt 14 Rezensionen von Ralf Hoburg.

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ISSN 2190-9245